Freitag, 19. Januar 2018
Bagatelle 309 - Nationalhymne
Dann und wann, ab und zu, aber unvermeidlich jedes so vielte Jahr, bricht in meinen Niederlanden eine Diskussion aus über die Meinung, dass es höchste Zeit für eine Erneuerung unserer alten Nationalhymne sei, vielleicht besser noch eine definitive und komplette Abschaffung und Ersetzung durch eine zeitgerechtes, modernes Nationallied. Wieso und weshalb?

Unsere Nationalhymne, (im Übrigen und nebenbei die älteste der Welt,) vor vierhundert Jahren gedichtet von einem gewissen Marnix von Sint Aldegonde, ist quasi ein Loblied auf Willem von Nassau, später Willem von Oranje-Nassau genannt. Dieser Willem, geboren 1533 auf der Dillenburg in Hessen, ist einer der Gründer der späteren Niederlande. Er war der Vertreter und Anführer der Holländer welche den Aufstand gegen den spanischen König Philipp probten. Was, wie wir heute wissen, nach 80 Jahren voller Kriege, mit dem Frieden von Münster 1648, wie auch der 30-Jährige Krieg, zu einem guten Ende kam.

Der Dichter erfand zu Ehren Willems ein Namensgedicht: sein Loblied umfasst gleich viel Strophen als Willems Namen Buchstaben hat, nämlich fünfzehn. Es entstand das Wilhelmus, seit eh und je unsere Nationalhymne, oder wie wir sagen und singen unser ꞌVolksꞌlied. Von den fünfzehn Strophen wird meistens nur die erste und selten auch noch die sechste gesungen. Die Melodie ist vielleicht noch älter als der Text: es ist ein uraltes volkstümliches Lied wovon die profanen Worte verloren gegangen sind. Anders als wie bei anderen Nationalhymnen, wie die Spanische, wird das Wilhelmus Lied, wenn es dann mal gespielt wird, im allgemeinen laut und deutlich mitgesungen. Jedenfalls von Leuten die den Text noch kennen.

Bis vor nicht allzu langer Zeit war es bei uns die Gewohnheit sogar ein profanes Hochzeitsfest mit dem Wilhelmus zu schließen. Wenn es abends zwölf hieß im Festsaal und die Musik den letzten Tanz beendete, blieben alle Anwesende auf der Tanzfläche stehen, wendeten sich noch einmal dem Brautpaar zu und als die Musik anfing die Nationalhymne zu spielen sangen all frisch und fröhlich mit. Auch die weniger Tanzlustigen erhoben sich von ihren Sitzen und taten ihr Bestes. Manche Leute waren um diese Uhrzeit nicht mehr im Stande richtig sauber und maßgerecht zu singen. Aber keiner meldete einiges Missfallen und alles im allen ging alles seinen ordentlichen Gang. Vor allem weil man wusste dass nach der Hymne die traditionelle Kaffee-mit-Brötchen Mahlzeit wartete.

Ich war selber nicht dabei, aber bei uns erzählt man heute noch die Geschichte von den Hochzeitsgästen die eine halbe Stunde vor Mitternacht an einem Hochzeitsfest beim Nachbarn eine Ziege aus dem Stall holten. Man wollte sie (die Ziege also) in orangenfarbigem Papier - orange ist die Nationalfarbe - einwickeln. Weil aber kein orange Papier vorhanden war, begnügte man sich mit kristallweißem Toilettenpapier. Beim Spielen der Nationalhymne um zwölf Uhr stellte man die Ziege mitten im Saal. Alle umringten die köstlich eingepackte Ziege und brüllten laut mit. Manche konnten vor Lachen gar nicht singen. Aber das schmälerte die feierliche Vorstellung keinesfalls.


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Mittwoch, 27. Dezember 2017
Bagatelle 308 - Terras Tierwelt
Hoffentlich haben Sie noch in Erinnerung dass ich Ihnen mal erzählt habe von meiner Pfauenfamilie. Es ist zwar kompliziert aber keine unmögliche Geschichte. Was ist geschehen?

Vor sechs Jahren war es, als auf einmal beim Bauernhof wo wir damals wohnten, ein Pfau angelaufen kam der mitteilte, dass er von Sinnen war zu bleiben. Als Andenken an eine berühmte niederländischen TV-Persönlichkeit gaben wir ihn den Namen Jeroen. (Der gute Fernsehmann heißt Jeroen Pauw, daher.)
Binnen kurzer Zeit war er gleichsam ein Mitglied der Familie. Er ließ sich nicht anfassen, aber er fraß mir die Brotstückchen aus der Hand.

Ein halbes Jahr ging vorbei, als wir beschlossen unserem Jeroen eine Gattin zu schenken. Mit einer Bekannten zog ich über die Landesgrenze nach Deutschland wo wir für zwanzig lumpige Euro eine weibliche Pfauensperson namens Jetta kauften. Nach zwei Tagen, wo die Jetta und der Jeroen getrennt lebend sich mit einander vertraut machen konnten, zogen die beiden zusammen durch die Lande. Sie wurden so eng befreundet dass ich eines Tages zufällig ein Pfauennest mit sechs Eiern entdeckte. Vier davon liess ich der Jetta, Groß war die Freude als eines Morgens die Jetta uns zwei Pfauenküken zeigte. (Die anderen zwei hatten es leider nicht zur Geburt geschafft.) Die beiden Kinder, beide Söhne, Zwillinge, tauften wir Sokke und Fucke.

Die zwei folgenden Jahre verliefen einigermaßen ruhig und gemütlich sei es dass die Mutter Jetta ein Unglück passierte: sie wurde auf dem Landweg von einem Laster überfahren. Worauf ich sie mit allen Ehren hinter dem Hof begrub. Die restlichen drei, Vater und Söhne, ließen sich die Tatsache merkwürdiger Weise kaum anmerken.

Da kam der Tag als ich den Hof verkaufte und in ein bequemeres Haus im Dorf umzog. Das Problem war nun: was zu tun mit der Pfauenfamilie? Glücklicherweise war die Nachbarsfrau so gut um die Sorge für die Pfauen auf sich zu nehmen. Fast jeden Tag besorgte sie nebst Gesellschaft Essen und Trinken.

Neulich aber, nun das Haus wieder bewohnt ist, kam die traurige Nachricht dass zuerst der Vater, Jeroen also, und nun auch einer der Söhne verschwunden sei. Die wahrscheinliche Ursache des Verschwindens wissen wir jetzt auch. Der neue Bewohner behauptet: er habe Reintje de Vos (für nicht wissende: Reinaert der Fuchs) gesehen. Ein schlauer Fuchs ist schuld. Wir wussten wohl das bei uns in der Gegend manchmal Füchse umher laufen. Aber jetzt geht es den Pfauen offenbar richtig an den Kragen. Vor einigen Wochen verschwand Jeroen. Und jetzt auch einer der Söhne. Sokke oder Fucke, das vermag ich nicht zu sagen. Traurig aber sind wir schon.

Bei den Bildern: 1) Jetta und die beiden Söhne, einige Tage alt; 2) Sokke und Fucke unterwegs.






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Donnerstag, 21. Dezember 2017
Bagatelle 307 - Sonntagschulweihnachtsbuch
Mit dem ersten Schnee, der übrigens dieses Jahr außerordentlich früh kam, kommen auch die Erinnerungen an früheren Weihnachtstagen. Besonders und voller Dankbarkeit denke ich dabei an die Weihnachtsfeier welche die örtliche Sonntagsschule hier im Dorf veranstaltete.

Doch, so war es. Wir gingen damals nicht nur von montags bis freitags in die dörfliche (Grund)schule, wir gingen auch sonntags. Wir saßen im selben Gebäude, in derselben Klasse, im selben Raum mit rings um uns her alle vertrauten Gesichter die wir sonst in der Woche auch sahen.
Der große aber wichtige Unterschied waren jedoch die Lehrerrinnen und Lehrer. Das Lehrpersonal sozusagen. In der Woche waren das Leute, manche liebevoll, einige weniger, die einen Beruf ausübten: das Lehramt. Am Sonntag dagegen waren es Laien welche uns Geschichten aus mehr oder weniger heiligen Büchern erzählten und fromme und fröhliche Lieder mit uns sangen. Es war die Bäckerstochter die uns von Josef erzählte der so schrecklich von seinen Brüdern behandelt wurde –während des Erzählens erschrak sie noch mehr als wir von den Missetaten der Brüder. Oder es war der Herr Lammers der sonst in einer Fabrik für eine pünktliche Handhabung der Buchhaltung sorgte, der uns von einem gewissen Daniel erzählte der unschuldig zwischen den Löwen landete. (Ich mochte die gruseligen Geschichten sehr, vor allem weil ich von vorne den guten Ablauf kannte: wir hatten in vorhergehenden Jahren alle Geschichten schon gehört.)

Ich schrieb: mit voller Dankbarkeit und dabei denke ich vor allem an die Buchbescherung an Weihnachten. Das ging so.
An einem normalen Tag in der Woche, etwa eine Woche bevor Heiligabend, versammelte sich die Sonntagsschulbelegschaft um 18.00 Uhr in der Dorfkirche. Der Küster hatte den ganzen Tag den Ofen geheizt, und weil die Kirche proppenvoll war (die Eltern waren auch eingeladen) war es meistens warm. Es wurde gesungen was das Zeug hielt: frohe Weihnachtslieder aus hellen Kinderstimmen füllten die kirchlichen Gewölbe und den Marktplatz rings herum der Kirche. Dann kam der oberste Sonntagsschullehrer aufs Podest der mit uns betete und das Weihnachtsevangelium aus der Kinderbibel vorlas. Viele Eltern merkten dann erst wie schön Geschichten geschrieben für Kinder sein können.
Nach einer Pause, worin aus von Hause mitgenommenen Bechern Chocoladenmilch getrunken wurde, kam der mehr heitere Teil des Abends. Die Gattin des obersten Sonntagschullehrers erzählte eine Weihnachtsgeschichte, eine Geschichte als wie im echten Leben. Es geschieht irgendwo ein schweres, fürchterliches Unglück aber am Ende kommt alles wieder gut.

Dann kam – für mich der absolute Höhepunkt, manchmal der Höhepunkt eines ganzen Sonntagschuljahres – der Augenblick wo der Sonntagsschullehrer, diesmal der Klassenlehrer, auf einen Stuhl stieg, die Namen der Kinder laut vorlas und jedem feierlich ein Geschenk überreichte. Ein echtes, richtiges Buch! Die jüngsten bekamen oft ein Bilderbuch; die älteren Kinder ein Buch zum Lesen, Überdenken und Genießen. Ein Buch nach meinem Herzen also.

In meiner Büchersammlung zuhause befindet sich eine Reihe solcher Sonntagschulweihnachtsbücher. Sehr gerne gehe ich an ihr vorbei, ab und zu ein Buch herausnehmend und lesend. Ich lese die Jahreszahl und den Namen des damaligen Sonntagsschullehrers der mir das Buch geschenkt hat. Ich wundere mich wie gut ich die Buchgeschichte noch kenne und wie schlecht ich weiß wie es der Klassenlehrerin vergangen ist. Von Frau Jo Dolfing weiß ich nicht ob sie noch lebt und ob sie sich noch an den früheren Weihnachtsfeiern erinnert. Sie schenkte mir im Jahre 1948, lang lang ist ꞌs her, das Buch: ꞌEin Weihnachtsurlaub in Zeelandꞌ. Ein Buch das von mir mit sehr gemischten Gefühlen empfangen wurde. Denn es war ziemlich dünn, hatte kaum sechzig Seiten, und war nie richtig spannend. Und was das allerschlimmste war: es war ein Mädchenbuch. Doch, das gab es damals noch: Mädchenbücher und Jungensbücher. Ins geheim habe ich das Buch trotzdem gelesen, aber bis heute keinem davon erzählt.



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Mittwoch, 20. Dezember 2017
Wunschdenken

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Sonntag, 12. November 2017
Bagatelle 306 - Unfall
Jede (r) die oder der meine Bagatellen dann und wann liest, kann wissen dass ich gerne grenzüberschreitend Rad fahre. Das heißt: ab und zu überquere ich die deutsch-niederländische Landesgrenze (nur einige Hundert Meter von meiner Wohnung entfernt) und genieße der westfälisch-niederrheinische Landschaft. Oft radele ich Richtung Emmerich, Rees oder Wesel und besuche den alten Vater Rhein bevor dieser das holländische Rheindelta erreicht.

Meistens verläuft alles nach Plan. So nicht am Donnerstag, dem 19. Oktober diesen Jahres. So gegen 17.00 Uhr, als ich mich die Kleinstadt Isselburg näherte, und gerade dort wo der Radweg aufhörte, passierte es. Was genau kann ich Ihnen leider nicht erzählen. Denn als ich erwachte – es war inzwischen Freitag der 20. Oktober um 9.00 Uhr morgens – wurde mir allmählich klar dass ich in ein Gelsenkirchener Krankenhaus gelandet war. Und zwar wörtlich: ein Trauma Helikopter kommend aus Rheine hatte mich dorthin in die Intensivstation gebracht.

Heute, den 12. November, bin ich wieder zu Hause. Unglaublich, aber wahr. Vom 1. November an war ich erst noch 10 Tage in einem niederländischen Revalidationskrankenhaus. Und vorgestern sagte mir dort die diensthabende Ärztin, dass meine Kinder mich abholen möchten, damit ich zu Hause weiter revalidieren kann.

Einiges sollte ich allerdings nicht versäumen: nämlich meine tiefe Hochachtung auszudrücken für die Verpflegung und Ärzteschaft in den deutschen und niederländischen Krankenhäusern. Die sich so vortrefflich um mich gekümmert haben, dass ich jetzt schon wieder eine Bagatelle schreiben kann.




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Samstag, 7. Oktober 2017
Bagatelle 305 - Grenzüberschreitend
In diesen Tagen, wo der eine sich in seinem regionalen Territorium zurückzieht und fremde Einflüsse abwehrt, während der andere grenzüberschreitende Zusammenarbeiten sucht und fördert, geschieht in meinem kleinen Grenzdorf etwas Besonderes.

Sie müssen wissen, dass die Grenze zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden quer durch das Dorf läuft. Das war schon immer so. Die eine Seite gehörte zu den sieben vereinigten Niederlanden und die andere zu Deutschland, zuerst zum Bistum Münster und später zu Preussen. Der niederländische Teil nennt sich Dinxperlo; der Name des bundesdeutschen Teils ist Süderwick.

Jetzt ist die Grenze völlig offen: Sie können gehen und stehen wo Sie wollen. (In Kriegsjahren war das wohl anders. Da war die Grenze mit Beton und Stacheldraht abgesperrt. Heute sieht man nur an den kleinen gelben Zeichen auf der Straße wo die Grenze verlief und theoretisch immer noch verläuft.)

Die Menschen an beiden Seiten der Grenze haben sich immer redlich gut verstanden. Das gilt bis auf den heutigen Tag. Es gibt eine gemeinsame Polizeiwache, holländische Kindergärten die von deutschen Kindern besucht werden, ein niederländischer Unfallwagen bringt einen niederländischer Verwundeten ins Bocholter Krankenhaus. Es gibt sogar ein Wirtshaus, ein Brückenhaus gerade über der Grenze, das von zwei Seiten betreten und besucht werden kann.

Um die gute Zusammenarbeit zu zeigen haben die zwei Heimatvereine neulich ein neues Straßenschild entwerfen lassen. Wenn Sie jetzt von Ost oder West in das Dorf hineinfahren sehen Sie das neue Schild. In blau und weiß (die niederländische Schilder kennen diese Farben) das Wort Dinxpe; in gelb und schwarz lesen Sie rwick. Zusammen: Dinxperwick.

Die Europa-Behörde in Brüssel träumt von solch einer inner-europäischen Zusammenarbeit. Die Leute aus Dinxperwick machen es ihnen vor. Auf solch eine gute Zusammenarbeit kann man ruhig einen trinken.




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Samstag, 16. September 2017
Bagatelle 304 - Nachher ist man klüger
Ein kleines Gedicht fiel mir ein, als ich neulich Ihrer Bundeskanzlerin vor dem Bocholter Rathaus begegnete. Ein Gedicht bei den Reichstagswahlen 1920:


De Bundestagswahl 2017

Gott Dank! Nu is de Wahl vörby!
Was dat ne grote Wöhlery!
Was dat un Lopen un Rumoren!
Et klingt uns nu noch in de Ohren

Van all de Flugblaa, all de Reden –
Uns’ Nerven hebbt derunder leden.
De erste Redner spröck nich schlecht,
Foort sän de Lö: “Der Mann heff Recht!”

Dor kwamp nen andern Rechtsverfechter,
Dor sän se alll: “De heff noch rechter!”
Men aß sick nu nen Rednerin fünd,
De ’t Schmeicheln better noch verstünd

En sä: “Landlö sind noit de schlecht’sten!”
Sä wy: “Die Frau heff noch am recht’sten!
---
Et was en Glück, dat endlicks dann,
De vierundzwanzigsten September kwamp heran.
Ne Masse gaff’t, de’t noch nich wüssen:
Wähl ich diese Party of düssen?---
Nu is et ut, dat slimme Fechten!
Men wählden wy nu wall den Rechten?

v.d. L.


Recht hat er, dieser Dichter, der sich vor sehr langer Zeit beklagte über die Qual der Wahl. Das Problem ist zeit- und grenzenlos. Es spielt hier und heute wie in der Vergangenheit. Es spielt in meinem Land wo wir die Vorsitzenden der diversen Parteien an ihr Wahlversprechen erinnern. Es spielt in ihrem Lande wo man, wie bei uns, immer abwarten muß, ob der oder die Gewählte seinem/ihrem Wahlversprechen auch nach der Wahl treu bleibt.

Wie Sie bemerkt haben, ist das schöne Gedicht, das ich einigermaßen geändert habe ohne das Wichtigste zu entfernen, auf platt-düütsch. Weil ich bei guter Laune, zu Hause und in meiner Freizeit immer ein leicht vergleichbares Dialekt spreche, bilde ich mir ein daß ich das meiste verstehe. Der von mir hochgeachtete Dichter mit Namen v.d. L (von der Leinen vielleicht?) bedient sich des schönen, klangvollen Dialektes aus dem Niedersächsischem Nordhorn.


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Sonntag, 27. August 2017
Bagatelle 303 - Beugen und biegen
Jedenfalls für einen Ausländer ist die Biegung oder Konjugation deutscher Zeitwörter manchmal schwierig um nicht zu sagen außerordentlich komplex. (Wie dieser erste Satz.)
Nehmen wir zum Beispiel das Verb kaufen das, wenn ich denn Recht habe, wie folgt gebogen wird: kaufen, kaufte, gekauft. Kein Problem bis soweit. Schwieriger wird es schon bei den starken und sehr starken Verben: laufen, lief, gelaufen; und: treten, trat, getreten.

Fast unmöglich ist die Beugung (Biegung?) trennbare Zeitwörter. Ich komme darauf weil ich in letzter Zeit in den Genuss gekommen bin von einer auf neu-deutsch genannten E-Bike. Ein Fahrrad das mich bei Gegenwind und Schnee ins Gesicht unterstützt und mir das Radeln leicht macht. Jahrelang habe ich mich fahren lassen von einer hybriden Fahrradgattung: eine Mischung aus Touren- und Stadtrad. Leicht, umgänglich, mit 3 Mal 8 Schaltmöglichkeiten. Neulich aber kam ich nach einer Fahrradtour bei schlechtem Wetter gebrochen nach Hause und da lag die Entscheidung für ein mehr oder weniger elektrisch angetriebenes Rad vor der Hand.

Bei einer meiner ersten E-Bike Fahrten befiel mir die Frage nach der Konjugation. Die Biegung radfahren, radfuhren,radgefahren schien mir nicht ganz richtig. Sagt man: ich habe wohl eine Stunde radgefahren? Geradfahrt vielleicht? Oder heißt es: es wird dringend empfohlen täglich mindestens eine Stunde Rad zu fahren? Oder hilft man sich wenn man sagt: mindestens 20 KM hab’ ich heute geradelt?

In meiner Hochdeutschen Sprachlehre (Spruyt, 1961, 18. Auflage) fand ich noch einige interessante Beispiele wie man offenbar starke deutsche Zeitwörter zu beugen hat:

Infinitiv Imperfekt Konjunktiv Part. Perfekt

backen buk büke gebacken
bersten barst börste geborsten
dringen drang dränge gedrungen
leiden litt litte gelitten
fließen floß flösse geflossen
usw usw usw usw

Man möge sich vorstellen wie viel Zeit es mir gekostet hat um dies alles und noch vieles mehr früher mal auswendig lernen zu müssen. Zeit genug um viele Radtouren zu machen.

Manchmal sieht man während einer Radtour interessante Mitbürger wie sie sich gerne fotografieren lassen, sowie hier in Rees am Rhein.


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Sonntag, 23. Juli 2017
Bagatelle 302 - Handtuchhalter
Um 1550 war Arnt von Tricht (seine Ahnen stammten höchstwahrscheinlich aus Utrecht) einer von vielen Holzschnitzlern die sich am Niederrhein, so zwischen Nimwegen und Köln, über Kleve und Xanten, niedergelassen hatten. Unser Arnt hatte seine Ateliers in Kleve und Kalkar, wo er sich mit seinen Lehrlingen bemühte Kirchen mit ihren Holzschnittarbeiten zu verschönern. Was ihm wundervoll glückte, was wir heute noch staunend bejahen, wenn wir eines seiner Hochaltäre oder ein Heiligenbild aus feinem Eichenholz sehen.

Nun kann der Bogen nicht immer gespannt bleiben. So dachte der Arnt eines Tages. "Heute," sprach er zu sich selber, "heute wird etwas Profanes statt Sakrales hergestellt." Und machte sich an die Arbeit.

Eben heute dann sehen wir das Endprodukt vor unseren Augen. Es ist ein Handtuchhalter. Ein Stock sozusagen, den uns ein freundliches Dienstmädchen gerade vorhält. Just an diesem Moment kommt ihr Freier in die Küche geschlichen um sie gründlich zu verwöhnen. Zögernd wehrt das Mädchen ihn ab, aber wir sehen sofort, dass sie das nicht wirklich meint. Wie herrlich hat unser Holzschnittmeister diesen Augenblick eingefangen!

Wenn Sie mich fragen: ein Meisterwerk. Wir können es in einem Klever Museum bewundern. Es ist von hinten flach, so dass man es an der Wand aufhängen kann. Von vorne aber, wie es sich gehört, wohlgeformt und rundig. Nach so viel hundert Jahren immer noch viel zu schade um ein nasses Handtuch darauf zum trocknen aufzuhängen. Finde ich.



Nachgedanke: Achten Sie bitte auch auf die kleinen Musikanten welche den überwältigenden Eindruck mit ihrer Musik noch verstärken!




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Mittwoch, 14. Juni 2017
Bagatelle 301 - Mantelpott
Früher konnte man bei jedem Bauernhof in unserer Gegend einem Mantelpott begegnen. Das war ein großer, rundförmiger, gusseiserner Topf, etwa 50 Zentimeter tief und durchmesserlich um die 70 Zentimeter. Mit oben zwei Rundungen zum Anfassen. Zu dem Topf gehörte ein passender kleiner Holzofen mit einem Loch an der Oberseite worin der Topf haargenau passte. Diese Oberseite fungierte gleichsam als wärmende Umhüllung, als Mantel. Daher der Name: Mantelpott. Im Topf (‘Pott’ sagen wir mundartlich) wurde Wasser gekocht. Heißes Wasser zum Waschen schmutziger Arbeitskleidung; heißes Wasser zum Kochen von Schweinefutter (Kartoffelbrei); heißes Wasser das beim Schlachtfest in November benutzt wurde um die herrliche, selbstgemachte Blut- und Leberwurst zu kochen.

Nachdem die Mantelpottsfunktionen durch modernere Varianten ersetzt wurden, stand der Mantelpott (Ofen plus Topf) ungebraucht dar. Meistens verfielen sie allmählich den Göttern des rostigen Verfalls. Manchmal wurden sie für einen Apfel und ein Ei als Alteisen verkauft. Bei mir auf dem Hof bekam der Mantelpott einen Platz neben der kleinen Handpumpe im Baumgarten. Übrigens sollte man beim Transport zuerst das Wasser ablassen, denn auch im leeren Zustand ist der Pott unheimlich schwer.

Neulich, während einer Fahrradtour, entdeckte ich eine schöne und schönbedachte Neuverwendung eines Manteltopfes. Ich traf ihn in einer evangelischen Dorfkirche an einem Ort einige Kilometer über die Grenze, irgendwo in Westfalen also. Dort hatte man einen Mantelpott in ein richtiges Taufbecken umgetauft. Von einer örtlichen Künstlerin schön farbig verziert und bereichert mit einem neuen Untergestell.

Ich zeige Ihnen hier unten beide Mantelpötte. Den bei mir zu Hause und den in der Kirche. Das bei dem in der Kirche sich sogar der Martin Luther über diese Verwandlung wundert, ist deutlich zu sehen. (In diesem Lutherjahr haben die Jugendlichen in der Gemeinde sein Bildnis gemalt.) Aber sicherlich hätte er sich gefreut.








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Samstag, 27. Mai 2017
Bagatelle 300 - Gitterfenster
Das Haus das ich bis vor kurzem bewohnte, einen Bauernhof aus 1896, kennt einige ungewöhnlich merkwürdige Zimmer. Zum Beispiel die Alkovenkammer, ein wie ein Herz mitten im Haus gelegenes Schlafzimmer wo kein Außenlicht ans Tageslicht kommt, ein Raum worin der Großvater meiner Frau noch übernachtet hat.

Was Sie hier unten sehen, ist auch etwas Besonderes. Dies hier ist ein Kämmerlein mit einem kleinen von Gittern versehenen Fenster. Sonst ist es leer. Schön sauber zwar, vorzüglich angestrichen. Die Kammer hat eine Länge von zwei Meter dreißig und ist eins-vierzig breit. (Extra für Sie nachgemessen.) Ein Stück Bodenbedeckung, das irgendwo anders überflüssig wurde, ist das einzige Zeichen von Komfort.



Wie gesagt, das Zimmer ist leer. Was Sie dort beim Fenster an der Wand hängen sehen, ist der Gasmesser. Dies hätte natürlich eine Art Klosterzelle sein können, ein Ort wo der Herr Terra seine Meditationsstunden verbringt. Da liegen Sie aber falsch, denn der Terra, obwohl er dann und wann nachdenkt, hat überhaupt keine Zeit, Lust und Muße um zu meditieren.
Auch sehe ich nirgendswo eine Heizungsplatte oder einen Ofen. Wie soll das gehen, im Winter, wenn der schneidende Ostwind durch die Gegend (und bei uns auch durchs Haus) fegt? Am meisten verwirrend ist die Anwesenheit der Gitterstäbe vor dem Fenster. Hatten Sie in ihrem Haus je eine leere Kammer mit einem von einem Gitterzaun versehenen Fenster? Ist es dann doch eine Zelle, aber dann ein Ort wo man unartige und ungezogene Kinder oder böse Ein- und Verbrecher einsperrt?
Wissen Sie übrigens wie so eine Zelle in unserer Dialektsprache genannt wird: wir nennen es eine Kaste. Das ist nicht ein Schrank zum Aufbewahren nutzloser Gegenstände. Es sind auch nicht die untouchables in Indien, es ist in unserer Umgangssprache ein Ort wo verhaftete Übeltäter über ihre Sünden nachdenken.

Es wird Zeit das Geheimnis zu offenbaren. Die Kammer ist kein Raum für Kontemplation, weder für Verbrecherreue. Es ist eine Speisekammer. Nahrungsmittel und Sachen zur Nahrungsbereitung werden hier liebevoll gelagert und aufbewahrt. Nicht für ungefähr liegt die Kammer an der nordöstlichen Seite des Hauses, dort wo es Sommer und Winter am kältesten ist. So dass die Milch nicht sauer wird. Als das Haut gebaut wurde hatte man keine Ahnung von Tiefkühltruhen und Gefrierfächer. Obendrein fehlte das Geld dazu.

Bleibt die Frage nach den Gitterstäben. Eine kleine Kammer zum Aufbewahren von Nahrung: das verstehen wir. Aber wozu dient dieses Gitter? Oder fürchtet man vielleicht die Nachbarskatze die ab und zu nachschaut ob es etwas Leckeres zu holen gibt? Oder ein anderes Raubtier, wie der gefächerte ostniederländische Tiger. Der ist jetzt zwar ausgestorben, aber in 1896 beim Bau des Hauses gab es ihn noch in großer Zahl.





Epilog

Während ich dies schreibe, hat sich die kleine Vorratskammer wieder gefüllt. Nahrungsmittel, gefüllte Gläser, Töpfen und Pfannen lagern auf Gerüsten und Brettern. In nicht allzu langer Zeit ist unser Keller wieder voll. Proppenvoll.

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Donnerstag, 18. Mai 2017
Bagatelle 299 - Deutschprüfung
Bei uns in den Niederlanden bemühen sich dieser Tage, so von Mitte Mai bis Mitte Juni, tausende Schüler aus der Sekundarstufe die Abschlussprüfung so gut wie es nur kann zu bestehen. Wie Sie sagen: es sind spannende Zeiten.

Gestern war das Fach Deutsch an der Reihe. Ich kann Ihnen nicht das gesamte Examen zeigen, aber vielleicht hilft ein Beispiel, eine Kostprobe. Ein Deutschexamen für das höchste Niveau der Hauptschule (bei uns VMBO-T).
Die Schüler bekommen eine Anzahl Texte (in deutscher Sprache selbstverständlich) welche über verschiedene Themas handeln. Man kann davon ausgehen, dass die Texte allesamt interessant genug sind für die Zielgruppe; das ist vorher genügend recherchiert.
Über jeden Text werden Fragen gestellt, und zwar multiple-choice. Die Schüler lesen den Text und wählen die, nach ihrem Leseverständnis gemessen, beste Antwort. Die Schüler dürfen, wenn sie wollen, ihr Wörterbuch benutzen um z.B. einige ihnen unbekannte Begriffe zu klären.

Lesen Sie bitte das Beispiel hier unten. Der Text handelt über neue Formen des Unternehmens. Zu meinem und Ihrem Vergnügen lass ich beiseite was wohl die gute, richtige und zwar beste Antwortalternative ist. (Die gebe ich Ihnen in zwei Wochen.)

Einige Anmerkungen.
Nachher wurde wieder einmal deutlich, dass nicht der Inhalt der Texte und Fragen, sondern die Vielheit der Aufgaben das größte Problem war. Da waren sich die Dozenten und Schüler einig. Davon kann ich nur sagen: das vernünftig umgehen mit einer Zahl Texte innerhalb einer bestimmten Zeit kann man vorher üben. Woher dann jedes Jahr wieder der Ärger über die Anzahl und Länge der Texte?
Die Bemerkung, dass diese Art zu prüfen eher das Leseverständnispotential misst als die Deutschkenntnisse-an-sich, trifft zu. Aber das ist bei diesen schriftlichen Prüfungen, auch bei anderen Fächern, immer der Fall. Im Allgemeinen hat sich diese Prüfungsmethode (Texte + multiple-choice Fragen) als gut, ehrlich, praktisch und ziemlich valide bewiesen.
Wie (schwierig) fanden Dozenten und Schüler diesmal die Prüfung? Auf einer Skala von A (leicht), B (mwah), C (schwierig) und D (unmöglich) lag der Mittelwert etwa bei B (mwah = geht schon).
Man sollte auch noch bedenken, dass das Deutschexamen dieses Jahr an einem Tag fiel, als das Thermometer Mittags die 30 Grad erreichte. Ein tropischer Tag Mitte Mai!



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Samstag, 13. Mai 2017
Bagatelle 298 - Jugendliches Geleit
Dann und wann besuchen unser König Willem-Alexander und seine Gemahlin, die Königin Maxima, das niederländische Parlament, zum Beispiel bei der Eröffnung der neuen Session nach den Sommerferien. Das geschieht feierlich, immer am dritten Diensttag im September, dem sogenannten ꞌPrinjesdagꞌ, in einer Sitzung des Ersten und Zweiten Kammers. Ort der Versammlung ist der Rittersaal, ein uraltes Gebäude in Den Haag.

Nun kommt die königliche Gesellschaft nicht wie wir: auf dem Fahrrad, das wir rechts gegen die Mauer parken bevor wir den Befehlen der zuständigen Platzanweiser folgen. Nein, König samt Königin kommen in einer Goldenen Kutsche, von acht Pferden gezogen, mit vorne und hinten etliche Kutscher und Mitläufer. Wenn das königliche Paar sich aufmacht den Rittersaal zu betreten, kommt eine Geleitskommission, bestehend aus ausgewählten Parlamentarier, herangelaufen welche die teuren Gäste, wie es sich gehört, nach drinnen begleitet. Es ist nicht so dass König und Gemahlin alleine den Weg nicht wüssten. Es ist eine Sache von besonderer und passender Höflichkeit.

Vorige Woche war ich nach vielen Jahren der Abstinenz wieder einmal auf dem hiesigen Fußballfeld zu finden. Nicht um selber gegen den Ball zu treten, sondern um mich an das himmlische Spiel unserer Mannschaft zu erfreuen. Was mich am meisten freute war die Tatsache, dass beide Mannschaften bei ihrem Erscheinen aufs Feld (Kunstrasen!) wie WA und Maxima von einem richtigen Geleit begleitet wurde. Wie herrlich sah das aus: die erwachsenen Spieler mit an der Hand Spieler und Spielerinnen aus den Jugendmannschaften. Von denen einige noch rechtzeitig ihrer Mutter auf der Tribüne zuwinkten. Wie das Spiel nachher aus ausgehen werde: nach solch einem Aufzugsanfang kann nichts mehr schief gehen. Oder?





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Mittwoch, 12. April 2017
Bagatelle 297 - Ostern 2017
Mit diesen zwei Aufnahmen von einer Blaumeise die ein wunderschön bemaltes Osterei bestaunt,
und ein zwischen Palmsonntag und Ostersonntag passendes altes bocholt/westfälisches Lied, wobei Sie ꞌPaosenꞌ durch ꞌOsternꞌ ersetzen können, wünsche ich Ihnen allen frohe Ostern!


Palm-, Palmsunntag,
öwwer eenen Sunntag,
dann kriege wi-j ein Ei,
dann kriege wi-j ein Ei,
dann kriege wi-j ein lecker Paos-Ei.

Ein Ei, das ist kein Ei,
twee Ei ist ein halbes Ei,
dri-j Ei ist ein Paosei!






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