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Sonntag, 11. März 2012
Bagatelle 151 - Lesen-lernen-lehren
terra40, 22:27h
Viele Wörter haben nur éinen Konsonanten am Ende. Einige schwierige aber sogar drei. Zum Beispiel 'Herbst' oder 'Markt'. Hier unten sehen Sie wie die jungen Grundschulkinder in den Niederlanden diese Lesebesonderheiten kennen lernen und üben. Die Frau Lehrerin hilft ihnen dabei mit dieser Seite aus einer Leselernmethode. Die Kinder lernen einige Basis-/k/v/k/k/k/-Wörter (k wie Konsonant und v wie Vokal). Kleine Geschichten und Zeichnungen helfen weiter. Hoffentlich können die Kinder am Ende der Lesestunde die unterstehenden Fragen (Wie klimt het hoogst? Wer klettert am höchsten?) lesen und richtig beantworten.
Oft, aber nicht immer ist das Lesenlernen ernst und schwer. Mit Wörtern kann man auch schön spielen, zum Beispiel wenn ein dummer Autor unabsichtlicht die Buchstaben mit Ziffern verwechselt. Dann liest man: "Ich habe ged8: es sei halb acht, aber es war erst halb 7!" Man kann auch Unsinn-Sätze schreiben und lesen, so wie: "Der Schwan liest die Zeitung und im Wasser schwimmt eine Krähe!" Kannst du auch selber solche lustige Sätze machen? fragt die Leselernmethode.
Zum Lesenlernen gehören sicherlich auch das Vorlesen, das Schreiben, das Erzählen, das Theater spielen und sogar das Singen. Das hier unten ist eine Seite aus einem Bilderbuch das auch zur Leselernmethode gehört. Wir sehen wie die Lotte und ihr Großvater zusammen Vorbereitungen treffen um einen Kuchen (das Rezept stammt von der Oma) zu backen. Die Lehrerin liest den Text (links unten) vor und erklärt den Kindern was die fremden Wörter auf den Verpackungen uns sagen wollen. Was ist: "1 Liter", oder was heißt denn 'zelfrijzend bakmeel' (selbstaufgehendes Backpulver) auf der Tüte?
Vielleicht kommen nachher einige Eltern und helfen der Klasse beim richtigen Kuchen backen! Wer weiß!
Zu den schönsten Ereignissen meines Berufslebens gehören ohne Zweifel die Momente wo es uns gelang Theorie und Praxis so zu verbinden, daß Menschen - in diesem Falle Lehrer(innen) und Schüler - davon profitierten. So ging ich (Leselerntheoretiker) abends glücklich nach Hause, wenn am Nachmittag, in einem Treffen mit Lehrerinnen aus den erste Jahren der Grundschule, diese zu mir sagten, daß sie sich sehr freuten mit der neuen Leselernmethode, mit welcher sie seit Beginn dieses Schuljahres versuchten ihren Erstkläßlern die edle Kunst des Lesens und Schreibens beizubringen. "Doch, lieber Herr Terra, wenn Sie wüßten, wie sehr uns diese neue Methode weiterhilft!" Da konnte ich (einer der Autoren und Mitbedenker der Leselernmethode) natürlich nur bestätigend nicken und mich, vor Stolz und Verlegenheit errötend, in eine Ecke zurückziehen.
Die Frage: "Was sollen die Kinder in der Schule lernen?" wurde einst von einem ziemlich bekannten niederländischen Pädagogen beantwortet mit: "Lesen, Schreiben und dann noch einige wenige Winzigkeiten". Bis heute bin ich geneigt ihm zu folgen. (Zu den Winzigkeiten gehören aber meiner Meinung nach auch täglich eine Stunde Kunst und eine Stunde Sport, aber das ist eine andere Diskussion.) Auch in dieser Zeit, wo alles offenbar visualisiert werden muß, öffnet die Lesefähigkeit jedem von uns das wirkliche Tor zur fiktiven und faktischen Welt rundum.
Nur, das Problem ist zweierlei. Wir wissen nicht genau was sich in den Köpfen der jungen Kinder abspielt wenn sie versuchen zu verstehen was es denn heißt wenn sie auf einem Blatt Papier gedruckt oder geschrieben sehen: "Diese Katze und diese Maus waren aber gute Freunde!" Einigen Kindern genügt ein halber Satz oder sogar ein halbes Wort. Einige anderen lernen nur mit großer Mühe und oft nach langer Übung die Bedeutung des Geschriebene erkennen. Oder sie lernen es nie.
Aus dem vorhergegangenen läßt sich das zweite Problem leicht ableiten. Wenn wir nicht gut wissen wie Kinder lernen zu lesen und zu schreiben, wie sollen wir ihnen es dann lehren? Darüber schreib' ich ein anderes Mal.
Oft, aber nicht immer ist das Lesenlernen ernst und schwer. Mit Wörtern kann man auch schön spielen, zum Beispiel wenn ein dummer Autor unabsichtlicht die Buchstaben mit Ziffern verwechselt. Dann liest man: "Ich habe ged8: es sei halb acht, aber es war erst halb 7!" Man kann auch Unsinn-Sätze schreiben und lesen, so wie: "Der Schwan liest die Zeitung und im Wasser schwimmt eine Krähe!" Kannst du auch selber solche lustige Sätze machen? fragt die Leselernmethode.
Zum Lesenlernen gehören sicherlich auch das Vorlesen, das Schreiben, das Erzählen, das Theater spielen und sogar das Singen. Das hier unten ist eine Seite aus einem Bilderbuch das auch zur Leselernmethode gehört. Wir sehen wie die Lotte und ihr Großvater zusammen Vorbereitungen treffen um einen Kuchen (das Rezept stammt von der Oma) zu backen. Die Lehrerin liest den Text (links unten) vor und erklärt den Kindern was die fremden Wörter auf den Verpackungen uns sagen wollen. Was ist: "1 Liter", oder was heißt denn 'zelfrijzend bakmeel' (selbstaufgehendes Backpulver) auf der Tüte?
Vielleicht kommen nachher einige Eltern und helfen der Klasse beim richtigen Kuchen backen! Wer weiß!
Zu den schönsten Ereignissen meines Berufslebens gehören ohne Zweifel die Momente wo es uns gelang Theorie und Praxis so zu verbinden, daß Menschen - in diesem Falle Lehrer(innen) und Schüler - davon profitierten. So ging ich (Leselerntheoretiker) abends glücklich nach Hause, wenn am Nachmittag, in einem Treffen mit Lehrerinnen aus den erste Jahren der Grundschule, diese zu mir sagten, daß sie sich sehr freuten mit der neuen Leselernmethode, mit welcher sie seit Beginn dieses Schuljahres versuchten ihren Erstkläßlern die edle Kunst des Lesens und Schreibens beizubringen. "Doch, lieber Herr Terra, wenn Sie wüßten, wie sehr uns diese neue Methode weiterhilft!" Da konnte ich (einer der Autoren und Mitbedenker der Leselernmethode) natürlich nur bestätigend nicken und mich, vor Stolz und Verlegenheit errötend, in eine Ecke zurückziehen.
Die Frage: "Was sollen die Kinder in der Schule lernen?" wurde einst von einem ziemlich bekannten niederländischen Pädagogen beantwortet mit: "Lesen, Schreiben und dann noch einige wenige Winzigkeiten". Bis heute bin ich geneigt ihm zu folgen. (Zu den Winzigkeiten gehören aber meiner Meinung nach auch täglich eine Stunde Kunst und eine Stunde Sport, aber das ist eine andere Diskussion.) Auch in dieser Zeit, wo alles offenbar visualisiert werden muß, öffnet die Lesefähigkeit jedem von uns das wirkliche Tor zur fiktiven und faktischen Welt rundum.
Nur, das Problem ist zweierlei. Wir wissen nicht genau was sich in den Köpfen der jungen Kinder abspielt wenn sie versuchen zu verstehen was es denn heißt wenn sie auf einem Blatt Papier gedruckt oder geschrieben sehen: "Diese Katze und diese Maus waren aber gute Freunde!" Einigen Kindern genügt ein halber Satz oder sogar ein halbes Wort. Einige anderen lernen nur mit großer Mühe und oft nach langer Übung die Bedeutung des Geschriebene erkennen. Oder sie lernen es nie.
Aus dem vorhergegangenen läßt sich das zweite Problem leicht ableiten. Wenn wir nicht gut wissen wie Kinder lernen zu lesen und zu schreiben, wie sollen wir ihnen es dann lehren? Darüber schreib' ich ein anderes Mal.
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Samstag, 3. März 2012
Bagatelle 150 - Bettgeschichten
terra40, 12:42h
Schade, Pikanterien oder anderes pillow talk werden Sie in dieser Bagatelle nicht lesen können. Im kommenden werde ich Ihnen - wenn Sie mögen - einiges über das Materielle erzählen. Über handfeste Betteigenschaften wie Materialien, Stoffe, Maße und mehr desgleichen.
Die Sache wurde dringend als meine Frau vor einigen Jahren krank wurde und Mühe hatte sich in und aus Bett zu begeben. Das Bett war einfach zu niedrig. Sich selber schlafen legen ging dann noch, aber das Aufstehen und Hochkommen nach dem fröhlichen Erwachen war eine Tortur.
Nach reifer Überlegung haben wir zwei folgenden Plan erarbeitet. Zuerst würde ich mich hinsetzen und eine Zeichnung eines geeigneten Untergestells anfertigen, welches ich nachher nach beiderseitiger Zustimmung aus tüchtigen hölzernen Balken zusammenbasteln sollte.
So geschehen und getan. Aus feinem Kieferholz fabrizierte ich in ebenfalls feiner Handarbeit ein Bettuntergestell in den passenden Maßen. Vor allem die Liegehöhe war wichtig. Auf diesem Untergestell ließen wir dann die schwere metallene, matrazestützende Spirale nieder die noch ganz und gar funktionstüchtig war. Es paßte genau. Danach sammelten wir all unser Kleingeld beisammen und kauften uns eine äußerst teure neue Matratze, wovon jeder behauptete sie sei die beste die man sich vorstellen könnte. Darauf zu schlafen wäre eine Wonne! Kurz und gut, die Matratze mit alles drum und dran kam auf die Spirale, das Bett wurde gemacht, die Bettwäsche getauscht, und alles was man zum schlafen braucht war wieder in bester Ordnung. Der Liegeabstand (von Oberseite Matratze bis zum Boden) betrug nun 65 Zentimeter.
Anno 2012 schlafen wir unseren gerechten Schlaf noch immer über diesem selbstgebauten Untergestell. Manchmal hören wir sonderbare Geräusche: ein Knirpsen und ein Piepsen. Auch bilden wir uns ein, daß die Sache dann und wann ein bißchen wankt und wackelt. Schuld ist das Untergestell wovon einige Schrauben mich bitten fester angedreht werden zu wollen.
Unlängst fragte mich meine liebe Gattin, ob es nicht an der Zeit war uns zu besinnen auf die Frage ob nicht ein neues Bett diese unsere alte Konstruktion ersetzen sollte. Ich erschrak sehr und behauptete allen ernstes, daß ich nichts dagegen hatte bis an mein Lebensende auf diesem Bettgestell liegen zu bleiben.
Nein, wir brauchen kein neues Bett. Wir brauchen mehr Schlaf. Denn seit kurzem leide ich an einer ziemlich unschuldigen Krankheit die ich vorher nicht kannte: die Schlaflosigkeit. Sie kennen das: man schläft ein (sagen wir um 0.30 Uhr) und man erwacht wenn die Uhr 3.35 geschlagen hat. Die weitere Zeit bis 4.35 bemüht man sich wieder einzuschlafen. Vergebens. Und dann plötzlich ist man wieder eingeschlafen. Das muß wohl so sein, denn auf der kleinen Weckuhr ist es beim Erwachen genau 7.46.
Einiges Gutes hat diese Schlaflosigkeit schon. In dieser Zeit, so zwischen drei und fünf, werde ich von den fremdesten Gedanken und Ideen überfallen. Zum Beispiel Themen und Ideen für eine neue Bagatelle. So wie diese.
Nachschrift: Auf den Fotos sehen Sie unsere Schlafsituation. Das Bettuntergestell ist dezent von einer Überdecke bedeckt. Der Quillt am Kopfende ist ein Beispiel Frau Terras Werke. Die Bücherschränke ganz links sind zwei von unzählbaren im ganzen Haus. An der Wand meine Ahnengalerie. Hierauf bin ich selbst nebst all meinen Vorfahren abgebildet: vom Vater, Großvater, Ur-Großvater bis zu dessen Vater: mein Ur-Ur-Großvater. Das ganze umfaßt zwei Jahrhunderte.
Die Sache wurde dringend als meine Frau vor einigen Jahren krank wurde und Mühe hatte sich in und aus Bett zu begeben. Das Bett war einfach zu niedrig. Sich selber schlafen legen ging dann noch, aber das Aufstehen und Hochkommen nach dem fröhlichen Erwachen war eine Tortur.
Nach reifer Überlegung haben wir zwei folgenden Plan erarbeitet. Zuerst würde ich mich hinsetzen und eine Zeichnung eines geeigneten Untergestells anfertigen, welches ich nachher nach beiderseitiger Zustimmung aus tüchtigen hölzernen Balken zusammenbasteln sollte.
So geschehen und getan. Aus feinem Kieferholz fabrizierte ich in ebenfalls feiner Handarbeit ein Bettuntergestell in den passenden Maßen. Vor allem die Liegehöhe war wichtig. Auf diesem Untergestell ließen wir dann die schwere metallene, matrazestützende Spirale nieder die noch ganz und gar funktionstüchtig war. Es paßte genau. Danach sammelten wir all unser Kleingeld beisammen und kauften uns eine äußerst teure neue Matratze, wovon jeder behauptete sie sei die beste die man sich vorstellen könnte. Darauf zu schlafen wäre eine Wonne! Kurz und gut, die Matratze mit alles drum und dran kam auf die Spirale, das Bett wurde gemacht, die Bettwäsche getauscht, und alles was man zum schlafen braucht war wieder in bester Ordnung. Der Liegeabstand (von Oberseite Matratze bis zum Boden) betrug nun 65 Zentimeter.
Anno 2012 schlafen wir unseren gerechten Schlaf noch immer über diesem selbstgebauten Untergestell. Manchmal hören wir sonderbare Geräusche: ein Knirpsen und ein Piepsen. Auch bilden wir uns ein, daß die Sache dann und wann ein bißchen wankt und wackelt. Schuld ist das Untergestell wovon einige Schrauben mich bitten fester angedreht werden zu wollen.
Unlängst fragte mich meine liebe Gattin, ob es nicht an der Zeit war uns zu besinnen auf die Frage ob nicht ein neues Bett diese unsere alte Konstruktion ersetzen sollte. Ich erschrak sehr und behauptete allen ernstes, daß ich nichts dagegen hatte bis an mein Lebensende auf diesem Bettgestell liegen zu bleiben.
Nein, wir brauchen kein neues Bett. Wir brauchen mehr Schlaf. Denn seit kurzem leide ich an einer ziemlich unschuldigen Krankheit die ich vorher nicht kannte: die Schlaflosigkeit. Sie kennen das: man schläft ein (sagen wir um 0.30 Uhr) und man erwacht wenn die Uhr 3.35 geschlagen hat. Die weitere Zeit bis 4.35 bemüht man sich wieder einzuschlafen. Vergebens. Und dann plötzlich ist man wieder eingeschlafen. Das muß wohl so sein, denn auf der kleinen Weckuhr ist es beim Erwachen genau 7.46.
Einiges Gutes hat diese Schlaflosigkeit schon. In dieser Zeit, so zwischen drei und fünf, werde ich von den fremdesten Gedanken und Ideen überfallen. Zum Beispiel Themen und Ideen für eine neue Bagatelle. So wie diese.
Nachschrift: Auf den Fotos sehen Sie unsere Schlafsituation. Das Bettuntergestell ist dezent von einer Überdecke bedeckt. Der Quillt am Kopfende ist ein Beispiel Frau Terras Werke. Die Bücherschränke ganz links sind zwei von unzählbaren im ganzen Haus. An der Wand meine Ahnengalerie. Hierauf bin ich selbst nebst all meinen Vorfahren abgebildet: vom Vater, Großvater, Ur-Großvater bis zu dessen Vater: mein Ur-Ur-Großvater. Das ganze umfaßt zwei Jahrhunderte.
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Samstag, 25. Februar 2012
Bagatelle 149 - RAF-verdächtig
terra40, 12:52h
Erfahrene Bagatell-Leserinnen und -Leser wissen wahrscheinlich, daß ich in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in meiner Studentenzeit, jeden Tag von meinem Wohnsitz aus quer durch einen Streifen der Bundesrepublik über Emmerich und Kleve, mit zwischendurch einem Sprung über den Rhein, nach der Universitätsstadt Nimwegen fuhr um dort die ehrenwerte Menschenkenntnisse vermittelnde Psychologie mehr oder weniger wissenschaftlich zu betreiben. Eine kuriose Begebenheit in diesen Jahren, die ich Ihnen jetzt erzählen werde, wird mich bis ans Lebensende begleiten.
Wir reden nicht gerne davon, zu Unrecht natürlich, aber wir schämen uns deren. Über die Tatsache, daß wir uns dann und wann von unseren festen und flüssigen Überflüssigkeiten verabschieden müssen. (Sogar das Schreiben darüber kostet uns Mühe.) Ich meine kurz und gut, daß wir alle schon in Umständen kommen, wo wir die private Toilette mit einem Besuch verehren müssen. Manchmal sind es unverhoffte und unangenehme Umstände.
An einem kühlen Dienstagmorgen in den anfang-siebziger Jahren fuhr ich gerade durch die niederrheinische Kleinstadt Emmerich, als ich plötzlich spürte daß es so weit war: ich mußte auf die Toilette und zwar schnellstens. En just an diesem Augenblick passierte ich den Hauptbahnhof (in sofern man in Emmerich von einem Hauptbahnhof sprechen kann). Weil ich vermutete, daß sich in diesem Bahnhof eine Toilette finden lassen müßte, parkte ich meine Ente (2CV) am Straßenrand und eilte so gut wie es noch ging in den Bahnhof. Dort fand ich tatsächlich eine kleine Reihe öffentlicher Toiletten. Mit halb-offenen (ganz oben und ganz unten) hölzernen Klapptüren die wir alle kennen aus den Cowboysaloons in amerikanischen B-Filmen. Ich wählte die erste beste Tür und, und tief ausatmend, setzte ich mich auf die Toilette. (Wie ekelhaft, diese Ausweitungen, aber sie sind in der Geschichtsbeschreibung unumgänglich.)
Plötzlich war draußen offenbar der Krieg ausgebrochen. Ein Dutzend schwer bewaffnete Polizisten rannte in den Bahnhof hinein. Sie waren nach irgend etwas oder irgend einem auf der Suche: schreiend öffneten sie jede Tür und schauten, wie im Tatort, hinter jede Ecke und Mauer. Einige dieser Polizisten rannten auf die Toilettentüren zu. Alle Saloontürchen klappten auf, wobei die Polizisten sich jedes Mal mit dem Ausruf: 'Wieder nichts!' zur nächsten Tür sputeten. Nur, und völlig unerklärlich, eine Tür ließen sie geschlossen: die meinige. Ich stand inzwischen auf der Toilette und sah durch die Risse in der Holztür wie sich alles vor meinen Augen abspielte.
Auf einmal, plötzlich, waren sie verschwunden. Und es wurde sehr stille im Emmericher Bahnhof. Ich wartete noch zwei Minuten, tat endlich wofür ich gekommen war, und schlich hinaus. Schweißgebadet bestieg ich meine Ente, seufzte noch einmal tief und gründlich, und fuhr westwärts Richtung Rheinbrücke, Kleve und Nimwegen.
Damals, in diesen siebziger Jahren, waren meine Haare schwarz und ziemlich lange. Desgleichen mein Ober- und Unterlippenbart. Auf meinem Führerschein aus dieser Zeit sehen Sie meinen fingierten Namen und mein wahres derzeitiges Äußeres.
Damals, in diesen Siebzigern, standen oftmals deutsche Grenzsoldaten schwer bewaffnet und in kugelsicheren Westen gekleidet an den Grenzübergängen und lauerten auf jeden langhaarigen, schwarzbärtigen Studenten der in einer milchweißen 2CV die Grenze überquerte. Es war die RAF-Zeit. Die Bundesrepublik war in Not. Überall, sogar im Emmericher Hauptbahnhof, vermutete man Leute die sich dieser RAF-Ideologie verbunden fühlten und sich in Bahnhofstoiletten verbargen. Sie konnten nicht wissen, daß dieser Terra noch keine Fliege etwas antut. Bis heute nicht.
Wir reden nicht gerne davon, zu Unrecht natürlich, aber wir schämen uns deren. Über die Tatsache, daß wir uns dann und wann von unseren festen und flüssigen Überflüssigkeiten verabschieden müssen. (Sogar das Schreiben darüber kostet uns Mühe.) Ich meine kurz und gut, daß wir alle schon in Umständen kommen, wo wir die private Toilette mit einem Besuch verehren müssen. Manchmal sind es unverhoffte und unangenehme Umstände.
An einem kühlen Dienstagmorgen in den anfang-siebziger Jahren fuhr ich gerade durch die niederrheinische Kleinstadt Emmerich, als ich plötzlich spürte daß es so weit war: ich mußte auf die Toilette und zwar schnellstens. En just an diesem Augenblick passierte ich den Hauptbahnhof (in sofern man in Emmerich von einem Hauptbahnhof sprechen kann). Weil ich vermutete, daß sich in diesem Bahnhof eine Toilette finden lassen müßte, parkte ich meine Ente (2CV) am Straßenrand und eilte so gut wie es noch ging in den Bahnhof. Dort fand ich tatsächlich eine kleine Reihe öffentlicher Toiletten. Mit halb-offenen (ganz oben und ganz unten) hölzernen Klapptüren die wir alle kennen aus den Cowboysaloons in amerikanischen B-Filmen. Ich wählte die erste beste Tür und, und tief ausatmend, setzte ich mich auf die Toilette. (Wie ekelhaft, diese Ausweitungen, aber sie sind in der Geschichtsbeschreibung unumgänglich.)
Plötzlich war draußen offenbar der Krieg ausgebrochen. Ein Dutzend schwer bewaffnete Polizisten rannte in den Bahnhof hinein. Sie waren nach irgend etwas oder irgend einem auf der Suche: schreiend öffneten sie jede Tür und schauten, wie im Tatort, hinter jede Ecke und Mauer. Einige dieser Polizisten rannten auf die Toilettentüren zu. Alle Saloontürchen klappten auf, wobei die Polizisten sich jedes Mal mit dem Ausruf: 'Wieder nichts!' zur nächsten Tür sputeten. Nur, und völlig unerklärlich, eine Tür ließen sie geschlossen: die meinige. Ich stand inzwischen auf der Toilette und sah durch die Risse in der Holztür wie sich alles vor meinen Augen abspielte.
Auf einmal, plötzlich, waren sie verschwunden. Und es wurde sehr stille im Emmericher Bahnhof. Ich wartete noch zwei Minuten, tat endlich wofür ich gekommen war, und schlich hinaus. Schweißgebadet bestieg ich meine Ente, seufzte noch einmal tief und gründlich, und fuhr westwärts Richtung Rheinbrücke, Kleve und Nimwegen.
Damals, in diesen siebziger Jahren, waren meine Haare schwarz und ziemlich lange. Desgleichen mein Ober- und Unterlippenbart. Auf meinem Führerschein aus dieser Zeit sehen Sie meinen fingierten Namen und mein wahres derzeitiges Äußeres.
Damals, in diesen Siebzigern, standen oftmals deutsche Grenzsoldaten schwer bewaffnet und in kugelsicheren Westen gekleidet an den Grenzübergängen und lauerten auf jeden langhaarigen, schwarzbärtigen Studenten der in einer milchweißen 2CV die Grenze überquerte. Es war die RAF-Zeit. Die Bundesrepublik war in Not. Überall, sogar im Emmericher Hauptbahnhof, vermutete man Leute die sich dieser RAF-Ideologie verbunden fühlten und sich in Bahnhofstoiletten verbargen. Sie konnten nicht wissen, daß dieser Terra noch keine Fliege etwas antut. Bis heute nicht.
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Sonntag, 19. Februar 2012
Bagatelle 148 - Taiga
terra40, 23:20h
Zwölf Jahre alt war ich, als meine Eltern sich entschlossen ihre Büchersammlung noch mehr zu erweitern, indem sie sich auf eine Bücher-Serie abonnierten. Das funktionierte folgendermaßen. Ein Verlag (mittelmaß, Durchschnittsautoren und zweitrangige Bücher) hatte ein Vier-Bücher-Jahres-Kombi im Angebot, wobei eins der Bücher dreimonatlich pünktlich an unsere Hausadresse versandt wurde. Man war zu der Auswahl des Verlages verurteilt: im voraus wußte man nur den Titel und den Autor. Meistens waren es biedere Romane und unschuldige Familiensagas. Keine Literatur, aber unterhaltsame Lektüre; nicht unbedingt schlecht, aber auch nicht imponierend gut.
Der Wunsch diese Sorte von Büchern im Regal zu haben, stammte von meiner Mutter. Mein Vater hielt es aus verschiedenen Gründen mehr auf etwas Gehobeneres, was immer das auch sein mochte. Er wollte es aber der Mutter, die bei uns im Haus immerhin alles Finanzielle regelte, nicht verweigern.
Meine Mutter war eine Leserin die sich jeder Autor wünscht. Wenn am Montagmorgen die Nachbarsfrauen ihre Wäsche sammelten um diese in der Waschmaschine zu reinigen, nahm meine Mutter den neuesten Roman zur Hand, setzte sich in ihrem Lesestuhl und ward für einige Stunden von der Erdoberfläche verschwunden. Oft passierte es, daß sie, abends angefangen, bis tief in die Nacht weiter lies um zu erfahren wie die Hauptpersonen sich schließlich in die Arme schlossen.
Zwölf Jahre war ich als die Post uns eines Tages das zweite Buch aus der diesjährigen Vierteiler besorgte. Der Titel des Werkes war schlicht und einfach: Taiga. Der Untertitel lautete: Roman aus Sibiriën.
Den Namen Taiga kannten wir nur aus den spärlichen Geographiestunden in der Grundschule. Der diensthabende Schulmeister behauptete: es sei eine Art Steppe, mit Flüssen die gen Norden flossen, mit tausenden von wehenden Birken und mit endlosen Horizonten. Da wir auch nicht wußten was eine Steppe ist, blieb vieles uns fremd. Interessant und schön fand ich jedoch die Laute aus dem Wort: das A am Ende hatte etwas weiblich Schönes und der Diphthong /ai/ konnte man fast singend aussprechen. Später bemerkte ich, daß das auch bei anderen Steppen der Fall ist. So wie bei der Pußta in Ungarn und bei den Pampas im weiten Argentinien. Lange habe ich gedacht daß auch die Paloma eine steppenartige Landschaf sei, aber das war ein Mißverständnis.
Alles im Buche Taiga war unfaßbar groß, weit und vor allem entsetzlich kalt. Die Zahl der Birken, die zu tiefst sinkende Temperaturen im Winter, die Schneehöhe, die Entbehrungen der Gefangenen im Lager. Nach dem Lesen des Buches wurde ich von einer Kälte überfallen die mich bis heute nicht verlassen hat. Manchmal erinnert mich ein Bild an diese Kälte. Wie das Bild hier unten von einer sibirischen Panzerbrigade welche den uralten Spruch vom Morgenstunde mit Gold im Munde feiert. Das Morgenbad ist Anfang 1950 von einem Boris Fedorov (wie bekannt aus der jetzt aus der Mode geratenen sozialistisch-realistischen Schule) kaltblütig aufs Leinen abgebildet. Ein mehr zutreffendes Bild des kalten Krieges ist kaum vorstellbar.
Taiga, das Buch, hatte ich Jahre aus den Augen verloren. Viele der Bücher meiner Eltern befinden sich heutzutage in irgendeinem Bücherschrank bei uns zu Hause. Aber die Taiga war offenbar verloren gegangen. Es ging so weit, daß ich fast zweifelte an ihr Bestehen. Bis ich im Internet erfuhr, daß es in der Tat einen Autor namens Koster gibt, der seinen Roman Taiga genannt hat. Sofort hab' ich mir ein second-hand Exemplar besorgen lassen, dessen Umschlag Sie hier sehen.
Vor einigen Jahren meldetet uns unser jüngster Sohn, daß er zusammen mit einem Kollegen eine eigene Firma errichten würde. Etwas auf dem Gebiet der Informationstechnologie, Software-Entwicklung, so etwas. Wir haben ihm dazu viel Erfolg gewünscht. Eigentlich habe ich immer gedacht, daß das Unternehmen, wenn auch nicht ohne Risiko, gut gelingen würde. Er hatte die neugegründete Firma den Namen Taiga gegeben. Ohne die Geschichte des Buches zu kennen. Und ich dachte: mit solch einem Namen kann es höchstens etwas kalt werden, es wird aber niemals schief gehen.
Der Wunsch diese Sorte von Büchern im Regal zu haben, stammte von meiner Mutter. Mein Vater hielt es aus verschiedenen Gründen mehr auf etwas Gehobeneres, was immer das auch sein mochte. Er wollte es aber der Mutter, die bei uns im Haus immerhin alles Finanzielle regelte, nicht verweigern.
Meine Mutter war eine Leserin die sich jeder Autor wünscht. Wenn am Montagmorgen die Nachbarsfrauen ihre Wäsche sammelten um diese in der Waschmaschine zu reinigen, nahm meine Mutter den neuesten Roman zur Hand, setzte sich in ihrem Lesestuhl und ward für einige Stunden von der Erdoberfläche verschwunden. Oft passierte es, daß sie, abends angefangen, bis tief in die Nacht weiter lies um zu erfahren wie die Hauptpersonen sich schließlich in die Arme schlossen.
Zwölf Jahre war ich als die Post uns eines Tages das zweite Buch aus der diesjährigen Vierteiler besorgte. Der Titel des Werkes war schlicht und einfach: Taiga. Der Untertitel lautete: Roman aus Sibiriën.
Den Namen Taiga kannten wir nur aus den spärlichen Geographiestunden in der Grundschule. Der diensthabende Schulmeister behauptete: es sei eine Art Steppe, mit Flüssen die gen Norden flossen, mit tausenden von wehenden Birken und mit endlosen Horizonten. Da wir auch nicht wußten was eine Steppe ist, blieb vieles uns fremd. Interessant und schön fand ich jedoch die Laute aus dem Wort: das A am Ende hatte etwas weiblich Schönes und der Diphthong /ai/ konnte man fast singend aussprechen. Später bemerkte ich, daß das auch bei anderen Steppen der Fall ist. So wie bei der Pußta in Ungarn und bei den Pampas im weiten Argentinien. Lange habe ich gedacht daß auch die Paloma eine steppenartige Landschaf sei, aber das war ein Mißverständnis.
Alles im Buche Taiga war unfaßbar groß, weit und vor allem entsetzlich kalt. Die Zahl der Birken, die zu tiefst sinkende Temperaturen im Winter, die Schneehöhe, die Entbehrungen der Gefangenen im Lager. Nach dem Lesen des Buches wurde ich von einer Kälte überfallen die mich bis heute nicht verlassen hat. Manchmal erinnert mich ein Bild an diese Kälte. Wie das Bild hier unten von einer sibirischen Panzerbrigade welche den uralten Spruch vom Morgenstunde mit Gold im Munde feiert. Das Morgenbad ist Anfang 1950 von einem Boris Fedorov (wie bekannt aus der jetzt aus der Mode geratenen sozialistisch-realistischen Schule) kaltblütig aufs Leinen abgebildet. Ein mehr zutreffendes Bild des kalten Krieges ist kaum vorstellbar.
Taiga, das Buch, hatte ich Jahre aus den Augen verloren. Viele der Bücher meiner Eltern befinden sich heutzutage in irgendeinem Bücherschrank bei uns zu Hause. Aber die Taiga war offenbar verloren gegangen. Es ging so weit, daß ich fast zweifelte an ihr Bestehen. Bis ich im Internet erfuhr, daß es in der Tat einen Autor namens Koster gibt, der seinen Roman Taiga genannt hat. Sofort hab' ich mir ein second-hand Exemplar besorgen lassen, dessen Umschlag Sie hier sehen.
Vor einigen Jahren meldetet uns unser jüngster Sohn, daß er zusammen mit einem Kollegen eine eigene Firma errichten würde. Etwas auf dem Gebiet der Informationstechnologie, Software-Entwicklung, so etwas. Wir haben ihm dazu viel Erfolg gewünscht. Eigentlich habe ich immer gedacht, daß das Unternehmen, wenn auch nicht ohne Risiko, gut gelingen würde. Er hatte die neugegründete Firma den Namen Taiga gegeben. Ohne die Geschichte des Buches zu kennen. Und ich dachte: mit solch einem Namen kann es höchstens etwas kalt werden, es wird aber niemals schief gehen.
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Samstag, 11. Februar 2012
Bagatelle 147 - Die unbekannte Oma
terra40, 13:26h
Wie weit in unserem Leben geht unser Gedächtnis zurück? Einige behaupten daß die frühesten Erinnerungen bis zum 4-jährigen Alter zurückweisen; alles was davor liegt, würdest du nur vom hören sagen kennen. Einige andere, worunter ich selber, meinen daß die Erinnerungskraft, wenn man sich bemüht, noch weiter zurück reicht. Auf einem Familienbild, womit mein Vater seine vier Kinder für die Ewigkeit zu bewahren versuchte, erscheine ich als zwei-jähriger. Aber ich weiß Ort und Stelle noch genau. Auch wie die Nachbarsfrau, seitlich anwesend, mich aufforderte zu winken. Alle sagen: wie kannst du das wissen? Aber ich kann. Ich weiß es eben.
In meiner Erinnerung ist kein Platz für meine Großmutter mütterlicherseits. Die Mutter meiner Mutter starb als ich anderthalb Jahre alt war. 1941. Meine Mutter sagte immer: die Oma ist im Krieg gestorben, obwohl beides nichts mit einander zu tun hatte. Ich kenne meine Oma nur aus den Bildern und aus den Familiengeschichten. Weder ihre Stimme kann ich mir vor Ohren halten, noch kann ich mich daran leiblich, kinetisch also, erinnern daß sie mich trug und daß sie mich auf ihren Schoß sitzen ließ.
Diese meine Oma (die ándere Oma, die Mutter meines Vaters, starb Jahre vor meiner Geburt) wurde 1864 geboren. Das Bild zeigt uns eine junge Frau - schätzungsweise 16 Jahre alt - die etwas argwöhnisch die Handlungen des Fotografen beobachtet. Ich sehe ihr dünnes Haar, nach zwei Seiten gekämmt, und ihre schöne Sonntagstracht. An ihren Händen, ruhig in ihrem Schoß liegend, sieht man, daß diese Bauerstochter die rauhe Landarbeit nicht scheute.
Warum dieses Bild? Vielleicht möchte die Oma beweisen, daß sich hier eine junge, heiratsfähige, selbstbewußte Frau der Welt präsentierte. Selbstbewußt, sicher, aber auch ein wenig schwermütig. Denn das sieht man auch, denke ich.
Wie gesagt, das wenige was ich von meiner Oma weiß, weiß ich aus Geschichten anderer über sie. Aber vieles weiß man nicht. Ich weiß nicht was ihre Lieblingsfarbe war, ich weiß nicht mal ihre Augenfarbe. Kleinigkeiten, die hört man. Daß sie große Angst vor Pferden hatte und sonntags nicht gerne mit Pferd und Kutsche zur Kirche fuhr. Daß sie deshalb heilfroh war als die Möglichkeit kam sich mit einem Fahrrad von einem zum anderen Haus zu bewegen. Da meine Oma in ihrem späteren Leben auch Hebamme war, - sehr geliebt und gepriesen von der ganzen Gegend - war ein Fahrrad fast ein Gottesgeschenk.
Zwei Oma-Geschichten sind mir so oft erzählt worden, daß sie wohl stimmen müssen. Es sind förmlich Tatsachen. Die will ich ihnen nicht vorenthalten.
Man sagte: die Oma sei klug und intelligent gewesen. Sie war auch weise. Viel wichtiger und seltsamer war vielleicht das unerklärliche Vermögen Omas den Tod gewisser Leute aus der Umgebung vorhersagen zu können. Das hat mir meine Mutter in einer vertraulichen Stunde erzählt. Sie, die Oma, sei aber über diese besondere Gabe gar nicht erfreut gewesen. Im Gegenteil, sie habe darunter gelitten.
Die Oma war klug und weise. Sie war auch, wie wir sagen, 'eigenwijs', das heißt: eigensinnig. Sie vertrat ihre eigene Meinung und war schwer davon abzubringen. Was folgendes Beispiel illustriert.
Als der Malermeister einmal das 'beste' Zimmer im Bauernhof tapeziert hatte, den Raum in dem man die wichtigen Gäste empfing, ließ die Oma verbreiten, daß der Maler zwar sein Bestes getan habe, aber daß sie sich an dem Ergebnis nicht erfreuen könne. Deshalb nahm sie selber Pinsel und Farbe zur Hand, verschloß die Tür und malte eigenhändig ein bekanntes Tapetenmuster (die französische Lilie) auf die neue Tapete. Einen ganzen Tag dauerte diese Malerei. Um Fragen wie: warum machst du das, Oma? vorzubeugen, sprach sie, als sie wieder hervor trat, die unvergeßlichen Worte: 'Es war mir einfach zu langweilig: nur diese vertikalen Streifen und Linien.'
Ich habe meine Oma nicht gekannt. Sie hat mich sicherlich getragen und ich hab' sie gesehen, ihre sanfte Stimme gehört und ihren Körper gefühlt. Meine Oma hieß mit Vornamen Dora Berendina. Und wenn Sie meinen richtigen Vornamen kennen würden, wüßten Sie, daß ich nach ihr benannt worden bin. Wie es damals so üblich war. Auch darum hab' ich was mit ihr.
Auf dem unteren Bild sehen Sie meine Großeltern. Die Oma trägt nicht mich, sondern meine Kusine. Ein Bild mit uns beiden zusammen gibt es nicht.
Und wenn Sie mögen: von meinem Großvater erzähl ich Ihnen ein anderes Mal.
In meiner Erinnerung ist kein Platz für meine Großmutter mütterlicherseits. Die Mutter meiner Mutter starb als ich anderthalb Jahre alt war. 1941. Meine Mutter sagte immer: die Oma ist im Krieg gestorben, obwohl beides nichts mit einander zu tun hatte. Ich kenne meine Oma nur aus den Bildern und aus den Familiengeschichten. Weder ihre Stimme kann ich mir vor Ohren halten, noch kann ich mich daran leiblich, kinetisch also, erinnern daß sie mich trug und daß sie mich auf ihren Schoß sitzen ließ.
Diese meine Oma (die ándere Oma, die Mutter meines Vaters, starb Jahre vor meiner Geburt) wurde 1864 geboren. Das Bild zeigt uns eine junge Frau - schätzungsweise 16 Jahre alt - die etwas argwöhnisch die Handlungen des Fotografen beobachtet. Ich sehe ihr dünnes Haar, nach zwei Seiten gekämmt, und ihre schöne Sonntagstracht. An ihren Händen, ruhig in ihrem Schoß liegend, sieht man, daß diese Bauerstochter die rauhe Landarbeit nicht scheute.
Warum dieses Bild? Vielleicht möchte die Oma beweisen, daß sich hier eine junge, heiratsfähige, selbstbewußte Frau der Welt präsentierte. Selbstbewußt, sicher, aber auch ein wenig schwermütig. Denn das sieht man auch, denke ich.
Wie gesagt, das wenige was ich von meiner Oma weiß, weiß ich aus Geschichten anderer über sie. Aber vieles weiß man nicht. Ich weiß nicht was ihre Lieblingsfarbe war, ich weiß nicht mal ihre Augenfarbe. Kleinigkeiten, die hört man. Daß sie große Angst vor Pferden hatte und sonntags nicht gerne mit Pferd und Kutsche zur Kirche fuhr. Daß sie deshalb heilfroh war als die Möglichkeit kam sich mit einem Fahrrad von einem zum anderen Haus zu bewegen. Da meine Oma in ihrem späteren Leben auch Hebamme war, - sehr geliebt und gepriesen von der ganzen Gegend - war ein Fahrrad fast ein Gottesgeschenk.
Zwei Oma-Geschichten sind mir so oft erzählt worden, daß sie wohl stimmen müssen. Es sind förmlich Tatsachen. Die will ich ihnen nicht vorenthalten.
Man sagte: die Oma sei klug und intelligent gewesen. Sie war auch weise. Viel wichtiger und seltsamer war vielleicht das unerklärliche Vermögen Omas den Tod gewisser Leute aus der Umgebung vorhersagen zu können. Das hat mir meine Mutter in einer vertraulichen Stunde erzählt. Sie, die Oma, sei aber über diese besondere Gabe gar nicht erfreut gewesen. Im Gegenteil, sie habe darunter gelitten.
Die Oma war klug und weise. Sie war auch, wie wir sagen, 'eigenwijs', das heißt: eigensinnig. Sie vertrat ihre eigene Meinung und war schwer davon abzubringen. Was folgendes Beispiel illustriert.
Als der Malermeister einmal das 'beste' Zimmer im Bauernhof tapeziert hatte, den Raum in dem man die wichtigen Gäste empfing, ließ die Oma verbreiten, daß der Maler zwar sein Bestes getan habe, aber daß sie sich an dem Ergebnis nicht erfreuen könne. Deshalb nahm sie selber Pinsel und Farbe zur Hand, verschloß die Tür und malte eigenhändig ein bekanntes Tapetenmuster (die französische Lilie) auf die neue Tapete. Einen ganzen Tag dauerte diese Malerei. Um Fragen wie: warum machst du das, Oma? vorzubeugen, sprach sie, als sie wieder hervor trat, die unvergeßlichen Worte: 'Es war mir einfach zu langweilig: nur diese vertikalen Streifen und Linien.'
Ich habe meine Oma nicht gekannt. Sie hat mich sicherlich getragen und ich hab' sie gesehen, ihre sanfte Stimme gehört und ihren Körper gefühlt. Meine Oma hieß mit Vornamen Dora Berendina. Und wenn Sie meinen richtigen Vornamen kennen würden, wüßten Sie, daß ich nach ihr benannt worden bin. Wie es damals so üblich war. Auch darum hab' ich was mit ihr.
Auf dem unteren Bild sehen Sie meine Großeltern. Die Oma trägt nicht mich, sondern meine Kusine. Ein Bild mit uns beiden zusammen gibt es nicht.
Und wenn Sie mögen: von meinem Großvater erzähl ich Ihnen ein anderes Mal.
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Montag, 6. Februar 2012
Bagatelle 146a - Nachruf
terra40, 13:27h
Diese Nachrufkurzbagatelle läßt sich am besten lesen - das Wort 'genießen' wollen wir doch bitte nicht in den Mund nehmen - wenn Sie auch die vorige Bagatelle 146 (hier weiter unten zu lesen) zu sich genommen haben.
Draußen gibt es viel mehr zu hören als Vogellaute. So mögen die Redakteure der bereits erwähnten Umwelt- und Naturrundfunksendung Vroege Vogels (Frühe Vögel) gedacht haben. Mit 'frühe Vögel' werden übrigens die Hörer dieser Sendung gemeint. Die Sendung läuft Sonntagmorgens ab 8.00 Uhr (wenn Sie und ich noch schlafen).
Aus 67 Naturgeräuschen konnte man sich sein Lieblingsnaturgeräusch wählen Die Skala reichte von 'eine Schafsherde' über 'eine Truppe galoppierender Pferde' und 'Schlittschuhlaufen' bis 'ein Schwarm Mücken' und "Donner und Blitz'. Hier die Top 10.
Meine Geliebte ist auch des Hörers Favorit: die Amsel.
1. Die Amsel
2. Die Brandung
3. Die Nachtigall
4. Weidevögel
5. Eine schnurrende Katze
6. Gartenvögel
7. Waldvögel
8. Der grüne Frosch
9. Zwitschernde Spatzen
10. Blitz und Donner
Mich interessieren diese Zahlen schon. Aber noch eher möchte ich wissen ob die spinnende Katze in Deutschland auch so viele Freunde und Freundinnen hat. Und ob die Amsel auch bei Ihnen Favorit ist?
Draußen gibt es viel mehr zu hören als Vogellaute. So mögen die Redakteure der bereits erwähnten Umwelt- und Naturrundfunksendung Vroege Vogels (Frühe Vögel) gedacht haben. Mit 'frühe Vögel' werden übrigens die Hörer dieser Sendung gemeint. Die Sendung läuft Sonntagmorgens ab 8.00 Uhr (wenn Sie und ich noch schlafen).
Aus 67 Naturgeräuschen konnte man sich sein Lieblingsnaturgeräusch wählen Die Skala reichte von 'eine Schafsherde' über 'eine Truppe galoppierender Pferde' und 'Schlittschuhlaufen' bis 'ein Schwarm Mücken' und "Donner und Blitz'. Hier die Top 10.
Meine Geliebte ist auch des Hörers Favorit: die Amsel.
1. Die Amsel
2. Die Brandung
3. Die Nachtigall
4. Weidevögel
5. Eine schnurrende Katze
6. Gartenvögel
7. Waldvögel
8. Der grüne Frosch
9. Zwitschernde Spatzen
10. Blitz und Donner
Mich interessieren diese Zahlen schon. Aber noch eher möchte ich wissen ob die spinnende Katze in Deutschland auch so viele Freunde und Freundinnen hat. Und ob die Amsel auch bei Ihnen Favorit ist?
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Freitag, 3. Februar 2012
Bagatelle 146 - Zähltag
terra40, 14:06h
"Wenn ich ein Vöglein wär', und auch zwei Flüglein hätt', flög' ich zu dir.." so in etwa singt, laut eines altmodischen deutschen Volksliedes, eine mir unbekannte Person mir zu. Wenn ich, dem Vogelvergleich folgend, ihr antworten würde, fielen mir die folgenden klangvollen Worte ein die sich zwar gut anhören, aber nicht in einem deutschen Volkslied vertreten sein werden. Sie lauten: "Bitte, tu's nicht! Zieh dich dieses Wochenende in eines deiner Verstecke zurück und laß dich erst am Montag darauffolgend wieder sehen. Nimm dich in acht vor den Zählern!" So etwa würde ich antworten. (Eventuell kann ich auf Wunsch die notwendige Begeleitmusik dazu komponieren: eine Bagatelle in As Opus 53, Nummer 7, für Sangstimme und großes Orchester.)
Die Aufregung gilt dem Wochenende des 21. und 22. Januar diesen Jahres, also vor nur kurzer Zeit. In meinem Lande wurde man aufgerufen sich an der Nationalen Vogelzähltag zu beteiligen. Allen sollten, von einem düsteren Komitee mit vielen guten Vorhaben und weniger gut zu begutachteten Aktivitäten aufgefordert, sich eine halbe Stunde vor dem Küchenfenster setzen um, mit Feder und Papierbogen gewappnet, die da draußen anwesenden Gartenvögel zu zählen. Nur Garten. Die Flamingos, Störche und Bussarde blieben also außen vor.
Die Ergebnisse hier unten zeigen daß unser frecher Haussperling seinen ersten Platz behalten hat. Glückwunsch! Denn vor einigen Jahren noch hatten wir ihn fast aus den Augen verloren. Wir sehen auch (gezählt wurde in ungefähr 28.000 Gärten) daß die Meisenfamilie in Anzahl zurückgeht. Um den 5. Platz streiten sich der Fink und die krähische Dohle, bei uns besser bekannt als het kauwtje.
Diese Auflistung enthält Anwesenheitszahlen. Ein Vogel ist entweder da oder auch nicht, was Sie auch davon denken. Über die psychischen und moralischen Folgen bei Leuten die sich z.B. von dieser Sperlingsflut beeinflußt fühlen, wird in dieser Tabelle nichts ausgesagt. ("Mein Gott, wieder eine Pimpelmeise! Und ich bin allergisch gegen die!") Rein quantitativ also. Interessanter ist - wenn Sie mit aller Gewalt um eine Liste bitten - eine Angabe über die empfundene Musikalität der Vögel. Einfacher gesagt: welcher Vogelgesang gefällt Ihnen am besten? Auch hier kann ich Ihnen helfen. Hier die Liste der angenehmsten Vogellaute.
Die Amsel singt gemäß der Meinung der Hörerinnen und Hörer eines sehr beliebten frühsonntäglichen Rundfunknaturundumweltprogramms schöner als alle andere. Der gleichen Meinung bin ich. Wenn Sie je eine Amsel eine Bachsche Kantatenmelodie haben interpretieren hören, brauchen Sie nur noch die Frage zu beantworten wer zweiter, dritter usw. wird. Der Zaunkönig steht auf Platz 5. Ich wette, dem König Fritz wird das nicht gefallen.
Zum Schluß etwas ernsteres. Glauben Sie mir: einer Gesellschaft, die sich mit dem Zählen der Vögel einläßt, sollte man ziemlich argwöhnisch gegenüber stehen. Denn es folgen die anderen sogenannten wilden Tiere wie Lux und Fuchs, dann die übergroße Schar Hauskatzen und Hunde, gefolgt von den zahllosen fast zum Tode verwöhnten weißen Mäusen und schließlich, auf dieser gleitenden Skala, fast unbemerkt in all diesen Zählereien, die Menschen. Doch, eine Volkszählung führt zum aller Untergang, das sieht man schon beim Beginn unserer Zeitrechnung. Die Kinder Bethlehems und ihre Nachkommen können es uns nicht nacherzählen, weil damals so nötig eine Volkszählung abgehalten werden mußte.
Alles bagatellarischer Unsinn, sagen Sie und recht haben Sie. Trotzdem hab' ich immer ein ungutes Gefühl bei jeder Zählung. Denn jede Zählung wird gerade per definition gefolgt von einer Auflistung und Bewertung. Dabei bekommen notwendigerweise einige wenige die Oberhand und fallen andere aus dem Rahmen. Einige gewinnen und einige andere zahlen den Preis. Der Zähltag wird ein Zahltag. Wir sollten uns hüten, sagt der Moralist.
Nachlaß: König Fritz ohne Schleif, aber mit Krone, den Sie vielleicht noch aus der Bagatelle XXV (25) kennen, sieht man hier wie er mit dem Pressechef die Resultate diskutiert. Auch mit Mitgliedern der Opposition wird das Thema weiter eindringend erörtert.
Die Aufregung gilt dem Wochenende des 21. und 22. Januar diesen Jahres, also vor nur kurzer Zeit. In meinem Lande wurde man aufgerufen sich an der Nationalen Vogelzähltag zu beteiligen. Allen sollten, von einem düsteren Komitee mit vielen guten Vorhaben und weniger gut zu begutachteten Aktivitäten aufgefordert, sich eine halbe Stunde vor dem Küchenfenster setzen um, mit Feder und Papierbogen gewappnet, die da draußen anwesenden Gartenvögel zu zählen. Nur Garten. Die Flamingos, Störche und Bussarde blieben also außen vor.
Die Ergebnisse hier unten zeigen daß unser frecher Haussperling seinen ersten Platz behalten hat. Glückwunsch! Denn vor einigen Jahren noch hatten wir ihn fast aus den Augen verloren. Wir sehen auch (gezählt wurde in ungefähr 28.000 Gärten) daß die Meisenfamilie in Anzahl zurückgeht. Um den 5. Platz streiten sich der Fink und die krähische Dohle, bei uns besser bekannt als het kauwtje.
Diese Auflistung enthält Anwesenheitszahlen. Ein Vogel ist entweder da oder auch nicht, was Sie auch davon denken. Über die psychischen und moralischen Folgen bei Leuten die sich z.B. von dieser Sperlingsflut beeinflußt fühlen, wird in dieser Tabelle nichts ausgesagt. ("Mein Gott, wieder eine Pimpelmeise! Und ich bin allergisch gegen die!") Rein quantitativ also. Interessanter ist - wenn Sie mit aller Gewalt um eine Liste bitten - eine Angabe über die empfundene Musikalität der Vögel. Einfacher gesagt: welcher Vogelgesang gefällt Ihnen am besten? Auch hier kann ich Ihnen helfen. Hier die Liste der angenehmsten Vogellaute.
Die Amsel singt gemäß der Meinung der Hörerinnen und Hörer eines sehr beliebten frühsonntäglichen Rundfunknaturundumweltprogramms schöner als alle andere. Der gleichen Meinung bin ich. Wenn Sie je eine Amsel eine Bachsche Kantatenmelodie haben interpretieren hören, brauchen Sie nur noch die Frage zu beantworten wer zweiter, dritter usw. wird. Der Zaunkönig steht auf Platz 5. Ich wette, dem König Fritz wird das nicht gefallen.
Zum Schluß etwas ernsteres. Glauben Sie mir: einer Gesellschaft, die sich mit dem Zählen der Vögel einläßt, sollte man ziemlich argwöhnisch gegenüber stehen. Denn es folgen die anderen sogenannten wilden Tiere wie Lux und Fuchs, dann die übergroße Schar Hauskatzen und Hunde, gefolgt von den zahllosen fast zum Tode verwöhnten weißen Mäusen und schließlich, auf dieser gleitenden Skala, fast unbemerkt in all diesen Zählereien, die Menschen. Doch, eine Volkszählung führt zum aller Untergang, das sieht man schon beim Beginn unserer Zeitrechnung. Die Kinder Bethlehems und ihre Nachkommen können es uns nicht nacherzählen, weil damals so nötig eine Volkszählung abgehalten werden mußte.
Alles bagatellarischer Unsinn, sagen Sie und recht haben Sie. Trotzdem hab' ich immer ein ungutes Gefühl bei jeder Zählung. Denn jede Zählung wird gerade per definition gefolgt von einer Auflistung und Bewertung. Dabei bekommen notwendigerweise einige wenige die Oberhand und fallen andere aus dem Rahmen. Einige gewinnen und einige andere zahlen den Preis. Der Zähltag wird ein Zahltag. Wir sollten uns hüten, sagt der Moralist.
Nachlaß: König Fritz ohne Schleif, aber mit Krone, den Sie vielleicht noch aus der Bagatelle XXV (25) kennen, sieht man hier wie er mit dem Pressechef die Resultate diskutiert. Auch mit Mitgliedern der Opposition wird das Thema weiter eindringend erörtert.
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Freitag, 27. Januar 2012
Bagatelle 145 - Terras Kabel
terra40, 18:14h
Doch, Ehre wem Ehre gebührt: allerhände Hochachtung vor einem guten Handwerker. Jemand der seine Hände perfekt dás machen läßt, was sein Gehirn ausgedacht hat. Oder dás was ich, des Handwerkers gütiger Auftraggeber, ihn, dringend aber freundlichst, gebeten habe für mich zu errichten. Und alles ohne Fug und Tadel, schön um anzusehen, brauchbar und nützlich, und fast innerhalb der abgemachten Zeit die wir für das Verrichten der Arbeit vereinbart hatten.
Ich gebe ja zu, daß es Handwerker gibt die sich nicht an diese Gesetze halten. Oder es freiwillig freimütig interpretieren. Die 121 Euro für eine Stunde unbrauchbare und nutzlose Arbeit anschreiben und sich wundern wenn Sie sich beschweren.
Die aber meine ich nicht. Ich meine die Schreiner die liebebevoll ihrem alten Schrank voller Mehlwurm das Leben wieder geben. Und der Maurermeister der bei mir im Badezimmer einen Fliesenboden präzise, genau und auf den Millimeter passend legt. Nach getaner Arbeit stehen wir denn da: der eine der denkt: So, das hab' ich mal wieder geschafft! Und der andere, ich selber, staunend, der ausruft: Phantastisch! Mensch, so etwas müßte man selber können!
Nein, gute fachmännische Handarbeit kann auf meine Bewunderung und mein Lob rechnen. Aber dies gilt natürlich auch für fachfräuliche Arbeiten. Meine Frau zum Beispiel schneidert und näht fast all ihre Kleidung selber. Mit äußester Bewunderung stehe ich vor einem solcher Papierbögen, ein Schnittmuster mit tausenden von Linien, woraus sie ohne zu zögern diejenigen wählt die sie braucht für die neue Couture.
Auch im Stricken ist sie ein Genie. So trage ich jetzt, wo ich Ihnen dies schreibe, eine von ihr gestrickten rötlichen Weste. Mehr als dreißig Jahre alt, völlig aus der Mode, aber immer noch geschmeidig, lecker warm und angenehm im Tragen. Und das am allermeisten besondere ist der Kabel. Es scheint eine Strickform zu sein (oder eine Strickformel?) mit der man wunderbare Strickvariationen sichtbar machen kann. In diesem Fall sieht man auf meiner Weste erhöhte Wolldrahtlinien sich vom unteren Rand bis nach ganz oben bewegen. Ein köstliches Beispiel fachfräulicher Handarbeitskunst würde ich meinen.
Übrigens, die Weste sehen Sie hier unten. Zierlich über der Rückenlehne eines unserer Schlafzimmerstühle gehängt. Den Stuhl können Sie nicht kaufen. Nirgends. Der ist nämlich vor Jahren von mir selber in feinster Handarbeit hergestellt worden. Damals als die Handwerker und Schreinermeister genau so teuer waren als heute.
Ich gebe ja zu, daß es Handwerker gibt die sich nicht an diese Gesetze halten. Oder es freiwillig freimütig interpretieren. Die 121 Euro für eine Stunde unbrauchbare und nutzlose Arbeit anschreiben und sich wundern wenn Sie sich beschweren.
Die aber meine ich nicht. Ich meine die Schreiner die liebebevoll ihrem alten Schrank voller Mehlwurm das Leben wieder geben. Und der Maurermeister der bei mir im Badezimmer einen Fliesenboden präzise, genau und auf den Millimeter passend legt. Nach getaner Arbeit stehen wir denn da: der eine der denkt: So, das hab' ich mal wieder geschafft! Und der andere, ich selber, staunend, der ausruft: Phantastisch! Mensch, so etwas müßte man selber können!
Nein, gute fachmännische Handarbeit kann auf meine Bewunderung und mein Lob rechnen. Aber dies gilt natürlich auch für fachfräuliche Arbeiten. Meine Frau zum Beispiel schneidert und näht fast all ihre Kleidung selber. Mit äußester Bewunderung stehe ich vor einem solcher Papierbögen, ein Schnittmuster mit tausenden von Linien, woraus sie ohne zu zögern diejenigen wählt die sie braucht für die neue Couture.
Auch im Stricken ist sie ein Genie. So trage ich jetzt, wo ich Ihnen dies schreibe, eine von ihr gestrickten rötlichen Weste. Mehr als dreißig Jahre alt, völlig aus der Mode, aber immer noch geschmeidig, lecker warm und angenehm im Tragen. Und das am allermeisten besondere ist der Kabel. Es scheint eine Strickform zu sein (oder eine Strickformel?) mit der man wunderbare Strickvariationen sichtbar machen kann. In diesem Fall sieht man auf meiner Weste erhöhte Wolldrahtlinien sich vom unteren Rand bis nach ganz oben bewegen. Ein köstliches Beispiel fachfräulicher Handarbeitskunst würde ich meinen.
Übrigens, die Weste sehen Sie hier unten. Zierlich über der Rückenlehne eines unserer Schlafzimmerstühle gehängt. Den Stuhl können Sie nicht kaufen. Nirgends. Der ist nämlich vor Jahren von mir selber in feinster Handarbeit hergestellt worden. Damals als die Handwerker und Schreinermeister genau so teuer waren als heute.
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Samstag, 21. Januar 2012
Bagatelle 144 - Walnußbrennholz
terra40, 13:20h
- Was machst du denn da? Sitzt gehockt mit einer Kamera in der Hand vor einem Stapel Hackholz. Baust einen Hausaltar?
- Nein. Ich sitze hier und betrachte die unglaubliche Holzoberflächen unter der grünen Rinde die ich gerade entfernt habe. Hast du je so etwas gesehen?
- Das sieht dir so ähnlich. Holzhäute beobachten. Nichts besseres zu tun?
- Nein, dies hat Vorfahrt. Ich könnte in feinster Lyrik ausbrechen beim Sehen dieser Strukturen und Linien! Aber du, Kulturbanause, verstehst das doch nicht.
- Spezielles Holz vielleicht? Was ist so extra besonders daran?
- Das hier ist Walnußholz. Es stammt von einem alten, meinem Schwager gehörenden 75-jährigen Baum, der voriges Jahr das Leben gelassen und vorige Woche gesägt, gehauen, geschlagen, gehackt und entfernt worden ist.
- Die sind aber froh daß der Baum weg ist!
- Nicht unbedingt. Dein ein Walnußbaum bietet - außer seiner Nüsse im Herbst - an einem warmen Sommertag nicht nur Schatten und Abkühlung. Er schützt auch vor Mücken und anderes Ungeziefer. Mein Schwager pflanzt sicherlich einen neuen.
- Was macht die Kamera?
- Ich fotografiere die Oberflächen. Siehst du nicht? Daß Cezanne und unser Vincent van Gogh von diesen Linien inspiriert worden sind, ist kein Wunder.
- Das Holz ist noch ganz feucht. Was geschieht mit ihnen? Mit den Walnußbrocken, meine ich.
- Wir lassen es zwei Jahre an der frischen Luft trocknen. Und danach erwärmen sie uns im Holzkaminofen. Wie Fruchtbaum liegt Nußbaumholz lange und erwärmt gut.
- Und dann ist's endgültig aus und vorbei. Asche zu Asche.
- Nein, dann schreib ich darüber eine Bagatelle.
- Nein. Ich sitze hier und betrachte die unglaubliche Holzoberflächen unter der grünen Rinde die ich gerade entfernt habe. Hast du je so etwas gesehen?
- Das sieht dir so ähnlich. Holzhäute beobachten. Nichts besseres zu tun?
- Nein, dies hat Vorfahrt. Ich könnte in feinster Lyrik ausbrechen beim Sehen dieser Strukturen und Linien! Aber du, Kulturbanause, verstehst das doch nicht.
- Spezielles Holz vielleicht? Was ist so extra besonders daran?
- Das hier ist Walnußholz. Es stammt von einem alten, meinem Schwager gehörenden 75-jährigen Baum, der voriges Jahr das Leben gelassen und vorige Woche gesägt, gehauen, geschlagen, gehackt und entfernt worden ist.
- Die sind aber froh daß der Baum weg ist!
- Nicht unbedingt. Dein ein Walnußbaum bietet - außer seiner Nüsse im Herbst - an einem warmen Sommertag nicht nur Schatten und Abkühlung. Er schützt auch vor Mücken und anderes Ungeziefer. Mein Schwager pflanzt sicherlich einen neuen.
- Was macht die Kamera?
- Ich fotografiere die Oberflächen. Siehst du nicht? Daß Cezanne und unser Vincent van Gogh von diesen Linien inspiriert worden sind, ist kein Wunder.
- Das Holz ist noch ganz feucht. Was geschieht mit ihnen? Mit den Walnußbrocken, meine ich.
- Wir lassen es zwei Jahre an der frischen Luft trocknen. Und danach erwärmen sie uns im Holzkaminofen. Wie Fruchtbaum liegt Nußbaumholz lange und erwärmt gut.
- Und dann ist's endgültig aus und vorbei. Asche zu Asche.
- Nein, dann schreib ich darüber eine Bagatelle.
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Sonntag, 15. Januar 2012
Bagatelle 143 - Bismarck
terra40, 20:02h
Irgendwo auf dieser wahrscheinlich für Sie unverständlichen Landkarte sehen Sie ihn abgebildet: ihren Bismarck. Zwar in Verbindung mit einer See, aber dennoch. Irgendwo in der Nähe, so habe ich mir erzählen lassen, müßte sich auch eine bismärckische Archipel befinden. Lassen Sie mich versuchen Ihnen auch der Rest der Karte zu erklären. Alles ist ziemlich kompliziert, aber allemal ein Versuch wert. Denn die Geschichte feiert dieses Jahr ihr goldenes Jubiläum. Zu feiern gibt es zwar nichts, im Gegenteil, aber es ist wohl wahr, daß es schon ein halbes Jahrhundert her ist.
1949 war es, als Indonesien die Unabhängigkeit bekam. Das riesige Inselreich im Osten war bis dato eine niederländische Kolonie. Bis auf eine Ausnahme: der westliche Teil Neu-Guineas blieb unter niederländischer Obhut. (Ost Neu-Guinea war und blieb Teil Australiens.) Den Einwohnern Niederländisch Neu Guinea, den Papuas, wurde versprochen, daß ihr Land auf Dauer eine - separat von Indonesien - selbständige Republik sein werde.
Von 1949 bis 1961 blieb dieser Zustand unverändert, sei es daß Indonesiens Präsident Sukarno es immer wieder versuchte mit kleinen Attacken politischer und militärischer Art, die Welt davon zu überzeugen, daß Neu-Guinea zu Indonesien gehörte. Mitte 1961 kam es dann zu den ersten ernsten (militärischen) Auseinandersetzungen.
Es war auch zu dieser Zeit, daß ein gewisser Terra, derzeit schon ziemlich Anti-Militarist, aber kein prinzipieller Wehrdienstverweigerer, vom Staate gerufen wurde dem Vaterland zu dienen indem er fast zwei Jahre von Haus, Hof und Arbeit getrennt wurde um zu lernen wie man marschiert und wie man am besten lernt grausam langweilige Stunden in einer Kaserne zu verbringen. Das änderte sich drastisch, als er mit sieben anderen Unfreiwilligen aus seiner Kompanie ausgesucht wurde um ab August 1962 nach Neu-Guinea umzusiedeln, um dort unter der Tropensonne die niedriger gelegen Lande gegen Sukarnos Gefolgsleuten zu verteidigen. Halb August war alles in voller Vorbereitung: nach einem vierzehntägigen Tropenurlaub stand als letzteres eine Wochentropenkursus auf dem Programm. Sofort danach war die Abreise geplant.
Nein, in Neu-Guinea war ich nie. Denn der damalige VS-Außenminister John Foster Dulles hatte mit seinem niederländischen Kollegen Joseph Luns vereinbart das westliche Neu-Guinea den Indonesiern zu überlassen. (Die VS brauchten Indonesien als eine Art Schutzwall gegen den aufkommenden Kommunismus in Süd-Ost Asien). Deshalb wurde uns am 22. August 1962, während unserer Tropenübungskurs mitgeteilt, daß von nun an kein einziger holländischer Soldat Richtung Bismarck Archipel zu reisten brauchte. Denselben Abend konnte man den Terra, zusammen mit zwei Freunden, fröhlich feiernd mitten über die Waal-Brücke gehen sehen.
Hier unter sehen Sie ein kleines Schildchen. Jeder, der damals freiwillig oder unfreiwillig nach Neu-Guinea geschickt wurde, trug ein solches Schildchen auf seiner Uniform, auch die Soldaten die sich noch in der Ausbildungsphase befanden. Ich war sicherlich nicht stolz darauf. Damals und heute überfällt mich vielmehr ein Gefühl der Scham wenn ich es sehe. Es waren ja die von uns gewählten Politiker, welche die Versprechungen den Papuas gegenüber brachen.
Noch immer, auch in 2012, nach fünfzig Jahren, gibt es Gruppen in den Molukken und in Neu-Guinea, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen. Wir, nicht-wissende Feiglinge, sitzen da und schauen zu. Wie immer in solchen Situationen.
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Montag, 9. Januar 2012
Bagatelle 142 - Glücksfall
terra40, 17:16h
Sagen doch alle die mich einigermaßen kennen. Und wer bin ich um so etwas zu verneinen? Doch, ich bin ein Sonntagskind. Zwar nicht an einem Sonn-, Mond- oder sonst einem Himmelskörpertag geboren, aber dennoch vom Glück verwöhnt. Beweisen lässt sich eine solche Behauptung schwer, aber es stimmt dass ich in meinem Leben öfters zu mir selber sagen konnte: 'Mensch, Junge, da hast du aber viel Glück gehabt!' Worauf ich gleich das aufkommende zugehörige Glücksgefühl dämpfte indem ich antwortete: 'Na, só schlimm war es nun wieder auch nicht!'
Hoffentlich kennen Sie Kleve. Eine Kleinstadt am Niederrhein. Prächtig gelegen, dort am Flussufer, mit vorne die weiten Auen und Wiesen der Tiefebene und hinten die bewaldeten Hügel des Reichswaldes. Berühmt ist die unübertroffene Schwanenburg, der Zoo und das Haus Koekoek, wo einst einer der großen Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts gastierte.
Kein böses Wort über die Stadt Kleve, weder über ihr An- und Aussehen, geschweige denn über ihre Bürger und gar nicht über ihre Taxifahrer. Denn diese Gilde hat mir in meiner Studentenzeit einiges Glück beschert, wovon ich jetzt berichten werde.
Wählen kann man. Theoretisch jedenfalls. Auf einer Kreuzung im westlichen Teil von Kleve kann man Richtung Emmerich zurückfahren, oder geradeaus den Weg durch den Reichswald benutzen. Man kann auch links in die Stadt abbiegen oder rechts die Hauptstraße entlang über Nütterden, Kranenburg und Wyler zu der Universitätsstadt Noviomagus (das, wie Sie längst vermuteten, Nimwegen bedeutet) in die Niederlande fahren. Das letztere war mein Plan. Denn diesen Nachmittag um 14.00 Uhr stand ein sehr wichtiges Psychologie-Examen an. Die Studenten, unter denen ich, Terra, wurden freundlichst gebeten ihre Kenntnisse betreffende die Grundlagen der Klinischen Psychologie schriftlich darzulegen, zu argumentieren und zu kommentieren. Die dafür zustehende Zeit betrug volle zwei Stunden plus eine Viertelstunde zum reflektieren. (Im Ernst: es war das weitaus wichtigste Examen in meinem zweiten Studienjahr 1978.)
Es war gerade 13.00 Uhr als ich in meiner treuen Ente (2CV) die Klever Kreuzung erreichte. Noch höchstens eine halbe Stunde fahren und dann ruhig, voller Zuversicht, entspannt und zugleich konzentriert, den Examensaal betreten um sich im Geiste vorzubereiten.
Plötzlich, ich war gerade nach rechts abgebogen, streikte das Auto. Das heißt: der Motor lief, aber die Kupplung war nicht imstande oder nicht bereit mir zu helfen einen Gang, welchen auch immer, einzulegen. Ich stieg aus, und schob die liebe Ente im Freilauf auf einen kleinen Parkplatz am Rande. Es war 13.10.
Es war 13.30, als ich nach zahllosen nutzlosen Versuchen per Anhalter meine Reise zu verfolgen, beschloss zurück in die Stadt zu gehen. Dort wollte ich ein Taxi oder ein anderes Beförderungsmittel suchen und bitten mich sofort, aber denn auch SOFORT und ZÜGIGST, nach Nimwegen zu bringen. Um 13.50 erreichte ich die Innenstadt, wo eine freundliche Dame mir sagte, dass der nächste Taxistand sich ein halber Kilometer weiter aufhielte. Auch wusste sie zu berichten, dass der Omnibus nach Kranenburg vor fünf Minuten abgefahren sei.
Etwa 14.00 Uhr hatte die Glocke geschlagen als ich Garage Annex Taxistand erreichte. Kein Taxi weit und breit. Gerade als ich den Gesellen fragen wollte ob es hier überhaupt Taxis gäbe, kam ein als Taxi verkleideter Mercedes um die Ecke gebogen. Der Chauffeur war bereit mich, unter Zahlung von 20 D-Mark, mein einziges Geld, nach Nimwegen zu fahren. Zuerst besuchten wir den kleinen Parkplatz wo meine Ente stand um meine Sachen zu holen. Es war inzwischen 14.30 Uhr.
Unterwegs hatte ich gerade noch Zeit um meine missliche Lage zu erklären, denn der Taxifahrer raste so schnell er konnte und viel schneller als gestattet durch die ländliche Landschaft. Es war 15.00 Uhr als ich den Examensaal betrat, wo einige andere Studenten mich schweigend begrüßten mit in ihren Augen die Frage: wo bleibst du so lange?
Ich las die Aufgaben und Texte, entschloss mich für eine Auswahl, und setzte mich an die Arbeit. Viertel nach vier war es als ich dem diensthabenden Professor meine in Eile geschriebenen Antworten, Bemerkungen und Meinungen überreichte.
Am nächsten Tag schleppten ein Kollege und ich meine Ente von der Klever Garage zurück in meine Hausgarage wo die defekte Kupplung repariert wurde. Vierzehn Tage später las ich in der Universitätsaula auf einem der vielen Informationsbrettern, dass der Student mit der Nummer 760010 das Examen Grundlagen der Klinischen Psychologie bestanden habe. Noch später erfuhr ich, dass der genannte Student zwar große Abstriche erhalten habe wegen des unbeantwortet lassens einiger Aufträge und Fragen, der Rest sei aber in (guter) Ordnung.
Sie sehen: wieder ein Glücksfall. Denn es war ausgesprochenes Glück, dass ich dort in der Klever Innenstadt, in einem Moment worin ich ihm am meisten brauchte, einem Taxifahrer begegnete, der bereit war mich, mit Gefahr für mein und sein Leben, für lausige zwanzig Mark zu einem Examen zu bringen das meine weitere Karriere sehr beeinflussen sollte.
Sehen Sie, darum bin ich ein Sonntagskind. Denn solche Sachen sind mir in meinem Bestehen laufend passiert. Unfälle welche glimpflich abliefen. Unverhofft schwierige Umstände die sich später als vorteilhaft erwiesen. Düstere Wolken wonach die Sonne strahlend hervor trat. Das nenne ich Glück. Denn es hätte ja alles viel schlimmer kommen können!
Hoffentlich kennen Sie Kleve. Eine Kleinstadt am Niederrhein. Prächtig gelegen, dort am Flussufer, mit vorne die weiten Auen und Wiesen der Tiefebene und hinten die bewaldeten Hügel des Reichswaldes. Berühmt ist die unübertroffene Schwanenburg, der Zoo und das Haus Koekoek, wo einst einer der großen Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts gastierte.
Kein böses Wort über die Stadt Kleve, weder über ihr An- und Aussehen, geschweige denn über ihre Bürger und gar nicht über ihre Taxifahrer. Denn diese Gilde hat mir in meiner Studentenzeit einiges Glück beschert, wovon ich jetzt berichten werde.
Wählen kann man. Theoretisch jedenfalls. Auf einer Kreuzung im westlichen Teil von Kleve kann man Richtung Emmerich zurückfahren, oder geradeaus den Weg durch den Reichswald benutzen. Man kann auch links in die Stadt abbiegen oder rechts die Hauptstraße entlang über Nütterden, Kranenburg und Wyler zu der Universitätsstadt Noviomagus (das, wie Sie längst vermuteten, Nimwegen bedeutet) in die Niederlande fahren. Das letztere war mein Plan. Denn diesen Nachmittag um 14.00 Uhr stand ein sehr wichtiges Psychologie-Examen an. Die Studenten, unter denen ich, Terra, wurden freundlichst gebeten ihre Kenntnisse betreffende die Grundlagen der Klinischen Psychologie schriftlich darzulegen, zu argumentieren und zu kommentieren. Die dafür zustehende Zeit betrug volle zwei Stunden plus eine Viertelstunde zum reflektieren. (Im Ernst: es war das weitaus wichtigste Examen in meinem zweiten Studienjahr 1978.)
Es war gerade 13.00 Uhr als ich in meiner treuen Ente (2CV) die Klever Kreuzung erreichte. Noch höchstens eine halbe Stunde fahren und dann ruhig, voller Zuversicht, entspannt und zugleich konzentriert, den Examensaal betreten um sich im Geiste vorzubereiten.
Plötzlich, ich war gerade nach rechts abgebogen, streikte das Auto. Das heißt: der Motor lief, aber die Kupplung war nicht imstande oder nicht bereit mir zu helfen einen Gang, welchen auch immer, einzulegen. Ich stieg aus, und schob die liebe Ente im Freilauf auf einen kleinen Parkplatz am Rande. Es war 13.10.
Es war 13.30, als ich nach zahllosen nutzlosen Versuchen per Anhalter meine Reise zu verfolgen, beschloss zurück in die Stadt zu gehen. Dort wollte ich ein Taxi oder ein anderes Beförderungsmittel suchen und bitten mich sofort, aber denn auch SOFORT und ZÜGIGST, nach Nimwegen zu bringen. Um 13.50 erreichte ich die Innenstadt, wo eine freundliche Dame mir sagte, dass der nächste Taxistand sich ein halber Kilometer weiter aufhielte. Auch wusste sie zu berichten, dass der Omnibus nach Kranenburg vor fünf Minuten abgefahren sei.
Etwa 14.00 Uhr hatte die Glocke geschlagen als ich Garage Annex Taxistand erreichte. Kein Taxi weit und breit. Gerade als ich den Gesellen fragen wollte ob es hier überhaupt Taxis gäbe, kam ein als Taxi verkleideter Mercedes um die Ecke gebogen. Der Chauffeur war bereit mich, unter Zahlung von 20 D-Mark, mein einziges Geld, nach Nimwegen zu fahren. Zuerst besuchten wir den kleinen Parkplatz wo meine Ente stand um meine Sachen zu holen. Es war inzwischen 14.30 Uhr.
Unterwegs hatte ich gerade noch Zeit um meine missliche Lage zu erklären, denn der Taxifahrer raste so schnell er konnte und viel schneller als gestattet durch die ländliche Landschaft. Es war 15.00 Uhr als ich den Examensaal betrat, wo einige andere Studenten mich schweigend begrüßten mit in ihren Augen die Frage: wo bleibst du so lange?
Ich las die Aufgaben und Texte, entschloss mich für eine Auswahl, und setzte mich an die Arbeit. Viertel nach vier war es als ich dem diensthabenden Professor meine in Eile geschriebenen Antworten, Bemerkungen und Meinungen überreichte.
Am nächsten Tag schleppten ein Kollege und ich meine Ente von der Klever Garage zurück in meine Hausgarage wo die defekte Kupplung repariert wurde. Vierzehn Tage später las ich in der Universitätsaula auf einem der vielen Informationsbrettern, dass der Student mit der Nummer 760010 das Examen Grundlagen der Klinischen Psychologie bestanden habe. Noch später erfuhr ich, dass der genannte Student zwar große Abstriche erhalten habe wegen des unbeantwortet lassens einiger Aufträge und Fragen, der Rest sei aber in (guter) Ordnung.
Sie sehen: wieder ein Glücksfall. Denn es war ausgesprochenes Glück, dass ich dort in der Klever Innenstadt, in einem Moment worin ich ihm am meisten brauchte, einem Taxifahrer begegnete, der bereit war mich, mit Gefahr für mein und sein Leben, für lausige zwanzig Mark zu einem Examen zu bringen das meine weitere Karriere sehr beeinflussen sollte.
Sehen Sie, darum bin ich ein Sonntagskind. Denn solche Sachen sind mir in meinem Bestehen laufend passiert. Unfälle welche glimpflich abliefen. Unverhofft schwierige Umstände die sich später als vorteilhaft erwiesen. Düstere Wolken wonach die Sonne strahlend hervor trat. Das nenne ich Glück. Denn es hätte ja alles viel schlimmer kommen können!
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Dienstag, 3. Januar 2012
Bagatelle 141 - Anzeige
terra40, 17:17h
In tiefer Trauer
geben wir bekannt, daß
seit voriger Woche
wird vermißt unser unentbehrlicher
teurer
STALO
Länge innerlich: 200 Zentimeter
Diameter äußerlich: 5 Zentimeter
so etwa
Farben: schwarz und gelb
ist er verschwollen?
den Weg nach Hause verloren?
oder entführt worden?
zeitlich auf Wasser und Brot?
wer vermag es zu sagen?
mein Gefährte
mein Helfer in bangen Zeiten
mein kleiner Freund
immer ehrlich, gradlinig
uneigennützig, geradeaus
flexibel trotz Rückgrat
sich sträubend, dennoch gefügig
niemals nachtragend, immer kooperativ
kein Schimpfen oder Toben
die Lüge hinter sich lassend
die Wahrheit gepachtet
mein aufgerolltes Gewissen
mein Kumpel
mein Maßfreund
mein Rollmaß
mein Maß
geben wir bekannt, daß
seit voriger Woche
wird vermißt unser unentbehrlicher
teurer
STALO
Länge innerlich: 200 Zentimeter
Diameter äußerlich: 5 Zentimeter
so etwa
Farben: schwarz und gelb
ist er verschwollen?
den Weg nach Hause verloren?
oder entführt worden?
zeitlich auf Wasser und Brot?
wer vermag es zu sagen?
mein Gefährte
mein Helfer in bangen Zeiten
mein kleiner Freund
immer ehrlich, gradlinig
uneigennützig, geradeaus
flexibel trotz Rückgrat
sich sträubend, dennoch gefügig
niemals nachtragend, immer kooperativ
kein Schimpfen oder Toben
die Lüge hinter sich lassend
die Wahrheit gepachtet
mein aufgerolltes Gewissen
mein Kumpel
mein Maßfreund
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mein Maß
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Freitag, 30. Dezember 2011
Bagatelle 140 - Auslauf
terra40, 23:34h
Vor wenigen Stunden haben wir das alte Jahr feierlich abgeschlossen.
wir zählten unsere Jahrringe
und eröffneten
unter dem Genuß traditioneller Silvesterleckereien
(gibt es ein solches Wort überhaupt noch?)
das Jahr 2012.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern
dieser Bagatellen
alles Gute im neuen Jahr.
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Dienstag, 27. Dezember 2011
Bagatelle 139 - Geheime Drucksache
terra40, 12:46h
Doch, es gibt sie noch: liebgewonnene Verwandten und Freunde die mir einen Brief schreiben. Einen richtigen Brief, mit echter Tinte auf herrlich duftendem Papier geschrieben. In einer charakteristischen Handschrift, wobei vieles geschriebene einiges zu raten läßt. Keine unpersönliche digitale emails, sondern liebe Schreibereien, wobei einem beim Lesen eine Wolke von Genuß entgegen strömt.
Um solch einen Brief handelt die folgende Bagatelle. Nur unter einer Bedingung dürfen Sie die lesen. Sie müssen mir versprechen, daß alles was Sie im weiteren lesen, unter uns bleibt. Stärker noch: Sie erklären hierbei feierlich, daß Sie keinem, auch nicht ihren nächsten Verwandten, auch nur eine Silbe erzählen werden von was Sie hier lesen werden. Ehrenwort und Hand aufs Herz! Die Sache ist nämlich heiß und geheim. Staatsgeheim möchte man fast annehmen.
Angefangen hat alles in der Zeit da man anfing Briefe zu schreiben. Das Befördern eines geschriebenen Briefes vom Schreiber zum Leser überließ man dem Landespostministerium, welches speziell dafür Postmeister und Postbeamte anheuerte welche die Post besorgten. Weil die Postleute freundlich gestimmt und gutherzig sind, langsam im Denken, aber nicht ganz und gar dumm, lassen die sich von den Briefeschreibern für ihre Dienste bezahlen mittels geklebte Briefmarken.
Briefmarken gibt es in Hülle und Fülle. Je unbedeutender das Land, je größer und schöner die Marken. Und wenn sich irgendwo irgendetwas wichtiges manifestiert, (in Dafinsternistan ist ein Siebenling geboren) kommt die Landespost mit einer neuen Serie Briefmarken.
Es gibt jetzt zwei Fragen die um unsere Aufmerksamkeit bitten. Erstens: wer kontrolliert überhaupt ob wir die richtigen Briefmarken auf unseren Briefen kleben? Und zweitens: sind wir verpflichtet ausschließlich die von der Landes- und Bundespost zum Verkauf angebotenen Marken zu kleben?
Die Antworten - alle strengstens geheim! - sind folgende. Erstens: Nein, kontrolliert wird nicht und wenn, denn selten und stichprobenweise. Zweitens: ja, verpflichtet schon, aber wir schaffen für uns selber eine kreative Ausnahme.
Hier unten sehen Sie einen Briefumschlag den ich vor einiger Zeit erhielt. (Der Inhalt tut nicht zur Sache, es geht um die Verpackung.) Namen und Adresse des Adressierten sind aus privatrechtlichen Gründen der privacy von mir abgeklebt worden. Sie können ruhig annehmen daß der Brief an mich gerichtet war. Ein Brief (Luftpost) aus Oman offenbar, das sehen wir der Briefmarke ab. Aber von einem Poststempel versehen in einer holländischen Kleinstadt! So geht’s also auch. Mann klebt eine fremd-orientalische Marke auf einem Brief, oder man entwirft selbst eine.
Ganz unter uns: der Verfasser und Absender dieses Briefes hat mit einigen Freunden schon Jahre eine Wette laufen, wer die schönsten falschen Briefmarken entwirft oder klebt ohne daß die Post es merkt!
Briefmarken können auch ruhig zwei mal verwendet werden. Vor Jahren erhielten Sie möglicherweise einen Brief aus der DDR. Jetzt, anno 2011, kleben Sie die alte Marke auf einem neuen Brief. Die Post wird es Ihnen danken und nichts davon merken.
Selbstverständlich ist das Kleben van falschen Marken strafbar und strengstens von der Hand zu weisen. Mein lieber Briefeschreiber hat mir versichert, daß er so etwas nur einige Male im Jahr tut, als Spaß an der Freud. Sonst frankiert er seine Briefe sorgfältig mit den davor vorgesehenen Marken mit dem verabredeten Wert. Denn wir wollen doch bitte nicht den Postleuten das Brot aus dem Munde stoßen.
Lasset uns nicht mehr davon reden. Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt auch das Briefmarkengeheimnis. Wir wollen es weiterhin hüten.
Um solch einen Brief handelt die folgende Bagatelle. Nur unter einer Bedingung dürfen Sie die lesen. Sie müssen mir versprechen, daß alles was Sie im weiteren lesen, unter uns bleibt. Stärker noch: Sie erklären hierbei feierlich, daß Sie keinem, auch nicht ihren nächsten Verwandten, auch nur eine Silbe erzählen werden von was Sie hier lesen werden. Ehrenwort und Hand aufs Herz! Die Sache ist nämlich heiß und geheim. Staatsgeheim möchte man fast annehmen.
Angefangen hat alles in der Zeit da man anfing Briefe zu schreiben. Das Befördern eines geschriebenen Briefes vom Schreiber zum Leser überließ man dem Landespostministerium, welches speziell dafür Postmeister und Postbeamte anheuerte welche die Post besorgten. Weil die Postleute freundlich gestimmt und gutherzig sind, langsam im Denken, aber nicht ganz und gar dumm, lassen die sich von den Briefeschreibern für ihre Dienste bezahlen mittels geklebte Briefmarken.
Briefmarken gibt es in Hülle und Fülle. Je unbedeutender das Land, je größer und schöner die Marken. Und wenn sich irgendwo irgendetwas wichtiges manifestiert, (in Dafinsternistan ist ein Siebenling geboren) kommt die Landespost mit einer neuen Serie Briefmarken.
Es gibt jetzt zwei Fragen die um unsere Aufmerksamkeit bitten. Erstens: wer kontrolliert überhaupt ob wir die richtigen Briefmarken auf unseren Briefen kleben? Und zweitens: sind wir verpflichtet ausschließlich die von der Landes- und Bundespost zum Verkauf angebotenen Marken zu kleben?
Die Antworten - alle strengstens geheim! - sind folgende. Erstens: Nein, kontrolliert wird nicht und wenn, denn selten und stichprobenweise. Zweitens: ja, verpflichtet schon, aber wir schaffen für uns selber eine kreative Ausnahme.
Hier unten sehen Sie einen Briefumschlag den ich vor einiger Zeit erhielt. (Der Inhalt tut nicht zur Sache, es geht um die Verpackung.) Namen und Adresse des Adressierten sind aus privatrechtlichen Gründen der privacy von mir abgeklebt worden. Sie können ruhig annehmen daß der Brief an mich gerichtet war. Ein Brief (Luftpost) aus Oman offenbar, das sehen wir der Briefmarke ab. Aber von einem Poststempel versehen in einer holländischen Kleinstadt! So geht’s also auch. Mann klebt eine fremd-orientalische Marke auf einem Brief, oder man entwirft selbst eine.
Ganz unter uns: der Verfasser und Absender dieses Briefes hat mit einigen Freunden schon Jahre eine Wette laufen, wer die schönsten falschen Briefmarken entwirft oder klebt ohne daß die Post es merkt!
Briefmarken können auch ruhig zwei mal verwendet werden. Vor Jahren erhielten Sie möglicherweise einen Brief aus der DDR. Jetzt, anno 2011, kleben Sie die alte Marke auf einem neuen Brief. Die Post wird es Ihnen danken und nichts davon merken.
Selbstverständlich ist das Kleben van falschen Marken strafbar und strengstens von der Hand zu weisen. Mein lieber Briefeschreiber hat mir versichert, daß er so etwas nur einige Male im Jahr tut, als Spaß an der Freud. Sonst frankiert er seine Briefe sorgfältig mit den davor vorgesehenen Marken mit dem verabredeten Wert. Denn wir wollen doch bitte nicht den Postleuten das Brot aus dem Munde stoßen.
Lasset uns nicht mehr davon reden. Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt auch das Briefmarkengeheimnis. Wir wollen es weiterhin hüten.
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