Freitag, 16. Januar 2015
Bagatelle 249 - Kaufhofgeschichte



Einmal die Woche kommt sie, meine Werbeprospektpostfrau. Jeden Dienstagnachmittag muss es sein, denn morgens hat meine Morgenzeitung meinen Briefkasten für sich selbst beschlagnahmt. Wenn ich aber abends nochmal nachsehe und die Briefkastenklappe öffne, fällt eine Ladung Papierwerbung heraus. Man kann, ich weiß es, auf dem Briefkasten ein Vermerk anbringen, worauf zu lesen ist dass der Briefkastenbesitzer bitte schön keine Lust hat ein einziges Werbeblatt, wie bescheiden und dünn auch und für was auch immer, in Empfang zu nehmen. Nur bin ich zu faul und zu feige um ein solches Vermerk anbringen zu lassen. Zu gerne empfange ich Post. Aber lesen tue ich die Werbepost nie. Und deshalb landet jeden Dienstag eine ganze Papierladung Werbung ungelesen in den Altpapierbehälter.

Wenn auch die Werbung ungelesen bleibt, Einkäufe machen muss jeder, sogar ich. Nicht mehr beim kleinen Dorfladen (Tante Emma und Söhne) auf der Ecke wie früher. Nein, wir fahren jetzt in die Kleinstadt und besuchen entweder die Lidl, die Aldi, die Edekafiliale, den Jumbo, die Bruto, Tarra und Netto oder wie sie alle heißen. Manchmal gehen wir in den reellen REAL-Laden in der Kirchhofstraße oder betreten den irrealen REAL-Laden aufs Internet. Manche mögen es, aber wenn Sie mich fragen: ich hasse einen Besuch an einer Kaufhalle. Das einzig Interessante an solch einem Besuch ist die Observation der Besucher solcher Kaufstätten. Gerne höre ich mich die Konversationen der Kunden an, wenn sie mit ihren Einkaufskarren mir den Weg versperren. Es ist wie eine Strandterrasse im Sommer, wo man unter dem Genuss eines kühlen Pilsners sich die vorbeigehende Leute ansieht und von beurteilendem Kommentar verseht.

Heute Morgen war’s nötig den Jumbo zu besuchen, das neue Einkaufszentrum runde fünf Kilometer von meinem Hof entfernt. Man muss schließlich leben. Und dort passierte etwas seltsames. Etwas so ungewöhnliches, dass ich es Ihnen wohl erzählen muss. Wie üblich stand ich unauffällig in der Gemüseabteilung bei meinen Apfelsinen, wo ich sowohl die Gemüsekunden als auch die Reihe vor der dritten und vierten Kasse zuhören und beobachten konnte. Doch plötzlich fiel meine Aufmerksamkeit auf eine Frau bei der zweiten Kasse. Sie war in Gespräch mit der Kassiererin; hinter ihr stand ein älterer Herr der ruhig wartete bis auch für ihn die Stunde der Bezahlung geschlagen hatte.

Man brauchte nicht viel Menschenkenntnisse um zu sehen dass die offenbar schwachbegabte Frau Schwierigkeiten hatte alles Gekaufte ordentlich zu bezahlen. Kurz und knapp: sie hatte ihre Karre zu voll geladen. Zu voll für das Geld in ihrer Portemonnaie. Die Kassiererin half ihr das Geld in ihrer Börse zu zählen. Und legte einige Ware beiseite mit den Worten: ꞌBrauchen Sie das wirklich? Diesen Käseschnitzel auch? Und müssen es unbedingt drei Schachtel sein? Genügen zwei nicht?ꞌ Auch nach fünf Minuten war immer noch keine Lösung in Sicht. Die alte Frau wollte alles mitnehmen, aber die noch immer sehr freundliche und hilfsbereite Kassiererin behauptete mit Recht dass noch immer sieben Euro und siebzig Cents fehlten.

Da geschah das Wunder. Der Herr hinter der alten Frau in der Kassenreihe - der auch schon mehr als fünf Minuten ruhig gewartet hatte - trat hervor und sagte zu der Kassiererin: "So kommen wir nicht weiter. Wissen Sie, ich werde den Rest wohl bezahlen." Da staunten die Beteiligten nicht schlecht: die alte Frau mit dem Geldmangel, die Kassiererin (und Kolleginnen die inzwischen auch was Besonderes bemerkt hatten,) einige Kunden aus anderen Kassenreihen und ich der sich noch immer hinter den Apfelsinen versteckte.

Es war als schlug in diesem Augenblick eine Welle der Glückseligkeit über diese Kassenreihe. Alle waren froh. Die alte Frau, nachdem sie ihrem Gönner tausendfach gedankt hatte, zog ihren vollen Einkaufskarren Richtung Ausgang. Die Kassiererin, die dem gnädigen Geldspender ebenso herzlich dankte, freute sich mit ihrer Kollegin über den glücklichen Ablauf. Und ich selber freute mich auch, weil ich mit eigenen Augen gesehen hatte dass es auch etliche Tage nach Weihnachten immer noch Menschen guten Willens gibt. Schwarzseher und Schwarzdenker waren hier dennoch auch präsent. Einige Kunden fragten sich wer in Himmelswillen so dumm und naiv sein kann um die Rechnungen anderer Unbekannten zu zahlen. Sie waren dennoch eine Minderheit.

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