Samstag, 10. September 2011
Bagatelle 123 - 9/11/9
Heute ist Samstag, der 10. September. Morgen ist es also in kalten Zahlen ausgedrückt der 11.09.2011. Damals aber haben die aus Europa in das ferne Westen ausgewanderten Angelen und Sachsen die Gewohnheit übernommen zuerst die Jahreszahl, dann den Monat und schließlich die Tageszahl zu nennen. Morgen ist also 2011.09.11; morgen ist es nine/eleven, 9/11. Morgen ist es zehn Jahre nach 9/11. Plötzlich verlieren die Zahlen ihre Kälte.

Viele mögen es bei ihren Freunden und Bekannten nachzufragen: wo warst du in dieser Stunde, an diesem gedenkwürdigen Tag, den 11. September 2001? Weißt du es noch? Erzähl es mir, aber bitte genauestens und präzise.

Ich weiß es noch. Ich saß etwa um 16.00 Uhr in dem intercity Schnellzug der mich von Alkmaar, über Amsterdam und Utrecht nach dem Osten des Landes bringen sollte, wo ich wohne. Damals arbeitete ich berufshalber an einem Projekt wobei lernschwachen Kindern gelehrt wird so gut wie's geht lesen zu lernen. Ich war zu Besuch gewesen bei einer der Projektschulen, wo wir mit Lehrern und Lehrerinnen aus der Praxis mögliche Verbesserungen an diesem Leselernprogramm diskutierten. Voller gute Ratschläge und mit einem aufgeräumten Gemüt fuhr ich nach Hause: nichts gibt einem mehr Befriedigung als sinnvolle Erfahrungen aus der Praxis umsetzen zu können in Vorschlägen und Beispielen mit denen wir vielen anderen Spezialschulen helfen konnten.

Zwischen Utrecht und Arnheim kam eine unbekannte Spannung im Zugabteil auf. Ein junger Student, der zwei Reihen hinter mir saß, war am telefonieren mit seinem Elternhaus und berichtete allen Reisenden in meinem Abteil, daß in New York etwas schreckliches passiert sei. Man wüßte nicht genaueres, aber es wurde jedem im Lande dringend empfohlen sofort das Radio oder das Fernsehen einzuschalten, damit man von Minute zu Minute über die neuesten Entwicklungen bescheid wußte.

Nach dieser ersten Meldung überschlugen sich die Ereignisse. Die eine schreckliche Nachricht folgte der andere. Die Leute im Zug hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen. Sie wanderten von vorne nach hinten und wieder nach vorne um nur so viel wie möglich zu erfahren. Als ich meine Endbestimmung erreichte, war der dritte Weltkrieg ausgebrochen, die Landesregierung in äußerster Verwirrung und die Menschen um mich herum quasi gelähmt durch Angst.

Nach einer halben Autostunde erreichte ich meinen vertrauten Wohnsitz auf dem einsamen, platten Lande, wo meine Frau mir erzählte wie sie alles schreckliche in sich aufgenommen hatte. Wie ein böser Traum, unverständlich und unfaßbar. Diese Fernsehbilder mit den Flugzeugen und den brennenden Twin Towers: science fiction oder Realität? Eins war klar, nämlich daß die Welt nach diesem Tag nicht mehr dieselbe sein werde.

Und der 10/11? Einen Tag nach 9/11? Was machten Sie an dem Tag darauf? Wir, meine Kollegen und ich, saßen in meinem Arbeitszimmer zusammen und erzählten uns wo wir waren als das Schreckliche von gestern passierte. Bei uns war das am elften Tage des Septembermonats im Jahre AD 2001. Morgen ist es zehn Jahre her.

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Ist es nicht eigenartig, dass sich jeder genau erinnert, was er oder sie an solchen Tagen getan hat? Wie die Stimmung, das Grundgefühl war? Wie das jeden berührt und erschüttert hat?

Ein wenig hat sich auch bei mir inzwischen eine gewisse Abstumpfung eingeschlichen, was 9/11 angeht - Fernsehberichte schaut man "so nebenbei", man kennt die Bilder so gut, das dumpfe "Oh my god!" des Augenzeugen... Und doch ist es so, dass es mir unter die Haut kriecht, wenn ich mir die Bilder bewusst anschaue und wirklich in mich hinein lasse, was damals geschah.

Ich erinnere mich gut. Ich hatte die Nachmittags-Nachrichtensendung in meinem lokalen Radiosender zu moderieren, und begonnen hatten wir das alles mit dem üblichen Gemisch aus regionalen Nachrichten und bunten Beiträgen. Dann irgendwann hieß es, da sei ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen, und ab da ging es nur noch darum, die Sendung mit aktuellsten Informationen und gemäßigter, ruhiger Musik über die Runden zu bringen. Im Redaktionsbüro lief der Fernseher mit amerikanischen Live-Nachrichten, und ich lief hin und her, schwankend zwischen persönlicher, absoluter Fassungslosigkeit und der Notwendigkeit, das Gesehene in knappe, faktenorientierte Meldungen zu fassen, die es vor dem aufgezogenen Mikrofon angemessen vorzutragen galt. Ich werd's nie vergessen.

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