Donnerstag, 27. Januar 2011
Bagatelle LXXXIX - Harmonie
Was zu tun wenn man, aus musikalischem Verlangen, sich ein Klavier kaufen will, aber feststellen muß, daß das Geld nicht reicht? Verzichten ist wohl das letzte. Besser: wir kaufen uns beim Klavierhändler um die Ecke ein Harmonium. Sehr viel billiger und trotzdem einigermaßen musikalisch.
So dachten meine Eltern vor vielen, vielen Jahren. Als junges Mädchen hatte meine Mutter bei ihr zu Hause – ungewöhnlich auf einem Bauernhof – das Harmonium spielen gelernt. Wie mein Vater auch. Noch etwas seltener, weil ziemlich unüblich für Bauernsöhne. Und als das Paar zwei Jahre verheiratet war, besorgten sie sich ein eigenes, mattbraunes, Harmonium. Nachträglich hätte ich uns ein richtiges Klavier gewünscht, aber wie gesagt: das Geld fehlte .



Harmonium und Klavier sind zwar völlig verschieden - ich komme nicht dazu Ihnen alle Unterschiede darzulegen, bitte fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker - aber das Notenbild und die dazu gehörende Noten gleichen sich sehr. Auch die Lehrbücher kann man guten Gewissens neben einander legen und verwenden. Wenn Sie also lernen wollen wie man - wie der Mann am Klavier dem wir gerne ein Bier schenken – auf einem Steinway “Alle meine Entchen“ spielt, schauen Sie bitte nach in der Harmonium-Schule. Das ist das ultimative Unterrichtsbuch für anfangende Klavier- und Harmoniumspieler.

Vor einiger Zeit fand ich sie wieder: diese theoretisch-praktische Harmonium-Schule. (Von den ersten Anfängen bis zur entwickelten Technik [auch zum Selbstunterricht], sagt Heinrich Bungart, der Verfasser dieses äußerst nützliche Werkchens.) Es lag, in einem Karton, von unmusikalischen Mäusen etwas angeprangert, auf dem Dachboden unserer Scheune. Und sofort drangen die Jugendbilder in den Vordergrund. Ich las die Titel. Zum Beispiel “Vorübungen für die rechte Hand“ (Seite 33) oder “Das Waldhorn“ (Wie lieblich schallt, Nummer 121, Seite 60.) Nicht zu vergessen: “O du fröhliche", Nummer 187 auf Seite 83.



Sehr interessant, unterhaltsam und lehrreich ist die Tatsache, daß alles geschriebene zweisprachig ist. Deutsch únd Englisch. Das betrifft die Musiktitel, aber auch die Anmerkungen zur Verbesserung der Spielweise. Beim Weihnachtslied “Stille Nacht" steht geschrieben Silent Night! Hallowed Night! Und der Autor rät: Mit sanften Stimmen. Übersetzt meint er: With soft stops. Die Noten und Notenlinien selber entziehen sich dem Sprachzwang. Sie sind universal. Wenn mein Neffe aus Pakistan (den es nicht gibt) bei uns zu Besuch käme, (was er nie tun würde,) könnte er ohne Fehl und Tadel Mozarts Ave Verum spielen. Richtig, mit zwei Händen. Die beiden Füße würden für genügend (weil notwendigen) Wind sorgen.

Genug der Worte. Ich nehme das Harmonium-Buch, gehe in die Scheune hinterm Hof, dort wie immer noch unser altes Harmonium seine Zeit in Ruhe verbringt, schlage Seite 79 auf und spiele “Brüder reicht die Hand zum Bunde" von Wolfgang Amadeus. Auf Englisch: Song of society. Der Lehrer rät: spielen Sie es feierlich. Solenne in der Musiksprache.

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