Dienstag, 5. Februar 2013
Bagatelle 178 - Schnellkunstlauf
Der Unterschied könnte nicht größer sein. Die deutschen Jungen nahmen ihre komplett-eisernen, kurzen Schlittschuhe und schraubten die mit einem kleinen Schlüsselchen unter ihre Schuhsohlen. Fertig. Die holländischen Burschen hatten hölzerne Blöcke bei sich mit darunter ein längliches Eisen, sogenannte 'Friesische Läufer', mit an der Vorderseite lederne Zehstücke und hinten ebenso lederne Hackenstützen, welche wir mit baumwollenen Bändern so gut wie's nur ging unter unseren Schuhen und Stiefel banden.

Und dann fing das Schlittschuhlaufen an. Wir, zehnjährige Jungens aus der Grenzregion, taten es auf befrorenen, unter Wasser stehenden Wiesen auf deutsches Territorium, ein Kilometer von der Landesgrenze entfernt. Spätnachmittags, wenn's bei uns schulfrei war, fuhren wir zur deutschen Eisfläche um mit tödlich erkälteten Händen zu versuchen unsere Schlittschuhe anzuziehen. In seltenen Fällen war meine ältere Schwester so gut um mir dabei behilflich zu sein.

Die Länge bestimmte der zweite Unterschied. Die Länge der Eisen unter den Schuhen versteht sich. Die Deutschen waren uns Holländer in den kleinen kurzen Bewegungen auf dem Eis total überlegen. Drehen, einen kunstvollen Bogen machen, umdrehen, wenden, fix und schnell anhalten, das alles konnte man auf den kurzen deutschen Eisen tausendmal besser. Daher gewannen die Deutschen auch immer beim Ländereishockeyspiel. Wenn es aber galt eine gerade Strecke von mindestens einhundert Metern so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, gewannen meistens die Holländer. In Deutschland hieß es daher auch immer Eiskunstlaufen, während man bei uns eigentlich nur das Eisschnellaufen kannte.



[Bild: Hendrick Avercamp (um 1615): Winterlandschaft mit Schlittschuhläufer]

Doch, das Schlittschuhschnelllaufen sitzt den Holländern in den Genen. Das war im Mittelalter so, im Goldenen Zeitalter nicht weniger, in Friedens- und Kriegszeiten, ebenso wie in Zeiten konjunktureller Aufschwung oder Krise. Heute ist es nicht anders. Sobald es zu frieren anfängt bekommen wir das Schlittschuhfieber.

Zum Schlittschuhlaufen im Freien braucht man aber einen Winter. Dieses Jahr dauerte der ungefähr vierzehn Tage. Wenn man berücksichtigt, daß es wohl zehn Tage dauert bis viele Kanäle und Seen so zugefroren sind daß sie eine große Menge von Schlittschuhläufern tragen, hatten wir Holländer nur vier Tage um von dieser herrlichen Eispracht zu genießen. Hier und dort wurden Fahrten organisiert wobei man einhundert Kilometer Eisfläche zurücklegt und am Finish eine kupferfarbige Medaille oder ein anderes Andenken bekommt das man zu Hause sorgfältig aufbewahrt. Und in einigen seltenen Wintern kommt es vor, daß man 220 Kilometer entlang elf Friesische Städte eisschnelllaufen kann. Der Gewinner dieser Rundfahrt bekommt ewigen Ruhm und einen festen Platz in den schulischen Geschichtsbüchern.
Anno 2013 war der Andrang Schlittschuh zu fahren auf den Seen und Kanälen so groß, daß vielerorts die Menge vom Eis mußte weil es sonst zu gefährlich wurde. Aber keine Not: sieht, da kommt schon ein Trecker mit Anspann der alle Schlittschuhfahrtteilnehmer mitnimmt zurück zum Parkplatz wo man bei einem "koek-und-zopie" Eisbude heiße Schokoladenmilch zu trinken bekommt.




'Schlittschuhlaufen' heißt bei uns schlichtweg 'schaatsen'. Das ist für deutsche Zungen unaussprechbar; es ist ein sjibboleth-Wort. Statt ein richtiges SCH hört man bei den deutschen Gästen ein komisch rauschendes SJ…. Die Deutschen haben aber auch etwas voraus: sie können tausendmal besser eiskunstlaufen als wir Eischnellläufer.

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