Sonntag, 15. April 2012
Bagatelle 155 - Nur zufällig
20 Uhr irgendeines Tages ist es und ich setze mich fürs viel zu groß geratene flatbildscreen um mich über alles mögliche menschliche Leiden, lokal und interlokal, informieren zu lassen. Also, über alles was die Nachrichtenwelt für so wichtig hält, daß es in der heutigen Tagesschau verkündet werden muß. Just an dem Augenblick da der Nachrichtensprecher uns mitteilt, daß die Kanadische Stadt Vancouver von einem schweren Erdbeben getroffen ist und wörtlich sagt: .. einige Tote und Verletze werden noch unter den Trümmerhaufen vermutet …, liest meine Gattin, die sich in ihre Leseecke zurückgezogen hat um ihren neuesten Thriller zu genießen, auf Seite 133 den Satz: …. der kanadische Ex-Gangster gab zu von seinem Leben einen Trümmerhaufen gemacht zu haben." Das in der Zeit gleichsam Zusammenfallen zweier völlig unterschiedener Gegebenheiten (hier das gesprochenen versus gelesene Wort "Trümmerhaufen" in ebenso völlig unterschiedenen Kontexten) könnte man unter der Rubrik 'Zufall' einordnen. Oder?

Nein, sagt meine Frau, es passiert mir zu oft. Ich lese ein Wort - in der Zeitung, in einem Buch, auf einem Plakat - und ausgerechnet in diesem Moment höre ich das gesprochene Äquivalent: in einem Gespräch von zwei mir unbekannten Supermarktkunden bei der Kasse, im Radio, im Fernsehen. Das kann kein Zufall sein.

Nein, würde mein verstorbener Bruder behaupten. (In der Tat: derselbe als der vom zerbrochenen Krug aus der Bagatelle hier unten.) Der behauptete immer wieder vehement, daß es vieles zwischen Himmel und Erde gibt das sich wissenschaftlich nicht beweisen ließe. Stärker: es gäbe Phänomene und Ereignisse welche sich jeder wissenschaftlichen Diskussion entzögen. Sachen welche nicht nur nicht in einem bestimmten wissenschaftlichen Rahmen paßten, sondern in keinem einzigem Rahmen. Es gäbe Phänomene die sich nur sprachlich beschreiben ließen. Zum Beispiel das zeitlich Zusammenfallen zweier unterschiedlicher Ereignisse. Er nannte dieses Phänomen schlicht "Synchronizität" (Bitte nicht zu verwechseln mit Synchronität: das gleichzeitig Ablaufen eines Vorganges, wie das Synchronspringen der Taucher im Schwimmbad.) Wenn meine Frau liest: Vancouver, und der Tagesschausprecher nennt zu gleicher Zeit Vancouver als Ort des Erdbebens, ist das als ein Exempel einer Synchronizität zu sehen. Behauptete mein Bruder. Daß es dir nicht auffällt, sagte er zu mir, kommt dadurch, daß du dich nicht für diese Ereignisse öffnest. Du betrachtest diese Sachen als normal. Als zufällig. Und das sind sie gerade nicht.

Nun behauptete mein Bruder nicht nur unbeweisbare Tatsachen, er sammelte sie auch. In einem Art Tagebuch, welches wir irgendwo in seiner Büchermasse gefunden haben, schrieb er seine Synchronizitätsbeispiele. Wie immer mit Tinte und Feder. Ein solches Ereignis werde ich nun für Sie nacherzählen.

Bei der Buchhandlung X sah ich - Abteilung Antiquariat - ein sehr schönes Buch über Kirchen/Religionen in den Niederlanden. Gerade etwas für Herrn R. Senior, dachte ich, nahm das Buch aus dem Stapel heraus, und fing an zu blättern. Auf dem Vorsatzblatt stand ein Dankeswort eines Doktoranden an Herrn Professor Poppesma als Zeichen des Dankes für seine Hilfe bei der Promotion. Auch ein Festlied für den neuen Herrn Doktor lag dabei. Ich dachte: das Buch stammt wahrscheinlich aus der Erbschaft dieses Professors. Seine Erben haben 'aufgeräumt', wie es denn so geht.
Irgendwo auf diesem Büchertisch lagen auch drei schwere deutsche Kunstbücher - die berühmte Springer Kunstgeschichte aus 1921 -. Die kaufte ich mir auch, weil ich zu Hause schon einen anderen Teil aus dieser Kunstreihe besaß.
Zufrieden fuhr ich dann nach Hause. Dort blätterte ich durch die drei Kunstbücher die ich noch nicht eingesehen hatte. Und was fällt plötzlich aus dem Mittelalter-Teil? Eine antike Ansichtskarte mit darauf dem Köllner Dom und gerichtet an: Den jungen Herrn J.O. Poppesma zu Vlagtwedde.


Als Nachspeise noch solch eine Synchronizitätsgeschichte.
Eine Reihe Bücher befindet sich oberhalb meines geöffneten Klaviers. Während ich diese Bücher abstaube (so mit einem großen Staubpinsel) höre ich mich einen LP des Baritons Max van Egmond an, der Schubert und Ravel singt. Er singt gerade Don Quixote, einen Liederzyklus von Ravel. Ich bin etwas wild im Bewegen des Pinsels und plötzlich fällt ein Buch herunter und trifft mit der schmalen Kante eine Klaviertaste welche laut mit exakt derselben Note mitklingt die Max van Egmond gerade singt: die tiefe Schlußnote aus der "Prière".
Das kann doch kein Zufall sein!





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