Dienstag, 9. November 2010
Bagatelle LXXIX - Auf Entwicklung fixiert
Wir leben - wie Sie vielleicht schon wissen - in einem alten Bauernhof der sich dadurch auszeichnet daß er in Form von Kellern, Dachböden und sonstigen Anbauten genug Raum bietet um unbrauchbare, schlecht aussehende und völlig nutzlose Unutensilien aufzubewahren. Statt sie dem geachteten und geschätzten, umweltbesorgten Müllabführer anzuvertrauen, schleppen wir die alten Sachen auf den Dachboden der Scheune, wo sie von ihrer Rente genießen und nach und nach zu Staub zurückkehren.



Dort, in einer dunklen Ecke, seh’ ich ihn: meinen Meopta II, Marke Opemus, meinen uralten Vergrößerer. Baujahr unbekannt, wahrscheinlich um 1960, und (wenn ich mich nicht irre) stammend aus einem Bauern- und Arbeiterstaat östlich der Elbe. Und wie so oft in ähnlichen Situationen kommt sofort die äußerst angemessene Frage bei solchen Gelegenheiten: tut er ’s (noch) oder tut er ’s nicht (mehr)? Und wie so oft, auf dem Fuße gefolgt, die Tat beim Wort nehmend, folgt die Probe aufs Exempel.



Mit Hilfe von einem Kabel und einer Steckdose verschaffe ich mir 220 Volt, schalte, durch das hin- und her bewegen eines Hebels, den Apparat ein, und siehe da: es ward Licht! Ein von Staub umschlungener Strahl von oben nach unten gelingt es schließlich sich durch ein rotfarbiges Gläschen zu pressen und einen hölzernen Plateau zu erreichen. Auf diesem Tischlein lag früher das zu belichtende Fotopapier (damals noch mit Ph geschrieben). Ein paar Meter weiter standen die zwei Schalen: die erste mit Entwickler worin das belichtete Blatt Papier genau zwanzig Sekunden zu baden hatte, die zweite mit dem säurigen Fixiermittel das dem Bilde erlaubte das Tageslicht zu erblicken. Schließlich folgte das Trocknen der fabelhaften 18*24-Bilder – mit vorzugsweise vielen romantischen Waldwegaufnahmen - an der Wäscheleine. Damals nicht auf einem Scheunedachboden, sondern in einem Badezimmer, das mit viel Sorgfalt und Mühe völlig verdunkelt wurde. Wie in Freudenhäusern war nur eine rote Lampe gestattet. Das échte photographische Rotlichtmilieu also.

Alles was man braucht um ein Bild aufs Papier zu bekommen ist noch da. Wenn ich wollte könnte ich den Vergrößerer zu neuen Ruhm verhelfen. Aber natürlich will ich nicht. Ich mache mit meiner kleinen Digitalkamera ein Erinnerungsbild. Mit viel Staub. Danach befördere ich den Vergrößerer samt Hilfsmittel an seinen alten Platz: eine Kiste in einer Dachbodenecke. Nach zwei Minuten spricht niemand mehr über dieses Ereignis. Kein Staub wirbelt mehr auf. Das digitale Zeitalter regiert.

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Eigentlich schade, denn irgendwie hatte diese Art von Werkeln doch etwas Spannendes; man war so eine Art Schöpfer, wenn man die Badezeit vielleicht einmal auf 15 Sekunden verkürzte oder auf 23 verlängerte.
Als studentischer Jüngling hatte ich mir auch einmal ein solches Gerät aus ich weiss nicht mehr wievielter Hand gekauft. Glücklicherweise war der Vater meiner damaligen Freundin Reprofotograf (hier gab's damals sogar 2x ph), der mir die Abschnitte des unerschwinglichen Papiers der Marke Ilford aus dem Betrieb mitbrachte und der Freund der Freundin meiner Feundin lieh mir seine Hasselblad. Schon alleine eine solche Kamera in Händen halten zu dürfen, machte einem schon Herzklopfen.
Die Hasselblad halte ich heute nicht mehr in Händen, ebensowenig die junge Dame von damals, aber wenigstens noch einige dieser Bilder.
P.S. In Ihrem alten Bauernhaus gibt es bestimmt noch viel zu entdecken. Stöbern Sie doch ein bisschen herum, vielleicht ergibt sich noch einmal eine solch amüsante Bagatelle?!

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