Samstag, 24. November 2018
Bagatelle 326 - Goodbye Bach revisited
Was ist wahr? Wem kann man überhaupt heute noch trauen? Was bedeuten uns Begriffe wie Ehrlichkeit und Wahrheit? Fragen über Fragen. In einer Zeit wo uns von allen Seiten fake-news bedroht.

Heute vor fast zehn Jahren, im Oktober 2009 schrieb ich eine Bagatelle unter dem Titel Goodby Bach. (Es waren die Zeiten von Goodbye Lenin … Wenn Sie denn unbedingt wollen, können Sie die originelle Bagatelle suchen und lesen.) Aber, um Ihnen die Suchmühe zu ersparen und Ihnen die nachfolgende Geschichte zu erläutern lass ich sie hier noch einmal folgen.


Bagatelle XXI - Goodbye Bach

Allmählich erfahren wir hier im Ausland von den Normalitäten in der früheren DDR. Die meisten schroffen Unterschiede waren uns schon bekannt, aber jetzt hören wir auch wie sich drüben das übliche, normale Alltagsleben abspielte. So erzählt man uns, dass in Leipzig und weite Umgebung das Interesse für die menschliche Physiologie, und insbesondere für die Physiognomie, groß ist. Man interessiere sich sehr für die plastische Chirurgie und alle andere Möglichkeiten den menschlichen Körper im positiven Sinne zu beeinflussen.

So ist es kein Wunder dass das Auge von Dr. Rosemarie Wassehichhier auf den Eisenacher Ziegelleger Josef Kubitschka traf. Dr. Rosemarie ist von Hause aus Anatom Pathologe. Sie weiß alles vom menschlichen Gesicht, kennt alle Gesichtsknochen, Gesichtsmuskeln und Gesichtsnerven bei ihren Namen. Ihr fällt auf das der Ziegelleger Josef sich dem großen Eisenacher Johann Sebastian Bach sehr ähnelt. Unglaublich, wie sich die Bilder gleichen!



Hier oben sehen wir Josef, den Ziegelleger. Das Bild ist aus den 70er Jahren des vorigen, 20. Jahrhunderts. Auffallend ist der damals schon moderne, westliche Haarschnitt, auch jetzt noch, zwanzig Jahre nach der Wende. Daraus geht mal wieder hervor wie fortschrittlich die Ziegelleger drüben waren. Dr. Rosemarie bittet Josef um Erlaubnis von seinem noch lebenden Gesicht eine Todesmaske anzufertigen: sie ist Experte auf diesem Gebiet. So gesagt und getan. Und sobald wir Josef von einer Bachschen Perücke versehen, sehen wir den großen Musiker in lebendigen Leibe vor uns. So hat er denn ausgesehen. Bilder auf Leinwand hatten wir schon. Jetzt erscheint und der große Komponist Bach dreidimensional!






Hunderte haben die Ausstellung am forensischen Institut der Eisenacher Universität besucht, wo sie sich staunend um Bach versammelten. Manche Besucher waren außer sich und sangen spontan: Jauchzet, frohlocket! Andere sagten schmunzelnd: Aber, ist das nicht Josef der Ziegelleger? Sind wir alle blind oder was? Sie fingen an zu weinen und sangen betrübt: Wir setzen uns mit Tränen nieder.
Ich selber der alles sah, fühlte ihren Schmerz und summte leise: Blute nur du liebes Herz. Worauf alle sich in dem Schlusschor vereinigten: Ruhe sanfte, sanfte Ruh’.


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Soweit die alte Geschichte. Und was lese ich heute in meiner treuen Morgenzeitung? (Trouw, 23 November 2018)
Die Geschichte war frei erfunden! Tatsache ist dass es die Dr. Wassehichhier gar nicht gegeben hat. Und der sogenannte Ziegelleger Josef ist ein freimütiger Einfall. Tatsache ist auch dass eine gewisse Dr. Caroline Wilkinson (aus Liverpool, von woher auch die Beatles stammen, also muss es wohl wahr sein) mit digitalen und andersgearteten Mitteln von Bach’s Scheitel ein richtiges Gesicht hergestellt hat. So hat der berühmte Bach also ausgesehen.
Sehen Sie die Metamorphose hier unten.





Aber sagen Sie bitte selbst: das ist doch der Josef, der Ziegelleger den wir dort schließlich sehen? Oder irre ich mich? Wieder ein Fall von fake-news? Kann man dann niemandem mehr trauen?

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