Donnerstag, 10. Mai 2018
Bagatelle 315 - Montagmorgen Vers
Jede Religion braucht ihre Rituale; ohne die kommt man offenbar nicht aus. Ich meine nicht nur die offiziellen kirchlichen Rituale und Sakramente wie die Eucharistie oder die Taufe, entweder Kindes- oder Erwachsene, ich meine auch die weniger oder mehr christlichen häuslichen Gewohn- und Gepflogenheiten. Wie zum Beispiel die Tradition bei uns früher im Elternhaus um bei jeder Mahlzeit, welcher von allen Mitgliedern der Familie beigewohnt wurde, vor und nach dem Essen ein Gebet zu sprechen.

Das nun machte bei uns meistens der Vater. Der sprach ein selbst angefertigtes passendes kurzes (etwa eine halbe Minute dauerndes) Gebet das er schnell, halblaut und ziemlich unverständlich aussprach. Das war überhaupt nicht schlimm, denn wir übrige, Mutter und Geschwister, kannten das Gebet schon. Auch jetzt, nach so vielen Jahren, könnte ich Ihnen Teile meines Vaters Gebet laut aufsagen. Die Worte sind feste in meinem Gedächtnis verankert.

Wenn alle das Essen beendet hatten, satt waren und sogar méin Teller beinahe leer war, wurde gelesen aus dem Buch der Bücher, aus der Bibel. Wir hatten zwei davon: der Vater benutzte ein dünneres Exemplar (nur das Neue Testament) und las eine spannende Kurzgeschichte von Jesus der auf dem Wasser lief. Wenn die Mutter las, nahm sie vorzugsweise den alten, dicken Bibel und las mit ihrer sanften Stimme einen Psalm von David, zum Beispiel den 23. Psalm. Von dem Herrn der mein Hirte ist. (Siehe unten.) Ich schließe die Augen und höre gleichsam ihre Worte. Auch jetzt noch kenne ich den Wortlaut.

Manchmal, an Sonntagabenden nach dem Essen, fragte die Mama mich ob ich denn wohl den Vers für Morgen kannte. Sie meinte den Gesang Vers aus dem kirchlichen Liederbuch. Jede Woche ließ uns der gnädige Herr Dorfschullehrer einen Vers aus dem Liederbuch auswendig lernen. "Etwas auswendig lernen," sagte er munter, "sei nichts verkehrtes. Es schärft das Gedächtnis und hilft auch bei anderen Schularbeiten." Sagte er.

So kam es, dass ich, ein zehnjähriger Knabe aus der vierten Grundschulklasse, dazu dringend aufgefordert vom Lehrer, mit lauter Stimme, und weit weg von jedem Verständnis, monoton aber laut, Ihnen den folgenden Montagmorgen Vers anbiete, das, in einer selbstgemachten Übersetzung, da lautet:


Ruhet meine Seele, dein Gott ist König,
die ganze Welt ist Sein Gebiet;
Alles ändert sich wenn Er’s befiehlt,
aber selber ändert Er sich nicht.

Gesang 179 (Altes Liederbuch)

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Und auch das Lesezeichen stammt wohl noch aus der Grundschulzeit, vom Handarbeitsunterricht.
Noch in den Siebzigern bedeutete das für uns: Holzarbeiten für die Jungen, Häkeln und Stricken für die Mädchen.

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Lesezeichen
Danke für Ihren Kommentar!
Das Lesezeichen wurde von meiner alten Mutter gehäkelt. Sie hatte es in ihrer Grundschulzeit gelernt und all die Jahre nicht vergessen.
Gruß, T.

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Da haben Sie es ja gut in Ehren gehalten. Den Teddybär, den ich in in meiner Schulzeit strickte, haben meine jüngeren Geschwister kaputtgespielt. Eine Nutzung bis zum vollständigen Aufbrauchen, so sollte es ja immer sein. Ich selbst war schon bei der Herstellung eigentlich zu alt für Teddybären.

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Das ist eine wunderschöne Kindheitsgeschichte. Obwohl ich doch auch immer ein wenig skeptisch bin, was das tägliche Beten mit Kindern angeht. Ich erinnere mich nur an einige wenige Male, wo meine Mutter mit mir abends gebetet hat, denn mit Religon hatten meine Eltern nicht viel am Hut. Allerdings wurde ich sonntags in die Sonntagsschule geschickt, wo ein kindgerechter Gottesdienst stattfand. Das hat mir eigentlich gefallen. Es gab ein Heft, für das es immer kleine Bibelbilder zum Einkleben gab und es wurde auch gespielt.

Ach und wenn ich die Zeilen Ihrer Bibel lese, dann erinnert mich das natürlich mal wieder an das schöne Plattdeutsch meiner Kindheit...

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