Samstag, 27. Mai 2017
Bagatelle 300 - Gitterfenster
Das Haus das ich bis vor kurzem bewohnte, einen Bauernhof aus 1896, kennt einige ungewöhnlich merkwürdige Zimmer. Zum Beispiel die Alkovenkammer, ein wie ein Herz mitten im Haus gelegenes Schlafzimmer wo kein Außenlicht ans Tageslicht kommt, ein Raum worin der Großvater meiner Frau noch übernachtet hat.

Was Sie hier unten sehen, ist auch etwas Besonderes. Dies hier ist ein Kämmerlein mit einem kleinen von Gittern versehenen Fenster. Sonst ist es leer. Schön sauber zwar, vorzüglich angestrichen. Die Kammer hat eine Länge von zwei Meter dreißig und ist eins-vierzig breit. (Extra für Sie nachgemessen.) Ein Stück Bodenbedeckung, das irgendwo anders überflüssig wurde, ist das einzige Zeichen von Komfort.



Wie gesagt, das Zimmer ist leer. Was Sie dort beim Fenster an der Wand hängen sehen, ist der Gasmesser. Dies hätte natürlich eine Art Klosterzelle sein können, ein Ort wo der Herr Terra seine Meditationsstunden verbringt. Da liegen Sie aber falsch, denn der Terra, obwohl er dann und wann nachdenkt, hat überhaupt keine Zeit, Lust und Muße um zu meditieren.
Auch sehe ich nirgendswo eine Heizungsplatte oder einen Ofen. Wie soll das gehen, im Winter, wenn der schneidende Ostwind durch die Gegend (und bei uns auch durchs Haus) fegt? Am meisten verwirrend ist die Anwesenheit der Gitterstäbe vor dem Fenster. Hatten Sie in ihrem Haus je eine leere Kammer mit einem von einem Gitterzaun versehenen Fenster? Ist es dann doch eine Zelle, aber dann ein Ort wo man unartige und ungezogene Kinder oder böse Ein- und Verbrecher einsperrt?
Wissen Sie übrigens wie so eine Zelle in unserer Dialektsprache genannt wird: wir nennen es eine Kaste. Das ist nicht ein Schrank zum Aufbewahren nutzloser Gegenstände. Es sind auch nicht die untouchables in Indien, es ist in unserer Umgangssprache ein Ort wo verhaftete Übeltäter über ihre Sünden nachdenken.

Es wird Zeit das Geheimnis zu offenbaren. Die Kammer ist kein Raum für Kontemplation, weder für Verbrecherreue. Es ist eine Speisekammer. Nahrungsmittel und Sachen zur Nahrungsbereitung werden hier liebevoll gelagert und aufbewahrt. Nicht für ungefähr liegt die Kammer an der nordöstlichen Seite des Hauses, dort wo es Sommer und Winter am kältesten ist. So dass die Milch nicht sauer wird. Als das Haut gebaut wurde hatte man keine Ahnung von Tiefkühltruhen und Gefrierfächer. Obendrein fehlte das Geld dazu.

Bleibt die Frage nach den Gitterstäben. Eine kleine Kammer zum Aufbewahren von Nahrung: das verstehen wir. Aber wozu dient dieses Gitter? Oder fürchtet man vielleicht die Nachbarskatze die ab und zu nachschaut ob es etwas Leckeres zu holen gibt? Oder ein anderes Raubtier, wie der gefächerte ostniederländische Tiger. Der ist jetzt zwar ausgestorben, aber in 1896 beim Bau des Hauses gab es ihn noch in großer Zahl.





Epilog

Während ich dies schreibe, hat sich die kleine Vorratskammer wieder gefüllt. Nahrungsmittel, gefüllte Gläser, Töpfen und Pfannen lagern auf Gerüsten und Brettern. In nicht allzu langer Zeit ist unser Keller wieder voll. Proppenvoll.

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Sie schreiben, dass Sie das Haus bis vor kurzem bewohnten, sind Sie etwa aus diesem schönen Haus ausgezogen? Aber Sie haben doch noch Zugang zu der Speisekammer.

Als Kind fand ich Speisekammern immer spannend. Eine meiner Großmütter hatte in ihrem damaligen "Behelfsheim" in einer kleinen Kammer zusätzlich auch noch eine im Boden eingelassene Art Grube, in der die Termperatur kälter war als über der Erde und die somit als Kühlschrank genutzt wurde. Die andere Oma hatte eine Art winzige Abseite. Da standen dann jede Menge Einmachgläser. Meine Eltern hatten auch eine Art Speisekammer, die aber auch als das fungierte, was man früher "Rumpelkammer" nannte, das heißt ein Abstellraum für alles, was man nicht jederzeit brauchte oder aussortiert hatte.

Speisekammern waren ja früher zwingend erforderlich, weil im Sommer die Lebensmittel für den Winter eingemacht wurden und ein so großer Vorrat ensprechend Platz benötigte. Das ist heute durch den Supermarkt nebenan nicht mehr erforderlich. Ich find's schade, denn ich fand die Unmengen von Einmachgläser, Saftflaschen und Steinguttöpfen (für Gurken) schön.

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Speisekammer
Liebe Frau Behrens, voriges Jahr habe ich den alten Hof verkauft und mir eine komfortabele Neubauwohnung besorgt. Rechtzeitig vor dem Umzug habe ich die dann noch volle Speisekammer fotografiert.
Gruß, T.

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Ich könnte mir vorstellen, daß die Gitter nicht nur zur Abschreckung des gefächerten ostniederländischen Tigers angebracht wurden, sondern um Einbrecher abzuhalten.
Oft vergißt man u.a. daß in solchen Räumen ein Fenster geöffnet ist und dann ist der Schaden da. (Gilt ja auch für Kellerfenster u.a.) : )

Allerdings ist sicherlich auch die Nachbarskatze nicht uninteressiert an den Schätzen in einer solchen Kammer.

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