Freitag, 18. Oktober 2013
Bagatelle 204 - Amplitude
Amplitude (oder: Amplitudo, ein nóch schöneres Wort) ist, so habe ich mir sagen lassen, ein Begriff aus der klassischen Mechanik. Es scheint ein Maß zu sein (ich sag' es in eigenen Worten) für die Entfernung zwischen einem festen Ruhepunkt und dem Ende eines drehenden Pendels.

Neulich sah ich mir am Fernsehen die Weltmeisterschaften im Geräteturnen an. Sofort kam die Erinnerung an die Turnstunde in der Schule. An die seltene Gelegenheit wo die Ringe niedergelassen wurden und wo van uns verlangt wurde, entweder hängend oder schaukelnd, allerhand schwierige Bewegungen zu machen. Da war was wir nannten: das Vogelnest (andere nannten es das Schwänlein an den Ringen), wo man die hölzerne Ringe so feste wie möglich in die Hände nahm, die Beine eins nach dem anderen ebenfalls durch die Ringe stach, und schließlich das körperliche Innere nach außen wendend auf einer sehr komischen Weise in den Ringen hing. Ungefähr wie hier auf dem Bild, aus dem Schreber Pangymnastikon (1875) entnommen:




Es gibt, wie Sie besser als ich wissen, offenbar viele Arten von Turnübungen und viele Sorten von Turngeräten. Frauen turnen am Boden, schwingen ihre Keulen und Seile, balancieren am Schwebebalken und bewegen sich zierlich am Barren oder springen über ein komisches, ledernes Pferd. Männer hängen an Ringen, schweben am Barren und Reck, und zeigen mirakulös aussehende Übungen auf und über ein wiederum komisch anmutendes ledernes Ross.
Und dann die Terminologie der verschiedenen Turnübungen. Ein Kopfstand, ein Handstand, eine Rolle vorwärts: das alles können und verstehen wir. Aber was ist bitteschön ein Jägersalto mit dreifacher Schraube? Was heißt denn: übergrätschen zum Stützhang?

Auch in der von mir so geliebten Turnerei spielt der Amplitude-Begriff eine Rolle. Nehmen wir zum Beispiel den Russen Sascha Abramkowitsch bei seiner Übung am Reck. Sascha hält die eiserne Rekstockstange (der Ruhepunkt) fest in den Händen während sein Körper rückwärts oder bauchwärts zierliche Kreise rundum den Reckstock dreht. Je größer der Abstand zwischen seinen Fingern und seinen in hübschen Turnschuhen verborgenen gestreckten Zehen, je größer das Amplitude. Und das ist wichtig, weil eine Übung welche mit breiten Kreisen und einem deswegen großen Amplitude ausgeführt wird schöner anzusehen ist und deshalb höher bewertet wird. Findet das geehrte Jurymitglied insofern er nicht einer Bestechung zum Opfer gefallen ist.

Schön anzusehen ist es allemal. Denke ich, wenn ich sehe wie mein Landsmann Epke Zonderland Weltmeister am Reck wird. Sein deutscher Busenfreund wird zweiter. Ein bißchen Schadenfreude ist auch dabei. Wie im Fußball.





Nachlese:
Auch diese an sich klare Darbietung wird von einigen illustrativen Bildern begleitet. Auf dem ersten Bild vermuten wir die hübsche Frida Ungemütlich am Barren. Die zweite Abbildung vermittelt klar und deutlich wie man (in diesem Fall der oben genannte Sascha Abramkowitz) am Reck eine Pendelkippe auszuführen hat. So getan kann es niemals schief gehen.




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