Donnerstag, 22. Oktober 2009
Bagatelle XXIII - Rasieren und Haare schneiden
Früher – ich rede jetzt von sogenannten guten, alten Zeiten, weit bevor meiner Geburt – konnte man sich in unserem Dorfe an drei Stellen rasieren und die Haare schneiden lassen. (Das Wort 'Stellen' hat Bezug auf Häuser, nicht auf Körperteile die sich rasieren oder schneiden lassen. Aber das hatten Sie sicher schon vermutet.)
Zuerst besuchen wir den Friseurmeister Schüürman hinter der alten Dorfkirche, aber man war ziemlich bescheuert und ‘beschüürt’ wenn man’s hinter sich gebracht hatte.
Man konnte sich auch an Vater und Sohn Weck wenden, die an der anderen Seite der Kirche den Männern ihren Stoppelbart nahmen oder mit Hilfe eines Blumentopfes ihre haarigen Kopfbedeckungen modellierten. Da ging es – wie der Name Weck gerade so passte – richtig ans Eingemachte. Mann wurde sozusagen mit heißem Wasser eingeweckt wie Fleisch und Gemüse.
Blieb übrig der fleißige Rasiermeister Rossbach, dessen Salon am Hellweg nahe der Grenze lag. Von diesem Herrn wurde gesagt dass er einen Striegel – wir nennen es: einen Rosskamm – benutzte wie beim Pferde kämmen. Keine angenehme Aussicht also wenn man angefahren kam.

Immerhin, viele Mannsleute zogen an Samstagnachmittagen in die Frisörstuben und ließen sich ihr Antlitz verschönern, so dass man so glatt wie ein Ei und mit schnurgeraden Scheiteln in den Sonntag zog. Das Wort zum Sonntag bekam man umsonst. Es waren die Neuigkeiten, Geschichten und Vorfälle im Dorf die dort vermittelt und erörtert wurden. Mein Großvater väterlicherseits ging gerne zum Frisör, weil er dort alles Wissenswerte hörte das er später zu Hause seiner Gattin erzählen konnte. Denn, so sagte er manchmal schmunzelnd, er sei gar nicht neugierig, aber er möchte jedoch sehr gerne alles wissen.

Man kann es natürlich auch selber machen. Ich meine das Rasieren an Samstagabenden. Zuhause nach der wohltuenden Stunde in der Badewanne aus Zinkblech, die mit Kesseln kochendem Wasser gefüllt wurde. In unserer alten Scheune hinter dem Bauernhof wo wir wohnen, steht noch immer eine sogenannte Knechtenkiste, wo der Bauersknecht seine Kleidung und die anderen Habseligkeiten aufbewahrte. Rechts oben unter dem Deckel befindet sich die Abteilung für Rasiersachen und sonstige Körperpflegeattributen.



Die Jahre sind nicht spurlos an diesen Utensilien vorbeigegangen. Die Rasierklinge rostet einigermaßen und der Rasierpinsel hat seine ursprüngliche Geschmeidigkeit größtenteils verloren. Aber wenn Sie sich selber warmes Rasierwasser und Seife besorgen, leihe ich Ihnen gerne eine scharfe Rasierklinge, einen Schleifstein, eventuell ein richtig gutes, haarscharfes Rasiermesser und sogar noch einen Rasierspiegel.
Das Rasieren selbst überlasse ich aber Ihnen. Meine Haftpflichtversicherung würde nicht ausreichen um alle von mir verursachten Wunden heilen zu lassen. Ihre Haare schneiden, bürsten und kämmen tue ich auch nicht. Ich mag eigentlich gar nicht mit meinen Fingern in ihren Locken wühlen: schon der Gedanke ist mir peinlich. Selbst wenn ich selber einige paar Male im Jahr zum Barbier gehe, bin ich heilfroh, dass ich ohne Verletzungen meine Freiheit wiederbekomme.

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Ihre Beschreibung hat in mir sofort Erinnerungen geweckt, denn mein Vater war Friseur in einem kleinen Dorf. Und als kleines Mädchen saß ich bei schlechtem Wetter oft im Herrensalon und sah zu. Ich erinnere aber keinen Schleifstein, sondern einen langen Lederriemen, an dem mein Vater das Rasiermesser wetzte.

Es wurde oft nicht nur der Bart sondern auch der Nacken ausrasiert. Und oft sagten die Männer nach beendeter Rasur "Jetzt bün ick wedder 'nen Mensch".

Und meine Schwester, die auch Friseurin lernen mußte, übte das Rasieren an Luftballons, die eingeseift wurden - und natürlich auch oft platzten. Wenn doch mal jemand geschnitten wurde, gab es einen weißen Stift, der heilend wirken sollte - ich glaube es handelte sich um Alaun.

Mein Vater mußte auch zu Verstorbenen gehen und die rasieren. Etwas, an das er sich als Lehrling erstmal gewöhnen mußte. Aber es wäre in unserem Dorf niemand beerdigt worden mit Stoppelbart.

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