Freitag, 14. August 2009
Bagatelle X - Erinnerung in Leinen
Gut betrachtet sehen wir hier ein Ehepaar in etwas ungewöhnlicher Pose. Er sitzend, sie stehend hinter ihm. Meistens ist es ja umgekehrt. Der Ehemann hinter seiner Frau, der Gatte der seine Gattin sitzen lässt. Hier natürlich nicht bildlich, sondern wörtlich, buchstäblich gemeint.
Es sind in der Tat Mann und Frau, Gatte und Gattin. Der Mann ist 24, seine Frau ein paar Jahre älter. Der Mann ist mein Schwiegervater, aber die Frau ist nicht meine Schwiegermutter. Es ist alles anders.



Johanna heißt sie, Johanna Berning. Von allen die ihr bekannt sind, wird sie kurz und einfach Hanna genannt. Sie wächst auf in einem kleinen Dorf in der Nähe der holländischen Grenze. Im Alter van 20 Jahren zieht sie in die Niederlande um in einem großen Bauernhof als Dienstmagd Arbeit zu tun die so anfällt. Dort begegnet sie einem jungen Nachbar, Hendrik, dem Mann auf dem Bild, der sie heiraten wird. Zuerst kommt die Verlobung wobei dieses Bild entstand. Hendrik und Hanna werden alsbald als Bauernehepaar in einen kleinen Hof einziehen.

Bei einer Hochzeit, beim Verlassen des Elternhauses und beim Einzug in ein neues Haus, gehört selbstverständlich eine Aussteuer. Hanna ist schon Jahre dabei die Kleider auszusuchen die sie im neuen Haus tragen wird. Zum Beispiel die Nachthemden aus Leinen, von denen sie auf sechs Stück sorgfältig ihre Initialen in rot stickt. So hat alles seine Ordnung, wie es damals die Tradition vorschrieb. Wenn die Hochzeit ansteht, ist die Aussteuer fertig. Die Frauen aus der Nachbarschaft und Hannas Freundinnen kommen um zu prüfen und um zu bewundern. Alles stimmt so.



Hendrik und Hanna heiraten in 1929. In 1936, sieben Jahre später, stirbt Hanna nach einer schweren und schmerzhaften Krankheit. Die Ehe war bis dann kinderlos geblieben. Hendrik, der Witwer, zieht um nach seinem Elternhaus. Weitere vier Jahre später heiratet er zum zweiten Mal, diesmal meine Schwiegermutter. Merkwürdigerweise heißt die zweite Gattin auch Hanna.

In unserem alten Bauernhof, wo Hendrik und seine zweite Hanna gelebt und gewohnt haben, befindet sich anno 2009 immer noch Hannas - ich meine jetzt Hanna I - Kleiderschrank den sie, gefüllt mit allerhand Kleider, von zuhause mitgenommen hat. Auf der mittleren Ablage sehen wir ein Stapel Nachthemden, sechs an der Zahl. Alle sechs schön bestickt mit einem roten Monogram. Die Hemden sind aus Leinen, richtigem Leinen, pur Natur, hergestellt aus Flachs. Wir wissen nicht ob Hanna je diese ihre Aussteuerhemden getragen hat. Wahrscheinlich nicht: sie sehen ungetragen aus.

Außer einiger Kleinodien wie eine goldene Uhr, der Ehering, eine silberne Halskette und Ohrknöpfe erinnert wenig an die erste Hanna. Ihre Kleider bewahren wir aber sorgfältig und behutsam auf. Eine Erinnerung in Leinen.

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