Donnerstag, 16. Mai 2019
Bagatelle 334 - Geteiltes Doppelbild
"Doch," sagte mir meine katholische Nachbarin, zu deren Geburtstagsfeier ich gekommen war, "wir gingen im Wonnemonat Mai oft zur Wallfahrt, zu der Schmerzhaften Muttergottes zu A. Die Bildnis hängt in der Kirche zu S." (Sie müssen wissen: S. und A. sind verschiedene Orte.) Nach vielem Nachdenken und Hinterfragen über die Frage wieso die Schmerzhafte Mutter Gottes sowohl zu A. als auch zu S. gehören konnte, erfuhr ich, dass es um dieses Problem sehr viele wahre Geschichten, bedenkliche Aussagen und phantasievollen Erzählungen gibt. Die Sache ist ungefähr so.

Das Bild, von dem die Nachbarsfrau spricht, ist die Hälfte eines sogenanntes Marianums, eines Doppelbildnisses von Maria-mit-dem-Kinde. Im Mittelalter aus feinem Holz geschnitzt und deshalb uralt. In späteren Jahrhunderten frisch und fröhlich bemalt. Zwei Marienbildnisse mit, um es einmal unehrfurchtsvoll zu sagen, flachen Rücken. Die Gestalten hängen - rückwärts zu einander verbunden; es ist ein Doppelbildnis – meistens im Chor einer Kirche, so dass sie von allen Seiten gesehen und bewundert werden können. Die Nachbarsfrau kannte aber nur den éinen Teil dieser Zwiegestalt; meine Frage daher: wo ist aber die andere Hälfte?

So wie oft fängt es an mit Glaubensstreitereien. Das Doppelbild hat Jahrhunderte in der Kirche zu A. gehangen. Nach der Reformation hat es dort, wie auch in vielen anderen Orten, einen Bildersturm gegeben: alle Gegenstände die an den früheren katholischen Glauben erinnerten, wurden entfernt. So auch das Marianum, das Doppelbild. Wohin es kam, ungeteilt oder in zwei Teilen, ist ziemlich ungewiss. Die einen sagen dorthin, die anderen behaupten das Gegenteil. Sicher ist aber, dass beide Teile des Doppelbildes sich an einem bestimmten Moment im Besitz des Fürsten zu S. und S. kamen. Der Fürst (oder einer seiner Nachfolger) streicht über sein Herz und gibt éinen Teil des Doppelbildes dem Pfarrer aus S. der ihm freundlich aber streng darum bittet – es sei immer in seinem Besitz gewesen -. Den anderen Teil schenkt der Fürst den Nonnen im Kloster seiner Stadt, die sich so gut und treu um die Nöten und Sorgen der armen und kranken Mitschwestern und Mitbrüdern kümmern. Dort bekommt der Teil einen festen Platz im Klosterhospital.

Beide Teile werden umgeben von Erzählungen über Wunder und angebliche Wunder. Kranke die spontan genesen und ähnliche Sachen. Bemerkenswert ist die Geschichte aus 1955, also noch nicht so lange her. Damals habe sich ein grausames Gewitter über der Stadt entwickelt, sagen Augenzeugen. Im Hospital haben sich die Nonnen und das Pflegepersonal im Vorraum aufgehalten. Dann sei ein Kugelblitz durch die offene Außentür hereingeflogen und als er sich dem Bild der Schmerzhaften Mutter näherte sei er plötzlich umgekehrt, und demselben Weg zurück verfolgend, entwichen. Das ist doch was wunderbares, finden Sie auch nicht.

Heute kann man beide Teile sehen, bestaunen und, wenn man will, anbeten und eine Bitte hinterlegen. Der eine Teil in Deutschland im Hospital zu X; der andere Teil in den Niederlanden in der Kirche zu S. In Deutschland nennt man sie die Schmerzhafte Muttergottes; in Holland de Bedrukte Moeder Gods. Schmerzhaft und bedrückend, weil man im Laufe der Zeit so schlecht mit Ihr umgegangen ist. Sagt man.


Nachschrift: Hier die beiden Teile. Oben die Schmerzhafte Muttergottes im deutschen Hospital; darunter die niederländische Bedrukte Moeder Gods.





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