Samstag, 28. Mai 2011
Bagatelle 107 - Friedhöflicher Neuanfang
Irgendwo mag ich sie. Friedhöfe meine ich. Vor allem in Großstädten sind sie Oasen der stillen Ruhe und Schau- und Hörplätze zahlreicher Singvögel welche in diesem Maimonat uns ihr fantastisches Oeuvre hören lassen. Nein, im Gegensatz zu denen, die in einem Friedhof am liebsten nicht, und wenn, denn so kurz wie möglich, verweilen, kehre ich gerne dort ein. Ich gehe die Pfade entlang, betrachte mir die Gräber und lese die Namen. Oft fällt mir auf wie sorgsam manche auch alte Gräber versorgt werden. Auch sehe ich, daß einige Familien es vermeiden die Grabsteine ihrer verstorbenen Verwandten dann und wann von Vogelhinterlassenschaften zu befreien.

Unlängst waren wir wieder auf dem Zwillbrocker Friedhof. Zwillbrock ist ein kleiner Flecken irgendwo zwischen Enschede (NL) und Gronau (D). Berühmt ist der Ort weil sich hier sowohl eine Möwenkolonie als ein Flamingoparadis befindet. Aber wirklich sehr besonders ist die Barockkirche die fast genau auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden steht. (Die holländischen Katholiken, die derzeit [17-19. Jahrhundert] dort nicht sehr angesehen waren, gingen in Zwillbrock zur Messe.) Wie es auch sei: fast immer wenn wir dort vorbeifahren, besuchen wir die Kirche und den Friedhof. Und einige Zeit später gestatten wir uns beim Gastwirt am Kloppendeich ein kühles Bier.



Hier sehen wir das Familiengrab der Familie Startmann. Nein, nicht Stratmann, dieser quasi-komische WDR-Kabarettist der in seinem früheren Leben mal Arzt gewesen sein soll. Diese Familie heißt Startmann. Vater Heinrich ist 1998 verstorben. Seine Ehefrau mit dem schönen Namen Helene folgte ihm 2009. Die verschieden farbigen Buchstaben auf dem Grabstein zeigen die elf Jahre Unterschied.



Vorsichtig und stille nähere ich mich dem Grab, sehe wie gut die Familie das Grab gepflegt hat und wundere mich. Über den Namen. Denn darüber kann ich stundenlang philosophieren. Über die Tatsache daß jemand, der sein irdisches Leben definitiv beendet hat, den Namen Startmann trägt.

Einige wenige gläubige Leser werden vielleicht behaupten, daß Herr Startmann einen guten, richtigen, passenden Namen trägt. Weil jetzt nach seinem Tode ein neues, ewiges Leben anfängt.

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Auch ich liebe Friedhöfe. Und auch ich kann mich immer wieder in die Beschriftungen der Grabsteine vertiefen. Und auch ich rechne manchmal nach, wie viele Jahre zwischen dem Tod der Ehepartner oder auch zwischen dem der Eltern und der Kinder liegen.

Es gibt so wunderschöne Friedhöfe. Vor allem die alten, auf denen schon lange niemand mehr beerdigt wird und die Zeugnis einer alten längst vergangenen Zeit sind.

Ein wahres Kleinod ist das Buch von Isolde Oldenbaum „Und jede Lust will Ewigkeit“. Es geht zwar thematisch nicht um Friedhöfe, sondern um die Verbindung von Liebe und Tod, aber gleichzeitig werden wundervolle Statuen gezeigt, von denen man bei einigen nicht vermuten würden, dass sie sich auf einem Friedhof befinden.

Ich habe vor kurzem einen wunderschönen Grabstein wiederentdeckt, den ich schon als entsorgt vermutet hatte. Ich habe mich gefreut, dass es doch noch Dinge gibt, denen man aufgrund ihrer Eigenschaft als Zeitdokumente nicht das Recht auf ihre Existenz abspricht. Wenn Sie mögen, können Sie sich ja mal den herrlichen alten Grabstein ansehen:

http://nachgedachtes.blogger.de/stories/1819336/
http://nachgedachtes.blogger.de/stories/1817561/

Ich gehöre übrigens zu den "wenigen gläubigen Lesern". Obwohl ich nicht an ein ewiges Leben im Sinne der Fortführung des bisherigen individuellen Lebens glaube, so glaube ich doch an einen Übergang ins große Ganze. Das Gedicht, was ich als Kommentar zum Grabstein ausgesucht habe, drückt dies im letzten Satz ein wenig aus: "Auf allen Gräbern taute still: genesen".

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Verwesene Grabsteine
Liebe Frau Behrens,
Danke für ihren Kommentar. Und ihre Beiträge über alte Grabsteine hab ich gelesen. Schön, wie auch das Gedicht! Genesen/gewesen: darüber kann man lange nachdenken.
Gruß, T.
Übrigens: wo liegt das Altland genau?

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Zwei Anmerkungen
Bei der Autorin von «Und jede Lust will Ewigkeit» dürfte es sich um die Photographin Isolde Ohlbaum handeln.

Im Judentum darf kein Grabstein bewegt, geschweige denn entfernt werden.

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Das Alte Land liegt südlich von Hamburg und der Elbe und besteht aus mehreren kleinen Dörfern und vielen Obstplantagen. Mit „alt“ hat der Name nichts zu tun, sondern der Name kommt aus dem Plattdeutschen (Olland) und soll auf Kolonialisierung durch Niederländer (!) zurückgehen. Das Alte Land ist eigentlich gar nicht so schön, aber ich bin nun mal dort aufgewachsen (Neuenfelde) und deswegen sehe ich es mit anderen Augen.

Da Sie ja auch Holländer sind, muss ich einfach mal erwähnen, dass unser Plattdeutsch dem Holländischen sehr ähnlich ist. Meine Eltern und Großeltern haben es noch gesprochen, aber ich kann es leider nur noch verstehen und nicht gut sprechen. Und im Urlaub war ich dann oft erstaunt, wenn ich immer wieder einige Gesprächsfetzen von holländischen Reisenden verstehe.

Ja stimmt, die Autorin heißt natürlich richtig Isolde Ohlbaum. Sie hat wundervolle Fotos gemacht und genauso wundervolle Gedichte – von anderen Autoren – hinzugefügt.

Das mit den jüdischen Grabsteinen wusste ich nicht, allerdings fällt mir jetzt ein, dass es einen großen Wirbel um Bebauungspläne auf dem Gelände eines jüdischen Friedhofs gab und da habe ich gegoogelt und weitere sehr interessante Infos gefunden (http://www.marion-milkau.de/juedischer_friedhof.htm)

So, und jetzt google ich endlich mal, was es mit der Plattdeutschen Sprache auf sich hat!

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