Montag, 28. Mai 2018
Bagatelle 316 - Wasserohr (mit nur éinem r)
Als kleiner, fünfjähriger Junge wird man (ich jedenfalls) oft mit Ausdrücken und Wörtern konfrontiert deren Bedeutung ganz und gar unklar bleibt. Entweder weil man (der erwachsene Sprecher) nicht so freundlich ist sie dir zu erklären, oder weil man selber so dumm und ungeschickt ist das nicht zu fragen. Folge: bis Lebensende läuft man mit Gefühlen von Bedauern, Verdruss, Leid und Ärger umher. Manchmal erwacht man (ich jedenfalls wiederum) mitten in der Nacht weil einem die Frage quält: was, um Himmelwillen, ist ein PLARK?

Wasserohr (mit éinem r) ist auch solch ein Fall. Das kommt so:
Mein Vater hatte seit Lebens immer Schwierigkeiten mit den Beinen. Sie taten ihm weh und er mochte auch nicht gerne über die Straße gehen. Nachts konnte er oft nicht schlafen und der befreundete Arzt sagte dass es eine Form von Thrombose sei. Was das Problem jedoch auch nicht löste. Bis ein ebenfalls befreundeter Bekannter eines Tages zu ihm sagte: Es ist ein Wasserohr, dás ist es! Ehrlich, ich stand daneben und hörte es ihm sagen, aber mir fehlte der Mut um zu fragen: was, bitte schön, ist ein Wasserohr? Weil niemand antwortete fuhr der Bekannte weiter: Weißt du, was hilft? Ich weiß es. Es ist ein Kästchen, eine Art pappkartonfarbige geschossene Kiste, welches du unter deinem Bett schiebst. Du wirst sehen: nach einigen Wochen ist das Problem aufgehoben und sind die Qualen und Schmerzen vorbei.

So gesagt, so überlegt, so getan. "Hilft’s nicht," sagte der Vater, "schaden tut’s auch nicht. Wir probieren ’s mal aus." Ein geheimnisvolles Kistchen kam unters eheliche Bett. Nach vier Wochen in denen die Schmerzen keineswegs minderten, nahm mein Vater das Kistchen, brachte es dem Bekannten zurück. "Erzähl mir bitte keine Märchen. Das Ding ist zu nichts Gute imstande."

Viel später, nach vielen Jahren, habe ich endlich zwei Sachen entdeckt. Erstens die Bedeutung des rätselhaftes Wortes. Jemand erläuterte mir: gemeint wird nicht ein Ohr (zum Hören also) voller Wasser (oder so etwas), sondern eine Wasserader. Ein Wasserstrom, ein Bach, ein Fluss, so etwas. Ader wie Blutader. In diesem Fall mit Wasser gefüllt. Es gäbe tiefe, unterirdische Wasserströme, umgeben von magnetischen Strahlungen welche manchmal an die Erdoberfläche auftauchen und dort ihren Einfluss ausüben. Zum Beispiel in der Form von Beinschmerzen.
Zweitens weiß ich nun auch warum der Schwiegervater, wenn auf dem Hof, irgendwo im Gemüsegarten zum Beispiel, eine neue Wasserpumpe geschlagen werden sollte, immer einen Wechselrutenläufer kommen ließ, der mit einem gebogenen Weidenzweig rund ums Haus lief um zu erfahren wo sich Wasser unter der Erde befindet, und wo nicht.

Doch, es gibt einiges auf der Erde was wir nicht verstehen. Obwohl uns die Bedeutung des Wortes endlich klar ist.


Nachschrift 1: In unserem Dialekt wird das niederländische Wort ader immer gesprochen und geschrieben als oor. (Auf Deutsch klingt das wie ohr).
Nachschrift 2: der Plark, von dem hier oben die Rede war, ist ein fürchterliches, niemals gesehenes, Ungeheuer, das sich im Wasser aufhält um Kinder davon abzuhalten zu nahe am Wasser zu kommen.
Nachschrift 3: Das pappkartonfarbiges Kistchen enthielt laut mehreren Aussagen nur eine Rolle Draht. Sonst nichts als Luft.


... comment