Sonntag, 20. Januar 2013
Bagatelle 176 - Hindenburg
Ich bin ein schlechter Fernseher. Damit meine ich, daß ich ziemlich wenig, in den Augen mancher medialen Mitbürger víel zu wenig fernsehe. Es ist wahr: außer meinen Lieblingssendungen: Kunst & Krempel wie auch Lieb & Teuer - die bei uns übrigens Kunst & Kitsch heißen - welche ich mir selten nehmen lasse, sehe ich wenig fern. Die Ursachen liegen auf der Hand. Einerseits liegt es an mir, an meiner innerlichen Unruhe, die es mir kaum möglich macht mich länger als fünf Minuten auf eine Sendung wie 'Verstehen Sie Spaß' zu konzentrieren. Anderseits liegt es an dem zu üppigen Programmangebot - inzwischen Hunderte von Fernsehkanälen und ebenso viele larmoyante soaps - die es mir unmöglich machen zu wählen.

Meine besten Fernsehmomente entstehen zufälligerweise. So landete ich neulich unerwartet und ungeplant in eine ARTE-Sendung, wo einige Historiker und Zeitzeugen das Ende der Weimarer Republik mit Bildern und Analysen erläuterten. Die Hauptperson war Hindenburg. Der ehemalige General- Feldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg. Sie kennen ihn viel besser als ich.

Die historische Person Hindenburg wurde - anders als bei Ihnen - in unseren schulischen Geschichtsbüchern nur kurz und knapp erwähnt. Nicht aus Mangel an Ehrfurcht und Respekt, sondern einfach durch die Tatsache, daß es um einen deutschen Reichspräsidenten handelte und nicht über einen niederländischen. Gott, Kaiser und Armee sollen die drei Stützen gewesen sein worauf er sich das Deutsche Reich gebaut zu sein hoffte, so sprach mein Lehrer feierlich. Der Titel "Reichspräsident" sagte uns auch nicht viel, denn wir hatten etwas viel bedeutsameres: nämlich eine Königin.

Als Schuljunge machte ich mir von jeder historischen Figur ein innerliches Bild das ich immer beibehalten habe. So war Hindenburg in meiner Vorstellung ein weiser, alter, gebrechlicher Greis, im grauen Mantel fast bis auf die Füße, komplett mit Ritterorden und einer Haarmode die der haarigen Kopfbedeckung meines eigenen Vaters sehr ähnelte. Er litt sehr unter die Tatsache daß er den kommenden NS-Staat nicht verhindern konnte und das war ihm anzusehen. So dachte ich.

Die Sachverständigen in der Fernsehsendung haben mein Hindenburgbild ziemlich geändert. Wieso weise, alt und gebrechlich? Er konnte sehr wohl mit der Faust auf den Tisch hauen. Und im hohen Alter war er sehr auf der Höhe, physisch sowohl als psychisch. Einer der Historiker sagte, als es 1932 um die Wahl eines neuen Reichstagspräsidenten handelte: Hindenburg pokerte mit Hitler und verlor. Und ein Enkel Hindenburgs erzählte daß sein Großvater mit 84 noch ruhig vier Glas Wein trank ohne daß man es ihm ansah.

So eine Hindenburg-Sendung mag ich. Wegen der historischen Thematik die mich schon immer interessiert hat. Und wegen der multimedialen Möglichkeiten die es jetzt gibt solch eine Geschichtsanalyse interessant zu gestalten. Und natürlich lernt man. Man erobert neue Kenntnisse, man lernt was neues und man lernt obendrein, daß vieles was man früher in der Schule gelernt hat falsch war. Aber man ist ja nie zu alt um zu lernen.

Sehr gern mag ich die kleinen Anekdoten am Rande. So erzählte der Enkel Hindenburgs, daß Adolf H., Hindenburgs Nachfolger, wenn der auf Gut Neudeck zu Besuch kam, kein Fleisch vorgesetzt bekam, weil der Adolf H. bekanntlich Vegetarier war. Statt Fleisch gab es Käse. Und dás war etwas was die kleinen Kinder in der Weimarer hochbürgerlichen Gesellschaft nur selten auf den Tischen sahen.

Da erinnere ich mich plötzlich an ein Hindenburg-Bild das mein Bruder in seiner Amsterdamer Zeit bei Aufräumarbeiten des Verlagsarchivs vom Untergang in die städtischen Mülltonne gerettet hat. Das Bild, eine Zeitungsphotographie aus einer bedeutenden holländischen Tageszeitung, zeigt den Reichspräsidenten von Hindenburg bei einem munteren Spaziergang an seinem 70. Geburtstag. Wir schreiben das Jahr 1915, mitten im ersten Weltkrieg. Hintendrauf steht geschrieben: der General-Feldmarschall mit seiner Familie. Von links: eine Hofdame die sich mit einer Dienstbotin unterhält, der General-Feldmarschall. seine Gattin Frau von Hindenburg, Frau von Pentz (die Tochter) und Rittmeister von Pentz (Schwiegersohn und persönlicher Adjutant).


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