Samstag, 24. Oktober 2015
Bagatelle 273 - Feuerzeiten
Der Moment wo dieses Jahr sich die Sommerzeit verabschiedet, kommt bald in Sicht. Etwa zur selben Zeit da bei uns der Herr Zeitverschieber nachts die Uhren alle eine Stunde rückwärts stellt, fängt die Brennsaison an. Wir tragen alte, trockene Fruchtbaumholzstücke in die gute Stube und freuen uns auf die kommende, angenehme Holzglutwärme und den Anblick eines köstlichen Flammenspiels.



Irgendwo sind wir alle kleine Pyromanen; ich jedenfalls gehöre dieser Gattung an. Das war schon früher so als ich, siebenjährig, zusammen mit dem Nachbarsfreund auf dem Dachboden wo wir das Holz für den kommenden Winter aufbewahrten, ein kleines Feuer legte. Gut dass es die Dienstmagd rechtzeitig merkte und mit einem Eimer Wasser den Brand löschte, sonst wären wir, die ganze Familie nebst Haustieren, einem schrecklichen Feuer zum Opfer gefallen.



Wie das knattert und knistert! Wie schön die dünnen Feuerschlangen empor kringeln! Wie sich die Glutfarben abwechselnd orange, gelb, rosarot und goldig zeigen! Wie die Wärme Haus, Herd und sogar Gemüt und Herz erwärmt!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 29. September 2015
Bagatelle 272 - Alt Eingemachtes


Das Bauernhaus in dem ich wohne hat inzwischen ein respektables Alter erreicht: 121 Jahre. Die Scheune hinter dem Hof ist allerdings jünger, sie ist erst in 1927 erbaut worden. Das wissen wir so genau weil der Grundriss, den der Architekt damals zustande gebracht hat, immer noch existiert. Auch das Barometer welches die Vorfahren damals zur Erinnerung an den Scheunebau von der Nachbarschaft geschenkt bekamen, ziert die Wand schon fast neunzig Jahre und zeigt wie immer stetig und vertrauensvoll die herrschende Temperaturhöhe.

Nun wo der Herbst allmählich Eintritt hält wird es Zeit vorzusorgen, denn der nächste Winter kommt bestimmt. Dachten die Großeltern und meine Schwiegereltern die früher hier auf dem Hof lebten. Höchste Zeit um ans Eingemachte zu denken. Zuerst wurden die Früchte des Feldes und des Baumgartens geerntet. Bohnen und Wallnüsse wurden getrocknet, Kohl wurde säurig eingetopft, Kartoffel und Äpfel wurden strohbedeckt in der Erde vergraben oder auf dem Dachboden frostfrei aufbewahrt. November wurde das Schwein geschlachtet. Der Speck wurde zum trocknen in breiten Scheiben geschnitten und hoch in der Wohnküche aufgehängt, während das Fleisch gekocht und unter Fett in Glas auf den späteren Verzehr wartete. Der gütige Herr Weck hat mit seiner Erfindung den Leuten auf dem Land sehr geholfen.

Wer ein großes Haus hat, hat eben Raum und Gelegenheit Sachen aufzubewahren. Und jetzt wo die Nutztiere: Kühe, Schweine, Hühner und Pferd die Scheune verlassen haben, ist es fast moralisch verwerflich und obendrein unnötig alte aber brauchbare Sachen wegzuwerfen: nein, wir bringen sie für’s erste in die Scheune.

Das gilt auch für eingemachtes Fruchtfleisch. Meine Schwiegermutter und meine Gattin haben seit Lebens jeden Herbst viel Leckeres eingemacht, wie zum Beispiel Kirschen, Beeren, Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschen und was weiß ich noch mehr. Davon wurde eine herrliche Bohle gemacht, manchmal mit, manchmal ohne Alkohol (Brennwein oder ähnliches).
Was geschieht aber bei einer üppigen Ernte, wenn die Äste unter der Last der Früchte biegen und der Regal im Keller schon voll Gläser von vorigen Jahren steht? Dann wird eben die alte Ernte in die Scheune gebracht wodurch neu Eingemachtes Platz bekommt. Wie gesagt: wegwerfen oder vernichten ist das letzte was man tut. Dann eben bringen wir die alten Gläser samt Inhalt in die Scheune.

So kommt es dass ich Ihnen heute einiges alte Eingemachte zeigen kann. Pfirsiche aus dem Jahre 1992, Zwetschen aus 1998, Kirschen eines unbekannten Jahrganges. Alles sorgfältig geweckt und aufbewahrt. Mit Gummi Ringen luftdicht von der Außenwelt abgeschlossen. Nur die zuerst helle Farben sind einigermaßen verblasst.

Doch, ich weiß was Sie jetzt denken. Ich denke dasselbe.



... link (2 Kommentare)   ... comment


Freitag, 18. September 2015
Bagatelle 271 - Geschichte in Kreide


Oberhalb der Haustür sagt uns ein anscheinend alter Giebelstein, dass Sie, wenn Sie dieses Haus betreten wollen, bedenken müssen, dass es schon im Jahre 1673 gebaut worden ist und 1766 seine heutigen Ausmaße bekommen hat. (Entschuldigung für diesen schwierigen Anfangssatz, aber wahr ist er wohl.) Tatsächlich ist es das älteste Haus in meinem Geburtsdorf. Bis zu meinem 20. Lebensjahr habe ich hundert Meter hinter diesem Haus gewohnt. Die zwei unverheiratete Damen, die Geschwister Dora und Stina te Beest, die hier damals ihr Zuhause hatten, waren also unsere engsten Nachbarn. Das Haus war alt, groß und schön, mit tausenden spannenden Ecken. Es hatte eine große Diele, ein wunderschönes Vorzimmer, Schlafzimmer unten und oben, eine Küche samt Waschküche und, was wir Kinder damals sehr vornehm fanden, ein spezielles Blumenzimmer mit allerhand Kakteen und dergleichen geheimnisvollen Blumen und Pflanzen. Draußen waren zwei Gärten: ein riesiger Blumengarten mit Felspartien und ein Gemüsegarten mit Spargelbeeten. Und natürlich fehlte der Hühnerstall nicht. Unten war ein tiefer Keller, wo mein Vater in den letzten Kriegstagen März 1945 zusammen mit anderen Nachbarn Schutz fand. (Ehefrau und Kinder waren schon außerhalb des Dorfes in einen Bauernhof gezogen.) Es war auch der Ort wo im Krieg einige Eingeweihte, worunter mein Vater, abends heimlich die Londoner Nachrichten von Radio Oranje hörten.



Anno 2015 steht das Haus leer. Wenn Sie mögen, können Sie es kaufen. Bitte zwei große Geldstapel mitbringen: einer zum Kauf und einer zur Restauration. Die zwei Damen die hier in meiner Jugendzeit wohnten, sind längst verstorben wie auch die darauffolgende Bewohner.
Es mögen vierzig Jahre vergangen sein wo ich das Haus zum letzten Mal von innen gesehen habe. Der Grund ist einfach: seit meinem zwanzigsten wohne ich nicht mehr ich seiner Nachbarschaft. Wir sind umgezogen. Aber neulich, an einem Sonntag wo bei uns Monumententag war wo alle interessante Gebäude geöffnet waren und wo in dem Haus obendrein noch eine Kunstausstellung stattfand, hatte ich die Gelegenheit alte Stätten wieder zu besuchen. So auch dieses Haus.

Vieles war anders, aber vieles war noch immer dasselbe. Nur waren die Zimmer leer und kalt. Das alte Blumenzimmer war für diese Gelegenheit in ein Stück Museum umgewandelt. Der tiefe Keller war feucht wie eh und je und durch die Fenster der Waschküche hatte man noch immer Aussicht auf den jetzt öden Gemüsegarten.
Was auch noch da war, war die Zeichnung. Auf der Diele. Eine Zeichnung in Kreide, gezeichnet auf der Tür die zum Blumenzimmer führt.



Als kleiner Junge hab ich diese Kreidezeichnung - Künstler/Verfasser unbekannt, immerhin mehr als hundert Jahre alt - zahllose Male gesehen. Sie war sowohl geheimnisvoll schön als auch beängstigend. Zwei Personen, Soldaten so zu sehen, oben ein Datum: 2 September 1914 und darunter Wörter in Schriftzeichen die ich weder lesen noch begreifen konnte. Nachher hörte man dass es rechts ein preußischer Offizier war der zu einem französischen Waffenbruder sagt: ꞌWeißt Du noch von 70?ꞌ Geschrieben in der üblichen Sütterlinschrift die wir nicht verstanden. Heute, so sah ich, hat jemand die Schrift modernisiert, so dass jeder es lesen kann. Aber originell ist es natürlich nicht.
Neu ist auch die Plastik Hülle mit der ein freundliches Mitglied des hiesigen Heimatvereins und Liebhaber alter Zeichnungen das Kreidedenkmal zu schützen versucht.

Damals, als ich als kleiner Nachbarsjunge die Diele betrat, habe ich oft gesehen wie die beiden Damen te Beest an Samstagen das Haus säuberten und dann auch die Diele fegten. Als letzte war die Kreidezeichnung an der Reihe. Äußerst vorsichtig wurde einiger Staub entfernt und wo nötig wurde sorgfältig mit Kreide eine zu verschwinden drohende Linie nachgezogen und ausgebessert.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Samstag, 12. September 2015
Bagatelle 270 - Radlerinvasion
Was würden Sie sagen, in diesen Tagen von Völkerwanderungen, wenn plötzlich Dutzende von Radlern – von denen Sie keine Person (Frau oder Mann) kennen – sich auf den Weg machen und darauffolgend ihren Hof in Besitz nehmen, ihre neuverbaute und aufgeräumte Scheune (früher Schweinestall, jetzt Hobbyraum) betreten, sich an ihren Tischen in ihren Stühlen setzen, von einem Becher herrlichster Fruchtsaft versorgt werden wollen und nach einem Viertelstündchen voller Plaudergeschichten wieder abreisen in eine neue Zukunft?

Alles halb so schlimm. Der Bund der älternder Gemeindemitglieder EV (etwa so ähnlich heißen die Älternverbände bei uns) organisiert in den Sommermonaten für seine Mitglieder dann und wann Radlertouren. Länge etwa 25 bis 30 Kilometer. Nicht zu weit, denn man ist schließlich alt. Da ist es angebracht ungefähr halbwegs eine Pause einzulegen, das versteht sich. Eine kleine Ruhestätte, wo sich die müden Radler für eine Weile ausruhen können und wo sie von der Organisation beglückt werden mit Fruchtsaft und Obst. Sehr wichtig ist auch dass sich an dieser Pauseadresse eine Toilette befindet.

Weil mein alter Hof all diese Anforderungen und Möglichkeiten bietet und vortrefflich als gesuchter Pausenstopp dienen kann, hatte die Organisation sich mit einer diesbezüglichen Frage vorher an mich gewandt. ꞌKönnen und wollen Sie diese Radlergruppen empfangen und dürfen die Teilnehmer all die Möglichkeiten welche der Hof bietet benutzen?ꞌ (Unter uns, die Frage war eigentlich vor allem gezielt auf: ꞌdürfen die Radler von ihrer Toilette Gebrauch machen?ꞌ)

Natürlich durften sie das. Und selbstverständlich konnten die Radler alles benutzen was ich ihnen bieten konnte.
Nein, keinen oder keine von den fast hundert Teilnehmern kannte ich. Aber ich war froh etwas für sie tun zu können. Und Ermüdungserscheinungen bei den alten Radlern habe ich nicht entdecken können. Viele hatten sich der Modernität angeschlossen: sie kamen und gingen per e-bike.







... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 2. September 2015
Bagatelle 269 - Hitzerekord
Der Sommer ist hin, vorbei. Das meinen jedenfalls die Meteorologen. Bei ihnen fängt am 1. September der Herbst an. Lassen wir sie in ihrem Wahn. Denn wir wissen dass noch immer gilt was uns die Grundschullehrer beigebracht haben: am 21. September fängt der Herbst an.

Es war schon heiß in diesem Sommer, finden Sie nicht auch? Und jedes Mal wenn sich wieder eine Hitzewelle ankündigte, fragten wir uns ob das in unserem Lande geltende Hitzerekord - 38.6 Grad Celsius, gemessen im August 1946 – nun endlich gebrochen werde.

In meinem Haus wimmelt es, sozusagen, von Instrumenten und Hilfsmittel welche uns nicht nur die hier-und-jetzt geltenden Wetterdaten vermitteln, sondern manchmal auch noch vorhersagende Qualitäten besitzen. In Zeiten großer Hitze ticke ich auf mein hundert Jahre altes Barometer und sehe wie der Anzeiger Richtung Hochdruck verschiebt. Ich sehe auf das große Außenthermometer an der Scheunemauer. Das meint dass die dortige Temperatur etwa um die 37 liegt. Das besserwissende Wettervorhersageinstrument im Gemüsegarten hält es bei 38°.





Glauben Sie übrigens nicht, dass uns wegen meteorologischen Daten und sonstigen Wettervorhersagen Obsessionen plagen. Nein, wir lassen das Wetter kommen wie es kommt. Und, wie wir sagen, wir lassen Gottes Wasser ruhig und vertrauensvoll über Gottes Acker laufen. Die vielen Wetterinstrumente dienen nur um unsere uralten Bauernregel zu ergänzen.

Nein, das geltende Hitzerekord wurde laut sachverständigen Meteorologen weder eingestellt noch übertroffen. Da habe ich aber meine Zweifel.
Auf meinem Arbeitszimmer, oben, hängt ein kleines Thermometer das sowohl die Innen- als auch die Außentemperatur misst. Eines Tages, mittags um 11 nach 4, ist es vor dem Bildschirm wo meine Bagatellen erscheinen und oberhalb der Tastatur 32.5°. Draußen, an der anderen Mauerseite, unter den Dachziegeln, ist es ungelogen 41.0 Grad Celsius. Das sind 100 Grad Fahrenheit, kaum vorstellbar.



Heute, den 2. September, ist es draußen kalt (18°) und windig. Regenschauer werden sich mit sonnigen Abschnitten abwechseln, sagt die Wettervorhersage. Das mag so sein, aber der nächste Altweibersommer kommt bestimmt.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 23. August 2015
Bagatelle 268 - Gespiegelter Wunsch
Dieses Jahr planen mein jüngster Sohn und seine Freundin einen Wanderurlaub in deutschen Mittelgebirgen. Man reist zuerst mit der Deutschen Bundesbahn in die Eifel, dort werden drei Wandertage verbracht, und weiter geht’s dann in den Süden, in die schwarzen Wälder rundum Freiburg im Breisgau.

An einem dieser herrlichen Mittwochmorgen die uns dieses Jahr beschert sind, bringe ich die beiden zum Bahnhof in Bocholt (im Westfalenland). Zwar von uns aus gesehen Ausland, weil wir aber nahe an der Grenze wohnen eine Autofahrt von nur zwanzig Minuten.



Auf dem Bahnsteig werden wir mit unlesbaren und deshalb unverständlichen Schriftzeichen empfangen. Auf der anderen Glasplattenseite aber lesen wir diese freundlichen Wünsche, vermutlich von einigen Schalkefans. Die offenbar Gelsenkirchen lieben und Dortmund hassen.



Die Reisenden lassen sich nicht beirren und genießen die Urlaubsvorfreude. Wir wünschen ihnen erholsame und glückliche Wanderungen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 16. August 2015
Bagatelle 267 - Zersägtes Glück
Was alles an Furcht, Schrecken und Elend auch dieser Bagatellentitel bei Ihnen auszulösen vermag, welche Gedanken an Unglückseligkeiten er auch aufruft: alles halb so schlimm. Die Sache ist folgendermaßen.

Seit nun mehr als 46 Jahren trage ich einen Ehering. Schlicht und schmal, aber aus purem Gold, so sieht er aus. Außen glatt wie ein Aal. An der Innenseite, der Haut zugewandt, liest man den Vornahmen meiner geliebten Ehefrau und das Hochzeitsdatum. So wie es, damals als wir heirateten, Sitte war.

Ich kann mich nicht entsinnen dass ich je meinen Ehering nicht getragen habe. Wenn, dann nicht länger als zwei Minuten. Auch als vor einigen Jahren die liebe Frau Terra verstarb, blieb ich den Ring tragen. Ich fühlte – und fühle mich bis auf den heutigen Tag - mich immer noch verheiratet, mit ihr verbunden. Nun aber hat sich die Sache gewandelt.

Kleine gesundheitliche Probleme sind schuld. So fingen, ungefähr vor einem Halbjahr, meine Finger an dick, steif und weniger biegsam zu werden. Es brauchte keinen Arzt um mich davon zu überzeugen dass die Arthrose in mir eine neues Opfer gefunden hatte. Die Finger, besonders die meiner rechten Hand, vorher immer so dünn und schlank, verwandelten sich in einigen Wochen in kleine, unansehnliche Würstchen. Morgens beim Erwachen und Fingerblicken dachte ich: sind das wirklich meine Hände?

Auch der Ehering am rechten Ringfinger hatte zu leiden. Er ließ sich nicht mehr bewegen: eine Runde drehen um seine Achse ging nicht und ein Verschieben nach unten oder nach oben in Richtung Fingerspitze war nicht mehr möglich.

Vorige Woche habe ich mich von meinem Ring getrennt. Ein Fachmann in Sachen Uhren & Juwelen hat ihn zersägt und entfernt. Er könnte ihn, sagte der Fachmann und meinte den Ring, vergrößern und wieder passend machen. Darauf habe ich verzichtet. Die Trennung ist endgültig.

Heute hängt der zersägte Ring an einem seidenen Faden irgendwo in meinem Arbeitszimmer. Hinter ihm ein liebevolles Herz das meine Frau früher in einer verlorenen Stunde gebastelt hat und ein Foto von ihr, während einer Ferienreise in Schweden gemacht in einer Zeit wo wir noch nicht verheiratet waren. Mit der rechten Hand streichelt sie die Hauskatze und mit ihren Augen schaut sie auf die linke, auf den Ring an ihrem Finger.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 31. Juli 2015
Bagatelle 266 - Dopingverdacht
Einige Sportsfreunde können mehr als andere: sie radeln schneller den Berg hinauf, sie schwimmen die 100 Meter Freistill einige Millisekunden zügiger, sie heben bis zu einem Kilo schwerere Gewichte, sie treffen mit ihrem Säbel besser als ihre Sportskollegen die dasselbe versuchen. Die Ursache dieser Unterschiede liegt in Faktoren als Talent, Eifer, bessere Sportfazilitäten, angeborene Eigenschaften, und manche mehr. Seit vielen Jahren, wissen wir, spielt auch die Medizin eine Rolle. Einige Sportler lassen sich vor einem wichtigen Wettkampf ihr Blut waschen oder bedienen sich mit einer Epo-pille. Wir kennen alle die Geschichten von anabole Steroiden und ihre Wirkung auf sportliche Leistungen.

Seit die Dopingautorität strenger vorgeht wissen wir dass die Dopingsünde auch Fußballer nicht unberührt lässt. So wunderte es mich nicht als ich neulich in meiner Morgenzeitung las dass der Fußballer K. van E. des Dopinggebrauchs bezichtigt wird. Bei einer unerwarteten Kontrolle seien in seinem Blut Spuren des verbotenen Mittels FUROSEMIDE gefunden. Er wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert. Ihm droht ein jahrelanger Fussballentzug.



In tiefer Trauer und voller Scham muss ich Ihnen jetzt mitteilen, dass auch ich zu der Gruppe Menschen gehöre welche man Dopingsünder nennt. Ich hatte gehofft es für Sie verborgen halten zu können, aber der Zeitungsbericht gibt mir keine andere Wahl. Ja, auch ich habe offenbar schwer gesündigt. Ich habe bis auf den heutigen Tag jahrelang jeden Tag eine kleine weiße Furosemide-pille geschluckt. Ich gebe es zu und bereue es. Dass meine liebe Frau Kardiologin mir die Pille verordnet hat, kann man nicht zu möglich mildernden Umständen rechnen. Ich bin natürlich letztendlich selber und alleine verantwortlich.







Jetzt wissen Sie auch wie es kommt dass ich

a) neulich südwesteuropäischer Meister wurde in den Mensch-Ärger-Dich-Nicht Meisterschaften in Raunen an der Luhre;
b) zusammen mit meinem Kollegen Willie S. zweiter geworden bin beim 25 Meter Figur sägen in Ottebrõ (Nordfriesland);
c) und bei den diesjährigen Meisterschaften im Verfassen von Kurzgeschichten mit dieser Bagatelle die goldene Urkunde gewonnen habe.

Richtig: ich war gedopt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 25. Juli 2015
Bagatelle 265 - Gestrickte Vorsorge
Die eine Hitzewelle löst der anderen ab: so sieht dieser Sommer 2015 einigermaßen aus. Extrem hohe Temperaturen und viel Trockenheit. Der Wärmerekord in dem Teil meines Landes wo ich wohne steht bei 38.6 Grad Celsius und datiert aus dem Jahre 1946. Vor zwei Wochen aber war dann doch die Zeit gekommen, dass ein neuer Hitzerekord fällig war. Dachte ich mir, denn auf einem meiner vielen Innen- und Außenthermometern und sonstigen Wetterstationen rundum den Hof wurde die magische Zahl 39 angezeigt. War aber eine Täuschung oder ein Irrtum sagte uns der Sprecher der offiziellen Wetterbehörde, weil unsere Messinstrumente offenbar nicht geeicht wären, sagte er. Womit er Recht hat. So steht der Rekord noch immer bei 38.6°.

Furchtbar heiß war es inzwischen doch. So wunderte es mich sehr, dass sich einige Leute bei diesen sommerlichen Temperaturen Sorgen zu machen scheinen über den kommenden Winter. Und zwar nicht über den Holzvorrat für den Kamingebrauch oder Vorverkäufe von Winterkleidern, sondern über die Frage: wie sorge ich dafür dass mein liebgewonnenes Fahrrad den kommenden Winter schmerzlos übersteht?

Die Lösung welche ich während einer kurzen Stadtwanderung (in der schönen Stadt Kleve am Niederrhein) sah, ließ mich fröhlich aufhorchen und voller Überraschung zustimmen. Natürlich: dás ist die Lösung! Was sah ich? Eine sehr künstlerisch, kreativ und handfertig veranlagte Frau (nehmꞌ ich mal an) hatte ihr liebes Fahrrad umhüllt in einem wollenen selbst-gestrickten Gewand. Das wollgewickelte Fahrrad stand da in einem Schaufenster und ich brauchte mindestens drei Minuten um a) zu sehen was ich sah, b) um die große Kreativität und Inventionskraft der Schöpferin in mir aufzunehmen und c) um die Originalität der hinter liegenden Gedanke zu bewundern.

Sehen Sie mal, wie herrlich schön und funktionsgerecht alle diverse Fahrradteile umstrickt sind. Daran kann auch einer wie ich, der nichts von stricken und Strickmustern weiß, sich erfreuen. Auch wenn es draußen fast 40 Grad Celsius ist!



Nachrede: Gerne hätte ich Ihnen den Namen der Klever Dame genannt die dieses Kunstwerk vollbracht hat. Aber es war an diesem Tage wirklich zu heiß um etwas vernünftiges zu unternehmen.





... link (1 Kommentar)   ... comment


Montag, 13. Juli 2015
Bagatelle 264 - Leicht verdient
Ein guter Nachbar ist besser als ein Freund in ferner Liefen, so lautet sinngemäß ein niederländisches Sprichwort. Es ist wahr: die Bedeutung einer guten Nachbarschaft hat, auch hier bei uns auf dem platten Lande, nachgelassen. Aber wir bemühen uns gut mit einander auszukommen. Wie ehꞌ und je. So erschrak ich als mein Nachbar Joost (sprich: Jost mit langem /o/) neulich bei mir vorbei kam mit einer Beschwerde. Es handelte um folgendes.

Sie wissen inzwischen alles über unsere Pfauenschar. Es betrifft Godfather Jeroen, seine zwei Söhne Sokke und Fukke, ein zweijähriges Zwillingspaar, und eine einjährige liebe Pfauenhenne ohne Namen. Die Klage vom Nachbar Joost galt vor allem das Benehmen Sokke und Fukkes. Sie seien, laut Joost, was ich schon beobachtet hatte, dann und wann in die Nachbarschaft gezogen und verblieben dann gerne in Joostens großem Waldstück Annex Garten. Auch das junge Hennchen hatte diesen Weg entdeckt. Oft verblieben die drei Sünder dort einige Tage und Nächte. Vorige Woche war es dann passiert dass die jungen Pfauen mitten in der Nacht anfingen zu schreien. So schlimm dass die kleinen Kinder aufwachten und nicht mehr schlafen konnten. Auch ein anderer Nachbar hatte sich schon bei Joost beschwert.
(Vielleicht wissen Sie wie Pfauen schreien: manchmal schroff und wütend, manchmal klagend und jammernd. Aber immer sehr laut. So schön die Pfauen äußerlich sind, so unschön ist ihr Geschrei.)

Wie gesagt: wir leben seit Jahrhunderten in pais und Frieden mit unseren Nachbarn und ich möchte das so beibehalten. Deshalb sagte ich zu Joost: Wenn du Ärger mit den Pfauen hast, tue mit ihnen was du willst. (Weil ich weiß dass Joost und Familie Tierfreunde sind, mache ich mich über das Los meiner Pfauen keine Sorgen.) Jost schlug dann vor sie (die Pfauen) zu fangen und zu verkaufen. Ich ließ ihm die freie Hand.

Nach einigen Tagen – die Jungpfauen waren immer noch nicht wieder zurück bei mir auf dem Hof – kam abends an einem Sonntag (dem 21. Juni, bei uns Vatertag) Joost zu mir mit der erfreulichen Nachricht dass die Pfauenplage ein Ende gefunden hatte. An diesem Morgen sei nämlich eine junge Frau aus L., eine Kleinstadt 15 Km entfernt, angefahren gekommen, welche die drei Pfauen, die inzwischen offenbar gefangen worden waren, gerne kaufen wollte um sie dem Vater als Vatertags Geschenk überreichen zu können. Joost brachte mir den Ertrag, einige 20-Euroscheine, weil es schließlich meine Pfauen waren. Weil er sich so viel Mühe gegeben hatte, beschloss ich dass wir uns das Geld teilen. So gesagt, so getan.
Die Sache war nachbarlich gut abgeschlossen und der (nächtliche) Friede wieder hergestellt.

Dann kam der darauffolgende Montag, der 22. Juni. Abends machte ich wie gewöhnlich meine Runde um den Hof um nach dem Rechten zu sehen und meinem Altpfau Jeroen mit ein paar Maiskörnern zu versorgen. Da hörte ich plötzlich ein bekanntes Geräusch: zwei Jungpfauen flogen aus den umringenden Bäumen auf das Scheunendach und von da aus auf den Steinpfad wo sie immer ihre Nahrung bekamen. Ich staunte nicht schlecht. Gestern verkauft und jetzt wieder zu Hause?

Da fuhr ich sofort zum Nachbar Joost und sprach Worte die höchstwahrscheinlich Ewigkeitsruhm erhalten werden: "Was auch du gestern der lieben Frau aus L. verkauft haben will, es waren sicher nicht meine Jungpfauen Sokke und Fukke." Und ich kann selbstverständlich kein Geld annehmen für etwas Verkauftes das nicht mein Eigentum war. Und gab Joost den Rest des Geldes. Nachher verständigten wir uns darüber dass das Geld einem guten Zweck dienen soll. Und das ist gut so.

Das ist jetzt drei Wochen her. Sokke und Fukke ziehen ihre Kreise um den Hof herum, dabei vom Vater Jeroen beobachtet. Manchmal sind sie ein Tag auf Reisen, manchmal auch zwei. Das nächtliche Pfauenschreien aber hat ein Ende gefunden und der Ärger darüber ist vorbei. Bis heute, denn man weiß nie.



Bei dem Bild hier unten: Sokke (vorne links) und Fukke bei Vater Jeroens (Hintergrund) Lektion 1: Imponiergehabe.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Samstag, 20. Juni 2015
Bagatelle 263 - Rückzieher
Die schöne, niederrheinische Stadt Kleve hat wie Sie zweifelsohne wissen, etwas mit Schwänen am Hut. Kleve hat ja seine Schwanenburg und in einigen Wagner-Opern fragt der reisende Tenor, der seinen Anschluss verpasst hat, mit lauter Stimme: ꞌWann kommt denn der nächste Schwan?ꞌ

Oben am Klever Schwanenturm befindet sich eine klassische Statue mit dem großen Kurfürsten. Wie es sich gehört und ihm passt vornehm zu Ross. Streng blickt er auf die Touristen die mühevoll den Berg hinauf geklettert sind und die sich jetzt die Burg, inklusive Turm, von innen anschauen wollen. (Oder sie sind vom Amtsgericht hierher eingeladen worden.)

Die neueren, neumodischen Statuen in der Innenstadt haben statt eines strengen kurfürstlichen Gesichtes und Ansehen vielmals etwas humorvolles in sich. Und, was mich persönlich angeht, verbreiten sie das auch. Wie dieser wütender Schwan am Fischmarkt der seine Beute fest im Hintergriff hat und die vehement gegen Opferfrau und Kinder verteidigt. Wie wird der Streit ausgehen? fragen sich einige Zuschauer. Nicht die Klever Bürger, unterwegs beim Einkaufen oder verbleibend in einem gemütlichen Kaffeekränzchen auf einer der Terrassen, denn die wissen schon wie die Sache ausläuft: unentschieden also.







Ich mag solche komischen bronzenen oder versteinerten Gruppen sehr. Es erinnert mich an meine Bärensammlung wo auch fast immer etwas los ist. Rückzieher gibt es bei ihnen auch. So wie bei diesen Zweien die sich um einen gefangenen Fisch streiten. Wie wird hier die Sache ausgehen?




... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 12. Juni 2015
Bagatelle 262 - Skizzen und Stiche
Die heutige Zeit bringt mit sich, dass neuerdings auch fast jedes tierisches Geschöpf sich dann und wann einer Identifikationspflicht unterziehen muss. Daher sieht man bei uns auf dem Plattenlande Schafe und Kühe mit grässlichen gelben Ohrmarken welche als eine Art Ausweis funktionieren sollen.
Nein dann früher, als die Kühe schlicht Elisabeth 13 hießen und wenn man sie Elisabeth 15 nannte, erwiderte die alte Dame: nein, das ist meine Enkelin. Aber auch schon früher gab es für Kühe ein Identifikationspapier, quasi einen Verbleibschein, inklusive Bildnis also.



Das hier ist solch ein Reisepass. Unten schreibt irgendwer: der Besitzer, der Versicherungsfachmann, der angebliche Käufer, die wichtigen Daten. Oben werden die sehbaren Merkmale sichtbar, indem einer mit Tinte oder Bleistift vermerkt wo auf der Kuhhaut sich dunkel/schwarze (beziehungsweise dunkelrote) Flecken sehen lassen und wo die sanfte, lauwarme Kuhhaut schneeweiß bleibt. Diese bildliche Merkmale wurden nicht fotografiert, sondern skizziert. Vor allem einige Wochen nach einer Neugeburt wurde dieses Verfahren gehandhabt. Das Resultat war, wie es bei uns genannt wurde, eine Kalbskizze. Dadurch hatte ein Kalb eine eigene Identität und zugleich Würde, Anstand und Anerkennung.

Ich weiß das alles weil meine Frau, die Madame Terra also, in ihren jungen Jahren viele Kälber skizziert hat. Als Bauerstochter, mit einiger künstlerischen Begabung ausgestattet, fiel ihr das nicht schwer. Sie tat diese nicht bezahlte Arbeit, nur ein Dankeswort genügte, in Vertretung ihres Vaters der für die örtliche Viehversicherungsgesellschaft tätig war. Wie viele Male hat sie uns nicht die Familiengeschichte erzählt, wo sie, im kalten Winter auf den Weg zu einem frisch zu skizzieren Kalb, mit ihrem Moped von dem eisigen Landweg abkam und zwar leicht verwundet ein dennoch passende Skizze mit großer Ähnlichkeit produzierte.

Skizzen und Stiche sind zweierlei Sachen. (In meiner Muttersprache braucht man nur die Anfangsbuchstaben Sch zu entfernen: schets versus ets.) Ich möchte Ihnen außer einer Skizze auch einen richtigen Stich zeigen. Er stammt von meinem vor einigen Jahren (das gleiche Sterbejahr wie die Madame Terra übrigens) verstorbenen Bruder. Geschaffen, nicht mit einer ätzenden Flüssigkeit wie bei normale Stichen, sondern in der ꞌtrockenen Nadelꞌ-Technik, wo ein Künstler direkt Formen und Linien in die Bleiplatte hinein kratzt.




Er nannte diesen Stich ꞌAufhellende Landschaft nach dem Gewitterꞌ. Wir erkennen sofort die uns umringende Landschaft und die dazugehörende Gesinnung. Drohend und düster, aber nicht völlig überherrschend. Wir sehen wie sich die Furchen zum Horizont sputen. Und wir wissen, dass in dem kleinen Hof die Bauersfrau eine Brotmahlzeit vorbereitet: es ist vier Uhr vorbei. Roggenbrot mit Speck.

Der Stich hängt seit Jahren in unserer guten Stube und wird jedes Jahr schöner. Das fand die Frau Terra auch; sie mochte den Stich sehr. Mehr als ihre Skizzen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 26. Mai 2015
Bagatelle 261 - Frauengeschichte



Sehen wir uns bitte dieses wunderschöne Familienbild an. Beobachten wir die Kleidung, sowohl der Damen als der Herren. Schauen wir auf die Symmetrie des Bildes. Der Fotograf sagt: das Ehepaar und die drei Töchter bitte auf der vordersten Reihe (die jüngste Tochter mit Namen Johanna bitte in der Mitte zwischen Vater und Mutter), die vier Söhne hinten, die zwei Ältesten links, die Jüngeren rechts. Geben wir bitte auch acht auf den wunderbaren Bart (ein Dreispitz!) des Familienvaters. Sehen wir schließlich auch noch die Festentschlossenheit womit alle in die Kamera schauen; frank und frei, so sieht‘s aus. Und dann die wichtigsten Merkmale: die Hände und vor allem die Gesichter und die Augen. Die eine strahlt Zuversicht aus; der andere zeigt seine Sorgenseite. Vater, Mutter und sieben Kinder, wobei auch zu bedenken ist dass ein Sohn, kaum fünf Jahre alt, schon gestorben ist. (Er fiel bei der Heuernte vom hochgeladenen Wagen und war sofort tot.) Was ist mit diesem Bild und warum will ich Ihnen mit dieser Familie bekannt machen?

Es ist ziemlich weit hergeholt, aber das hier sind meine Verwandten. Der Herr mit dem Dreibart ist ein Großonkel meiner vor einigen Jahren verstorbenen Schwiegermutter. Die liebe Dame ist also ihre Großtante. Wir sehen hier die Familie Beernink und diese Bagatelle möchte ich der lieben Frau Hermina Berendina Beernink, geborene Heideman, widmen. Sie wurde am 19. Dezember 1842 in Süderwick (Umgebung Bocholt/Westfalen) geboren und starb im Alter von 90 Jahren in Sioux Center im Staate Iowa in den Vereinigten Staaten. Der Namensreihe Hermina Berendina hatte sie auch noch Wilhelmina hinzugefügt. Jedenfalls wurde sie zuletzt so genannt. Von nun an wollen wir sie auch so nennen: Wilhelmine.
Das Bild stammt etwa aus dem Jahr 1918; Frau Wilhelmines Fotoalter ist also 75.

Einiges weiß man, vieles weiß man nicht. Und von dieser Familie schon gar nicht. Die einzige Zeitzeugen welche wir haben sind die von Verwandten und Nachkommen aufgeschriebenen Erzählungen und Berichte. So wissen wir, daß die Wilhelmine, als sie noch Harmina Berendina hieß, mit der ganzen Familie Heideman ins nahegelegene Ausland auswanderte. Das war nur ein Katzensprung, denn die preußische Ortschaft Süderwick, wo die Heidemans wohnten, war gleichsam mit dem niederländischen Dorf Dinxperlo - wohin sie zogen - verklebt. Dort in Holland lernte sie Hendrik Beernink kennen. 1868 heirateten die zwei und drei Tage nach der Hochzeit fuhren die beiden samt einigem Hausrat nach Rotterdam um von da aus in die Vereinigten Staaten zu segeln. Die Reise dauerte damals sechs Wochen. (Mit einem Dampfer ging es manchmal schon in vierzehn Tagen.) Von New York ging dann die Reise zuerst westlich nach Wisconsin in eine Gegend wo schon viele holländische Einwanderer wohnten. Hendrik, Schneidermeister von Beruf, ging dort seinen Fähigkeiten nach und verdiente manchmal 30 Dollarcents a day. In dieser Zeit wurden die zwei ältesten Söhne geboren.

Da kam nach vier Jahren der Tag wo der Herr Beernink erfuhr, dass im Staate Iowa landwirtschaftlicher Boden ausgegeben wurde. Man zog gen Süden ins wilde Westen wo der Hendrik mit eigenem und geliehenem Geld einige hundert acres Land pachtete wo er seinen ersten Wohnsitz baute: eine Plaggenhütte aus Schollen, Zweigen, Gras und Erde. Kaum vorzustellen dass alles fast ohne Werkzeuge und wörtlich mit bloßen Händen gebaut wurde. Auch kaum vorstellbar wie man in den dortigen ersten Jahren die glühend heißen Prairiesommer und die steinkalten Winter überlebte. Die spärlichen Überlieferungen lehren uns dass man anfangs ꞌmit der Sonneꞌ lebte. Das Geld für eine richtige Uhr fehlte. Überhaupt waren die ersten Jahre sehr schwierig. Um 1870 zum Beispiel war da obendrein die Heuschreckenplage welche die totale Ernte zu sich nahm. Wilhelmine, Mann und Kinder lebten zwei Jahre fast nur von Kartoffeln welche man im Boden aufbewahren konnte. Erst nach einigen Jahren konnte man eine richtige Ernte einfahren und ein richtiges Holzhaus bauen. Überlebt hat man, so erzählt die Geschichte, vor allem weil man zusammenhielt. Die Familie Beernink war Mitglied einer (holländischen) Kolonie wo der eine dem anderen half.

Nein, nur einiges weiß man und vieles nicht. Aber 1918, wenn die Kinder aufgewachsen sind und Wilhelmine und Hendrik einen bescheidenen Wohlstand erreicht haben, trauen sie sich zu ein schönes Familienfoto machen zu lassen. Das sieht man.

Von einer besonderen Geschichte kann ich berichten. Dazu muss man wissen dass die Gegend in Iowa wo Wilhelmine und Familie sich niederließen (Sioux County) ursprünglich Territorium der Indianer war. (Die Indianer wurden, wissen wir inzwischen, nicht gerade zimperlich von ihrem Land und Boden vertrieben.) Die Wilhelmine hatte gerade ihre jüngste Tochter Johanna geboren als sie eines Tages bemerkte wie ein Indianer ins Haus getreten war und sich das Baby ansah. Worauf die Wilhelmine das Baby aus der Wiege nahm und damit in Furcht und Schrecken zur Nachbarsfrau flüchtete. Zwei Menschen die sich nicht kannten sahen etwas Noch-Nie-Gesehenes. Die Wilhelmine stand zum ersten Male einem richtigen Indianer vis-a-vis gegenüber. Und der Indianer staunte sehr weil er noch nie ein weißes Menschenkind mit blonden Haaren gesehen hatte.

1932, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, ist die Wilhelmine gestorben. (Sieben Jahre nach ihrem Gatten Hendrik.) Sie war, sagten die Nachkommen in Sioux Center, eine von den richtigen Pioniersfrauen die das Land aufgebaut haben. Zu ihrer Beerdigung wurde zweisprachlich gepredigt: in English und in Niederländisch. Und man sang ihr Lieblingslied, den 73. Psalm. Auf Niederländisch in einer uralten Version aus 1773. So wie ihn die Wilhelmine, als noch Hermina Berendina hieß, in der Schule gelernt und zu Hause und in der Kirche gesungen hat.

Eine Besucherin des Gottesdienstes erzählt uns dass das Wetter an diesem Tag nicht sehr schön gewesen sei: nasskalt. Trotzdem waren sehr viele gekommen um meiner schwiegermütterlichen Großtante Wilhelmine die letzte Ehre zu erweisen.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Dienstag, 12. Mai 2015
Bagatelle 260 - Kunterbuntgrün
Immer wieder, jeder Frühling, die gleiche Prozedur wie jedes Jahr, die ich Ihnen am Beispiel unserer Buchenhecke illustrieren will. Die Hecke welche unseren Vorgarten umrundet ist das ganze Jahr über voll Blatt. Winters braun-grau, aber auf einmal macht dieses Braun dem neuen Grün Platz. Und sehen Sie welch ein herrliches Grün!



Oder nehmen wir unsere Buchen, stolze Bäume an der Landstraße, unserem Hof gegenüber. Nachdem sie den Winter trostlos ohne Blatt dagestanden sind, kommen auf einmal die neue Blattknopfen. Nein, nicht alle Buchen genau zur selben Stunde: einige sind anderen einige Tage im Voraus. Wie Sie sehen.



In der Tat, im Frühjahr sieht man erst wie differenziert die Grünskala ist. Später im Hochsommer verschwinden die Unterschiede und im Herbst sieht man nur staubiges mattes Grün.

Aber, worüber ich mich eigentlich mit Ihnen unterhalten möchte, ist die Geschmacksänderung in der Farbenbewertung. Jedenfalls bei mir. Wo ich heute sehr die einzelnen Farben liebe, zwar mit allerhand feinen, pastellartigen Schattierungen wie das zarte Frühlingsgrün, konnte es früher nicht bunt genug sein. Das weiß ich, zum Beispiel aus meiner Zeit an der pädagogischen Hochschule wo ich, außer den Kindern Liebe für die schönen Künste beizubringen, auch selber Hand anlegte. Jede Woche stand eine Zeichen- annex Malstunde auf dem Programm, wo man selber aufgefordert wurde künstlerisch tätig zu werden. Manchmal gesteuert von einem gezielten Auftrag des Herrn Lehrer Petersen, unser aller Zeichen- und Malmeister, manchmal mit Hilfe eines freien Auftrages. ꞌNun lieber Terra, zeig mal was du kannst!ꞌ Und dann konnte meine Palette nicht bunt genug sein.

Einige Blätter von damals habe ich mir aufbewahrt. Um jetzt zu entdecken wie kunterbunt meine Welt von damals aussah.





... link (0 Kommentare)   ... comment