Donnerstag, 12. Dezember 2013
Bagatelle 210 - Statistisch ungeeignet
terra40, 19:41h
eine vorweihnachtliche Geschichte
Es war einmal ein nicht-mehr-so-junger Student. Kein Bettelstudent oder sonstiger braver, biederer Millöcker-fan, sondern ein urnormaler, unauffälliger, etwas älterer Student. Nach einigen schönen Jahren in der Lehrerschaft besann er - nennen wir ihn schlicht Felix, obwohl er einen völlig anders klingenden Vornamen hat - sich auf seine Zukunft und beschloß darauf in die Universität einzutreten wo ihm das Psychologiestudium lockte. Zum weiteren Verständnis sei noch hinzugefügt, daß der Felix eine liebe Ehefrau und zwei junge Kinder zu Hause wußte. Die Beratung mit der Ehefrau - übers Ob und Wie - dauerte fünf Minuten. "Wenn du das wirklich willst," sagte sie, "tue es." Die beiden Kinder sagten nichts, sie aber zeigten ein leichtes Nicken.
Nun war es so, daß in dem Land wo Felix wohnte, das Psychologiestudium damals sechs volle Jahre dauerte. Zwölf Semester oder achtzehn Trimester, wie Sie wollen. Das heißt allerdings: mindestens sechs Jahre. Wenn alles denn den Wünschen nach verlief. Dennoch fanden sich am ersten Tag in der Aula des Psychologischen Laboratoriums (die Subfakultät der Psychologie hatte ein eigenes, anspruchvolles Gebäude, was man Laboratorium (Labor) nannte, wie in Wundt's Zeiten) runde 220 Studenten um zu erfahren was das Psychologiestudium in etwa auf sich hatte. Worauf müßten die vielen jungen und einige wenige alte Anfänger sich vorbereiten?
Wenn Sie Altstudenten der Psychologie damals gefragt hätten was das schwierigste Fach unter allen vielen Fachbereichen im ersten Studienjahr war, hätte die Antwort gelautet: die erweiterte Mathematik und mehr im besonderen die Statistik.
"Das stimmt," sagte der Professor in seiner Einleitung, "aber den Studenten welche eine ungenügende mathematische Vorausbildung besitzen, offerieren wir einen Extra-Kurs. Um das allgemeine, erforderliche Anfangsniveau zu erreichen."
Weil Felixens mathematisches Niveau, gelinde gesagt, sehr zu wünschen übrig ließ, begab er sich einige Tage später in den Studiensaal wo der Extra-Mathematik-Kurs von Statten gehen sollte. Obwohl er zwanzig Jahre älter aussah war der Kursusleiter ebenfalls ein Student der Psychologie. Er war, so gab er zu, noch immer im fünften Jahr tätig, obschon er schon zehn Jahre auf der Uni herumstudierte.
Dieser Student-Assistent-Professor-Kursusleiter war ein kluger Mann. Er bestimmte mittels eines Testes zuerst das Anfangsniveau aller zwanzig Nachhilfebedürftigen. Dann sprach er mit jedem einzelnen.
Als er das Testergebnis unseres Studenten Felix sah, wurde er bleich bis hinter den Ohren. "Lieber Felix, hast du je irgendeine Mathematikstunde genossen?" Darauf Felixens Antwort, wahrheitsgetreu: "Doch. In der Realschule hatten wir einiges an Mathematik. Aber das meiste hab ich vergessen. Oder verdrängt?" fügte er quasi-psychologisch hinzu.
Dann wurde der Kursusleiter richtig ernst und ehrlich. "Dieser Kurs hier ist nichts für dich. Ich rate dir freundlich aber dringend nachzudenken ob du überhaupt dieses Studium anfangen willst. Denk noch mal gut darüber nach. Statistisch gesehen hast du eine Chance von eins auf hunderttausend daß du die Mathematik- und Statistikprüfungen bestehst. An den formalen Mathematik- und Statistikverbindlichkeiten kannst du nicht vorbei. Die sind für alle Pflicht und keine Wahl. Ich wünsch dir alles Gute."
Einer muß es dir schon beibringen, aber er soll dir nur gesagt werden. So dachte Felix. Zuhause angekommen schloß er die Tür des Studierzimmers hinter sich zu, dachte eine halbe Stunde nach, ließ sich wieder blicken und sprach zu seiner Frau: "Hör mal. Ich fange normal mit dem Psychologiestudium an. Die Vorlesungen im Fachbereich Statistik hör ich mir an und die damit verbundenen praktischen Aufgaben versuche ich so gut wie 's nur geht zu erledigen. Wenn es der Hälfte der Anfänger unter den künftigen Psychologen gelingt die Statistikhürde zu nehmen, wäre es doch gelacht daß ich das nicht schaffen sollte. Ich werde viel Zeit und Mühe aufbringen müssen. Das werde ich. Aber nicht auf biegen und brechen und nicht koste was es wolle."
Hier oben sehen Sie einen Teil einer Seite aus dem Statistik-Lehrbuch. Für das Gedruckte ist der Autor, für das Hinzugeschriebene ist der Felix zuständig. An dieser Stelle war die Hälfte des ersten Jahres vorbei. Die etwas dunkel schimmernden Flecken verweisen auf das Blut, den Schweiß und die Tränen welche mit diesem Lehrstoff verbunden waren.
Unbeschreiblich war dann die Freude beim Abschluß des zweiten Semesters, just vor den Sommerferien, wo der diensthabende Studienleiter bekannt gab, daß der Student mit Namen Felix die Statistikprüfung mit "genügend" abgeschlossen habe.
Es ist wohl war, daß die erste Hürde die schwerste ist. Wenn auch der Felix in den folgenden Jahren mit den statistischen Problemaufgaben zu kämpfen hatte, so schwierig wie im Anfang wurde es nie. "Du hast mich total überrascht," sagte ihm der ehemalige Extra-Kursleiter dem er zufälligerweise im Korridor begegnete. "Es geht mir auch so," erwiderte Felix.
Was nun, liebe Bagatellenleserinnen und -Leser, sagt uns diese Geschichte? Erstens, es geschehen immer noch ungeahnte Geschichten wobei ungedachte Kräfte freikommen. Zweitens, der Felix hat gut Reden, denn es hatte auch völlig daneben gehen können. (Sagte seine Frau auch.) Drittens, traue niemals den Statistiken, sondern baue auf die Wahrheit. Viertens, lieber statistisch ungeeignet als menschlich durchgefallen. Oder?
Das war die Geschichte von Felix. Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er heute noch.
Es war einmal ein nicht-mehr-so-junger Student. Kein Bettelstudent oder sonstiger braver, biederer Millöcker-fan, sondern ein urnormaler, unauffälliger, etwas älterer Student. Nach einigen schönen Jahren in der Lehrerschaft besann er - nennen wir ihn schlicht Felix, obwohl er einen völlig anders klingenden Vornamen hat - sich auf seine Zukunft und beschloß darauf in die Universität einzutreten wo ihm das Psychologiestudium lockte. Zum weiteren Verständnis sei noch hinzugefügt, daß der Felix eine liebe Ehefrau und zwei junge Kinder zu Hause wußte. Die Beratung mit der Ehefrau - übers Ob und Wie - dauerte fünf Minuten. "Wenn du das wirklich willst," sagte sie, "tue es." Die beiden Kinder sagten nichts, sie aber zeigten ein leichtes Nicken.
Nun war es so, daß in dem Land wo Felix wohnte, das Psychologiestudium damals sechs volle Jahre dauerte. Zwölf Semester oder achtzehn Trimester, wie Sie wollen. Das heißt allerdings: mindestens sechs Jahre. Wenn alles denn den Wünschen nach verlief. Dennoch fanden sich am ersten Tag in der Aula des Psychologischen Laboratoriums (die Subfakultät der Psychologie hatte ein eigenes, anspruchvolles Gebäude, was man Laboratorium (Labor) nannte, wie in Wundt's Zeiten) runde 220 Studenten um zu erfahren was das Psychologiestudium in etwa auf sich hatte. Worauf müßten die vielen jungen und einige wenige alte Anfänger sich vorbereiten?
Wenn Sie Altstudenten der Psychologie damals gefragt hätten was das schwierigste Fach unter allen vielen Fachbereichen im ersten Studienjahr war, hätte die Antwort gelautet: die erweiterte Mathematik und mehr im besonderen die Statistik.
"Das stimmt," sagte der Professor in seiner Einleitung, "aber den Studenten welche eine ungenügende mathematische Vorausbildung besitzen, offerieren wir einen Extra-Kurs. Um das allgemeine, erforderliche Anfangsniveau zu erreichen."
Weil Felixens mathematisches Niveau, gelinde gesagt, sehr zu wünschen übrig ließ, begab er sich einige Tage später in den Studiensaal wo der Extra-Mathematik-Kurs von Statten gehen sollte. Obwohl er zwanzig Jahre älter aussah war der Kursusleiter ebenfalls ein Student der Psychologie. Er war, so gab er zu, noch immer im fünften Jahr tätig, obschon er schon zehn Jahre auf der Uni herumstudierte.
Dieser Student-Assistent-Professor-Kursusleiter war ein kluger Mann. Er bestimmte mittels eines Testes zuerst das Anfangsniveau aller zwanzig Nachhilfebedürftigen. Dann sprach er mit jedem einzelnen.
Als er das Testergebnis unseres Studenten Felix sah, wurde er bleich bis hinter den Ohren. "Lieber Felix, hast du je irgendeine Mathematikstunde genossen?" Darauf Felixens Antwort, wahrheitsgetreu: "Doch. In der Realschule hatten wir einiges an Mathematik. Aber das meiste hab ich vergessen. Oder verdrängt?" fügte er quasi-psychologisch hinzu.
Dann wurde der Kursusleiter richtig ernst und ehrlich. "Dieser Kurs hier ist nichts für dich. Ich rate dir freundlich aber dringend nachzudenken ob du überhaupt dieses Studium anfangen willst. Denk noch mal gut darüber nach. Statistisch gesehen hast du eine Chance von eins auf hunderttausend daß du die Mathematik- und Statistikprüfungen bestehst. An den formalen Mathematik- und Statistikverbindlichkeiten kannst du nicht vorbei. Die sind für alle Pflicht und keine Wahl. Ich wünsch dir alles Gute."
Einer muß es dir schon beibringen, aber er soll dir nur gesagt werden. So dachte Felix. Zuhause angekommen schloß er die Tür des Studierzimmers hinter sich zu, dachte eine halbe Stunde nach, ließ sich wieder blicken und sprach zu seiner Frau: "Hör mal. Ich fange normal mit dem Psychologiestudium an. Die Vorlesungen im Fachbereich Statistik hör ich mir an und die damit verbundenen praktischen Aufgaben versuche ich so gut wie 's nur geht zu erledigen. Wenn es der Hälfte der Anfänger unter den künftigen Psychologen gelingt die Statistikhürde zu nehmen, wäre es doch gelacht daß ich das nicht schaffen sollte. Ich werde viel Zeit und Mühe aufbringen müssen. Das werde ich. Aber nicht auf biegen und brechen und nicht koste was es wolle."
Hier oben sehen Sie einen Teil einer Seite aus dem Statistik-Lehrbuch. Für das Gedruckte ist der Autor, für das Hinzugeschriebene ist der Felix zuständig. An dieser Stelle war die Hälfte des ersten Jahres vorbei. Die etwas dunkel schimmernden Flecken verweisen auf das Blut, den Schweiß und die Tränen welche mit diesem Lehrstoff verbunden waren.
Unbeschreiblich war dann die Freude beim Abschluß des zweiten Semesters, just vor den Sommerferien, wo der diensthabende Studienleiter bekannt gab, daß der Student mit Namen Felix die Statistikprüfung mit "genügend" abgeschlossen habe.
Es ist wohl war, daß die erste Hürde die schwerste ist. Wenn auch der Felix in den folgenden Jahren mit den statistischen Problemaufgaben zu kämpfen hatte, so schwierig wie im Anfang wurde es nie. "Du hast mich total überrascht," sagte ihm der ehemalige Extra-Kursleiter dem er zufälligerweise im Korridor begegnete. "Es geht mir auch so," erwiderte Felix.
Was nun, liebe Bagatellenleserinnen und -Leser, sagt uns diese Geschichte? Erstens, es geschehen immer noch ungeahnte Geschichten wobei ungedachte Kräfte freikommen. Zweitens, der Felix hat gut Reden, denn es hatte auch völlig daneben gehen können. (Sagte seine Frau auch.) Drittens, traue niemals den Statistiken, sondern baue auf die Wahrheit. Viertens, lieber statistisch ungeeignet als menschlich durchgefallen. Oder?
Das war die Geschichte von Felix. Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er heute noch.
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