Samstag, 1. September 2012
Bagatelle 166 - Der Tod und das Mädchen
"Da haben Sie sich, lieber Terra, für eine neue Bagatelle ziemlich viel Zeit genommen," mögen einige meiner lieben Leserinnen oder Leser gedacht haben. Andere gehen in ihrem Ton vielleicht noch einen Schritt weiter: "Das wurde aber auch höchste Zeit, lieber Terracidus! Denn wir hatten uns schon so daran gewöhnt am Ende jeder Woche eine neue Bagatelle lesen zu können." Noch andere - mit denen ich mich am meisten verwandt fühle - werden gedacht haben: "Sicher, es ist schon so lange still um ihn herum. Aber wenn der Terra etwas zu berichten hat, wird er sich schon melden. Warten wir's ab."

Wer sagt denn, daß eine Bagatelle immer eine Spur von Ironie, Scharfsinn, Humor oder sogar Freude und Heiterkeit vermitteln soll? Die Bagatelle die ich Ihnen hierbei vorlege, handelt über Trauer. An wichtigen Lebensmomenten wird alles an bedachter Ironie, Scharfsinn oder humorvoller Heiterkeit völlig unwichtig. Wichtig ist nur die Wirklichkeit und die Wahrheit, die Liebe und das Leiden, die Trauer und die Freude, das Leben und der Tod.

Der Tod ist an allem schuld. Mitte Juli diesen Jahres kam er und holte mir meine große Liebe und meinen Kindern ihre Mutter. Obwohl wir nicht ganz unvorbereitet waren, kam er plötzlich und leise. Meine Frau litt seit 2003 an Lymphknotenkrebs - und zwar die nicht-aggressive Variante (Non-Hodgkin Lymphome) - welche man einigermaßen unter Kontrolle halten, aber nicht heilen kann. Nach etlichen Chemo-Therapien und Bestrahlungen war jetzt die Zeit gekommen, daß die Medizin mit leeren Händen stand. Und von dem Moment daß Madame Terra - wie ich sie in meinen Bagatelltexten liebevoll nannte - wußte daß sie am letzten Abschnitt ihres Leben angekommen war, ging alles sehr schnell.

Meine Frau starb dort wo sie geboren wurde und aufwuchs: in dem elterlichen Bauernhof. Nach unserer Heirat (die 43 Jahre dauerte) waren wir zwar für einige Jahre in eine andere Stadt gezogen, dann aber wieder nach dem Heimatort auf dem ostniederländischen Plattelande zurückgekehrt. Es war ihr Wunsch dort zu sterben wo sie fast ihr ganzes Leben verbrachte. Dort auch wurde sie nach ihrem Tode aufgebahrt. Sehr viele kamen um sich an diesem Ort von ihr zu verabschieden.
Der Gottesdienst der ihrer Bestattung vorherging, war eher ein Danksagung als eine Trauerfeier. So hatte sie das gewollt: einen Dankesgottesdienst für ihr Leben und so wurde das auch von den sehr vielen Anwesenden gesehen. Der Pfarrer dankte für dieses Leben das anderen so viel gutes hat zukommen lassen. Und der Frauenchor, dem die Frau Terra angehörte, sang ein trostreiches Frühlingslied von Robert Schumann.

Zu den Bagatellen hatte die Madame Terra ein besonderes Verhältnis. Sie war die erste und einzige die eine neue Bagatelle zuerst zu lesen bekam. Manchmal fand sie eine Behauptung unfreundlich oder übertrieben; manchmal lächelte sie beim Lesen der geschilderten oder bedachten Ungereimtheiten.

April 2011 saßen wir an einem Sonntagnachmittag zum Teetrinken draußen in der Frühjahrssonne. Auf dem ersten Bild hier unten sehen Sie meine Frau, seitlich von der niedrig stehenden Sonne beschienen, die ihr die Augen fast schließen läßt. Bescheiden wie sie ist, scheint sie den Fotografen zu bitten nicht zu viel Zeit an ihr zu verwenden. Sie lächelt dabei in derselben Weise wie sie über eine geglückte Bagatelle lächeln würde. Auf dem zweiten Bild liest sie beim allmorgendlichen Kaffeetrinken die neuesten Bagatellgeschichten aus der Tageszeitung.



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