Dienstag, 12. Mai 2015
Bagatelle 260 - Kunterbuntgrün
Immer wieder, jeder Frühling, die gleiche Prozedur wie jedes Jahr, die ich Ihnen am Beispiel unserer Buchenhecke illustrieren will. Die Hecke welche unseren Vorgarten umrundet ist das ganze Jahr über voll Blatt. Winters braun-grau, aber auf einmal macht dieses Braun dem neuen Grün Platz. Und sehen Sie welch ein herrliches Grün!



Oder nehmen wir unsere Buchen, stolze Bäume an der Landstraße, unserem Hof gegenüber. Nachdem sie den Winter trostlos ohne Blatt dagestanden sind, kommen auf einmal die neue Blattknopfen. Nein, nicht alle Buchen genau zur selben Stunde: einige sind anderen einige Tage im Voraus. Wie Sie sehen.



In der Tat, im Frühjahr sieht man erst wie differenziert die Grünskala ist. Später im Hochsommer verschwinden die Unterschiede und im Herbst sieht man nur staubiges mattes Grün.

Aber, worüber ich mich eigentlich mit Ihnen unterhalten möchte, ist die Geschmacksänderung in der Farbenbewertung. Jedenfalls bei mir. Wo ich heute sehr die einzelnen Farben liebe, zwar mit allerhand feinen, pastellartigen Schattierungen wie das zarte Frühlingsgrün, konnte es früher nicht bunt genug sein. Das weiß ich, zum Beispiel aus meiner Zeit an der pädagogischen Hochschule wo ich, außer den Kindern Liebe für die schönen Künste beizubringen, auch selber Hand anlegte. Jede Woche stand eine Zeichen- annex Malstunde auf dem Programm, wo man selber aufgefordert wurde künstlerisch tätig zu werden. Manchmal gesteuert von einem gezielten Auftrag des Herrn Lehrer Petersen, unser aller Zeichen- und Malmeister, manchmal mit Hilfe eines freien Auftrages. ꞌNun lieber Terra, zeig mal was du kannst!ꞌ Und dann konnte meine Palette nicht bunt genug sein.

Einige Blätter von damals habe ich mir aufbewahrt. Um jetzt zu entdecken wie kunterbunt meine Welt von damals aussah.





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Montag, 27. April 2015
Bagatelle 259 - Belehrung statt Bescherung
Seit Jahr und Tag pflegen wir unseren Gemüsegarten. Dort reift der Grünkohl, dort wächst der Spinat, alles ökologisch einwandfrei. Dort wird, wenn nötig, in trockenen Zeiten Wasser herangeschleppt damit die Tomaten nicht ganz und gar verdursten. Dort geschieht was in einem ordentlichen Gemüsegarten zu geschehen hat. Aber nur zur Freude, ohne Zwang und Hast.

Glauben Sie bitte nicht dass ich selber die Feinarbeit verrichte. Dafür bin ich ein viel zu schlechter Gärtner. Früher machten das meine Schwiegermutter und meine Gattin, die Frau Terra; beide besaßen, wie man bei uns so sagt, grüne Finger. Die wussten Bescheid; sie sprachen mit und über die gedeihenden Pflanzen und über das heranwachsende Gemüse. Sie wussten genau wann Erntezeit oder wann Vorsorge zu treffen bei drohendem Nachtfrost. Ich selbst sah das alles mit großem Vergnügen. Wenn es sein musste, trat ich die Schwerstarbeit an wie die Arbeit mit Spaten und Hacke.

Seit vergangenem Jahr nun macht mein jüngster Sohn die Gartengemüsearbeit. Er tut das aus freien Stücken; keiner hat ihn gezwungen oder gebeten. Er macht es liebend gerne, was ohne Zweifel auf das geerbte Konto seiner Mutter und Großmutter zurückzuführen ist. Das erste Gemüse in diesem Jahr (unter Glas gereift allerdings) ist schon geerntet und gekostet. Jetzt wo es richtig Frühling geworden ist, wird gesät und gepflanzt was das Zeug hält.

Etwas aber droht der Garten- und Gemüsefreude in die Quere zu kommen. Unsere Pfauenschar nämlich hat – voriges Jahr schon – die vortrefflichen Eigenschaften der angebauten Gemüsesorten entdeckt. Alles Grüne wird sorgfältig auf Geschmack und Nahrungsqualität geprüft.

Damit so etwas nicht nochmal passiert, haben wir dieses Jahr einige Vorsorgemaßnahmen getroffen. Aber was soll man machen? Drohen mit Gefangenschafft auf Wasser und Brot? Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang jemand bitten Wache zu stehen um die Pfauen wenn nötig zu entfernen? Einen großen Zaun errichten der keinem Pfau aber fast auch keinem Menschen den Eintritt in den Gemüsegarten ermöglicht?

Mein Sohn hat sich für eine moderate Lösung entschieden. Der Gemüsegarten wurde neulich umzäunt (ein Meter hoch) so dass in jedem Fall unser Pfauenherr Jeroen – der nicht fliegen kann – auch nicht darüber springen kann. Die restlichen Pfauen, alle sehr flugfähig, werden auf zwei Arten und Weisen vom Eintritt in den Garten abgehalten. Erstens sind oberhalb des Zaunes Drähte aufgehängt welche verhindern sollen dass die Jungpfauen über den Zaun fliegen. Zweitens hat mein Sohn die grandiose Idee des Verkehrsschildes angewandt. An zwei Stellen im Zaun sind Warnungen zu sehen: ein Halte- und Warte- nebst Eintrittsverbot das allen Pfauen und anderen ungeladenen Gästen abwehrt und zurückweist. Sehen Sie selbst. Das müsste eigentlich genügen, meinen wir. Statt eine Bescherung eine Belehrung. Lasset es euch gesagt sein! rufen wir den Pfauen zu.











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Donnerstag, 9. April 2015
Bagatelle 258 - Offener Brief
Liebe Bagatellenleserin, lieber Bagatellleser, liebe Bagatellisten,

Gestatten, mein Name ist Jeroen (Sprich: Jeruhn mit kurzem /u/). Meistens schreibt mein Herr und Begleiter (den Herrn Terra meine ich) über mich, aber diesmal nehme ich selber eine meiner Feder zur Hand. Es wurde auch Zeit, allerdings, aber der Herr Terra hatte die anscheinend nicht.



Wie Sie vielleicht wissen, bin ich vor einigen Jahren, man schrieb das Jahr 2012, dem Herrn Terra zugelaufen. Tatsächlich zufälligerweise, und ohne jeden Beigedanke. Und weil es mir auf seinem Hof gefiel, habe ich mich entschlossen seinen Wohnsitz als meine Dauerbleibe zu betrachten. Ich brauchte auch nicht lange alleine zu bleiben, denn 2013 hat man mir aus dem benachbarten Ausland eine Frauenpfau, Jetta genannt, herangeschafft.

Da wir gerade über meine Familie reden: Die Jetta hat mir zwei Söhne (2013) und zwei Töchter (2014) geschenkt. Mit meiner Familie geht es aber inzwischen so und so. Meine Söhne – sie heißen Sokke und Fukke - sind munter und kreuzfidel und gerade in dieser Frühlingszeit ziehen sie täglich durch die Nachbarschaft. Manchmal sind sie tagelang unterwegs, meistens von der einen Tochter TON (Tochter-Ohne-Namen) begleitet.



Leider muss ich Ihnen berichten, dass die Jetta nicht mehr am Leben ist. Sie ist voriges Jahr auf der Landstraße von einem PKW überfahren worden. Der Terra hat sie feierlich begraben, habe ich aus der Ferne gesehen. Die andere Tochter ist einem Bussard zum Opfer gefallen. Keiner hat’s gesehen aber man hat die Überreste gefunden. So grausam kann die Natur also sein, aber das wissen Sie, Menschen, natürlich am besten.



Jetzt aber muss ich schließen. Auch meine Zeit ist begrenzt. Es ist Zeit für die tägliche Putzrunde wobei ich mein Federpack in Ordnung bringe und allerhand Gesindel das sich unter meinen Federn aufhält entsorge. Ordnung muss halt sein.

Mit liebem Pfauengruß, ihr aller Jeroen.

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Freitag, 3. April 2015
Bagatelle 257 - Doppelt legitimiert
Es gibt die doppelte Staatsbürgerschaft und es gibt die doppelte Legitimation. Das lehrt uns die folgende Geschichte.
In diesen Tagen feiert man bei uns – bescheiden aber trotzdem – dass man vor 70 Jahren von der deutschen Besatzung befreit wurde. Weil bei uns der zweite Weltkrieg erst Mai 1940 anfing, - ich war dabei, zwei Monate alt - könnte man auch in einigen Wochen dieser Tatsache gedenken.

Aus Erzählungen und mündlichen Überlieferungen weiß ich dass die äußerlichen Lebensbedingungen sich anfangs kaum änderten. Bei uns im Grenzdorf lebte man weiter wie bisher. Das Verhältnis mit den deutschen Nachbarn war nicht mehr so wie früher, aber man vertrug sich einigermaßen.
Dann im Herbst 1940 kam die Legitimationspflicht. Jeder der sich in der Öffentlichkeit aufhielt, sollte schriftlich beweisen können dass er derjenige war den er behauptete zu sein.

Hier unten sehen Sie die Identitätskarte meines Vaters. Damals 39 Jahre alt. Undank der ungewissen Zeit sieht er vertrauensvoll in die Zukunft. Wenn Sie gut sehen, könnten Sie entdecken dass die deutsche Sprache ihren Eintritt gemacht hat. Das niederländische ꞌHandteekening van den dragerꞌ wird von nun an begleitet vom deutschen ꞌUnterschrift des Inhabersꞌ.




Vielleicht ist es Ihnen auch aufgefallen, dass diese Identifikationskarte etwas sehr besonderes an sich hat. Sie herbergt nämlich zwei identische Unterschriften. Mein Vater ist doppelt legitimiert.

Wieso und weshalb? Mein Vater war damals Beamter am Rathaus und verantwortlich für die Herausgabe der Legimitationsbeweise. Er selber brauchte auch eine Bestehensgrundlage, meinten die Besatzer. Deshalb zwei Unterschriften: die eine als Herausgeber, die andere als Leidtragender.
(Übrigens kamen meinem Vater die Kenntnisse über öffentlichen Dokumenten gerade recht. So konnte er in den späteren Kriegsjahren dann und wann mal einen Reisepass oder ein Legitimationsbeweis fälschen.)

Dieses Jahr nähert meines Vaters Legimitationsbeweis sich seinen 75. Geburtstag. Ich werde ihn jedoch nicht feiern.

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Donnerstag, 12. März 2015
Bagatelle 256 - Nutzloses Flugwissen
An diesem herrlichen Merzfrühlingsmorgen, heute am 12. des Monats, sitzen zwei bei uns in der Laube. Es sind mein Alter-Ego und ich selbst. Es ist Viertel nach Elf. Die beiden sitzen in der Sonne, dort wo dich der Wind nicht fängt, und trinken etwas verspätet ihren Morgenkaffee. Der Himmel ist hellblau und keine Wolke ist zu sehen. Plötzlich schauen beide in die Lüfte wo ein Flieger, der von milchweißen Kondensstreifen gefolgt wird, sichtbar wird. Wenn das Flugzeug fast schon vorbei ist, hört man nachträglich das Gebrumm der Flugzeugmotoren.
Sagt der eine: ꞌDas ist eine KLM-Maschine; die hat vor einer Viertelstunde die Reise von Amsterdam-Schiphol nach Doha angetreten.ꞌ
Sagt der andere: ꞌDu sprichst als ob es der Drei-Uhr-Omnibus nach Raunen-an-der-Luhre ist. Wie kannst du überhaupt wissen was für ein Flugzeugtype das ist und wohin er fliegt! Willst du mich auch noch weismachen dass du die Fluggesellschaft und die Flugnummer weißt?ꞌ
ꞌDoch,ꞌ erwidert der eine, ꞌdas ist Flug KL441. Abreise 11.12 Uhr, Ankunft 19.08 Uhr Ortszeit. Die Maschine fliegt jetzt 8543 Meter hoch mit einer Fluggeschwindigkeit von 870 Km/H.'



Ich kann Ihnen Maschine und Streifen zeigen. Ich hatte, wie immer, eine Kamera dabei. Und alle Fakten welche der eine Sprecher verbreitet hat, stimmen tatsächlich. Ich kann es Ihnen beweisen mit einem zweiten Beispiel.
Hier unten sehen Sie eine Boeing 747. Fluggesellschaft Lufthansa, Flug LH422. Sie ist um 11.18 Uhr vom Frankfurter Flughafen aufgestiegen en befindet sich auf dem Weg nach Boston (USA). Dort wird sie (hoffentlich, denn man weiß nie) um 13.36 Uhr (örtliche Zeit) landen. Flughöhe momentan: 10.063 Meter; Geschwindigkeit 872 Km/H. Als die Maschine sich über mein Haus befindet ist es genau 11.43 Uhr. (Von Frankfurt/Main etwa zur niederländischen Grenze in 25 Minuten. Das nenne ich zügig!)



Nicht alles weiß man. Zum Beispiel kenne ich den Namen des Ko-Piloten nicht. Ich weiß auch nicht wer die Dame auf Stuhl 27 (Dritte Reihe, am Fenster) ist. Aber die Flugdaten lassen sich mittels eines Komputerapps reibungslos abrufen. Da sitze ich alleine mit meinem i-pad in meiner Laube und sehe auf dem Bildschirm was sich über meinen Kopf abspielt. Ich sehe kleine Flugzeuge sich auf einer Landkarte bewegen und kann einschätzen wann, wo und welches Flugzeug sich in meiner Nähe blicken und hören lässt.

ꞌNa und?ꞌ werden Sie fragen, und Recht haben Sie. Es ist nutzloses Flugwissen. Denn dadurch dass ich weiß, dass die Flughansamaschine nach Chicago (Departure: 11.09, Arrival: 13.54) 38 Minuten Verspätung hat, wird die Welt nicht besser. Und ich selber auch nicht.
Eine Ausnahme gibt es jedoch. Wie herrlich, dass Frau Gertrude Kleinschmidt aus Wolfenbüttel die Maschine sehen kann! Denn ihre Enkelin Helga befindet sich unter den Passagieren; sie fliegt gerade in die USA-Ferien. Die liebe Frau Kleinschmidt zögert nicht wenn das Flugzeug auf ihrem Bildschirm sichtbar wird. Sie tritt hinaus, winkt ihrer Enkelin im Flugzeug zu und ist in Gedanken bei ihr. Gut es zu wissen!

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Donnerstag, 5. März 2015
Bagatelle 255 - Freiwillig unfrei
Einmal in so und soviel Zeit verzichte ich auf das schönste und teuerste was ich besitze und begebe mich wissentlich in die Unfreiheit. Ich meine den Gang zum Frisör. Meistens so um die fünf Wochen überwinde ich mich selbst, verabrede einen Termin bei meinem festen Haareschneider und fahre anschließend zu der Damen- und Herrenfrisörsalon in A. um meiner haarigen Kopfbedeckung - oder was davon noch übrig ist - die gewünschte Fasson verleihen zu lassen. "Wieder mal wie das vorige Mal?" fragt mich der Frisör. Und wie immer nicke ich zustimmend.

An dem Augenblick wo du dich in den Frisörstuhl setzt, fängt das Elend an. Der Frisörmeister tritt den Stuhl auf die angemessene Höhe, bindet dir ein weißes Betttuch um den Hals, und öffnet danach seine Tasche mit den Haarschneide- und Rasierattributen. Mit Schere und Kamm, mit Haarschneidemaschine und Rasiermesser werden überflüssige Haare fachmännisch entfernt. Nur ich, unter dem weißen Betttuch, mit den Frisörhänden und Haarschneidegeräten auf meinem Kopf, leide schwer unter der Einsicht, dass ich meine Freiheit, auf die ich so stolz bin, dem Frisör ausgeliehen habe. Jedenfalls für zehn Minuten.

Wenn dir die Haare geschnitten werden, sollst du dich nicht bewegen, so lautet die Redensart. So ist es: du bist zu einer festen Sitzposition verdammt. Weder nach links noch nach rechts kannst du dich bewegen. Du bist quasi festgenagelt. Um dir eine Haltung zu verleihen besprichst du mit dem Frisör das Wetter und andere unwichtige Ereignisse. Die Tatsache ist, dass du nur an eines denkst: an den glückseligen Augenblick wo der Frisör seine Utensilien in seine Tasche steckt, deinen Stuhl erlaubt sich zu senken, das Betttuch zur Seite schwingt, einige lose Haare von deinem Mantel fegt und sagt: "So, das reicht wieder für einige Wochen."
Ich habe meine Freiheit wieder gewonnen. Ich bin mein eigener Meister. Und das für lausige 15 Euro. Kein Geld selbstverständlich für so etwas wertvolles wie die Freiheit.


Zugleich mit der Woche des Buches (Boekenweek) die nächste Woche anfängt, gibt es bei uns eine Woche des Dialektbuches. Für das niedersächsische Sprachgebiet erscheint dann 'Flonkergood', ein Büchlein mit 24 Kurzbeiträgen, dieses Jahr alle unter dem Thema: Freiheit. Auch der obige Beitrag über die Unfreiheit beim Frisör lässt sich in diesem Buch wiederfinden. Die Version in meinem Dialekt können Sie hier unten lesen.



Vri-jwillig onvri-j

Ens in de zovölle tied geef ik ’t mooiste en dierbaorste wa’k hebbe op en begeve mi-j willens en wettens in onvri-jheid. Ik bedoele mienen gang naor de kapper. Meestal zo elke vief waeke aoverwin ik mi-jzelf, maak een afspraak met mienen vasten kapper en fietse naor de dames- en herenkapsalon in A. um mienen haordos - of wat daor nog van aover is - te laoten fatsoeneren. ‘Maor weer net zo knippen as altied?’ vrug de kapper. En zoas altied knikke ik in- en toestemmend.

Op ’t moment da’j in de kapstoel plaats nemt begunt de ellende. De kapper trapt de stoel op de goeie heugte, bundt ow een wit laken um d’n hals en krig zien tasjen met knip- en scheerattributen. Met schere en kam, met tondeuze en scheermes wordt aovertollige heurkes vakkundig verwijderd. Maor ik, onder ’t witte laken, met de kappershande en knipspullen op mien heufd, liede zwaor onder ’t besef mien vri-jheid, waor’k zo trots op bunne, te hebben uut-eleend an de kapper. Veur een tiental minuten in elk geval.

A’j eknipt wordt, mo’j stille zitten, is ’t gezegde. Zo is ‘t: i-j könt gin kante meer uut. I’j zit kwasi vaste an de stoel. Um ow een holding te geven praot i-j met de kapper aover ’t weer en aover andere luchtige zaken die gebeurd bunt. In feite denk ik maor an één ding: an ’t gelukzalige moment dat de kapper zien gereedschap in zien tasjen opbörg, owwen stoel löt zakken, ’t laken verwijdert, wat loslopende heurkes van ow jas strik en zeg: now köj d’r weer een hötjen tegen. I’j hebt owwen vri-jheid herwonnen. I-j bunt weer ow eigen baas. En dat veur 15 euro. Gin geld natuurlek veur ziets weerdevols as ow vri-jheid.

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Samstag, 28. Februar 2015
Bagatelle 254 - Der Reihe nach
Durch, für, ohne, um, entlang, bis, gegen, wider gehen (wenn sie denn gehen), mit dem vierten Fall.

Liebe Bagatellen-Leserin, lieber Bagatellen-Leser, heute möchte ich Ihnen auf ein Phänomen aufmerksam machen dürfen, das uns, ausländische Gäste in Ihrer angenehmer Blog-Landschaft, viel zu schaffen macht. Für Sie, vertraut mit der deutschen Sprache, darin zu Hause und sich auskennend, mag es fremd oder übertrieben klingen, dass wir Ausländer beim schreiben deutscher Texte nicht ohne Reihen auskommen. Feste, am liebsten auswendig zu lernende Wörterreihen, welche eine bestimmte Hauptregel der deutschen Grammatik darstellen. Oder umgekehrt die Ausnahmen auf diese Regel.

Diese Art Reihen sind gemeint:
Äcker, Äpfel, Böden, Brüder …. (abweichende Mehrzahlformen) Bei männlichen Substantiven ist die Hauptregel offenbar: Einzahl plus e plus Umlaut (der Stuhl - die Stühle; der Fuß - die Füße). Oder die Reihe: Kühe, Gänse, Häute, Früchte, Bänke, Bräute… wo einige viele weiblichen Substantive statt ein normales Mehrzahl-(e)n wie in Wohnung-Wohnungen auch ein e plus Umlaut bekommen.

Manchmal sind die Reihen in einem nicht-reimenden Vers verborgen. Zum Beispiel beim Ratespiel ob der Dativ (der dritte Fall) oder der Akkusativ (der vierte Fall) verwendet werden darf.

An, auf, hinter, in, über, unter, vor und zwischen gehen mit dem vierten Fall wenn man fragen kann: wohin?
Mit dem dritten gehen sie dann, wenn man fragen kann: wo? oder: wann?
Nur auf und über nehmen dann fast regelmäßig den vierten an.

Für Sie mag das alles die Normalität vertreten. Für uns sind es Hilfsmittel ohne die wir nicht auskommen. Bei der Deutschstunde in der Realschule hatte ich ein rotfarbiges Wörterbüchlein in dem all diese nützliche und unentbehrliche Informationen standen. Unsere Aufgabe war es diese Reihen völlig fließend auswendig zu lernen für den Fall man später mal entscheiden musste ob oder wann die Mehrzahl von Land nun Länder oder Lande sein sollte. (Viel später erfuhr ich dass beide Varianten ihr Recht auf Bestehen geltend machen konnten.)

Es gibt nicht nur Substantive welche, zum Beispiel in der Mehrzahlbildung, einen merkwürdigen Charakter zeigen. So gab es auch deutsche Verben die entweder mit dem Dativ oder mit dem Akkusativ daher gingen. Diese Reihen standen auch in unserem roten Buch: helfen, danken, dienen, gratulieren, usw. So etwas war uns völlig fremd. Warum war es eine Todsünde zu sagen: "Liebe Kathrin, ich danke dich sehr für deine Hilfe!" Man sagte doch auch: "Ich bedanke mich sehr!" Der (und nicht die) geehrten Deutschlehrerin Frau K. sollten wir folgen in ihrer Bitte alle Wörterreihen auswendig zu lernen. Aber wieso und warum wurde uns nicht mitgeteilt.

Dennoch gibt es zwei Tatsachen die bemerkenswert sind. Erstens kenne ich manche Reihen (manchmal Teile daraus) aus dem roten Buch jetzt nach so vielen Jahren noch auswendig. Wenn Sie mich mitten in der Nacht aufwecken mit der Bitte zu sagen welche Präpositionen ꞌmit dem dritten Fall gehenꞌ, so antworte ich Ihnen prompt: mit, nach, nebst, bei, seit, zuwider, entgegen, außer, aus, dank, binnen, gegenüber und endlich noch gemäß und zunächst. Zweitens muss ich gestehen, dass ich ohne die Reihen in meinen bagatellarischen Texten noch viel mehr Fehler machen würde als das es immerhin normal schon der Fall ist.
Anscheinend werden heutzutage in den Deutschstunden keine Reihen mehr gepaukt. Es gibt sie noch, aber sie werden nicht mehr auswendig gelernt. Mir haben sie dennoch sehr geholfen.

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Dienstag, 24. Februar 2015
Bagatelle 253 - Schwarzer Fleck in Rot
Wenn ich mich nicht irre und mein Gedächtnis noch einigermaßen in Ordnung ist, bekommen die Kinder in der deutschen Grundschule wie auch in den Niederlanden dann und wann Zeugnisse. Lehrer(innen) beurteilen die Leistungen ihrer Schüler und berichten den Eltern darüber. Nicht immer, aber oft, werden die Bewertungen von Benotungen begleitet. Und da scheiden sich die Geister. Bei Ihnen gibt es anscheinend eine Skala von eins (sehr gut, ausgezeichnet) bis fünf (sehr ungenügend). Bei uns reicht die Skala umgekehrt von eins (sehr, sehr schlecht) bis zehn (ausgezeichnet). Eine 6 bedeutet eine gerade noch genügende Bewertung; eine 5 dagegen ist ungenügend.

Wie auch immer, Zeugnisse sind nicht nur objektive Daten. Das subjektive Lehrerinnensentiment bei der Beurteilung - sei es positiv oder negativ - spielt zweifellos auch eine Rolle. Und oft hilft es einem Kind nicht gerade. Denn schwache Schüler werden in ihrer Schwachheit bestätigt und das bringt sie nicht viel weiter.

Da wir gerade über Zeugnisse sprechen, fällt mir eine besondere Geschichte ein. Als ich die MULO ( etwa die Realschule in Deutschland) besuchte, holte ich mir die einzige Ungenügend (eine 5) die ich je in meiner Schullaufbahn bekam. Und das auch noch für einen meiner Lieblinge, nämlich für das Fach Zeichnen. Die Schule hatte außerdem die Gewohnheit ungenügende Noten in roter Tinte in das Zeugnisbuch hineinzuschreiben. Eine 5 in Rot!

Der Grund war ein tragisches Missverständnis. Der Zeichenlehrer, der Herr Heitmeyer seliger, hielt es für erwiesen, dass ich beim Zeichnen eines Kreises einen Zirkel verwendet hatte. Einen Kreis sollte man aber aus der freien Hand zeichnen können. Zirkelgebrauch war strengstens verboten. Und was ich auch zu meiner Verteidigung einbrachte (ich hatte den Zirkel nicht gebraucht; ich hatte nur einen Kreis gezeichnet mit Hilfe eines Fadens und zwei Stecknadel und keiner hatte mir gesagt dass das verboten sei …), der Lehrer ahnte das Verbrechen sehr und gab mir eine 5. Und zwar in Rot. Auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, ist das Rot ein schwarzer Fleck auf meiner sonst glänzenden Schulkarriere, wie Sie hier unten sehen können.


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Donnerstag, 5. Februar 2015
Bagatelle 252 - Schlips & Fliege
Der Titel dieser Bagatelle lässt vermuten, dass es im nachfolgendem über die angesehene, zwar imaginäre Firma (gegründet 1865) handelt welche uns mit den feinsten Weinen aller Art versorgt. Da muss ich Sie aber enttäuschen: die folgende Geschichte erzählt schlicht von meinen Erfahrungen mit Halsbinden. Aber anfangen möchte ich mit unserem Prinzen Claus. Sie wissen: er war der Gatte unserer ehemaligen Königin Beatrix. Dieser Prinz Claus, sehr beliebt übrigens, tat während einer öffentlichen Ansprache etwas Besonderes. Vor den Augen der ganzen Nation nahm er seine königliche Halsbinde, zog sie von seinem Hals und warf sie schließlich vor seinen Füßen auf den Boden. Begleitet wurde das alles mit den Worten: "Befreien wir uns von den Zwängen welche wir uns selber auflegen. Kehren wir zurück in die Freiheit." So ähnlich jedenfalls. Die Krawatte als Metapher für (selbstauferlegte) Unfreiheit und Unterdrückung.

15 war ich vielleicht als meine Mutter und ich es Zeit fanden für eine richtige Halsbinde, eine Krawatte also. Und sehr schnell hatte ich gelernt wie man mit der Windsor-Handhabe eine Krawatte knüpft. Bemerkenswert, denn die Windsor Knüpftechnik ist wie bekannt etwas was die wenigsten Männer beherrschen.
Bei sowohl feierlichen als auch fröhlichen Anlässen, Anzügen und Gelegenheiten wurde eine Krawatte getragen, auch von uns: Burschen die gerade die Pubertät hinter sich und Studium und Wehrdienst vor sich hatten. Ein Auftreten ohne Krawatte in der Tanzstunde war verpönt und ausgeschlossen. Sonst in der Woche wurde die Krawatte zu Hause gelassen und sah man mich in einem sogenannten Schillerkragen.

Eine besondere Krawattenart ist die Fliege, laut meinem Duden auch Querbinder oder Schleife genannt. Die Gelegenheiten wobei ich eine solche Fliege getragen habe sind auf die Finger einer Hand zu zählen. Zuerst bei meinem 16. Geburtstag, wo die Familie es für richtig hielt, dass ich nebst einem neuen Anzug eine Fliege geschenkt bekam. Eine Fliege selber zu knüpfen ist schon eine Aufgabe für sich, aber glücklicherweise gab man mir eine vorgeknüpfte, denn die gab es auch. Ein zweites Mal das man mich mit Fliege sah, war als ich meinen Doktor bekam. An der betreffenden Universität war und ist es Sitte. Eine weiße Fliege auf einem (geliehenen) schwarzen Rock. Die dazu passende weiße Weste hatte ich schon.



Als wir, viel später, fünfundzwanzig Jahre verheiratet waren, kam meine Gattin mit der guten Idee für mich eine vielfarbige Weste mit passender Fliege anfertigen zu wollen. Stolz wie ein Pfauhahn trat ich auf dem Fest umher um mich mit den Gästen zu unterhalten. Alle sprachen ihre Bewunderung aus (für die Herstellerin und für den Träger) und bedauerten die Tatsache dass so etwas nur in fünfundzwanzig Jahren vorkam.




Zum Schluss das Glanzstück der Geschichte. Obwohl ich in den letzten Jahren nur selten eine Krawatte, geschweige denn eine Fliege, getragen habe, hatte ich mir in den vorhergehenden Jahren eine imposante Krawattensammlung angelegt. Von kleinen Teilen einzelner Krawatten hat meine Frau einen Fliegenquilt geschaffen den ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Ein schöneres Geschenk ist undenkbar.


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Mittwoch, 28. Januar 2015
Bagatelle 251 - Selten rare Musikalitäten
Neuerlich erreichen mich einige Fragen welche die Musikzeitschrift Hall & Widerhall, abgekürzt H&W, betreffen. Sie wissen: es ist DIE Zeitschrift für passende und angepasste klassische Musik, seit einigen Jahren existierend, und sehr wohl imstande viele klassisch orientierte Leserinnen und Leser zweimonatlich zu begeistern. Einige Fragen deuten auf Mitleid oder Argwohn hin wie: Hall & Widerhall, gibt es die denn immer noch? Oder informative Bedenken, wenn man sich an mich wendet mit der Frage: wird das Amt des stellvertretenden Hauptredakteurs nach wie vor von Dr. Eberhard Fürchterlich bekleidet? Oder: ist die FAQ-Rubrik noch immer die Rettungsboje für all die ahnungslosen Klassiker welche sich in der non-pop Musikwelt nicht länger zurechtfinden? Wichtige Fragen, zweifelsohne, die eine deutliche wenn auch nicht für die Ewigkeit festlegende Antwort verdienen. Gehen Sie bitte mit mir der Reihe nach.

Ad 1. Sicherlich, Hall & Widerhall existiert noch und wie! Zwar wurden Mitte letzten Jahres Stimmen laut welche – wegen schwindenden Leserzahlen und dahinfliegende Finanzen - von einem Konkurs oder noch schlimmeres sprachen. In der Tat war an zwei Tagen (am 2. Und 3. August 2014) für musikalisch geschulte Ohren der Ruf ꞌAufhören!ꞌ zu hören. Nach einer Krisensitzung der Redaktion aber, wo echte, irreversible und richtige Entscheidungen getroffen wurden, hat sich das Notenblatt gewendet.
Man wurde sich über folgendes einig. Nicht mehr als 2345 zahlende Abonnenten, und ab den 1. September 2014 pro Ausgabe höchstens 76 Seiten mit maximal 12 einviertelseitige Anzeigen. Der Deutsche Bank-Vertreter verlor seinen Posten im Aufsichtsrat, weil die eindeutige Herkunft der Sponsorengelder nicht festgestellt werden konnte. Die Gehälter wurden auf ein richtig angemessenes level angehoben (monatlich um die 836,50 Euro netto - inklusive Mehrwertsteuer - für einen mittleren Redakteur). Hierbei muss man bedenken, dass dies alles erfolgte ohne dass die H&W-Belegschaft in Rage geriet oder sonst aufständisch wurde. Derjenige der in diesem Zusammenhang das Wort "Streik" gehört haben will, sollte sich schämen.

Anno Januar 2015 liegt H&W auf Kurs. Nach wie vor kann kein musikalischer Geist um die H&W umher; sie ist in der Musikmedienlandschaft mit Recht tonangebend und steht außer Frage (die FAQ-Rubrik ausgenommen). Auch die Börse hat günstig auf den neu eingeschlagenen Weg reagiert. Das alles sieht man dem berühmten Komponisten Willibald Glücklich an, dessen Bild die Frontseite der kommenden Februar-Ausgabe schmückt. (Und der offenbar jetzt schon übt, nebenbei gesagt, für seinen anstehenden Auftritt bei Günter Jauch.)



Ad 2. Der Herr Dr. E. Fürchterlich ist ziemlich unangefochten die Nummer Eins in der Redaktion. Nicht so sehr durch seine musikalischen Kenntnisse, sondern mehr wegen seiner unverkennbar unmusikalischen Machinationen und Machenschaften. Er besitzt die Gabe jede Zweifel an ihn auszuschließen: man mag ihn oder man mag ihn nicht. Seine Popularität hat sehr zugenommen seit er in der H&W dates möglich machte. Doch, Sie haben mich gut verstanden: Paare können sich jetzt über die H&W sowohl musikalisch als körperlich kennenlernen mittels Inserate, wo sie ihre Fähigkeiten darstellen. So entstand zum Beispiel die LAT-Relation zwischen der über den Grenzen bekannten Gamba-Spielerin Katharina Lauterbach und dem Bach-Kenner Klaus Wohlgemüt. Dieses nur als ein Beispiel aus vielen möglichen.

Ad 3. Die FAQ-Rubrik ist seit eh und je das Flaggschiff der H&W. Immer wieder berichten Leser(innen) dass sie beim Öffnen der neuen H&W zuerst Seite 45 aufschlagen um von dort aus von Leserfragen und Expertenantworten zu genießen. Man wundert sich wie weit die Skala der musikalischen Fragen reicht. Und jede Frage zählt gleich viel. So wird eine Frage über Beethovens Eroïca mit derselben Genauigkeit und Überzeugung beantwortet als eine Frage über das anscheinend schwankend weiche linker Bein von weiland Elvis Presley. Das erklärt wahrscheinlich die Popularität dieser Rubrik.
Übrigens wird manchmal auch über eine Expertenantwort weiter diskutiert. So war die Leserin Elfriede Glaswerk (geborene Hausmann) der Meinung, dass die Hauptbedeckung des Komponisten Georg-Friedrich Händel (H&W, September 2014) eine schief geratene Perücke sei. Der H&W-Redakteur Henk Groetjes (Jr.) meint bis auf den heutigen Tag, dass es sich hier um eine Schlafmütze handelt welche er benutzte beim Komponieren der örtlichen Wassermusik.
Urteilen Sie selbst. Inzwischen geht die Diskussion weiter und so auch H&W.


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Mittwoch, 21. Januar 2015
Bagatelle 250 - Matthäus
Wenn man (a) seit einigen Jahren hier in dieser angenehmen blogger.de-Gemeinschaft ein Blog führt, (b) sich langweilt und (c) nichts Besseres zu tun weiß, kann sich immer noch auf seinem Blog anschauen ob und welche seiner Schreibprodukte gelesen werden. Das nun habe ich gemacht und dabei fiel mir etwas Besonderes auf. Sehen Sie selbst.

Hier unten sehen Sie eine Tabelle. Von den zwanzig meist gelesenen Bagatellen sehen wir auf einem Blick welche das sind und was ihre Rangposition innerhalb der zwanzig Auserwählten ist. Die Bagatelle 105 zum Beispiel, geschrieben am 17. Mai 2011 (wie die Zeit vergeht …) mit dem Titel: Hören und Sehen, war laut Angabe am 1. Januar 2013 559 Mal gelesen worden. Das war an diesem Datum die Rangposition 7. Am ersten Januari 2014 gestiegen auf 878 Leser(innen) wieder auf Platz 7. Dann am 1.1. diesen Jahres 2015 hochgeklettert auf die Zahl 1190 mit Rangposition 9 als Folge.
Von links: Bagatellennummer, Datum Veröffentlichung, Anzahl Leser(innen) am 1.1.2013 plus (Rangposition), Anzahl Leser(innen) am 1.1.2014 plus (Rangposition), Anzahl Leser(innen) am 1.1.2015 plus (Rangposition.

121 26-08-2011 1092 (01) 1830 (01) 2628 (01)
075 09-10-2010 0768 (03) 1302 (03) 2230 (02)
093 27-02-2011 0752 (04) 1287 (04) 2117 (03)
033 24-12-2009 0623 (05) 0975 (05) 2014 (04)
119 12-08-2011 0810 (02) 1386 (02) 1949 (05)
053 27-04-2010 0555 (08) 0887 (06) 1298 (06)
124 17-09-2011 0531 (11) 0839 (08) 1244 (07)
122 03-09-2011 0562 (06) 0790 (09) 1207 (08)
105 17-05-2011 0559 (07) 0878 (07) 1190 (09)
074 04-10-2010 0509 (13) 0775 (11) 1113 (10)
115 18-07-2011 0458 (14) 0724 (13) 1106 (11)
137 17-12-2011 0000 (18) 0664 (16) 1089 (12)
101 22-04-2011 0538 (10) 0788 (10) 1088 (13)
049 30-03-2010 0548 (09) 0682 (14) 1076 (14)
110 17-06-2011 0432 (16) 0618 (18) 1047 (15)
116 25-07-2011 0452 (15) 0634 (17) 1026 (16)
102 29-04-2011 0510 (12) 0765 (12) 1022 (17)
003 26-06-2009 0408 (17) 0675 (15) 0951 (18)
151 11-03-2012 0000 (20) 0000 (20) 0938 (19)
184 18-04-2013 0000 (19) 0617 (19) 0926 (20)

Eigentlich hasse ich diese Sorte von Informationen weil sie nichts aussagt über die eigentlich wichtigen Fragen. Wie: Wer waren diese Leser und Leserinnen? Was hat ihnen an der Bagatelle wohl oder nicht gefallen? Wurden Sie vielleicht von dieser Bagatelle überredet auch noch mal eine andere zu lesen oder hat man sich schwer enttäuscht zurückgezogen? Diese Sorte Fragen meine ich.

Lassen Sie mich dennoch zu der Tabelle zurückkehren. Mir fällt auf, dass es zwar Bagatellen gibt mit einer sowohl gemütlichen als auch rasanten Zunahme in den Leserzahlen. Drei Sachen finde ich sehr bemerkenswert. Erstens ist bei jeder Bagatelle die Rede von Zunahme. Es gibt keine Bagatelle die sozusagen von einem auf den anderen Tag aufhört Leser zu empfangen. (Ich stelle mich dann immer eine Frau Käthe Himmelfahrt aus Kreiden-auf-der-Heide vor, die sich unbemerkt und unverhofft in diesem Bagatellenblog verirrt hat und schnellstens wieder den Weg nach Hause sucht unter dem Ausruf: "Wo bin ich denn hier gelandet!")
Zweitens zeigt sich, dass die Rangpositionänderungen sich die Jahre über in Grenzen halten. Die Bagatellen die im Januar 2013 entweder vorne in der Reihe oder hinten standen (siehe die Zahlen zwischen Klammern) sind das am ersten Januar diesen Jahres meistens auch noch.
Drittens sehen wir, dass im allgemeinen die meist gelesenen Bagatellen mehr zunehmen als ihre Kolleginnen hinten auf der Skala. Der Abstand in nominalen Zahlen zwischen Platz 1 und Platz 20 wird immer größer. Die Bagatelle 102 (irgendwo hinten auf der Liste) zum Beispiel stieg von 510 Leser(innen) Anfang 2013 nach 1022 in Januar 2015. Die Bagatelle LXXV dagegen (oben auf Platz 4) stieg ums dreifache: von 768 auf 2230.

Was schließen wir daraus? Die unteren Bagatellen werden in der Regel ihre oben stehenden Kolleginnen niemals einholen, geschweige denn überholen. Die Kluft zwischen den meistgelesenen und den weniger gelesenen Bagatellen wird mit den Jahren größer und tiefer.

Nun etwas anderes, aber vergleichbares. Vor Jahren, wo ich an einer niederländischen Universität als Forscher mein trockenes Brot verdiente, hab ich in einer Stichprobe von 398 Grundschülern aus 24 Schulen untersucht wie sich ihre Lesefähigkeit entwickelt. Hier zeige ich Ihnen die Daten aus den Jahren 1978, 1981 und 1984. Die (immer dieselben) Kinder besuchten damals die respektiven Lehrjahre 1, 4 und 6 der Grundschule (jetzt Gruppe 3, 6 und 8 genannt).



Die doppelten grünen Linien stellen etwa die Untergrenze da; die doppelten Roten die Obergrenze. Alle Schüler finden irgendwo einen Platz zwischen den beiden Linien: die schwachen Leser an der Unterseite, die guten und hervorragenden Leser(innen) nahe der roten Linie.
Sie haben es natürlich bemerkt: álle Kinder, die schwache Leser(innen), die Mittelmaß und die guten Leser: alle zeigen über die Jahre eine Zunahme in ihrer Lesefähigkeit. (Die Messungen in den verschiedenen Jahren sind vergleichbar.) Nur: die Zunahme des Leseverständnisses und der Lesefähigkeit im allgemeinen ist bei den eh schon guten Schülern größer als bei den schwachen Schülern. Auch hier wird die Kluft zwischen guten und schwachen Lesern tiefer und mehr ausgeprägt. Man kann auch sagen und ich tue es auch, dass gute Schüler vielleicht mehr und besser profitieren vom Leseunterricht als schwache Leser.

Das bringt mich bei Matthäus. (Vielleicht haben Sie sich schon Gedanken gemacht über den Bagatellentitel. Was haben Bagatellenleserzahlen und Lesefähigkeitsdaten mit Matthäus zu tun?) Nun, der Evangelist Matthäus zitiert in seinem Bibelbuch (Kapittel 25) Jesus, der in Bezug auf das Nützen von Talenten folgendes gesagt haben will. "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und (er) wird die Fülle haben. Wer aber nichts hat, dem wird auch das er hat genommen werden." Mit Folge dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Über die Jahre wird der Abstand zwischen (bildlich) reich und arm immer größer.

Dieser sogenannte Matthäuseffekt tritt auch hervor in den neuesten Publikationen zum Beispiel von der OECD oder von der Oxfam-Novib Stiftung, wo gewarnt wird für die andauernde sich vertiefende Spaltung in der Gesellschaft. Vor allem in unserer kapitalorientierten westlichen Welt, aber nicht nur dort, wird die Trennung zwischen den haveꞌs und den have-notꞌs immer größer. Wir werden davor gewarnt und aufgerufen daran etwas zu tun. Denn es kann natürlich nicht sein, dass früh oder spät die Erde bevölkert wird von einer kleinen überreichen Elite, die 90% aller Reichtum, Kenntnis und Macht inne hat, während der große Rest in materieller und geistlicher Armut dahin vegetiert.
Oder?

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Freitag, 16. Januar 2015
Bagatelle 249 - Kaufhofgeschichte



Einmal die Woche kommt sie, meine Werbeprospektpostfrau. Jeden Dienstagnachmittag muss es sein, denn morgens hat meine Morgenzeitung meinen Briefkasten für sich selbst beschlagnahmt. Wenn ich aber abends nochmal nachsehe und die Briefkastenklappe öffne, fällt eine Ladung Papierwerbung heraus. Man kann, ich weiß es, auf dem Briefkasten ein Vermerk anbringen, worauf zu lesen ist dass der Briefkastenbesitzer bitte schön keine Lust hat ein einziges Werbeblatt, wie bescheiden und dünn auch und für was auch immer, in Empfang zu nehmen. Nur bin ich zu faul und zu feige um ein solches Vermerk anbringen zu lassen. Zu gerne empfange ich Post. Aber lesen tue ich die Werbepost nie. Und deshalb landet jeden Dienstag eine ganze Papierladung Werbung ungelesen in den Altpapierbehälter.

Wenn auch die Werbung ungelesen bleibt, Einkäufe machen muss jeder, sogar ich. Nicht mehr beim kleinen Dorfladen (Tante Emma und Söhne) auf der Ecke wie früher. Nein, wir fahren jetzt in die Kleinstadt und besuchen entweder die Lidl, die Aldi, die Edekafiliale, den Jumbo, die Bruto, Tarra und Netto oder wie sie alle heißen. Manchmal gehen wir in den reellen REAL-Laden in der Kirchhofstraße oder betreten den irrealen REAL-Laden aufs Internet. Manche mögen es, aber wenn Sie mich fragen: ich hasse einen Besuch an einer Kaufhalle. Das einzig Interessante an solch einem Besuch ist die Observation der Besucher solcher Kaufstätten. Gerne höre ich mich die Konversationen der Kunden an, wenn sie mit ihren Einkaufskarren mir den Weg versperren. Es ist wie eine Strandterrasse im Sommer, wo man unter dem Genuss eines kühlen Pilsners sich die vorbeigehende Leute ansieht und von beurteilendem Kommentar verseht.

Heute Morgen war’s nötig den Jumbo zu besuchen, das neue Einkaufszentrum runde fünf Kilometer von meinem Hof entfernt. Man muss schließlich leben. Und dort passierte etwas seltsames. Etwas so ungewöhnliches, dass ich es Ihnen wohl erzählen muss. Wie üblich stand ich unauffällig in der Gemüseabteilung bei meinen Apfelsinen, wo ich sowohl die Gemüsekunden als auch die Reihe vor der dritten und vierten Kasse zuhören und beobachten konnte. Doch plötzlich fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Frau bei der zweiten Kasse. Sie war in Gespräch mit der Kassiererin; hinter ihr stand ein älterer Herr der ruhig wartete bis auch für ihn die Stunde der Bezahlung geschlagen hatte.

Man brauchte nicht viel Menschenkenntnisse um zu sehen dass die offenbar schwachbegabte Frau Schwierigkeiten hatte alles Gekaufte ordentlich zu bezahlen. Kurz und knapp: sie hatte ihre Karre zu voll geladen. Zu voll für das Geld in ihrer Portemonnaie. Die Kassiererin half ihr das Geld in ihrer Börse zu zählen. Und legte einige Ware beiseite mit den Worten: ꞌBrauchen Sie das wirklich? Diesen Käseschnitzel auch? Und müssen es unbedingt drei Schachtel sein? Genügen zwei nicht?ꞌ Auch nach fünf Minuten war immer noch keine Lösung in Sicht. Die alte Frau wollte alles mitnehmen, aber die noch immer sehr freundliche und hilfsbereite Kassiererin behauptete mit Recht dass noch immer sieben Euro und siebzig Cents fehlten.

Da geschah das Wunder. Der Herr hinter der alten Frau in der Kassenreihe - der auch schon mehr als fünf Minuten ruhig gewartet hatte - trat hervor und sagte zu der Kassiererin: "So kommen wir nicht weiter. Wissen Sie, ich werde den Rest wohl bezahlen." Da staunten die Beteiligten nicht schlecht: die alte Frau mit dem Geldmangel, die Kassiererin (und Kolleginnen die inzwischen auch was Besonderes bemerkt hatten,) einige Kunden aus anderen Kassenreihen und ich der sich noch immer hinter den Apfelsinen versteckte.

Es war als schlug in diesem Augenblick eine Welle der Glückseligkeit über diese Kassenreihe. Alle waren froh. Die alte Frau, nachdem sie ihrem Gönner tausendfach gedankt hatte, zog ihren vollen Einkaufskarren Richtung Ausgang. Die Kassiererin, die dem gnädigen Geldspender ebenso herzlich dankte, freute sich mit ihrer Kollegin über den glücklichen Ablauf. Und ich selber freute mich auch, weil ich mit eigenen Augen gesehen hatte dass es auch etliche Tage nach Weihnachten immer noch Menschen guten Willens gibt. Schwarzseher und Schwarzdenker waren hier dennoch auch präsent. Einige Kunden fragten sich wer in Himmelswillen so dumm und naiv sein kann um die Rechnungen anderer Unbekannten zu zahlen. Sie waren dennoch eine Minderheit.

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Samstag, 27. Dezember 2014
Bagatelle 248 - Pubquiz
Da nun inzwischen so viel Englisches in die deutsche Sprache hineingeflossen ist, dürfte es Ihnen nicht schwer fallen auszumachen was ich mit dem jetzigen Bagatellen-Titel meine. In der Tat: es ist ein Quiz (ein Frage- und Antwortspiel) das in Gasthöfen, Wirtschaften und sonstigen Stammkneipen veranstaltet wird.
So auch bei uns. Dann und wann treffen sich bei uns im Dorf lose und feste Quizgruppen (aus mindestens drei Personen bestehend,) die sich an einem Sonntagnachmittag in ihrer Stammkneipe um die Wette streiten über die Frage wer das meiste Allgemeinwissen besitzt.

Vergangenen Sonntag war es wieder so weit. Mein jüngster Sohn hatte, weil einige Mitglieder seiner Quizgruppe verhindert waren, seinen Vater, seinen Cousin und seinen älteren Bruder gebeten das Rateteam zu verstärken. Die Gruppe mit Namen "Glocke und Klöpfel" bestand jetzt aus zwei Frauen und vier Männern. Im totalen nahmen 13 Gruppen teil: der Saal war sehr gut gefüllt, weil auch sonst viele Fans da waren.

Es wurde in drei Runden gespielt à zehn Fragen mit je drei Teilfragen. Nach jeder Runde wechselten die Antwortblätter, so dass jedes Team die Lösungen einer anderen Gruppe beurteilte. Die Summe der gut beantworteten (Teil)Fragen bestimmte den Gewinner. (Es war weder möglich noch notwendig über die Richtigkeit der Antworteten zu streiten. Das Quiz war vortrefflich vorbereitet und organisiert.)
Worüber wurde gefragt? Über alles Wissenswerte: Aktuelles, Regionalgeschichte, Lyrics einiger Popsongs, bekannte Persönlichkeiten, Geschichte, Geografie, was nicht alles.

Bevor ich Ihnen die spannende Geschichte zu Ende erzähle etwas anderes. Vorige Woche hatte ich die Ehre als Gast auf der Weihnachtsfeier des örtlichen Landfrauenvereins einiges zu erzählen über ausländische Weihnachtstraditionen. Dabei kam auch der russische Väterchen Frost, die schöne Leuchtkönigin Lucia aus Schweden und Santa Claus zur Sprache. Ich erzählte den geehrten Landfrauen vieles. Auch wie der Santa Claus, als mehr oder weniger komische Mischung aus dem heidnischen Hauptgott Wotan (Yül, Odin, wie Sie wollen) dem Weihnachtsmann und dem heiligen Sankt Nicolaus, mit seinem von acht Renntieren gezogenen Schlitten durch die Lüfte zog. Damit meine Fantasie nicht zu sehr beansprucht werden sollte, hatte ich mich vorher nochmal vergewissert – indem ich mich in den Geschichtsbüchern umsah – von dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen.

Zurück zu der Quizveranstaltung. Nach der Bitte des Quizmasters um bitte schön nicht das Handy zu benutzen um Antworten zu ꞌgooglenꞌ, begann die erste Runde. Viele Themen und Fragen dazu kamen vorbei und ich merkte schon bald wie schnell das Wissen eines Menschen vergeht. Manchmal hatte ich schon Mühe eine Frage zu verstehen und wenn, dann war ich viel zu spät zu antworten, weil schon eine nächste an der Reihe war. Glücklicherweise war das Tempo für die anderen Quizteilnehmer kein Problem.
Nach der ersten Runde gab der diensthabende DJ und Quizmaster einen Zwischenstand bekannt. Die Gruppe "Glocke und Klöpfel" gehörte zu den Führern im Teilnehmerfeld.

In der zweiten Runde geschah dann plötzlich etwas was mein verstorbener Bruder früher als synchronizität bezeichnet hätte. Das ist der Fall wenn sich zwei völlig selbständige und unabhängige Begebenheiten ꞌzufälligerweiseꞌ zeitlich treffen.
Was war der Fall? Frage 3 hatte Bezug auf Weihnachten. Teilfrage 3a lautete: "Der Santa Claus fliegt wie bekannt mit einer von acht Renntieren (der neunte: der rotnasige Rudolph nicht dazugezählt) gezogenen Schlitten durch die Luft. Wie heißen die acht Renntiere mit Vornamen? Für jede gute Antwort gibt es einen Bonuspunkt." Später zeigte es sich heraus, dass nur die Quizgruppe "Glocke und Klöpfel" die Frage fehlerfrei beantworten konnte. Die Namen der Renntiere waren laut Terra: Dasher, Dancer, Comet, Cupid, Prancer, Vixen, Donder und Blixen (Donner und Blitz).

Normal hätte ich zwei, vielleicht drei Renntiernamen gewusst. Nur weil ich ausgerechnet drei Tage vorher den Landfrauen über einige US-Weihnachtstraditionen aufgeklärt hatte, wusste ich die komplette Antwort. Zufall oder?
Allenfalls war es so, dass unsere Quizgruppe nach der zweiten Runde einen fast nicht mehr einholbaren Vorsprung hatte. Welcher sich bis zum Ende hielt.
Der erste Preis bestand aus vier Flaschen guter Rotwein. Plus Achtung und ehrfurchtsvolle Bewunderung. Welche nicht bis in alle Ewigkeit, aber immerhin bis zum folgenden Pubquiz anhalten.


Auf dem Bild hier unten sehen Sie wie hier vorne die Gruppe "Glocke und Klöpfel" in Runde I Teilfrage 6 versucht die Namen der auf der Leinwand projizierten Personen zu entdecken.

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Donnerstag, 18. Dezember 2014
Bagatelle 247 - Weihnachtsbuch
Als Neunjähriger besuchte ich die Sonntagsschule.Während die Eltern sich sonntags in der Dorfkirche die weisen Worte des geliebten Herrn Pfarrers anhörten, zogen die Kinder dorthin wo sie sich auch schon fast jeden Wochentag aufhielten: in die dörfliche Grundschule.
Nein, die Unterschiede waren nur gering. Das Gebäude war dasselbe, die Klasse war dieselbe, wir sangen sonntags dieselben Lieder als in der Woche und vor mir drückten, sonntags wie sonst auch, die liebe Metzgerstochter Magda S. und die nicht weniger liebe Gerda (die vom Brückenhaus) die Bank. Neben mir in der Bank saß mein Freund Willie A., sonntags als auch wochentags. Und weil die Schule uns eher Freude als Leid bescherte, war der verpflichtende Sontagsschulbesuch keine Last oder Qual.

Es gab allerdings éinen nicht zu unterschätzender Unterschied und zwar in Bezug auf die sonntägliche Lehrerschaft. Nein, nicht die gewöhnlichen Lehrer(innen) hatten das Sagen. (Die mussten sich sonntags erholen von den Strapazen in der vergangenen Woche und Mut und Kraft schöpfen für die kommende.) Sonntags standen Männer und Fräuleins vor der Klasse die sonst in der Woche ihre normale Arbeit nachkamen, zum Beispiel als gelernter Schreinermeister oder als Schaltergehilfe bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse. Sonntags wandelten sie um in eine Art von Laienpredigern und versuchten so schlecht und gut es ging der ihnen anvertrauten Kinderschar etwas nützliches beizubringen.

Höhepunkt in der Sonntagsschulsaison war zweifelsohne das alljährige Weihnachtsfest in der Dorfkirche. Es wurde mitten in der Woche, zum Beispiel an einem Mittwochabend, veranstaltet, fing an um sechs Uhr und wurde von allen Sonntagsschulkindern und ihren Eltern besucht. (Unter uns: auch für die alten Leutchen war die Weihnachtsfeier welche von der Sonntagsschule organisiert wurde ein absoluter Höhepunkt, wonach man schon Wochen vorher aussah.)

Alle Klischees gelten: die Kirche ist von innen und außen beleuchtet, der Weihnachtsbaum mit seinem hundert Lichtern verbreitet herrliche Schatten und Gerüche, drinnen ist es warm und voll, es wird vollmundig gesungen, die Orgel spielt die schönsten Weihnachtslieder, Alt und Jung sind frohen Mutes. Außer mein Freund Willie A. der laut zu schreien anfängt weil ich ihm auf die Füße trete. Sonst ist jedermann guten Willens, was auch von uns verlangt wird, so sagt uns Herr Bäckermeister Josef K., der Anführer der Sonntagsschullehrerschaft. Heute darf er sogar den Predigtstuhl besteigen um uns von dort aus seine Worte zu melden. An diesem Weihnachtstag aber gibt es keine Kontroversen: wir alle sind einer Meinung.

Es gibt in solch einem Weihnachtsfest zwei Geschichten. Die erste ist die aus dem Lukas Evangelium. Weil wir sie alle Jahre wieder hören, kennen wir sie fast auswendig. Die zweite Geschichte ist eine Weihnachtserzählung, uns vorgelesen oder erzählt von einer aus der Lehrerschaft, meistens macht das das Fräulein aus der Sparkasse, weil sie eine so schöne helle Stimme hat die von jedem gehört und verstanden wird.
Die zweite Erzählung erklingt erst nach der Pause, denn ohne Pause geht nichts, auch kein Weihnachtsfest nicht. In der Pause trinkt man warme Schokoladenmilch die von einigen sorgsamen Eltern eingeschenkt wird. Das ist zugleich eine gute Gelegenheit unsere Weihnachtskränzchen zu essen. Später, am Ende der Veranstaltung, beim Ausgang, bekommt jeder von uns auch noch eine Apfelsine, derzeit fast ein Gottesgeschenk.

Der absolute Höhepunkt ist angebrochen wenn nach dem letzten Weihnachtslied die Lehrer verschwinden und einige Minuten später zurückkommen mit einem Armvoll Bücher. Weihnachtsbücher. Denn jedes Kind das die Sonntagsschule besucht, bekommt zu Weihnachten ein Weihnachtsbuch. Das ist die Regel und so wird sie gehandhabt. Für einen wie mich, der sozusagen Bücher verschlingt, eine unglaubliche Freude. Die Wahl der geschenkten Bücher wird dem Fräulein oder dem Herrn Lehrer überlassen. Am liebsten ist mir ein Buch mit einem Band aus harter Pappe und eins mit (sehr) vielen Seiten. Wenn’s geht mit schönen Bildern. Schlimm wird’s wenn man als Junge ein Mädchenbuch empfängt. Oder umgekehrt.

Auf dem Weihnachtsfest 1949 gibt mir Herr Lammers, sonst erster Buchhalter bei einer örtlichen Fabrik und 1. Vorsitzender des Turnvereins, aber jetzt Sonntagsschullehrer, das Buch ꞌVan verdrukking naar de vrijheidꞌ, ein spannendes Buch, wie ich hoffe und vermute, von einem holländischen Jungen der unfreiwillig in Napoleons Armee in den Feldzug nach Russland 1812 gezogen wird und glücklicherweise gesund und heilfroh heimkommt. Das genaue Datum weiß ich, weil auf dem Buchetikett alles beschrieben steht. Weihnachten 1949; lang ist’s her.

Mit dieser (Vor)weihnachtserzählung wünsche ich allen Bagatellenleser(innen) frohe Weihnachten!





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