Freitag, 12. Juni 2015
Bagatelle 262 - Skizzen und Stiche
terra40, 18:16h
Die heutige Zeit bringt mit sich, dass neuerdings auch fast jedes tierisches Geschöpf sich dann und wann einer Identifikationspflicht unterziehen muss. Daher sieht man bei uns auf dem Plattenlande Schafe und Kühe mit grässlichen gelben Ohrmarken welche als eine Art Ausweis funktionieren sollen.
Nein dann früher, als die Kühe schlicht Elisabeth 13 hießen und wenn man sie Elisabeth 15 nannte, erwiderte die alte Dame: nein, das ist meine Enkelin. Aber auch schon früher gab es für Kühe ein Identifikationspapier, quasi einen Verbleibschein, inklusive Bildnis also.
Das hier ist solch ein Reisepass. Unten schreibt irgendwer: der Besitzer, der Versicherungsfachmann, der angebliche Käufer, die wichtigen Daten. Oben werden die sehbaren Merkmale sichtbar, indem einer mit Tinte oder Bleistift vermerkt wo auf der Kuhhaut sich dunkel/schwarze (beziehungsweise dunkelrote) Flecken sehen lassen und wo die sanfte, lauwarme Kuhhaut schneeweiß bleibt. Diese bildliche Merkmale wurden nicht fotografiert, sondern skizziert. Vor allem einige Wochen nach einer Neugeburt wurde dieses Verfahren gehandhabt. Das Resultat war, wie es bei uns genannt wurde, eine Kalbskizze. Dadurch hatte ein Kalb eine eigene Identität und zugleich Würde, Anstand und Anerkennung.
Ich weiß das alles weil meine Frau, die Madame Terra also, in ihren jungen Jahren viele Kälber skizziert hat. Als Bauerstochter, mit einiger künstlerischen Begabung ausgestattet, fiel ihr das nicht schwer. Sie tat diese nicht bezahlte Arbeit, nur ein Dankeswort genügte, in Vertretung ihres Vaters der für die örtliche Viehversicherungsgesellschaft tätig war. Wie viele Male hat sie uns nicht die Familiengeschichte erzählt, wo sie, im kalten Winter auf den Weg zu einem frisch zu skizzieren Kalb, mit ihrem Moped von dem eisigen Landweg abkam und zwar leicht verwundet ein dennoch passende Skizze mit großer Ähnlichkeit produzierte.
Skizzen und Stiche sind zweierlei Sachen. (In meiner Muttersprache braucht man nur die Anfangsbuchstaben Sch zu entfernen: schets versus ets.) Ich möchte Ihnen außer einer Skizze auch einen richtigen Stich zeigen. Er stammt von meinem vor einigen Jahren (das gleiche Sterbejahr wie die Madame Terra übrigens) verstorbenen Bruder. Geschaffen, nicht mit einer ätzenden Flüssigkeit wie bei normale Stichen, sondern in der ꞌtrockenen Nadelꞌ-Technik, wo ein Künstler direkt Formen und Linien in die Bleiplatte hinein kratzt.
Er nannte diesen Stich ꞌAufhellende Landschaft nach dem Gewitterꞌ. Wir erkennen sofort die uns umringende Landschaft und die dazugehörende Gesinnung. Drohend und düster, aber nicht völlig überherrschend. Wir sehen wie sich die Furchen zum Horizont sputen. Und wir wissen, dass in dem kleinen Hof die Bauersfrau eine Brotmahlzeit vorbereitet: es ist vier Uhr vorbei. Roggenbrot mit Speck.
Der Stich hängt seit Jahren in unserer guten Stube und wird jedes Jahr schöner. Das fand die Frau Terra auch; sie mochte den Stich sehr. Mehr als ihre Skizzen.
Nein dann früher, als die Kühe schlicht Elisabeth 13 hießen und wenn man sie Elisabeth 15 nannte, erwiderte die alte Dame: nein, das ist meine Enkelin. Aber auch schon früher gab es für Kühe ein Identifikationspapier, quasi einen Verbleibschein, inklusive Bildnis also.
Das hier ist solch ein Reisepass. Unten schreibt irgendwer: der Besitzer, der Versicherungsfachmann, der angebliche Käufer, die wichtigen Daten. Oben werden die sehbaren Merkmale sichtbar, indem einer mit Tinte oder Bleistift vermerkt wo auf der Kuhhaut sich dunkel/schwarze (beziehungsweise dunkelrote) Flecken sehen lassen und wo die sanfte, lauwarme Kuhhaut schneeweiß bleibt. Diese bildliche Merkmale wurden nicht fotografiert, sondern skizziert. Vor allem einige Wochen nach einer Neugeburt wurde dieses Verfahren gehandhabt. Das Resultat war, wie es bei uns genannt wurde, eine Kalbskizze. Dadurch hatte ein Kalb eine eigene Identität und zugleich Würde, Anstand und Anerkennung.
Ich weiß das alles weil meine Frau, die Madame Terra also, in ihren jungen Jahren viele Kälber skizziert hat. Als Bauerstochter, mit einiger künstlerischen Begabung ausgestattet, fiel ihr das nicht schwer. Sie tat diese nicht bezahlte Arbeit, nur ein Dankeswort genügte, in Vertretung ihres Vaters der für die örtliche Viehversicherungsgesellschaft tätig war. Wie viele Male hat sie uns nicht die Familiengeschichte erzählt, wo sie, im kalten Winter auf den Weg zu einem frisch zu skizzieren Kalb, mit ihrem Moped von dem eisigen Landweg abkam und zwar leicht verwundet ein dennoch passende Skizze mit großer Ähnlichkeit produzierte.
Skizzen und Stiche sind zweierlei Sachen. (In meiner Muttersprache braucht man nur die Anfangsbuchstaben Sch zu entfernen: schets versus ets.) Ich möchte Ihnen außer einer Skizze auch einen richtigen Stich zeigen. Er stammt von meinem vor einigen Jahren (das gleiche Sterbejahr wie die Madame Terra übrigens) verstorbenen Bruder. Geschaffen, nicht mit einer ätzenden Flüssigkeit wie bei normale Stichen, sondern in der ꞌtrockenen Nadelꞌ-Technik, wo ein Künstler direkt Formen und Linien in die Bleiplatte hinein kratzt.
Er nannte diesen Stich ꞌAufhellende Landschaft nach dem Gewitterꞌ. Wir erkennen sofort die uns umringende Landschaft und die dazugehörende Gesinnung. Drohend und düster, aber nicht völlig überherrschend. Wir sehen wie sich die Furchen zum Horizont sputen. Und wir wissen, dass in dem kleinen Hof die Bauersfrau eine Brotmahlzeit vorbereitet: es ist vier Uhr vorbei. Roggenbrot mit Speck.
Der Stich hängt seit Jahren in unserer guten Stube und wird jedes Jahr schöner. Das fand die Frau Terra auch; sie mochte den Stich sehr. Mehr als ihre Skizzen.
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