Mittwoch, 20. Januar 2016
Bagatelle 276 - Scheingestalten


Aus meiner hier gezeigten Plastik Patientenbinde zu entnehmen, (mit dem Quasi-Namen, versteht sich,) mögen Sie Recht haben in der Annahme, dass ich mich im Krankenhaus aufhalte. So ist es: vor drei Tagen hat man mich mit fliegenden Fahnen (sehr übertrieben) und Sirenen pro Notfallwagen in das nächstgelegene Kreiskrankenhaus, das den wunderbaren Namen "Köningin Beatrix" trägt, befördert. In dieser Bagatelle allerdings möchte ich Ihnen von Scheingestalten erzählen, von für Sie unsichtbaren Bildern, welche mir seit jenen Tagen begleiten. Wenn Sie wollen berichte ich ein anderes Mal über den Krankheitsverlauf oder über eine andere der vielen sich vortuenden Krankenhausgeschichten die es natürlich in Hülle und Fülle gibt.

Zuerst die Medizinische Lage der Nation: "Sie, Herr Terra," sagt mir der diensthabende Neurologe, der jeden Morgen mit dem Abteilungsarzt, der Hauptschwester und einigen Assistenten die Runde macht, "sind von einer Gehirndurchblutungsstörung betroffen. Ein verstopftes Blutgefäß, vielleicht verursacht von einem Blutgerinnsel, hindert den Sauerstoff aus der Lunge ungehindert das Gehirn zu erreichen. Wegen ihren Herzproblemen aus früheren Zeiten, wodurch Sie Blutverdünner brauchen, bestehen Extra-probleme. Bitte, beschreiben Sie uns wie es Ihnen jetzt geht und wie es Ihnen zu Mute steht."

Wir sprechen länger, in einer medischen Sprache mit vielen Fachwörtern, und niederländisch. Ich hoffe doch sehr dass Sie in etwa verstehen was ich meine.

"Ich versuche eine passende Antwort zu formulieren, was schon schwierig genug ist. Probleme gibt es beim Sehen, (die Sichtfunktion ist gestört) das gehirnliche Sprech- und Sprachzentrum ist angetastet (die Wortfindung funktioniert mal so, mal so: eher schlecht als recht,) das Aussprachekönnen hat sehr nachgelassen und die Auge-Handkoordination der rechten Hand ist nicht in Ordnung. So kann ich unmöglich mit der rechten Hand die Knöpfe der linken Maue schließen.
Es gibt auch den Umständen nach Gutes zu berichten: ich bin fast schmerzfrei, kein Fieber, Blutdruck in Ordnung und wenn auch sehr langsam und vorsichtig mobil. Mein lakonisches/optimistisches Temperament hat anscheinend wenig gelitten. Am Tage kann ich gekleidet, langsam und stolpernd, umher gehen. Die (vorzügliche) Pflege hat Zeit um sich um andere Patienten zu kümmern.

Wie gesagt ist mein Gesichtsvermögen betroffen. Den Sichtwinkel schätze ich auf 30°. Geraus nach vorn sehen funktioniert, aber wo bei Ihnen an der rechten Seite vieles zu sehen ist, erscheint bei mir unsichtbares schwarzes. Um Sie, die rechts von mir sitzen, zu sehen muss ich den Kopf inklusive Augen drehen, was früher nicht nötig war.

Jetzt aber möchte ich auf das Hauptthema dieser Erzählung eingehen: die Scheingestalten, die sich bewegende Lichtstrukturen die ich gegen den schwarzen Hintergrund rechts bei mir meine zu sehen. Wir alle haben schon mal ꞌSternchenꞌ gesehen, wenn uns jemand unglücklicherweise und unverhofft eins aufs Auge gegeben hat. Das meine ich, aber dann anders.
Vom Mitten des Blickfeldes aus erscheinen sie, die Bilder. Bewegen sich manchmal geschmeidig, manchmal in Zügen, meistens nach rechts.

Was siehst du? Lichtstreifen, Drähte, Formen und Objekte, (einen sich drehenden Würfel, einen sich hinterkopfüberdrehenden Stuhl). Nicht bevor gesehen Mensch und Tier sind auch dabei: zwei ungleich alte, in Blau gekleideten Mädchen die sich an der Hand halten (Schwestern?), eine Pute, eine weiße Katze. Wenn ich am Abend auf dem Bette liege, kommt aus der Hinterwand ein koboldartiges Männchen das sich auf einen Klappstühlchen neben meinem Bett setzt und mit mir nach dem Fernseher an der Decke – den ich, weil recht vor mir, einigermaßen gut sehen kann - schaut wo der 8-Uhrtagesschausprecher mir die düsteren Weltereignisse zu vermitteln versucht. Plötzlich fängt der Kobold an über eine nichtlustige Bemerkung des Sprechers zu lachen und verschwindet schauderhaft rückwärts in den Fußboden.
Eine besonders kuriose Version sind die Arm-Hand-Strukturen. Ich sehe eine Schulter, einen Ober- und Unterarm und eine Hand mit Fingern. Die Begleitperson fehlt. Manchmal kommt die Hand in meine Richtung und winkt mir zu. Es kommt auch vor dass eine Hand, wenn ich versuche die Morgenzeitung zu lesen, neben meinem Kopf erscheint und deren Zeigefinger mir auf Zeitungsartikel zeigt. Ein Gipfel wurde erreicht als eine Hand sich sanft und unfühlbar auf mein rechtes Oberbein legt.

Da fängt das denken und psychologieren (pseudo-psychologie betreiben) an: Fantasie, Einbildung, fata morgana; Realität oder Idee, aber was ist es?

Nachschrift: Doch, wenn ich dies schreibe, bin ich wieder zu Hause. Es geht mir den Umständen nach gut: jeder neuer Tag gleicht mehr auf alten Zeiten. Die Bildfrequenz der Scheingestalten hat sehr nachgelassen, aber sie sind noch da.
"Wo warst du so lange? Wir haben dich vermisst." fragten mich die Pfauen als ich heim kam." "Ich war im Kreiskrankenhaus um nach den platonschen Scheingestalten auf Terras Felsenwand zu sehen, antwortete ich.

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