Montag, 2. August 2010
Bagatelle LXV - Sprachlicher Durchfall
Meiner Meinung nach war das Empören und sogar das Geschrei und Getöse völlig übertrieben und unnötig. Ich meine die allgemeine Unzufriedenheit mit den diesjährigen Prüfungsaufgaben, welche der angehende Bankkaufmann und die bald angereist kommende Bankkauffrau auf ihrem landeseigenen Staatsexamen offeriert wurden.
Was war der Fall? Nun, in NRW und Bayern-Süd forderte man von den Studenten, daß sie imstande seien einen simplen Kaufmannsbrief, im bankkaufmännischen internationalen Jargon eine Circulaire genannt, vom deutschen in eine andere europäische Sprache zu übersetzen. Ist das denn zu viel gefragt? frage ich laut und deutlich und mit mir Abertausende von aufgebrachten Konsumenten. Wir wenden uns dabei an die Kultusministerkonferenz, welche am kommenden Dienstag fürs erste Mal nach drei Jahren wieder zusammenkommt (in Raunen an der Ruhr selbstverständlich).

Dies hier ist der Brief den es zu übersetzen galt.


Amsterdam, den 15. November 1878.

Herrn Sibeth & Co, London

Ich habe die Ehre Ihnen anzuzeigen, daß ich auf hiesigem Platze ein Handlungshaus unter der Firma

Schlaraffenland GmbH

errichtet habe, welches insbesondere Wechsel-, Waren-, Kommissions- und Speditions-Geschäfte umfassen wird.
Ohne mich jedoch streng auf diese Geschäftszweige zu beschränken, werde ich mit Vergnügen jede günstige Gelegenheit wahrnehmen, welche sich mir im Handel darbietet.
Hinreichende Erfahrungen und ein meinem Unternehmen angemessenes Kapital setzen mich in den Stand, Diejenigen, welche mir ihr Zutrauen schenken, mit Sorgfalt zu bedienen.
Ich ersuche Sie, sich meine Handzeichnung gefälligst zu bemerken und mich mit Ihren Aufträgen bald zu erfreuen.

Hochachtungsvoll,

T. Acidus (Dipl. Kaufmann i. R.)


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Eindeutig ein klarer Text ohne etwaige Doppeldeutigkeiten und frei von unnötigen Ausweitungen. Hierunter können Sie die von mir produzierten und von der Prüfungskommission autorisierten Übersetzungen (die übrigens und dankenswert viel Lob ernteten) in vier Sprachen lesen.

Besser noch: versuchen Sie es selber: es wird Ihnen viel Freude machen. Wählen Sie eine Sprache nach ihrer Wahl (Französisch, English, Italienisch oder Holländisch) und dann ran an die Arbeit. Ich würde vorschlagen wollen, daß Sie zuerst übersetzen und erst danach nachsehen in wieweit Ihre Version die Zustimmung der Kommission hätte erwerben können. Würde Ihre Übersetzung dem Vergleich standhalten können? Wählen Sie eine oder mehrere Sprachen worin Sie sich zu Hause fühlen und die Ihnen schwer am Herzen liegen.

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Amsterdam, le 15 Novembre, 1878.

M.M. Sibeth & Cie, Londres

Jái l’honneur, mes chers Messieurs, de vous annoncer que je viens d’établir en cette ville amsterdammaise et sauce hollandaise avec mayonnaise une maison rouge de commerce sous la raison de

Schlaraffenland (Société Anonyme)

Une longue expérience et un petit peu capital, proportionné à mon enterprise me mettent en état de bien servir ceux qui voudront m’honorer de leur confiance.
En vous priant de prendre note de ma signature magnifique et de m’honorer bientôt de vos ordres, j’ai l’honneur d’être avec la plus parfaite estime,

T. Acidus (Propriétaire & Patron)

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Amsterdam, November 15th , 1878.

Messrs Sibeth & Co, London

Gentlemen, I have the great honour to inform you, that I have had the guts to establish in this place a red-light district house for the transaction of general, exchange, and commission-business trade affairs and transmission of goods and other stuff, under the firm of

Schlaraffenland (Rather Limited Company)

Long experience and a little bit of luck, as well as a small amount of pecunial papers and coins, suitable to my undertaking and enterprise, enable me to serve those snobs well who may favour me with their confidence and give me the benefit of the doubt.
Requesting you to take good notice of my beautiful handwriting downunder and to honour me soon with your stupid orders, I remain, GENTLEMEN in capitals,

yours truly very doubtfully

T. Acidus Esq. OBE

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Amsterdam, li 15 Novembre, 1878.

Signori Sibeth & Co, Londra

Ho l’onore di participarvi che ho eretto in questa città una casa rosso di commercio e altre trödellaria, che si occuperà particolarmente, ma non solo, una fortuna lagrima e un bel di vedremo, di affari, di banco, di vendite, di merci, di opera, di operetti e di altro sorto musicale. Ance di commissioni e spedizioni, maggi, spaghetti e macaroni, sotto la firma di

Schlaraffenland

Una lunga sperienza e una sufficienza condolencia ed un capitale grande, ma non troppo, proporzione alla mia intrapresa mi mettono di ben servire quei che la donna e mobile mio molto fiducia bene adagio.
Pregandovi di prender muchos nota dell mia signature bella, e attendre vostri ordini, sono con perfetta stima (alto, soprano e tosti)

T. Acidus (Mag.)

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Amsterdam, 15 November, 1878.

den Heeren C. Sibeth & Co. te Londen

Bij dezen heb ik de gotspe, u te berichten, dat ik hier ter plaatse onder de firma

Schlaraffenland N.V.

een handelshuis heb opgericht, voornamelijk tot het drijven van wissel-, goederen-, commissie-, hardware-, software- en overige expeditiezaken.
Langdurige ondervinding en een voor mijn onderneming toereikend kapitaal zullen mij in staat stellen u en allen die mij hun vertrouwen willen schenken, met de meeste nauwgezetheid, punctualiteit en een passend gevoel voor humor te bedienen.
U verzoekende, van mijn handtekening nota te nemen, teeken ik mij met de meeste achting
Uw dv. dr. T. Acidus

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Seht ihr! So schwer ist das doch nicht?

Nachlese: Dieses schöne Bild, wo der Chef dem angehenden Bürokaufmann wegen eines Fettfleckens die Leviten liest, ist von Terras Vater gezeichnet worden.

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Sonntag, 25. Juli 2010
Bagatelle LXIV - Schoppentag


Wie ich mir hab’ sagen lassen, ist ein Schoppen entweder ein Inhaltsmaß oder eine Art Scheune. Ein Schuppen etwa, aber meistens halb offen. In meiner Dialektsprache heißt so etwas een schoppe. (Schoppe klein geschrieben, denn bei uns hat ein Substantiv nicht das Recht sich eines Kapitals zu bedienen.)
Ein schoppe ist ein überdachter Arbeits- und Sammelplatz. Dort werden alte, unbrauchbare Gegenstände für die Ewigkeit aufgehoben. Oder es ist ein Platz wo man schreinert, tischlert oder Ikeapakete zusammenzubauen versucht. Eine schoppe steht am Rande eines Bauernhofes, meistens an der eigentlichen Scheune angelehnt. Man hat ein Dach über dem Kopf, keine Mauer die das Licht hindert einzutreten und der frische Wind im Gesicht. Wir selber nutzen den Schoppen auch als Stellplatz fürs Auto, als carport sozusagen. Wenn ich einen Holzofen hätte, müßte ich dann und wann Holz hauen. So eine Arbeit würde ich gerne im Schoppen machen wollen.

Es gibt bei uns auch Schoppentage. Morgens früh dienen sie sich an. Graue Wolken kommen und verbreiten Regen. Manchmal regnet es den ganzen Tag. Leise, aber immerhin. Dann sagen wir zu einander: heute ist wieder ein Schoppentag. Das heißt in concreto: verbannt werden in den Schoppen und nicht tun können was man sich eigentlich vorgenommen hatte diesen Tag zu tun: die Hausfenster anstreichen oder die Dachrinne erneuern.

Es regnet also. Wir gehen in den Schoppen, denken eine Weile über den Sinn des Lebens nach und suchen uns dann die Arbeit die uns paßt. Leicht, vorübergehend, nicht dringend erforderlich, nicht unbedingt nötig. Ich putze das Fahrrad meiner Gattin, zum Beispiel. Oder ich repariere den uralten Lehnstuhl, den ich mir für fünf Euro auf dem Trödelmarkt hab’ verkaufen lassen. Wir hören dabei klassisches Radio 4 oder WDR-3 wenn es uns danach zu Mute ist, und WDR-4 wenn es gar nichts anderes gibt. Und zwischendurch ruinieren wir den alten Sessel sosehr, daß wir ihn am Ende des Tages auf den Scheiterhaufen werfen können.

Oft verläuft ein Schoppentag anders. Gegen elf etwa, nach dem Kaffeetrunk der heute noch länger dauert als sonst, wird es etwas heller. Der Regen hört allmählich auf und am Himmel erscheinen die ersten Blauflächen. Die Singvögel kündigen den Rest eines fröhlichen, sonnigen Tages an. Wir stehen auf, lassen das Werkzeug liegen wo es liegt, um am Abend zu vergessen es aufzuräumen und freuen uns auf die richtige, échte Arbeit. Die Schoppenarbeit kann warten. Bis ein neuer Schoppentag kommt. Und der kommt bestimmt.

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Samstag, 17. Juli 2010
Bagatelle LXIII - RIP auf flämisch
Dann und wann, aber unabwendbar und unaufhaltsam, wird man mit dem Tode konfrontiert. Die Gestalt mit der Sense steht verborgen hinterm Deich oder Wall und gerade als wir denken, daß das Leben so etwa in Ordnung sei, schlägt er zu. Oft trifft es den Unbedachten, den Unbeteiligten, den Unschuldigen, denjenigen der nichts dafür kann.

Wie dieser Gast, der seit Monaten bei uns umher zieht, bei anderen Vögel die Eier wegzustehlen versucht, und jetzt einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Und gerade als ich sie alle, die kleinen Säugekreaturen nebst den zahlreichen Sing- und anderen Vögel rundums Haus vor den Gefahren des vorbeirasenden Verkehrs gewarnt hatte. (Wir wohnen in einer Plattelandsgegend wo man schnellstens und höchstens 60 km/h fahren darf, aber keiner tut ‘s. Ich selber auch nicht.)

Und da schlägt das Unheil oder sogar das unselige Schicksal zu. Man fliegt gegen eine Windschutzscheibe die eigentlich eine Vogelschutzscheibe hätte sein sollen. Ein Knall wobei einige Fetzen fliegen und vorbei ist das junge Leben dieses Eichelhähers, Tannenhähers, wie immer sie ihn heißen mögen. Wir nennen ihn den Markolf, oder in hochniederländisch: de Vlaamse Gaai. Den flämischen Häher also, oder den flandrischen.

Wenn Sie mich fragen: wieso und was hat dieser wunderbar aussehende Schreivogel mit Flandern zu tun, so muß ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben bis nächste Woche. (Ich brauche Zeit zum nachdenken.) Ich könnte jetzt eine Verhandlung über das Hass-Liebe-Verhältnis zwischen den Niederlanden und Flandern abhalten und verweisen auf die auffallend ähnlichen Charaktereigenschaften eines Markolves und einem mittleren Einwohner von Gent oder St. Niklaas. Aber das tue ich nicht, denn ich möchte keinen Ärger und gar kein Ärgernis verbreiten. Aber es kann kein Zufall sein daß sowohl Markolve als Flamingen (vor allem die Flaminganten) komischen und vermeidbaren Unfällen passieren.



Über einen Toten nichts als gutes. Das gilt selbstverständlich diesem so ruhig dahinliegenden Vogelfreund. Wahrscheinlich verweilt er in Gedanken schon im Vogelnirwana. Ich nehme ihn vorsichtig auf und lege ihn in einen trockenen Graben, wo einige Aasfresser sich um ihn kümmern werden.
Asche zu Asche, Erde zu Erde, Staub zu Staub. Requiescat in flämischer pace.

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Freitag, 9. Juli 2010
Bagatelle LXII - Prüfstand


Es ist mir eine Ehre Ihnen die aus vier Mitgliedern bestehende Kommisssion zur Prüfung des Hiesigen Wasserqualitäts KPHW vorzustellen. Die Kommission tut was in ihrem Auftrag steht: sie beurteilt einmal in ebenso vielen Monaten die Qualität des örtlichen Trinkwassers rundum und unterhalb unseres Bauernhofes.
Von links nach rechts sehen Sie: HON (Hahn-Ohne-Namen), AlteSchwarze, JungTüütchen und (in einer nachdenklicher Pose) unseren Hahn Habakuk. Das fünfte Huhn, die Tante Eulalia, hat sich der Mitgliedschaft der Kommission entzogen, was ihr gutes Recht ist.

Für die Wasserversorgung innerhalb des Hauses sind wir angewiesen auf die Dienste des Energiebetriebes GoS (Garantiert ohne Störungen) GmbH. Das sorgt dafür, daß der Geschirrspüler läuft, die Waschmaschine wäscht, die Douche wasserfällt und der Wassermesser seine Runden dreht. Für das Wasser draußen verfügen wir über einen künstlichen Brunnen. Eine Elektrosaugpumpe befördert das Grundwasser aus zehn Metern Tiefe nach oberflächlichen Stellen wo wir es dann und wann brauchen. Auch das Trinkwasser für die Hühner erreicht auf diese Weise das steinerne Hühnertrinkgefäß. An unfesten, stichprobentauglichen Augenblicken kommt die Wasserqualitätsbeurteilungskommission. Man prüft Klarheit, Reinheit, Zusammensetzung, Farbe, Härte und vor allem Geschmack.

Am Mittwoch voriger Woche kam man zum folgenden (notariell beglaubigten) Ergebnis.

Zusammensetzung: H2O, Eisen, Phosphor, Blei, ein unbedeutendes kleines Bißchen Quecksilber, aber kein Jod
Klarheit: ausgezeichnet
Reinheit: könnte besser, vor allem wegen einer der immer mit seinen Schmutzpfoten im Wasser steht
Farbe: genügende Transparantz, keine Rückfälle oder Rückstände und der Rest ist schweigen
Härte: zu viele Kalkreste und Eisenvorkommnisse, dadurch zu hart zum Eier kochen oder um Geschirr zu spülen
Geschmack: frisch, würzig, kühler Nachgeschmack, herzhaft
Fazit: bis zum letzten Tropfen: sehr genießbar

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Donnerstag, 1. Juli 2010
Bagatelle LXI - Morgenandacht
Seit Menschengedenken nehm’ ich morgens ein rituelles Frühstück zu mir. Rituell, denn immer dieselben Handlungen mit denselben Nahrungszutaten und identischen Frühstücksattributen. Ich eß ein leckeres Butterbrot – vollkorn – bedeckt mit selbstgemachter Dreifrüchte-Marmelade (Trias: Erdbeere, Frambose & Irgendeine andere Beerensorte). Dem lasse ich einen Zwieback folgen, das ich zuerst belege mit Honig und zwei dünnen Scheibchen jung-belegener Käse. (Sparsam, wie wir erzogen sind, benützen wir dazu immer den altehrwürdigen Käsehobel.) Das Brot kommt meist aus dem Toaster oder es wurde am vorigen Abend in gefrorenem Zustand der Tiefkühltruhe in der Scheune entfremdet. Frische Brötchen gibt es nicht. Erstens ist der nächste Brötchenladen acht Kilometer weit weg, und obendrein auch noch im Ausland, und zweitens ist mir die Vorliebe für frisches Brot – gerade aus dem Ofen – völlig entgangen. Dies im Gegensatz zu meiner Jugendzeit, wo ich frühmorgens das warme Brot das meine Mutter mir bat zu besorgen, schon halbwegs gegessen hatte bevor ich es ins Haus brachte.
Bitte, sehen Sie sich das Bild an. Dies ist mein Basisfrühstück.



Es gibt auch eine Basis-Plus-Version. Hinzugekommen sind die rituellen Getränke die selbstverständlich nicht fehlen dürfen. In meinem Fall immer ein Glas Tee von exzellenter Qualität und ein Saft. Die kleine Pille hat mir meine sehr geehrte Frau Cardiologe verordnet mit dem Beisatz: vielleicht hilft es, man weiß nie.



Frühstück: auch etymologisch interessant. Ohne nachzuschlagen behaupte ich mal, daß es sich ursprünglich um ein Stück (Roggen)Brot gehandelt haben muß, das man morgens in der früh zu essen pflegte. In meiner eigenen Muttersprache heißt es: ontbijt. Und das wiederum stammt von dem Verb ont-bijten: anfangen-zu-beißen. Genau wie ‘entflammen’ sagen möchte, daß es in Kürze ‘anfangen-zu-flammen’ wird. Bei uns steht die Handlung zentral, bei Ihnen das Objekt der Handlung. Interessant. Da haben es die anderen Sprachen leichter. Ein kleines ‘petit déjeuner’ ißt man wenn der Tag noch sehr jung ist. Und ein ‘breakfast’ verweist klar auf die Gewohnheit stehend am Fühstückstisch sich noch schnell ein Stückchen Brot von der Scheibe zu brechen bevor man den sieben Uhr Zug nach Wolfenbüttel nimmt.
Wolfenbüttel, auch solch ein wunderbares Wort. Wie kommt es daß ich am Ende einer Bagatelle oft dórt lande?

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Mittwoch, 23. Juni 2010
Bagatelle LX - Oranjeblind


Oranje ist zweierlei. Erstens ein kleines Fürstentum, im tiefen innern Frankreichs gelegen, in der Nähe von Lyon etwa. Der Landesfürst René von Artois, kinderlos bis zum Ende seines Lebens, vermacht irgendwo im 16. Jahrhundert seinen Besitz seinem Neffen Willem. Dieser Willem ist einer der zahllosen Prinzen in den deutschen Landen, wohnhaft damals auf der Dillenburg in Nassau. Die gegen die Spanier aufständischen Niederländer bieten ihm einen Posten als ihr Anführer und politischer Leiter. In den “lagen Landen” bekam er den Titel “Stadthalter”. König konnte er nicht werden, denn die Landespolitiker, besonders die aus Holland, waren zutiefst republikanisch. Der Prinz Wilhelm willigte ein, zog um nach Delft, heiratete vier mal mehr oder weniger glücklich, und gab dem niederländischen Königshaus den Namen: von Oranje-Nassau. Darum wundert es nicht, daß Beatrix und Willem-Alexander nebst Familie bis heute so heißen.

Oranje ist zweitens eine Farbe. Etwas zwischen einem grünlichen Rot und einem rötlichen Grün. Zusammen mit ein wenig rosa und gelb ergibt das eine Nationalfarbe. Meiner Meinung nacht eine schlecht gelungene Mischung, aber ich wage es kaum das öffentlich zu sagen. Vor allem nicht wenn etwas sportliches auf der Tagesordung steht. Wenn also die niederländische Nationalmannschaft fußballt, hockey spielt, schwimmt oder 10.000 Meter schnelläuft, geschieht das meistens in orangefarbigen Gewändern. Die Fans hüllen sich in orange und schwenken ihre rot-weiß-blaue Fahnen.

Eine kleine Gruppe steht einsam und verlassen am Rande des Geschehens. Sie schauen zu ohne genau zu verstehen was dieses Getue soll. Es sind unsere farbenblinde Landsleute. Für sie gibt es kein oranje. Selbst wenn die Nachbarn während der Fußballweltmeisterschaften ihr ganzes Haus in oranje einwickeln und mit Vuvuela-artigen Lärmtrompeten die Nachbarschaft erschrecken, wissen sie nicht was den anderen treibt. Bis einer kommt und sagt: tröstet euch, es dauert nicht mehr lange. Die nächste Niederlage steht schon vor der Tür.

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Dienstag, 8. Juni 2010
Bagatelle LIX - Vorspiel


Dieser Tage beginnen die Fußballweltmeisterschaften in Süd-Afrika. Die meisten Mannschaften sind schon angereist, vor allem um nachzusehen ob die Landschaft wirklich so schön und die Umgebung echt so gefährlich ist wie die Prospekte uns glauben machen wollen. Im Lande wo ich wohne schmücken sich inzwischen die Häuser und Straßen mit orangefarbigen Krimskrams, weil die darin wohnende Landsleute in ihrer Ungereimtheit anfangen die Fußballgeister damit gnädig stimmen zu wollen. Alle Supermärkte und sonstige mehr oder weniger Delikatessengeschäfte bemühen sich mittels kleine Gaben für die fußballbegeisterten Kinder den Eltern solche Güter zu vermitteln die sie kaum brauchen. Ein Beispiel: was so ein Fußballspielchen mit Toilettenreiniger zu tun hat, kann ihr Werbefachmann Ihnen genau erklären. Wenn in der Halbzeitpause die eigene Mannschaft führt, muß jeder auf die Toilette, weil man unsicher ist ob sich das Schicksal nicht wendet. Und wenn die Mannschaft mit 1-2 zurückliegt, muß auch jeder müssen, weil nicht sicher ist ob die Zurücklage in einem Gleichstand oder sogar in einen Sieg verwandelt werden kann. In jedem dieser Fälle wird der Toilettenreiniger an seine Pflicht erinnert.

Manche hassen Fußball in diesen Tagen und ich kann es ihnen nicht übelnehmen. Aber, denken wir doch bitte schön an das vorhersehende Wort eines Realpolitikers der mal etwas gesagt hat was ich selber hätte sagen können, wenn ich nur etwas gescheiter geboren wäre. Er sagte: Fußball ist im Grunde sehr einfach. Zwei Mannschaften mit je elf Spieler kämpfen anderthalb Stunden lang unter Leitung eines in schwarz gekleideten Menschen mit Trillerpfeife um Ball und Tore. Und am Ende stellt man fest daß Deutschland gewonnen hat.

Auch diesmal? Wir kommen allmählig in Stimmung und freuen uns im voraus auf schöne, spannende Spiele die wir uns alleine, oder in Gesellschaft von Freunden und Mitleidenden mit Hilfe eines beamers auf einer Großwand ansehen. Ich habe schon eine Ahnung wie es dort in Süd-Afrika zugehen wird. Denn ich hab’ es schon einmal am eigenen Leibe erfahren.

Ich zeige Ihnen ein Bild des riesigen Stadions in Durban, die Hauptstadt Kwazulu Natals, eine der Spielstätten. Und zwar das wichtigste: das Innere. Hier auf dem (jawohl, selbstgemachten) Bild spielt Bafana, Bafana, die Fußballelf von Süd-Afrika, gegen die Nachbarelven von Malawi um den Südlich Afrika-Cup. Wir schreiben den 28. September 2002. Noch vor dem Umbau des Stadions also.



Dieses Stadion ist an diesem herrlich lauwarmen Nachmittag gefüllt mit sage und schreibe 21.887 schwarzen und 11 (elf) weißen Zuschauern. (Höchstpersönlich und selber nachgezählt.) Unter den letzteren befindet sich ein gewisser Terra der mit drei weißen europäischen und vier scharzafrikanischen Kollegen von der Aussicht genießt und sich das Länderspiel ansieht. Fußball ist in Süd-Afrika übrigens der Sport des schwarzen Mannes. Weiße spielen meist rugby und cricket. Fußball, ins besondere wenn gespielt in einer Afrika- oder Weltmeisterschaft, verbindet aber die Nation. Das hat der erste schwarze Präsident, Nelson Mandela, gut verstanden und weise berücksichtigt. Aber kehren wir zurück zu dem was das Bild uns zeigt.

Die Qualität des sportlichen Getue ist nicht von dem Niveau das man einer Bagatelle zumuten kann. Aber die Stimmung unter den tausenden Fans ist glänzend. Jede Passierbewegung, gelungen oder nicht, erfreut sich der lauten Zustimmung des Publikums. Der Sound der Vuvuzela’s, das sind lange, dünne Blashörner-aus-Plastik, auch wohl treffend Lärmtrompeten genannt, macht kritische Kommentare unsererseits unmöglich. Das Fest erreicht seinen Höhepunkt als tief in der zweiten Halbzeit die Süd-Afrika-Vertretung das Siegtor schießt. Ein fröhlicher Orkan bricht herein.

Nach Beendigung des Spieles kehren alle frohen Herzens heimwärts. Wir haben gewonnen, und auch wenn nicht: es war ein immerhin ein schöner Nachmittag an dem man sich gerne erinnert. Undank zweier Tage mit Gehörproblemen wegen des lauten Getute in den Ohren mit den roten Hörnern. Auch jetzt bei den Weltmeisterschaften werden die Vuvuzela’s ihren Sound vermitteln. Auch bei uns, die zu Hause gebliebenen. Wir sind ihnen überliefert.

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Mittwoch, 2. Juni 2010
Bagatelle LVIII - Krunst & Kempel
Ich meine natürlich Kunst & Krempel, eines der gefeiertsten Kunstprogrammen die das Fernsehen uns nun seit Jahren beschert. Die niederländische Variante heißt übrigens Kinst & Kutsch, nein Kunst & Kitsch, wieder solch eine Mißverständnisse aufkommendlassende Irreführung.

Bitte, Verzeihung also, aber ich bin noch ziemlich verwirrt. Gerade eben sind wir zurück von einer Visite an die Wasserburg zu Bahnholt (SA), wo heute ein sogenannter Experten- und Taxationstag veranstaltet wurde. Viele Hunderte Kunstbegeisterte kamen angereist mit ihrem Rembrandt, sauber in plastik eingepackt, oder mit ihren roten Erdgutvasen aus feinstem Delfter-Blau (laut Etikett Kinesisch, Wi-Tsjeng Dynastie, 17. Jht.) worauf leicht erotisierende Abbildungen mit anderslautenden Meinungen. Die aus ganz Deutschland angereisten Experten bestätigten meinen Verdacht, daß viele gekommen waren, aber nur sehr wenige wie gerufen kamen.

An hand dreier Beispiele hochkünstlicher Art werde ich so frei sein Ihnen die Höhepunkte des Tages zu schildern. Vorab möchte ich Ihnen einige der anwesenden Experten vorstellen, obwohl manche Vorstellung sich binnen kürzester Zeit als erübrigt erweisen wird.
Da war der große Mingporzellankenner Herr Karl-Jacob Übermberg. Angereist in seinem Porsche 909-i, im weißen dazu passenden Pullover. Freundlich wie immer, mit einem kaum spürbaren Air von niederbeugender Arroganz, beantwortete er die sehr leise gestellten Fragen der Besitzer aus Mecklenburg-Hinterpommern, die ihre Nerven im Beisein dieses Helden fast verloren. Daß Er überhaupt zu ihnen sprach, war die ultimative Belohnung für ihr Kommen und langes Wartemüssens.
Frau Danae Himmelstor, begleitet von ihrem Bulldoggen Charley, hatte einen ziemlich ruhigen Tag. Weil sie schon sehr lange spezialisiert ist in Heinrich Winkelmann, den exzellenten Epigonen Feuerbachs und Ingres, kann sie sich erlauben Fragen über den Wert eines échten Turner zu entweichen. “Bitte, wenden Sie sich für eine solche, meinen Kenntnissen unangemessen Frage, zu meinem Kollegen Dr. Dr. Harald Januschek. Zweite Tür links. Der wird versuchen mich zu widersprechen für den Fall daß ich etwas Vernünftiges sagen sollte.” Keiner versteht was sie meint, aber alle genießen den Klang ihrer Stimme.
Nein, Horst Lügner, Möbelkenner par excellence, ist dagegen, – what’s not in a name – ehrlich und aufrichtig. Er sagt worauf es ankommt, auch wenn es schmerzt. Er scheut keine Tränen und läßt nicht zu, daß seine vorsichtige Wertschätzungen sich mit Gefühlen tiefmenschlicher Natur mischen. Nicht für umsonst ist er schließlich auf dem Sommerkongreß der Möbelexperten (in Barsch an der Etsch) zu ihren Vize gewählt worden.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit nun auf drei willkürlich eingebrachte Kunstgegenstande. Denn: um das Objekt dreht sich heute die Welt. Was ist es, dieses Objekt, welche oberflächliche und unterhäutige Bedeutung kann man ihm nachsagen, welcher schöpferischer Geist steckt dahinter, ist es écht oder eine Kopie, wie alt ist es? Und natürlich die Frage aller Fragen: was ist der Wert? Für wieviel, meinen Sie, sollten wir das Objekt der Lebensversicherung überlassen?

Es waren so viele Leute anwesend, daß eine große Schar die Erläuterungen der Experten nur von einem großen Bildschirm, das man im früheren Pferdestall aufgestellt hatte, verfolgen konnte. Weil der Ton ums andere Wort ausfiel, war ich genötigt mich auf einen Stuhl zu stellen und vor allen Leuten selbst den Kommentar (in gebrochenem Deutsch aber ungebrochen im Gemüt) bei den gezeigten Objekten zu liefern. Das ging in etwa so.



- Das hier, meine Damen und Herren, ist ohne Zweifel eine bergère, ein Porzellanerhund, der statt einer Dose Bonzo Hundefutter seinem Fräuchen einen Blumenstrauß offriert. Der Entwurf stammt aus Poitiers (1876) wo sich zu der Zeit eine Filiale der berühmten Royal Doulton Keramikwerke niedergelassen hatte. Dieser Hund ist von 1920 und deshalb noch lange kein Antik. Was er in einer Auktion kosten wird? Keine müde Mark, denn es fehlt sein Zwillingsbruder. Man sollte unbedingt für ein Pärchen optieren. Oder Sie geben ihrem einsamen Hund einen Platz in der spiegelnden Vitrine, so daß man zwei sieht. Auch das zählt und zahlt sich aus.



- Sie liebe Madame, zeigen mir ein köstliches Beispiel jugendstilartiges Kupferwerk. Wenn ich so frei sein darf, wie sind Sie im Besitz dieses Kleinods gelangt? Welche Tante haben Sie überredet es Ihnen für einen Appel und ein Ei zu schenken? Es ist eine Tabaksdose, besser gesagt eine Schnupftabaksdose. Baujahr 1935, Amsterdam. Oben drauf eine zierliche Guirlande. Die komische Aufschrift Leve de Boerenstand lautet übersetzt etwa: es lebe die siebentage Woche. Der Wert? Genau vierzehn euro und zweiundzwanzig Cents. Darauf können Sie Gift nehmen.

- Beim Anblick des dritten Gegenstandes stockt mir der Atem im Halse. Was sieht mein Auge? Ich könnte schwören: ich sähe einen Toorop. Einen echten Toorop! Träume ich oder wie? Ein mittelbares Selbsporträt, ohne Zweifel. Hier zeigt sich der echte Meister. Seht wie fein die Haare gezeichnet sind. Und wie schmackhaft zeigt sich das Bärtchen und der Oberlippenwalrossenbart! Zu schön um wahr zu sein.
Aber, hören Sie auch Zweifel in meiner Stimme? Ich habe den Verdacht daß es sich hier um eine Fälschung handelt. Beweisen kann ich es nicht, aber das Herz sagt ja. Über den Wert mache ich Ihnen deshalb keine Angabe. Gehen Sie bitte zu einem richtigen Experten. Die oder der wird Ihnen sagen wohin der Wind weht im Kunst- und Krempelland.



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Fußnote 1. Der Hund mit dem Blumenstrauß befindet sich seit Ewigkeit in der Vitrine meiner verstorbenen Schwiegereltern. Genau so vergeht es die Tabaksdose.
Fußnote 2. Des schöne Porträt des Malers Jan Toorop ist eine (Nach)zeichnung meines, (Terras) Vaters.

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Dienstag, 25. Mai 2010
Bagatelle LVII - Poesieprosa
Poesiealbum ist ein schönes Wort aus elf Buchstaben mit nicht weniger als sechs Vokalen, aber gerade deswegen beim scrabble-Spiel nicht sehr wertvoll. In einem Poesiealbum stehen von vorne bis hinten tiefgreifende Verse, Gedichte und Reimeleien. Die Verfasser sind Freundinnen und Verwandten. Oder Onkel, Tanten und Nachbarsfrauen. Auch der Herr Lehrer in der Grundschule wurde oft gebeten sein schöpferisches Dichterstalent in ein Poesiealbumvers hineinzuschreiben.

Haben die jungen Damen heutzutage immer noch ein Poesiealbum? Kaum vorstellbar, aber man kann nie wissen. Als ich noch ein kleiner Junge war, hatte jedes Fräulein in meiner Klasse – vom ersten Schulanfang an besuchte ich gemischte Klassen - ein Exemplar. Meistens illustriert mit den typischen Aufklebbildern von Rosensträußchen und sonstigen altmodisch anmutenden, farbenfrohen Bildern. Die Jungens hatten nie ein Poesiealbum, auch kein kleines verstecktes. Ich selber natürlich auch nicht. Und wenn, wir schämten uns dessen. Aber wie oft habe ich nicht die Poesiealben meiner Schwester bewundert! Bis auf den heutigen Tag kenne ich das Vers auswendig womit jedes Poesiealbum anfängt.

Frau Terra, ursprünglich genannt Rikie Westerveld aus der kleinen Ortschaft namens De Heurne, hat das Poesiealbum aus ihrer Kindheit treu und vorsichtig aufbewahrt. Alle Gedichte und Wünsche sind, so gut wie der Schönschriftschreiber nur konnte, mit Feder und Tinte kalligraphiert. Auf der ersten Seite lesen wir folgendes Vers. Sie werden es, auch wenn ich es unübersetzt lasse, verstehen und bewundern.

Dit album behoort aan mij,
zolang ik hoop te leven.
Rikie is de naam,
door mijn ouders mij gegeven.
Westerveld is mijn van (=Familienname)
van vaderlijke stam.
De Heurne is de plaats
waar ik ter wereld kwam.

Die schönsten Poesiealbumverse sind die welche das altmodische unsagbar Schöne mit unerwarteten, komischen Satzneuigkeiten verbinden. Zum Beispiel dieses.

Ein Seehund lag am Meer auf dem Strand
und rieb sein Schnäuzchen sauber im Sand.
O Rikie, möge Dein Herz einmal so rein
wie das Schnäuzchen solch eines Seehundes sein.



Aber die kostbarsten Poesieverse, welche in keinem Album fehlen dürfen, sind die welche dir helfen die Lasten des Lebens zu tragen. Verse voller Ratschläge. Gedichte mit weisen Sprüchen, manchmal geliehen von wenigtalentierten Nachfolgern Heinrich Heines, die in der Dunkelheit vergangener Zeiten stecken geblieben sind. Ab und zu begegnet man einem Kleinod.

Beginne jeden Morgen
Mit einem guten Wort.
Es leuchtet wie ein Sternlein
Hell durch die Stunden fort.
Es dringt in alle Herzen,
Macht alle Sorgen klein.
Ein frohes Wort am Morgen
Ist goldner Sonnenschein.

Kein Wort zu viel oder zu wenig! In seiner ganzen Einfältigkeit umwerfend vieldeutig! Herzhaft gedichtet: Sie merken daß wir uns die Grenze zu richtiger Poesie nähern. Und wie gut machen sich die traditionellen Poesiealbumverziehrungen!

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Mittwoch, 19. Mai 2010
Bagatelle LVI - Kw-wörter
qua quadrat quadratzahl quadragesima quadrangulair
quadrant quadratur quadrieren quadriga quadrillion quæstieus quæstor qualification qualificieren qualität qualiter quantitativ quantität quantum quarantaine quartair quark quarta quartflöte quarto quasi quartett quatertemper quatre-mains querulant queue quelle quinquet quint quintal quintenzirkel quintessens quintett quintfagott quintillion quittieren quitte qui-vive quorum quo quota quotum quotieren quotient




Ein Quilt ist ein Quilt ist kein Kilt. Das wissen wir. Jedenfalls, wir sollten es wissen. Und wenn nicht, wir sollten uns in die Ecke stellen und uns während einer halben Stunde schämen.
Ein Quilt ist eine Decke. Sie besteht aus mindestens drei manchmal edlen Stoffschichten die in feinster Handarbeit zusammengenäht werden. Die Oberseite ist meistens hochkünstlerisch gestaltet. Die Nähte an sich bilden dann wieder wunderschöne Formen und Muster. Entschuldigen Sie bitte diese etwas stümperhafte und ungeschickte Beschreibung, aber etwa so ähnliches habe ich von der Madame Terra erfahren, die auf dem Gebiet der Quilterei eine Meisterin ist. Sagt man, ich selber kann es nicht richtig beurteilen, weil ich alles was ihre Hand verläßt für unsagbar schön halte und deshalb ziemlich undiffentiiert reagiere.

Kilt schreibt man mit k, so viel ist sicher. Ein Kilt ist ein Zwitterkleidungsstück, eine kurze Hose die eigentlich lieber ein Rock sein will. (Oder umgekehrt. So genau weiß ich das nicht.) Von Männern getragen, im schottischem Hochland, dort wo man Robert Schumanns Lieder auf Texten von Robert Burns so wunderbar zu hören bekommt. Bitte halten Sie von dieser Stunde an niemals einen profanen Kilt für einen himmlischen Quilt. Und Quilt schreibt man grundsätzlich mit Q, die 17. Buchstabe des deutschen Alphabetts. Das Q wird meistens gefolgt von dem Buchstaben u. Richtig ist also: Qu, gesprochen als kw. Dadurch daß oft nóch ein Vokal folgt, wird die Aussprache prägnanter und schöner. Quo wird zu kwo und ein Quartett zu vieren wird ein Kwartett.

Am Anfang dieser Bagatelle befindet sich eine Reihe Kw-Wörter die ich aus meiner eigenen Muttersprache und aus eurem Brockhaus geliehen habe. Das eine Wort ist schöner als das andere. Was sie alle bedeuten, ist eine andere Sache. Bitte, keine Gewissensfragen. Eigentlich kann man einer Sprache nur gratulieren daß sie so viele herrliche Kw-Wörter ihr eigen nennt.

Eine kleine, leicht kritische Bemerkung zum Schluß. Es gibt so viele schöne Kw-Wörter. Aber es gibt zwei immens wichtige Kw-Wörter die sowohl in Ihrem als in meinem Lexikon fehlen. Zwei richtige Kw-Wörter. Das eine – Sie hatten es schon vermutet - ist das Wort Quilt. Man sucht es vergebens. Aber irgendwo kann man es den Verfassern der Wörterbücher nicht sehr übel nehmen: das herstellen von Quilts ist (noch) keine Männersache. Das zweite Kw-Wort das ich vergeblich gesucht habe, wurde manchmal von meinem Vater verwendet. Als ich noch ein kleiner Junge war und als ich ihm den Unterschied zwischen einem Quilt und einem Kilt klarzumachen versuchte, sagte er zu mir: Ach Junge, das ist doch alles Quatsch! Quatsch, so ein unsinnig himmliches Kw-Wort!

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Donnerstag, 13. Mai 2010
Peitschenhieb und Schlagbaum
“Une coupe de fouet”, sagte der Arzt, zugleich die Gelegenheit nutzend seine Französischkenntnisse zu demonstrieren. “Anders gesagt: ein Peitschenhieb. Das bedeutet für Sie: Physiotherapie und ein paar ruhevolle, bewegungskarge Wochen. Ich rate dringend das Benutzen zweier Ellbogenkrücken.” Ich ergebe mich dieser medizinischen Diagnosen, denn wer bin ich um überhaupt eine contraire Meinung vertreten zu wollen, und schließlich: der Mann hat recht. Ich hatte mir den Peitschenhieb – eine ziemlich peinliche Muskelverletzung - während meiner wöchentlichen Partie Rekreantenvolleyball zugezogen.

In jenen Tagen, wir schreiben das Jahr 1978, studierte ich Psychologie an der Uni in Nimwegen. Ich wohnte wo ich jetzt auch noch wohne, in südöstlichen, niederländischen Gefilden, auf dem échten Plattelande. Der PKW, mit dem ich die tägliche Reise machte, war ein milchweißer Citroën Deux Chevaux, ein 2CV, eine Ente also. Noch immer schreibe ich den Namen vorzugweise in großen Buchstaben, denn das verdient meine Ente.
Meistens vermied ich die Autobahn und entschloß mich für die schmaleren, häuslicheren Wege. Eine kleine Wegstrecke bis zur Grenze, dann der Weg nach Emmerich, dort über die Rheinbrücke und weiter über Kleve und Kranenburg nach Nimwegen wo die ganze Belegschaft des Psychologischen Laboratoriums mich jeden Morgen mit Freuden begrüßte.

Zwei Wochen später, nach einer physiotherapeutischen Behandlung die mir sehr gut bekommen ist, schließe ich vorsichtig die Tür der Praxis hinter mir zu. Bewappnet mit meinen zwei Krücken überquere ich die Straße und wende mich meiner bereitstehenden Ente zu. Die Krücken leg’ ich auf die Hinterbank. Ich öffne das Portier – Entenportiers öffnen sich immer seitenverkehrt! – drehe den Kontaktschlüssel neunzig Grad rechts, drücke auf den separaten Startknopf, worauf der Motor ohne Zögern anspringt und die Ente sich ruhig und sanftwiegelnd auf den Weg macht.
Ich bin bei strahlender Laune: der Therapeut hat gute Arbeit geleistet und der Schmerz ist nahezu verschwunden. Obendrein, es ist es prächtiges Frühlingswetter. Mir fehlen Augen und Ohren um alles schöne genau wahrzunehmen. Fast unbemerkt nähere ich mich der Grenze zur Bundesrepublik.

Der A-Strang heißt das Flüßchen das hier die Grenze zu Deutschland bildet. An der niederländischen Seite des Flusses steht das Zollhaus. Die holländischen Douaniers – wir nennen sie: Kommiezen – wohnen links im Haus, ihre deutsche Zollkollegen wohnen rechts. Der Schlagbaum streckt sich quer über die Straße. Wenn ein Passant kommt, geht einer von den Zöllnern zum Schlagbaum, kontrolliert die Papiere und hebt den Schlagbaum so daß der Deutschlandbesucher Eintritt geboten wird. Viel Betrieb ist hier nicht. Die Zollarbeit ist gering und übersichtlich. Und der einsame Radfahrer weiß meistens sich selber zu helfen.

Der deutsche Douanier hat sich eine zweite Tasse Kaffe eingeschenkt und sein niederländischer Kumpel ist gerade dabei sich eine Zigarette zu drehen, als das bizarre und unvorstellbar Unvorhersehbare geschieht. Von links kommt ein milchweißer 2CV angefahren und knallt voll auf den niedergelassenen Schlagbaum. Der krümmt sich gegen die Vorderscheibe, über das Leinendach, und weiter nach hinten. Das Auto steht still, mitten auf der Brücke. Es herrscht todesstille. Sogar die Vögel, die gerade noch den Frühling im Kopf hatten, schweigen.

Die zwei Zollbeamte sind anfänglich völlig versteinert durch das was sie sehen. Wenn der eine seine Besinnung einigermaßen zurückgefunden hat und hinaus geht, sieht er daß die Vordertür des Wagens sich öffnet, ein junger Mann aussteigt, voller Glassplitter und Blutwunden. Er holt sich ein paar Hilfsmittel von der Hinterbank. Sehr langsam geht er auf dem Zöllner zu.

Was ist mit dem Fahrer? Wie ist’s ihm zu Mute? Wir fragen es ihm nachträglich. Hören wir was er sagt. “Ein fremdes und befremdendes Gefühl kam über mich. Keine Aufregung, keine Angst, kein Schrecken. Nur ein Gefühl der Leere. Ja, ich fühlte mich leer und müde, unbeschreiblich müde. Der Schrecken kam erst als ich zu Hause meiner Frau die ganze Geschichte erzähle.

Was ich an der ganze Geschichte denkend niemals vergessen werde, ist das Gesicht des holländischen Zollbeamten der mich aus dem Wagen kommen sah. Seine Augen sagten: Daß Sie am hellichten Tage, zerstreut vielleicht aber bei vollem Verstand, ohne weiteres mit voller Kraft gegen einen Schlagbaum fahren ist schon allerhand. Aber daß Sie schon im voraus Ellbogenkrücken auf die Hinterbank gelegt haben, übersteigt vollkommen meine Vorstellungskraft.

Nachschrift: Merkwürdig ist schon daß weder die Polizei noch die Strafrichter mit ihren Kumpanen je bei diesem Vorfall eine Rolle gespielt haben. Es gab keinen Bußgeldbescheid oder richterlichen Aufruf sich mal im Gerichtsgebäude über die Angelegenheit zu unterhalten. Wohl aber bekam ich eine Rechnung vom Amt des Öffentlichen Eigentums. Eine Forderung wegen Zerstörung (und die damit verbundene Ersetzung) öffentlichen Eigentums. Die zu bezahlende Summe betrug vierhundert Gulden. Wie wir sagen: eine Rippe aus meinem Leib.

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Das hier ist der betreffende Grenzübergang. Links das Zollhaus. Wenn Sie gut schauen, sehen Sie den Schlagbaum. Das Bild ist übrigens auch aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Heutzutage gibt es offene Grenzen ohne Schlagbäume.

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Mittwoch, 5. Mai 2010
Bagatelle LIV - Bußgeldhandel


Was folgt ist eine historische Bagatelle. Die zu beschreibenden Ereignisse sollen sich, laut Autor jedenfalls, in Wirklichkeit, in real life also, genau so abgespielt haben. Vorsicht beim lesen, denn die gröbsten Geschichtsfälscher sind bekannterweise die Historiker selber, weil sie versuchen die Wirklichkeit in ihrem Sinne zu interpretieren.

Es gab eine Zeit da fuhr ich in meiner lieben 2CV-Ente jeden Tag zur Universität in Nimwegen (Niederlande). Der Weg dorthin von meinem Wohnsitz aus führte für einen Teil durch die Bundesrepublik. Zwischen der Stadt Kleve und der Grenze gab und gibt es Wegabschnitte mit einem Überholverbot und eine 70 Km/h Geschwindigkeitsbegrenzung. Weil man’s aber manchmal eilig hat, kommt es zu folgendem Gespräch das ich wahrheitsgetreu nacherzähle. Betroffen sind zwei Polizisten und ein holländischer Student.

- Herr Terra, guten Tag, ich bin Polizeiwachtmeister K. und das hier ist mein Kollege F. (Die Polizisten, Tatortkommissare, Ordnungshüter, Schupos oder Bußgeldverteiler, wie man sie nennen mag: diese beide Polizisten sind das ganze Gespräch über freundlich und pünktlich. Korrekt ist das zutreffende Wort.)
- Sie sind hier mit einer Geschwindigkeit von 84 Km/h gefahren. Nur 70 sind zugelassen und erlaubt. Wir erteilen Ihnen hierbei ein Bußgeld von sechzig (60) DM. (So weit, so gut: ich bin schuldig und ich werde büßen. Recht ist recht und Ordnung muß sein. Das Bußgeld (die Höhe scheint in Ordnung zu sein) soll in bar bezahlt werden.)
- Herr Wachtmeister, wenn ich könnte, würde ich sofort bezahlen. Aber so vieles Geld und dann auch noch in bar, habe ich nicht dabei. Wohl aber kann ich Ihnen dienen mit einem Postcheck. (Die Polizisten lehnen den Vorschlag ab: es ist ihnen zu viel Mühe den Check irgendwo zu lösen.)
- Also, sechzig Mark haben Se nicht? Und fünfzig?
- Nein, tut mir Leid.
- Vierzig? Wie steht’s damit?
- Nein. Ich würde sie Ihnen geben, aber ich hab’ sie nicht.
- Dreißig? Das müßte doch gehen. Schauen Sie bitte alle ihrer Taschen nach.
(Ich fühle und schaue in jeder Tasche die sich finden läßt.)
- Nein, ich hab’ nur zwanzig, seh’ ich gerade.
- Und das Kleingeld? Münzen und derartiges?

Nach zehn Minuten suchen, handeln und zählen haben wir die kolossale Summe von DM 27,00 (siebenundzwanzig Mark) zusammen. Das genügt offenbar. Der eine Polizist schreibt etwas auf etwas anderem und gibt mir die Quittung. Das bare Bußgeld, das Barbußgeld oder das Bußbargeld betrug heute DM 27. Nicht vorzustellen was geschehen wäre wenn ich einen Zehntausender in der Tasche gehabt hätte!

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Dienstag, 27. April 2010
Bagatelle LIII - Tom-Tom in Habsburg
Wie gut daß es immer wieder Leute gibt die allerhand Sachen aufbewahren. Seien es Fotos, Kinderspielsachen, Briefe, Kleider oder Babylocken. Wenn nicht mein Schwiegeronkel Johan (geliebter Onkel meiner ebenso geliebten Gattin) nicht so klug gewesen wäre sein Geographieheft aus der fünften Grundschulklasse aufzubewahren, hätten wir niemals gewußt wie es kam, daß unsere Vorfahren so gut und mühelos den Weg in der Donaumonarchie fanden. Es liegt auf der Hand: man hat es früher in der Schule gelernt. Die Topographie war damals bei uns wichtigster Bestandteil der schulischen Geographie.



Dies hier ist Onkel Johans Topographieheft, das will heißen: eine Seite daraus. Oben eine wie wir nennen ‘blinde’ Landkarte, auf der der 11-Jährige Johan den Städten ihren Platz und Namen gibt. Ebenso die Flüsse und Meere. Sogar Höhenunterschiede hat er sichtbar gemacht. Die ungarische Tiefebene ist grün eingefärbt und die alpinischen Ausläufer in Tirol und anverwandten Gebieten sehen bräunlich aus. Galizien erscheint sogar zwei mal: im Nordosten, bei der Stadt Lemgo/Lemberg, und linksunten irgendwo dort wo wir Kroatien vermuten. Aber Onkel Johan hat sicherlich dafür seine Gründe gehabt.



Unter der Karte schreibt Johan die Namen der Städte und Landstriche, der Gebirge und Wassermengen. Auch einige Sehenswürdigkeiten nennt er: Pußta, Semmeringbahn, Erzgebirge, Brennerpass.

Sehr interessant, bis in die heutige Gegenwart, sind die aufgeführten Städtenamen. Weenen (Wien), Praag, Boeda, Pest, Triëst, Serajewo … Das Heft datiert aus dem Jahre 1913. Ein Jahr später, 1914, wird der habsburgische Erzherzog Franz Ferdinand hier in Serajewo sein Ende finden. Gefolgt von einem Weltkrieg der vier schreckliche Jahre dauert. Serajewo: Onkel Johan hätte es uns, die sich auf Gottes Wegen ohne Navigationsmittel fast nicht mehr zurecht finden, auf seiner Karte fehlerfrei zeigen können.

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Dienstag, 20. April 2010
Bagatelle LII - Spione und Schupser
Jeder, der mal in Süd-Afrika war – oder vielleicht in einigen Monaten dorthin fährt um am eigenen Leibe zu erfahren was es denn heißt zu sehen wie die deutsche Elf unaufhaltsam Weltmeister wird – kommt an einer Safari nicht vorbei. Nein, am Wochenende fährt man in eins der zahllosen game parks um sich an den Anblick der big five zu erfreuen. Die Telelinse an der Singelreflex geschraubt und auf geht’s zu den Antilopen und anderen Schnellvierbeinern die dort frisch und fröhlich im Park umherlaufen um den Touristen einen Gefallen zu tun.

Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts haben wir – drei Kollegen und meine Wenigkeit – dort unten öfters verkehrt. In der Woche boten wir in einigen Südafrikanischen Provinzen workshops an, die sich dadurch auszeichneten, daß die afrikanischen Studenten, sich noch weiterbildende Lehrer, selber an die Arbeit mußten und nicht nur gemütlich zusehen konnten wie die europäischen Gastdozenten ihnen die Arbeit aus den Händen nahmen. Aber das nebenbei.

Als wir dann im Norden, in der Provinz Limpopo, waren und das Wochenende am Horizont leuchtete, da mieteten wir uns ein feines Häuschen in dem berühmten Krüger Wild Park. Und am Abend als es kühle ward (irgendwo fällt mir immer ein passendes Mathäus-Passions-Rezitativ ein) bestiegen wir einen alten LKW und ließen uns gemächlich und unter Begleitung eines sachverständigen Führers durch die Landschaft fahren.

Die Elefanten sieht man am besten wenn es noch hell ist, aber Leo, der Tiere König, liebt die Dämmerung um sich dem Volke zu zeigen. Und so hat jedes Biest seine Präferenzen. Wie die Touristen, die zu Hause gerne mit Geschichten und Bildern gezeigt haben wollen, wie sie in der Savanne Auge in Auge standen mit den gefährlichsten Kreaturen der Weltgeschichte. Aber Tiere in der Savanne kann man nicht zwingen sich zu outen. Sie erscheinen wenn es ihnen paßt.

Unser Führer (Ranger) ist jung und gescheit. Er wagt es um zehn Minuten lange zu schweigen. Ja, er fordert sogar seinen Gäste auf dasselbe zu tun. Er beantwortet die schwersten Fragen freundlich und ausreichend. Es ist uns ein Vergnügen ihm zuzuhören. Er weiß daß es unsicher ist ob oder welche Tiere wir auf unserer Reise durch den Busch sehen werden. Es hängt von so vielen Faktoren ab, sagt er. Eine Sichtgarantie für Löwen oder Wildebeesten kann auch er nicht geben. Wir verstehen das und verzeihen ihm gerne.

Am Ende unserer Fahrt – es ist inzwischen total dunkel – bittet der Führer den Fahrer anzuhalten. Uns bittet er auszusteigen um uns den Vorgang auf dem Weg anzusehen. Im Licht der Scheinwerfer überquert ein komplettes Ameisenvolk den Weg. Das meist Interessante daran erklärt uns der Führer. Seht ihr daß einige größere Ameisen vorangehen? Das sind Spione die auszufinden versuchen ob der Weg frei ist. Tatsächlich, wir sehen sie. Und seht ihr wie am Ende des Zuges einige Ameisen mit Spezialfunktionen diejenige Ameisen anschupsen die bei jedem Sandkörnchen stehen bleiben, fürchterlich zaudern und so den Kontakt zu ihrem Volke zu verlieren drohen?

Der Prediger sagt: geht zu den Ameisen und werde weise. Recht hat er. Von den Ameisen können wir lernen wie man ein Volk zusammen hält. Man braucht halt vorne Spione und hinten Anschupser.

Bildquelle: M.C. Escher : De Band van Möbius II (1963)

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