Freitag, 25. Oktober 2013
Bagatelle 205 - Uhr von Kolumbus
terra40, 23:10h
Zweimal im Jahr kommt er, der von uns allen so gefürchtete horrorman: der Zeitschieber. Eine Mischform von Dracula, Boris Karloff, Frankenstein und dem griechischen Gott Kronos mit seiner Sanduhr. Wann er kommt? Ende März und Ende Oktober. Er kommt unausweichlich und unvermeidlich, wie der Hase zu Ostern und Santa Claus zu Weihnacht. Er kommt an festen, geordneten und offenbar abgemachten Zeitpunkten, meistens in der Nacht zum Sonntag, um Zwei nach Mitternacht. Er geht von Haus zu Haus, von Tür zu Tür. Er hat weder Mitleid noch Einsicht. Er nennt sich selber die Gerechtigkeit in eigener Person und tut was ihm befohlen ist, wie er immer betont, in eigener Sache und nicht in der Freizeit.
An diesen zwei Augenblicken im Jahr ist Hause Terra in höchsten Nöten. Gewarnt von der örtlichen Zeitung (Die Launen-an- der-Luhre Nachrichten), dabei unterstützt von dem Samstagesthemensprecher, der mich vehement davor warnt den kommenden Zeitschieber nicht zu vergessen.
Am nächsten Sonntagmorgen kann man mich durchs Haus wandern sehen, bei jeder Uhr anhaltend, und sich fragend: "… also Winterzeit. Dann muß die Uhr eine Stunde zurück. Oder war es doch andersrum. Vielleicht um eine Stunde vorwärts?"
Ich weiß nicht wie bei Ihnen zuhause die Zeitlage ist, aber bei uns wimmelt es von Uhren in allen denklichen Maßen und Formen. In jedem Zimmer gibt es wohl etwas woran sich die Zeit ablesen läßt. Variierend von semi-antiken Wanduhren, digitalen Zeitmeldern zu unausstehend rustikalen Kuckucksuhren. Und wenn dann wieder der Zeitschiebemann seine Runde gemacht hat, muß ich hinterher um alle Uhren in allen Zimmern zu bitten mir die von nun an gültige Zeit zu zeigen.
Jetzt aber ist die Lösung gefunden. Und zwar definitiv, weil materiell. Wir bauen uns zwei Sets, zwei Gruppen, von Uhren und Uhrwerken. Die eine Sammlung zeigt uns die gute alte Winterzeit, der andere Teil besteht aus Sommerzeitanzeigern. Der Unterscheid ist eine bloße Stunde, nicht mehr und auch keine Minute weniger. Und wenn dann Ende Oktober die Zeit des Zeitschiebers gekommen ist, treten wir durch die einzelne Hauszimmer, nehmen vorsichtig eine Sommeruhr von der Wand und ersetzen diese durch eine geschmacksvolle Winterzeitangabe. Nicht das Ei, sondern die Uhr von Kolumbus. Das werden auch der Zeitgeist, der Gott Kronus und ihr Diener der Zeitschieber zugeben müssen.
An diesen zwei Augenblicken im Jahr ist Hause Terra in höchsten Nöten. Gewarnt von der örtlichen Zeitung (Die Launen-an- der-Luhre Nachrichten), dabei unterstützt von dem Samstagesthemensprecher, der mich vehement davor warnt den kommenden Zeitschieber nicht zu vergessen.
Am nächsten Sonntagmorgen kann man mich durchs Haus wandern sehen, bei jeder Uhr anhaltend, und sich fragend: "… also Winterzeit. Dann muß die Uhr eine Stunde zurück. Oder war es doch andersrum. Vielleicht um eine Stunde vorwärts?"
Ich weiß nicht wie bei Ihnen zuhause die Zeitlage ist, aber bei uns wimmelt es von Uhren in allen denklichen Maßen und Formen. In jedem Zimmer gibt es wohl etwas woran sich die Zeit ablesen läßt. Variierend von semi-antiken Wanduhren, digitalen Zeitmeldern zu unausstehend rustikalen Kuckucksuhren. Und wenn dann wieder der Zeitschiebemann seine Runde gemacht hat, muß ich hinterher um alle Uhren in allen Zimmern zu bitten mir die von nun an gültige Zeit zu zeigen.
Jetzt aber ist die Lösung gefunden. Und zwar definitiv, weil materiell. Wir bauen uns zwei Sets, zwei Gruppen, von Uhren und Uhrwerken. Die eine Sammlung zeigt uns die gute alte Winterzeit, der andere Teil besteht aus Sommerzeitanzeigern. Der Unterscheid ist eine bloße Stunde, nicht mehr und auch keine Minute weniger. Und wenn dann Ende Oktober die Zeit des Zeitschiebers gekommen ist, treten wir durch die einzelne Hauszimmer, nehmen vorsichtig eine Sommeruhr von der Wand und ersetzen diese durch eine geschmacksvolle Winterzeitangabe. Nicht das Ei, sondern die Uhr von Kolumbus. Das werden auch der Zeitgeist, der Gott Kronus und ihr Diener der Zeitschieber zugeben müssen.
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Freitag, 18. Oktober 2013
Bagatelle 204 - Amplitude
terra40, 14:00h
Amplitude (oder: Amplitudo, ein nóch schöneres Wort) ist, so habe ich mir sagen lassen, ein Begriff aus der klassischen Mechanik. Es scheint ein Maß zu sein (ich sag' es in eigenen Worten) für die Entfernung zwischen einem festen Ruhepunkt und dem Ende eines drehenden Pendels.
Neulich sah ich mir am Fernsehen die Weltmeisterschaften im Geräteturnen an. Sofort kam die Erinnerung an die Turnstunde in der Schule. An die seltene Gelegenheit wo die Ringe niedergelassen wurden und wo van uns verlangt wurde, entweder hängend oder schaukelnd, allerhand schwierige Bewegungen zu machen. Da war was wir nannten: das Vogelnest (andere nannten es das Schwänlein an den Ringen), wo man die hölzerne Ringe so feste wie möglich in die Hände nahm, die Beine eins nach dem anderen ebenfalls durch die Ringe stach, und schließlich das körperliche Innere nach außen wendend auf einer sehr komischen Weise in den Ringen hing. Ungefähr wie hier auf dem Bild, aus dem Schreber Pangymnastikon (1875) entnommen:
Es gibt, wie Sie besser als ich wissen, offenbar viele Arten von Turnübungen und viele Sorten von Turngeräten. Frauen turnen am Boden, schwingen ihre Keulen und Seile, balancieren am Schwebebalken und bewegen sich zierlich am Barren oder springen über ein komisches, ledernes Pferd. Männer hängen an Ringen, schweben am Barren und Reck, und zeigen mirakulös aussehende Übungen auf und über ein wiederum komisch anmutendes ledernes Ross.
Und dann die Terminologie der verschiedenen Turnübungen. Ein Kopfstand, ein Handstand, eine Rolle vorwärts: das alles können und verstehen wir. Aber was ist bitteschön ein Jägersalto mit dreifacher Schraube? Was heißt denn: übergrätschen zum Stützhang?
Auch in der von mir so geliebten Turnerei spielt der Amplitude-Begriff eine Rolle. Nehmen wir zum Beispiel den Russen Sascha Abramkowitsch bei seiner Übung am Reck. Sascha hält die eiserne Rekstockstange (der Ruhepunkt) fest in den Händen während sein Körper rückwärts oder bauchwärts zierliche Kreise rundum den Reckstock dreht. Je größer der Abstand zwischen seinen Fingern und seinen in hübschen Turnschuhen verborgenen gestreckten Zehen, je größer das Amplitude. Und das ist wichtig, weil eine Übung welche mit breiten Kreisen und einem deswegen großen Amplitude ausgeführt wird schöner anzusehen ist und deshalb höher bewertet wird. Findet das geehrte Jurymitglied insofern er nicht einer Bestechung zum Opfer gefallen ist.
Schön anzusehen ist es allemal. Denke ich, wenn ich sehe wie mein Landsmann Epke Zonderland Weltmeister am Reck wird. Sein deutscher Busenfreund wird zweiter. Ein bißchen Schadenfreude ist auch dabei. Wie im Fußball.
Nachlese:
Auch diese an sich klare Darbietung wird von einigen illustrativen Bildern begleitet. Auf dem ersten Bild vermuten wir die hübsche Frida Ungemütlich am Barren. Die zweite Abbildung vermittelt klar und deutlich wie man (in diesem Fall der oben genannte Sascha Abramkowitz) am Reck eine Pendelkippe auszuführen hat. So getan kann es niemals schief gehen.
Neulich sah ich mir am Fernsehen die Weltmeisterschaften im Geräteturnen an. Sofort kam die Erinnerung an die Turnstunde in der Schule. An die seltene Gelegenheit wo die Ringe niedergelassen wurden und wo van uns verlangt wurde, entweder hängend oder schaukelnd, allerhand schwierige Bewegungen zu machen. Da war was wir nannten: das Vogelnest (andere nannten es das Schwänlein an den Ringen), wo man die hölzerne Ringe so feste wie möglich in die Hände nahm, die Beine eins nach dem anderen ebenfalls durch die Ringe stach, und schließlich das körperliche Innere nach außen wendend auf einer sehr komischen Weise in den Ringen hing. Ungefähr wie hier auf dem Bild, aus dem Schreber Pangymnastikon (1875) entnommen:
Es gibt, wie Sie besser als ich wissen, offenbar viele Arten von Turnübungen und viele Sorten von Turngeräten. Frauen turnen am Boden, schwingen ihre Keulen und Seile, balancieren am Schwebebalken und bewegen sich zierlich am Barren oder springen über ein komisches, ledernes Pferd. Männer hängen an Ringen, schweben am Barren und Reck, und zeigen mirakulös aussehende Übungen auf und über ein wiederum komisch anmutendes ledernes Ross.
Und dann die Terminologie der verschiedenen Turnübungen. Ein Kopfstand, ein Handstand, eine Rolle vorwärts: das alles können und verstehen wir. Aber was ist bitteschön ein Jägersalto mit dreifacher Schraube? Was heißt denn: übergrätschen zum Stützhang?
Auch in der von mir so geliebten Turnerei spielt der Amplitude-Begriff eine Rolle. Nehmen wir zum Beispiel den Russen Sascha Abramkowitsch bei seiner Übung am Reck. Sascha hält die eiserne Rekstockstange (der Ruhepunkt) fest in den Händen während sein Körper rückwärts oder bauchwärts zierliche Kreise rundum den Reckstock dreht. Je größer der Abstand zwischen seinen Fingern und seinen in hübschen Turnschuhen verborgenen gestreckten Zehen, je größer das Amplitude. Und das ist wichtig, weil eine Übung welche mit breiten Kreisen und einem deswegen großen Amplitude ausgeführt wird schöner anzusehen ist und deshalb höher bewertet wird. Findet das geehrte Jurymitglied insofern er nicht einer Bestechung zum Opfer gefallen ist.
Schön anzusehen ist es allemal. Denke ich, wenn ich sehe wie mein Landsmann Epke Zonderland Weltmeister am Reck wird. Sein deutscher Busenfreund wird zweiter. Ein bißchen Schadenfreude ist auch dabei. Wie im Fußball.
Nachlese:
Auch diese an sich klare Darbietung wird von einigen illustrativen Bildern begleitet. Auf dem ersten Bild vermuten wir die hübsche Frida Ungemütlich am Barren. Die zweite Abbildung vermittelt klar und deutlich wie man (in diesem Fall der oben genannte Sascha Abramkowitz) am Reck eine Pendelkippe auszuführen hat. So getan kann es niemals schief gehen.
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Sonntag, 15. September 2013
Bagatelle 199 - Reisbrei
terra40, 16:44h
"Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr" sagt ein gewisser Prediger in einer seiner oft zitierten Sprüchen und manche sind geneigt ihm dabei zu folgen. Die Ameisen lehren uns offenbar wie wichtig die fortwährende, tüchtige Schufterei ist. Sie befanden sich auch unter den ersten die meinten, daß Müßiggang der Anfang allerhand Lasters sei. Wenn der Mensch wirklich Intelligenz besäße, so der Prediger, würde er dem Vorbild der Ameise folgen.
Auf einem köstlichen Farbbild hier unten, von meinem uralten Baukasten entnommen, sehen wir, wie ein Erzmüßiggänger eine ebenso köstliche Mahlzeit zu sich nimmt, während sein Schwager rechts im Hintergrund in schwerster Landarbeit versucht ein Saatbeet herzurichten worauf der Weizen später wachsen wird der ihm, dem Schwager, dann bei einer guten Ernte hoffentlich das Mehl schenkt das er zum Brot backen und so für's Überleben im Winter braucht. (Bitte, entschuldigen Sie mich für diesen langen, komplizierten und ziemlich unverständlichen Satz der mich mindestens zwanzig Minuten meiner kostbaren Zeit gekostet hat. Weil er so viel gekostet hat, bleibt er dennoch stehen.)
Sehen wir bitte jetzt auch die andere Seite der Medaille. Schon der Begriff Müßiggang, ach, welch ein herrliches Wort! Wenn wir es langsam und sorgfältig auf der Zunge zergehen lassen, überfällt uns schon dieses Mußegefuhl: vorbei ist die Qual des Müssens; übrig bleibt die totale Entspannung. Gesetze und Vorschriften die uns zu Arbeit zwingen, verschwinden und bieten Raum für richtiges Sein und Dasein. Das hier oben beschriebene Beispiel ist vielleicht nicht das beste, aber betrachten wir die Lage auch einmal vom Standpunkt des Müßiggängers. Warum also soll man schuften für eine ungewisse Zukunft? Warum werden wir dauernd aufgefordert fleißig und vor allem tüchtig unsere (Hand)arbeit zu tun? Der Müßiggänger steht genau wie seinem Kumpel (der Faulenzer) in einem üblen Geruch, aber warum eigentlich?
Wir alle, geben wir's zu, sind neidisch auf den Müßiggänger. Wie gerne würden wir, wenn auch nicht für ewig, nicht leben wollen in einer Welt ohne den Streß der qualvollen Arbeit?
Als kleiner Junge träumte ich oft vom Eintritt ins Schlaraffenland, oder wie wir es nannten: luilekkerland (lui = faul). Das Land wo sich die richtigen Faulenzer und Müßiggänger Nachbar sind. Ein Land hinter dem Horizont, wo das Leben ein großes Essensfest ist. Wo dir die gebratene Ente in den Mund fliegt. Wo du dein Weinglas füllst mit der Flüssigkeit welche durch den Fluß direkt neben dir fließt. Ein Land ohne Hausaufgaben, ohne Wehwehchen und sonstige peinliche Schürfwunden, ohne Blut, Schweiß und Tränen.
Das Problem war freilich: wie komm ich dort? Und die Lösung: das Luilekkerland liegt bekanntlich hinter einem großen Reisbreiberg. Nimm einen Löffel und bohr dir, immer essend, einen Gang, gleichsam einen Tunnel quer durch den Reisbrei. Am Ende dann folgt die Belohnung in Form einer Zulassung ins versprochene Land.
Das zweite Problem schloß sich nahtlos an: ich mochte eigentlich keinen Reisbrei. Der Gedanke sich reisbreiessend einen Weg ins gelobte Land zu bahnen, war fürchterlich. Die Folge war daß ich das Schlaraffenland nur aus meiner Fantasie kannte. Bis heute hat sich das nicht geändert.
Anno 2013 koch ich mir manchmal eine Portion Reisbrei. Mit braunem Zucker überstreut ist er schon einigermaßen genießbar. Beim Essen denk' ich dann an die andere Seite des Reisbreiberges. Wo wir so viele leckere Speisen essen können wie wir wollen. Wo wir faulenzen ohne Scham. Wo wir lieber faul als müde sein können. Und wo wir leise summend dem Franz Schubert folgen wenn er tondichtet: dort wo du nicht bist, dort ist das Glück.
Auf einem köstlichen Farbbild hier unten, von meinem uralten Baukasten entnommen, sehen wir, wie ein Erzmüßiggänger eine ebenso köstliche Mahlzeit zu sich nimmt, während sein Schwager rechts im Hintergrund in schwerster Landarbeit versucht ein Saatbeet herzurichten worauf der Weizen später wachsen wird der ihm, dem Schwager, dann bei einer guten Ernte hoffentlich das Mehl schenkt das er zum Brot backen und so für's Überleben im Winter braucht. (Bitte, entschuldigen Sie mich für diesen langen, komplizierten und ziemlich unverständlichen Satz der mich mindestens zwanzig Minuten meiner kostbaren Zeit gekostet hat. Weil er so viel gekostet hat, bleibt er dennoch stehen.)
Sehen wir bitte jetzt auch die andere Seite der Medaille. Schon der Begriff Müßiggang, ach, welch ein herrliches Wort! Wenn wir es langsam und sorgfältig auf der Zunge zergehen lassen, überfällt uns schon dieses Mußegefuhl: vorbei ist die Qual des Müssens; übrig bleibt die totale Entspannung. Gesetze und Vorschriften die uns zu Arbeit zwingen, verschwinden und bieten Raum für richtiges Sein und Dasein. Das hier oben beschriebene Beispiel ist vielleicht nicht das beste, aber betrachten wir die Lage auch einmal vom Standpunkt des Müßiggängers. Warum also soll man schuften für eine ungewisse Zukunft? Warum werden wir dauernd aufgefordert fleißig und vor allem tüchtig unsere (Hand)arbeit zu tun? Der Müßiggänger steht genau wie seinem Kumpel (der Faulenzer) in einem üblen Geruch, aber warum eigentlich?
Wir alle, geben wir's zu, sind neidisch auf den Müßiggänger. Wie gerne würden wir, wenn auch nicht für ewig, nicht leben wollen in einer Welt ohne den Streß der qualvollen Arbeit?
Als kleiner Junge träumte ich oft vom Eintritt ins Schlaraffenland, oder wie wir es nannten: luilekkerland (lui = faul). Das Land wo sich die richtigen Faulenzer und Müßiggänger Nachbar sind. Ein Land hinter dem Horizont, wo das Leben ein großes Essensfest ist. Wo dir die gebratene Ente in den Mund fliegt. Wo du dein Weinglas füllst mit der Flüssigkeit welche durch den Fluß direkt neben dir fließt. Ein Land ohne Hausaufgaben, ohne Wehwehchen und sonstige peinliche Schürfwunden, ohne Blut, Schweiß und Tränen.
Das Problem war freilich: wie komm ich dort? Und die Lösung: das Luilekkerland liegt bekanntlich hinter einem großen Reisbreiberg. Nimm einen Löffel und bohr dir, immer essend, einen Gang, gleichsam einen Tunnel quer durch den Reisbrei. Am Ende dann folgt die Belohnung in Form einer Zulassung ins versprochene Land.
Das zweite Problem schloß sich nahtlos an: ich mochte eigentlich keinen Reisbrei. Der Gedanke sich reisbreiessend einen Weg ins gelobte Land zu bahnen, war fürchterlich. Die Folge war daß ich das Schlaraffenland nur aus meiner Fantasie kannte. Bis heute hat sich das nicht geändert.
Anno 2013 koch ich mir manchmal eine Portion Reisbrei. Mit braunem Zucker überstreut ist er schon einigermaßen genießbar. Beim Essen denk' ich dann an die andere Seite des Reisbreiberges. Wo wir so viele leckere Speisen essen können wie wir wollen. Wo wir faulenzen ohne Scham. Wo wir lieber faul als müde sein können. Und wo wir leise summend dem Franz Schubert folgen wenn er tondichtet: dort wo du nicht bist, dort ist das Glück.
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Montag, 2. September 2013
Bagatelle 197 - Nachträglich
terra40, 13:57h
Vieles Negatives kann man über mich schreiben und einiges Unschönes, mich selber betreffend, mündlich verbreiten, aber man sollte bitte nicht behaupten, sei es schriftlich oder mündlich, daß ich einer Person oder einer Institution etwas nachtrage. Nein, wenn eine Sache, sei sie auch schwierig und diskutabel, zwischen zwei Parteien, von denen ich eine bin, ausgehandelt ist, mit einem vielleicht für den einen oder anderen nicht unbedingt günstigen Ablauf, ist die Sache für mich aus und vorbei. Sand drüber. Man muß seinen Verlust akzeptieren und seinen Gewinn feiern können, meinen Sie nicht auch? Aber danach ist die Sache erledigt. Endgültig.
Das gilt auch meiner Haltung öffentlichen Behörden gegenüber. Nehmen wir zum Beispiel die Einrichtung welche wir nicht klipp und klar Strafanstalt, sondern euphemistisch die Steuerbehörde nennen. Meines Erachtens ist die Summe, welche diese Anstalt jedes Jahr aufs neue von mir fordert, völlig überzogen. Ich verstehe schon, daß das Land von mir Steuergelder fordert um Deiche zu bauen, Schulbusse fahren zu lassen und einen Teil meines Einkommens verlangt damit die Volksvertreter eine angemessene Besoldung bekommen. Aber, muß es gleich so viel sein? Gibt es dann keine einzige Behörde welche sich in meine Lage versetzt und Mitleid anmeldet? Auch nachträglich nicht?
Ich wußte es nicht, aber doch: es gibt sie! Tatsächlich! Lesen Sie als treffender Beweis die folgende unglaubliche, aber wahre Kurzgeschichte.
Mein ältester Bruder verstarb im Jahre 2009. Er hatte mich als sein Testamentsvollstrecker ernannt. Weil mein Bruder die letzten Jahre seines Lebens in Deutschland wohnte, war die Abwicklung des Testamentes keine so einfache Aufgabe. Aber Anfang diesen Jahres, 2013 also, war alles geregelt. Mein Bruders Haus verkauft und sämtliche Forderungen und Schulden ausgeglichen. Die Erben bekamen was ihnen zustand - die Erbschaftssteuer lassen wir für den Moment außer Betracht - und der Testamentsvollstrecker beglückwünschte sich selbst weil die Angelegenheit erfolgreich erledigt und abgeschlossen schien. Schien? Ja, schien. Denn vor einigen Wochen meldeten sich die Behörden bei mir. Nachträglich.
(1) Zuerst kam ein Brief von der niederländischen Steuerbehörde. "Lieber Herr Dr. Terracidus", meldete sie, "wie wir festgestellt haben, hat ihr verstorbener Bruder im Jahre 2007 zuviel Einkommenssteuer gezahlt. Weil das ungerecht ist und weil auch wir das ungerecht finden, erstatten wir Ihnen das zuviel Bezahlte zurück: eine Summe von sage und schreibe 942 Euro." (Ich fasse die Mitteilung sinngemäß zusammen, was Sie sicherlich gemerkt haben.)
Ist das nicht außergewöhnlich? Und Freude bringend? Eine Behörde welche unaufgefordert, aus eigenen Stücken, kein Geld fordert, sondern zurückerstattet? Und das alles nachträglich! Wenn die Steuerbehörde sich nicht gemeldet hatte, hätte kein Hahn danach gekräht!
(Noch mehr freudebringend war der letzte Satz in dem Steuerbrief, worin die Behörde die Möglichkeit nicht ausschloß, daß auch für das Jahr 2006 noch eine Zurückerstattung folgen könnte ..)
(2) Dann kam der Brief vom Deichverband, einer deutschen Behörde. Der Deichgraf ließ mitteilen, daß (wiederum sinngemäß) "der Herr Dr. Dr. T. Acidus, als Testamentsvollstrecker seines verstorbenen Bruders, welcher wohnhaft in Deutschland, unterlassen habe den Beitrag für den Unterabschnitt Hochwasserschutz (Haushaltsjahr 2010) zu zahlen. Der Betrag betrüge 25 Euro und 15 Cents. Der Termin in dem die Summe bezahlt werden könne, endete am 30.9.2013. Mit herzlichen Grüßen."
So kann es auch. Man glaubt alles abschließen zu können, weil alles zu zahlende bezahlt und alles zu regelnde geregelt ist, kommt die Behörde und bittet nachträglich um 25 Euro und ein Bißchen.
Vor einigen Tagen dann habe ich dem Deichverband um fünfundzwanzig Euro reicher gemacht. Denn was ihm rechtens zusteht, soll auch Recht bleiben. Und wer würde nicht gerne lumpige 25 Euro beitragen zur Bekämpfung von Hochwasserkatastrophen, auch wenn das eigene Gelände mindestens zwanzig Meter über den Meeresspiegel liegt und Vater Rhein weit weg strömt? Nennen wir es Solidarität mit den Menschen die tatsächlich der Gefahren einer Überschwemmung ausgesetzt sind.
Und danken wir schließlich allen Behörden die dauernd an uns denken. Auch nachträglich.
Das gilt auch meiner Haltung öffentlichen Behörden gegenüber. Nehmen wir zum Beispiel die Einrichtung welche wir nicht klipp und klar Strafanstalt, sondern euphemistisch die Steuerbehörde nennen. Meines Erachtens ist die Summe, welche diese Anstalt jedes Jahr aufs neue von mir fordert, völlig überzogen. Ich verstehe schon, daß das Land von mir Steuergelder fordert um Deiche zu bauen, Schulbusse fahren zu lassen und einen Teil meines Einkommens verlangt damit die Volksvertreter eine angemessene Besoldung bekommen. Aber, muß es gleich so viel sein? Gibt es dann keine einzige Behörde welche sich in meine Lage versetzt und Mitleid anmeldet? Auch nachträglich nicht?
Ich wußte es nicht, aber doch: es gibt sie! Tatsächlich! Lesen Sie als treffender Beweis die folgende unglaubliche, aber wahre Kurzgeschichte.
Mein ältester Bruder verstarb im Jahre 2009. Er hatte mich als sein Testamentsvollstrecker ernannt. Weil mein Bruder die letzten Jahre seines Lebens in Deutschland wohnte, war die Abwicklung des Testamentes keine so einfache Aufgabe. Aber Anfang diesen Jahres, 2013 also, war alles geregelt. Mein Bruders Haus verkauft und sämtliche Forderungen und Schulden ausgeglichen. Die Erben bekamen was ihnen zustand - die Erbschaftssteuer lassen wir für den Moment außer Betracht - und der Testamentsvollstrecker beglückwünschte sich selbst weil die Angelegenheit erfolgreich erledigt und abgeschlossen schien. Schien? Ja, schien. Denn vor einigen Wochen meldeten sich die Behörden bei mir. Nachträglich.
(1) Zuerst kam ein Brief von der niederländischen Steuerbehörde. "Lieber Herr Dr. Terracidus", meldete sie, "wie wir festgestellt haben, hat ihr verstorbener Bruder im Jahre 2007 zuviel Einkommenssteuer gezahlt. Weil das ungerecht ist und weil auch wir das ungerecht finden, erstatten wir Ihnen das zuviel Bezahlte zurück: eine Summe von sage und schreibe 942 Euro." (Ich fasse die Mitteilung sinngemäß zusammen, was Sie sicherlich gemerkt haben.)
Ist das nicht außergewöhnlich? Und Freude bringend? Eine Behörde welche unaufgefordert, aus eigenen Stücken, kein Geld fordert, sondern zurückerstattet? Und das alles nachträglich! Wenn die Steuerbehörde sich nicht gemeldet hatte, hätte kein Hahn danach gekräht!
(Noch mehr freudebringend war der letzte Satz in dem Steuerbrief, worin die Behörde die Möglichkeit nicht ausschloß, daß auch für das Jahr 2006 noch eine Zurückerstattung folgen könnte ..)
(2) Dann kam der Brief vom Deichverband, einer deutschen Behörde. Der Deichgraf ließ mitteilen, daß (wiederum sinngemäß) "der Herr Dr. Dr. T. Acidus, als Testamentsvollstrecker seines verstorbenen Bruders, welcher wohnhaft in Deutschland, unterlassen habe den Beitrag für den Unterabschnitt Hochwasserschutz (Haushaltsjahr 2010) zu zahlen. Der Betrag betrüge 25 Euro und 15 Cents. Der Termin in dem die Summe bezahlt werden könne, endete am 30.9.2013. Mit herzlichen Grüßen."
So kann es auch. Man glaubt alles abschließen zu können, weil alles zu zahlende bezahlt und alles zu regelnde geregelt ist, kommt die Behörde und bittet nachträglich um 25 Euro und ein Bißchen.
Vor einigen Tagen dann habe ich dem Deichverband um fünfundzwanzig Euro reicher gemacht. Denn was ihm rechtens zusteht, soll auch Recht bleiben. Und wer würde nicht gerne lumpige 25 Euro beitragen zur Bekämpfung von Hochwasserkatastrophen, auch wenn das eigene Gelände mindestens zwanzig Meter über den Meeresspiegel liegt und Vater Rhein weit weg strömt? Nennen wir es Solidarität mit den Menschen die tatsächlich der Gefahren einer Überschwemmung ausgesetzt sind.
Und danken wir schließlich allen Behörden die dauernd an uns denken. Auch nachträglich.
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Mittwoch, 1. Mai 2013
Bagatelle 185 - Royal Werbung
terra40, 22:32h
Karg ist ein Wort das zum unterstehenden Bild paßt.
Karg ist die Beleuchtung des Zimmers. Die alte weißharige Dame, die wir hier hinter ihrem königlichen Schreibtisch nachdenkend sitzen sehen, erhält das Licht zum Lesen nur von der einsamen "Bankers"lampe links von ihr und den Rest von der Tischlampe in der rechten Ecke. Karg und schlicht ist auch die Einrichtung des Zimmers. Ein geräumiger Schreibtisch samt Stuhl genügen offenbar. Karg ist auch das Getränk: nur eine Tasse feiner Ceylon Tee und ein Glas Wasser. Die Tasse ist aus Royal Doulton oder exquisitem Wedgwood Porzellan, das schon.
Links von uns aus gesehen und rechts von der Dame ein Stapel noch zu bearbeitenden Dokumenten und sonstige Schriftstücke. Einige erfordern eine Korrektur, andere eine Signatur. Rechts von uns und links von Ihrer Majestät ein kleiner Haufen schon fertiggestellte Ministerialgeschriften oder andersartige Gesetzesvorschläge. Trotz ihres Alters liest die Majestät noch ohne Brille. Falls nötig - manche Geschriften sind so exorbitant schlecht geschrieben und gedruckt daß man eine Brille braucht um sie zu lesen, und Verstand und Fingerspitzengefühl um sie zu verstehen.
Hier sehen wir Ihre Majestät Elisabeth II. Herrscherin über das United Kingdom. Viele unter uns hatten das schon geahnt, weil sie in der Ferne hinter dem Fensterglas die beleuchtete Uhr des Londoner Big Ben vermuteten. Sie haben recht. Auch an der tadellosen Haltung und Ausstrahlung, an der echten Perlenkette und an die Coiffure erkennen wir die königliche Majestät.
Geheimnisvoll sind die Worte - oder sind es Gedanken? - welche frei in der Luft herumschweben. Es erinnert uns ein wenig an die alte Geschichte vom Profeten Daniel, (derselbe der sich einige Zeit später zwischen den Löwen zurückfand,) und dem König Balsasar aus dem fernem Nineveh. Sie wissen: damals wo die Worte und Buchstaben die des Königs Ende ankündigten, an die Wand erschienen.
Auf unserem Bild sind es die Gedanken der Königin Elisabeth die da lauten (einigermaßen frei übersetzt): "… hätte jeder nur so eine Rente! …"
Die Gedanken sind frei und die Rede ist hier von der niederländischen Königin Beatrix, die sich dieser Tage nach drei-und-dreißig Jahren von der Regierung verabschiedet hat. Daran denkt die Königin Elisabeth. Sie kann es sich offenbar nicht leisten ihren Thron dem englischen Kronprinzen Charles zu überlassen. Nein, denkt sie, die liebe Kollegin Beatrix hat gut reden. Die bekommt von Staatswegen nach ihrer Abdankung eine passende Rente. Die kann ruhig in Pension gehen.
Das Bild der nachdenklichen Königin Elisabeth erschien heute in den großen holländischen Tageszeitungen. Es war eine amüsante Werbung eines der bekanntesten Versicherungsgesellschaften in unserem Lande. Es geschah just ein Tag nachdem uns ein neuer König Willem-Alexander und eine neue Königin Maxima geschenkt wurde. Es war der erste Mai. Bei Ihnen ein Tag der Arbeit, wo alle die Arbeit ruhen lassen. Bei uns ein normaler Werktag. Für unsere Altkönigin Beatrix - jetzt wieder Prinzessin Beatrix - der erste Tag ihrer von Elisabeth II so beneideten Pension.
Karg ist die Beleuchtung des Zimmers. Die alte weißharige Dame, die wir hier hinter ihrem königlichen Schreibtisch nachdenkend sitzen sehen, erhält das Licht zum Lesen nur von der einsamen "Bankers"lampe links von ihr und den Rest von der Tischlampe in der rechten Ecke. Karg und schlicht ist auch die Einrichtung des Zimmers. Ein geräumiger Schreibtisch samt Stuhl genügen offenbar. Karg ist auch das Getränk: nur eine Tasse feiner Ceylon Tee und ein Glas Wasser. Die Tasse ist aus Royal Doulton oder exquisitem Wedgwood Porzellan, das schon.
Links von uns aus gesehen und rechts von der Dame ein Stapel noch zu bearbeitenden Dokumenten und sonstige Schriftstücke. Einige erfordern eine Korrektur, andere eine Signatur. Rechts von uns und links von Ihrer Majestät ein kleiner Haufen schon fertiggestellte Ministerialgeschriften oder andersartige Gesetzesvorschläge. Trotz ihres Alters liest die Majestät noch ohne Brille. Falls nötig - manche Geschriften sind so exorbitant schlecht geschrieben und gedruckt daß man eine Brille braucht um sie zu lesen, und Verstand und Fingerspitzengefühl um sie zu verstehen.
Hier sehen wir Ihre Majestät Elisabeth II. Herrscherin über das United Kingdom. Viele unter uns hatten das schon geahnt, weil sie in der Ferne hinter dem Fensterglas die beleuchtete Uhr des Londoner Big Ben vermuteten. Sie haben recht. Auch an der tadellosen Haltung und Ausstrahlung, an der echten Perlenkette und an die Coiffure erkennen wir die königliche Majestät.
Geheimnisvoll sind die Worte - oder sind es Gedanken? - welche frei in der Luft herumschweben. Es erinnert uns ein wenig an die alte Geschichte vom Profeten Daniel, (derselbe der sich einige Zeit später zwischen den Löwen zurückfand,) und dem König Balsasar aus dem fernem Nineveh. Sie wissen: damals wo die Worte und Buchstaben die des Königs Ende ankündigten, an die Wand erschienen.
Auf unserem Bild sind es die Gedanken der Königin Elisabeth die da lauten (einigermaßen frei übersetzt): "… hätte jeder nur so eine Rente! …"
Die Gedanken sind frei und die Rede ist hier von der niederländischen Königin Beatrix, die sich dieser Tage nach drei-und-dreißig Jahren von der Regierung verabschiedet hat. Daran denkt die Königin Elisabeth. Sie kann es sich offenbar nicht leisten ihren Thron dem englischen Kronprinzen Charles zu überlassen. Nein, denkt sie, die liebe Kollegin Beatrix hat gut reden. Die bekommt von Staatswegen nach ihrer Abdankung eine passende Rente. Die kann ruhig in Pension gehen.
Das Bild der nachdenklichen Königin Elisabeth erschien heute in den großen holländischen Tageszeitungen. Es war eine amüsante Werbung eines der bekanntesten Versicherungsgesellschaften in unserem Lande. Es geschah just ein Tag nachdem uns ein neuer König Willem-Alexander und eine neue Königin Maxima geschenkt wurde. Es war der erste Mai. Bei Ihnen ein Tag der Arbeit, wo alle die Arbeit ruhen lassen. Bei uns ein normaler Werktag. Für unsere Altkönigin Beatrix - jetzt wieder Prinzessin Beatrix - der erste Tag ihrer von Elisabeth II so beneideten Pension.
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Donnerstag, 7. März 2013
Bagatelle 180 - Habemus Lettore!
terra40, 20:53h
Ein dunkler Schatten fiel über uns allen herab als die beliebte niederländische Fernsehberichtansagerin Sacha de Boer der Fernsehvolksversammlung anvertraute sich, nach fast achtzehn Jahren dem Lande gedient zu haben als Nachrichtensprecherin bei den 8-Uhr-Nachrichten im Ersten Programm, ihrer eigentlichen Aufgabe widmen zu wollen: der Photographie. Kürzer und noch besser gesagt: ab den 1. Mai wechselt sie ihren Beruf. Nicht länger Hauptsprecherin der Nachrichten während prime time, sondern schlichte Fotografin. Nicht länger vollends der Öffentlichkeit ausgesetzt, sondern die Arbeit im Verborgenem. Sie, die Frau de Boer, ihr bezaubernd schönes Bildnis sehen Sie hier unten, wird sich daran gewöhnen müssen, und wir auch.
Nun hat der Zufall es so eingerichtet, daß gerade in diesen Tagen nóch eine weltweite Persönlichkeit sich von der (geistlichen) Weltbühne entfernt. Und zwar der Papst Benedikt, (der 16.), der freiwillig und um Gründen der Gesundheit abdankt und in die stille Studierkammer der Theologie zurückkehrt. Mehr als einhundert Kardinäle sind inzwischen aus aller Herren Ländern angereist um sich an der Wahl eines neuen Papstes zu beteiligen. Man wird sich einmauern in der sixtinischen Kapelle und dann erst wieder hervortreten wenn einstimmig ein neuer und nicht weniger Heiliger Vater gewählt worden ist. So weit so gut.
Dieser eine Gedanke läßt mich seitdem nicht mehr los. Nämlich: warum sollte das gemeine Volk hier bei uns nicht dem Vorbild der Kirchenhirten folgen und ebenfalls in einer Art Konklave eine neue Nachrichtensprecherin wählen dürfen? Eine grandiose Idee, nichtwahr?
Wir handhaben es folgendermaßen. Zuerst wählen wir, das ist die niederländische Bevölkerung plus alle Ausländer die sich gerufen fühlen mitzumachen, aus unserer Mitte eine RG-Hundertschaft (Abkürzung RGH wobei RG steht für Richtige Volksvertreter). Auf diesen hundert Landsleuten ruht dann unsere ganze Hoffnung. Weil sie schon unser Vertrauen bekommen haben, verzichten sie auf ein Gehalt. Die RGH ist vollkommen 'at random' zusammengesetzt. Und selbstverständlich sind die Bevölkerungsschichten und Gruppen relativ gleich groß und gleichermaßen vertreten. Also: Kinder und Erwachsene, Jung und Alt, Frau und Mann, Hetero und Homo, Weiß und Schwarz, Bürger und Bauer, Protestant und Katholik, Sunnitisch und Sjiitisch, Rot-Grün und Gelb-Schwarz, Dumm und Intelligent, und so weiter und und so fort: alle sind in der RGH repräsentiert.
Die erste Aufgabe der RGH besteht darin daß man im Internet eine RGH-site nebst einem facebook-account, einem linked-line account, einem twitter-account und einem hyves-account einrichtet. Danach stellen alle hundert gewählte Mitglieder sich auf der RGH-Internetseite dem Volke vor. Und wir alle wählen dann unseren eigenen RGH-Favoriten. Diese Person wählt quasi für uns die neue Nachrichtensprecherin wobei man aus folgenden Kandidatinnen wählen kann (nur zum Beispiel: es können sich noch andere Kandidatinnen melden).
Hier sind sie:
Astrid Kersseboom
Gülden Ilmaz
Hella Hueck
Mariëlle Tweebeeke
Eva Jinek
Ich sehe es schon vor mir. Tausende und Abertausende stürmen die RGH-internetseite, klicken auf ihre Favoriten und rufen ihm/ihr zu: "Wählt bitte die Hella!!" oder "Ich rate dir dringend: gib deine Stimme der Eva J.!!" Einige werden sogar frech: "Wagen Sie es nicht ihre Stimme der Astrid Kersseboom zu geben, sonst passiert etwas schreckliches!". Und wir werden uns gegenseitig beglückwünschen: Seht, so funktioniert eine richtige Demokratie!
Am Wahltag dann wird der Erste Vorsitzende der RGH in die Öffentlichkeit treten und ausrufen: "Wir haben eine neue 8-Uhr-Nachrichtensprecherin!! Habemus Lettore di News!! Und aus einem der Fernseh- und Rundfunkschornsteinen des Mediaparks in Hilversum wird inzwischen ein weißer Rauch empor kringeln.
***
Nachrede: Die Wahl fiel am 2. April. Und wie bei der Papstwahl fielen alle Favoriten raus. Anchorfrau bei den 8-Uhr Nachrichten bei Nederland I wird Annechien Steenhuizen. Schon wegen des wunderschönen Vornamen eine glückliche Wahl. Sehen Sie selbst:
Nun hat der Zufall es so eingerichtet, daß gerade in diesen Tagen nóch eine weltweite Persönlichkeit sich von der (geistlichen) Weltbühne entfernt. Und zwar der Papst Benedikt, (der 16.), der freiwillig und um Gründen der Gesundheit abdankt und in die stille Studierkammer der Theologie zurückkehrt. Mehr als einhundert Kardinäle sind inzwischen aus aller Herren Ländern angereist um sich an der Wahl eines neuen Papstes zu beteiligen. Man wird sich einmauern in der sixtinischen Kapelle und dann erst wieder hervortreten wenn einstimmig ein neuer und nicht weniger Heiliger Vater gewählt worden ist. So weit so gut.
Dieser eine Gedanke läßt mich seitdem nicht mehr los. Nämlich: warum sollte das gemeine Volk hier bei uns nicht dem Vorbild der Kirchenhirten folgen und ebenfalls in einer Art Konklave eine neue Nachrichtensprecherin wählen dürfen? Eine grandiose Idee, nichtwahr?
Wir handhaben es folgendermaßen. Zuerst wählen wir, das ist die niederländische Bevölkerung plus alle Ausländer die sich gerufen fühlen mitzumachen, aus unserer Mitte eine RG-Hundertschaft (Abkürzung RGH wobei RG steht für Richtige Volksvertreter). Auf diesen hundert Landsleuten ruht dann unsere ganze Hoffnung. Weil sie schon unser Vertrauen bekommen haben, verzichten sie auf ein Gehalt. Die RGH ist vollkommen 'at random' zusammengesetzt. Und selbstverständlich sind die Bevölkerungsschichten und Gruppen relativ gleich groß und gleichermaßen vertreten. Also: Kinder und Erwachsene, Jung und Alt, Frau und Mann, Hetero und Homo, Weiß und Schwarz, Bürger und Bauer, Protestant und Katholik, Sunnitisch und Sjiitisch, Rot-Grün und Gelb-Schwarz, Dumm und Intelligent, und so weiter und und so fort: alle sind in der RGH repräsentiert.
Die erste Aufgabe der RGH besteht darin daß man im Internet eine RGH-site nebst einem facebook-account, einem linked-line account, einem twitter-account und einem hyves-account einrichtet. Danach stellen alle hundert gewählte Mitglieder sich auf der RGH-Internetseite dem Volke vor. Und wir alle wählen dann unseren eigenen RGH-Favoriten. Diese Person wählt quasi für uns die neue Nachrichtensprecherin wobei man aus folgenden Kandidatinnen wählen kann (nur zum Beispiel: es können sich noch andere Kandidatinnen melden).
Hier sind sie:
Astrid Kersseboom
Gülden Ilmaz
Hella Hueck
Mariëlle Tweebeeke
Eva Jinek
Ich sehe es schon vor mir. Tausende und Abertausende stürmen die RGH-internetseite, klicken auf ihre Favoriten und rufen ihm/ihr zu: "Wählt bitte die Hella!!" oder "Ich rate dir dringend: gib deine Stimme der Eva J.!!" Einige werden sogar frech: "Wagen Sie es nicht ihre Stimme der Astrid Kersseboom zu geben, sonst passiert etwas schreckliches!". Und wir werden uns gegenseitig beglückwünschen: Seht, so funktioniert eine richtige Demokratie!
Am Wahltag dann wird der Erste Vorsitzende der RGH in die Öffentlichkeit treten und ausrufen: "Wir haben eine neue 8-Uhr-Nachrichtensprecherin!! Habemus Lettore di News!! Und aus einem der Fernseh- und Rundfunkschornsteinen des Mediaparks in Hilversum wird inzwischen ein weißer Rauch empor kringeln.
***
Nachrede: Die Wahl fiel am 2. April. Und wie bei der Papstwahl fielen alle Favoriten raus. Anchorfrau bei den 8-Uhr Nachrichten bei Nederland I wird Annechien Steenhuizen. Schon wegen des wunderschönen Vornamen eine glückliche Wahl. Sehen Sie selbst:
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Samstag, 8. Dezember 2012
Bagatelle 173 - Reptilienparade
terra40, 13:21h
Keiner von uns - der alte Leibnitz ausgenommen, der wußte ja alles wissensmögliche - ist zu alt um zu lernen. So habe ich erst vor kurzem erfahren und gelernt, daß Reptilien gerne ihre Runden drehen wie Sechstagerennfahrer und kaum bereit sind aus der Reihe zu tanzen. (Ich dachte: Reptilien seien pure Individualisten, aber dem ist offenbar nicht so.) Bestätigung bekam ich dann nach einigen Tagen.
Beim lesen eines ziemlich uninteressanten Buches über den ebenfalls ziemlich berühmt gebliebenen niederländischen Grafikers M.C. Escher (siehe auch Bagatelle 124) erinnerte ich mich daran, daß zum Gesamtwerk des besagten Maurits Escher eine Reptilienlithographie gehört. Und noch besser: auf meinem Dachboden, wußte ich plötzlich, hielt sich eine Reproduktion dieser Lithographie irgendwo verborgen. Worauf ich nach oben zog und zwischen allem Kunst und Krempel tatsächlich die Reptilienlithographie Eschers entdeckte. Ein Blatt in ausgezeichnetem Zustand. Und beim näheren Betrachten staunte ich nicht schlecht. Sehen Sie selbst.
Auf der Lithographie sieht man, wie sich die Reptilien, eins nach dem anderen, losreißen vom dem Papier das sie gefangen hält. In einer langen Reihe wandern sie, immer linksumdrehend wie genannten Sechtstagerennfahrer oder 400-Meterläufer in einem Athletikstadion, von einem Objekt zum anderen. Über Berg und Tal: ein brehmsches Tierkundebuch, ein dreieckiges Brettchen, eine vielflächige Kugel, ein kupfernes Gefäß mit Zigarren und Streichholzschachtel mit der schwedischen Aufschrift "Säkerhets Tandstickör" zurück zu dem Papier das sie liebevoll wie einen verlorenen Sohn empfängt. Worauf nach kurzer Zeit sich die Zeremonie wiederholt. Immer in Bewegung, immer linksum der Reihe nach: so, sagt Escher, ist halt der Lauf der Zeit.
Ich staunte aber noch schlechter als ich sah, daß ein anderes kleines, zierliches Reptil (Eidechse, Salamander?) versuchte in Eschers Lithographie hinein zu kriechen. Es tat große Mühe sich einen Platz in der Reihe zu erobern. Offenbar wollte es erfahren wie es ist Teil einer immer bewegenden Gemeinschaft zu sein. Für einmal oder für ewig: darüber war ich mit mir selber nicht einig. Aber sicher weiß ich daß die folgenden drei Möglichkeiten sich anboten.
(1) Ein Reptil aus der Reihe hält an, macht dadurch einen Platz in der Reihe frei und sagt: "Bitte schön!"
(2) Die Reptilien weigern sich den fremden Gast Eintritt zu verschaffen weil sie geschworen haben das niemals zu tun. Aus welchen Gründen auch immer.
(3) Die besuchende Eidechse wartet ruhig auf ihre Chance bis ein Reptil aus der Reihe fällt, nicht aufpaßt, und dadurch eine Lücke freigibt.
Wie die Sache ausläuft, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich hätte es wohl tun können, aber bei jedem Escherkunstwerk muß etwas zum raten übrigbleiben.
Beim lesen eines ziemlich uninteressanten Buches über den ebenfalls ziemlich berühmt gebliebenen niederländischen Grafikers M.C. Escher (siehe auch Bagatelle 124) erinnerte ich mich daran, daß zum Gesamtwerk des besagten Maurits Escher eine Reptilienlithographie gehört. Und noch besser: auf meinem Dachboden, wußte ich plötzlich, hielt sich eine Reproduktion dieser Lithographie irgendwo verborgen. Worauf ich nach oben zog und zwischen allem Kunst und Krempel tatsächlich die Reptilienlithographie Eschers entdeckte. Ein Blatt in ausgezeichnetem Zustand. Und beim näheren Betrachten staunte ich nicht schlecht. Sehen Sie selbst.
Auf der Lithographie sieht man, wie sich die Reptilien, eins nach dem anderen, losreißen vom dem Papier das sie gefangen hält. In einer langen Reihe wandern sie, immer linksumdrehend wie genannten Sechtstagerennfahrer oder 400-Meterläufer in einem Athletikstadion, von einem Objekt zum anderen. Über Berg und Tal: ein brehmsches Tierkundebuch, ein dreieckiges Brettchen, eine vielflächige Kugel, ein kupfernes Gefäß mit Zigarren und Streichholzschachtel mit der schwedischen Aufschrift "Säkerhets Tandstickör" zurück zu dem Papier das sie liebevoll wie einen verlorenen Sohn empfängt. Worauf nach kurzer Zeit sich die Zeremonie wiederholt. Immer in Bewegung, immer linksum der Reihe nach: so, sagt Escher, ist halt der Lauf der Zeit.
Ich staunte aber noch schlechter als ich sah, daß ein anderes kleines, zierliches Reptil (Eidechse, Salamander?) versuchte in Eschers Lithographie hinein zu kriechen. Es tat große Mühe sich einen Platz in der Reihe zu erobern. Offenbar wollte es erfahren wie es ist Teil einer immer bewegenden Gemeinschaft zu sein. Für einmal oder für ewig: darüber war ich mit mir selber nicht einig. Aber sicher weiß ich daß die folgenden drei Möglichkeiten sich anboten.
(1) Ein Reptil aus der Reihe hält an, macht dadurch einen Platz in der Reihe frei und sagt: "Bitte schön!"
(2) Die Reptilien weigern sich den fremden Gast Eintritt zu verschaffen weil sie geschworen haben das niemals zu tun. Aus welchen Gründen auch immer.
(3) Die besuchende Eidechse wartet ruhig auf ihre Chance bis ein Reptil aus der Reihe fällt, nicht aufpaßt, und dadurch eine Lücke freigibt.
Wie die Sache ausläuft, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich hätte es wohl tun können, aber bei jedem Escherkunstwerk muß etwas zum raten übrigbleiben.
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Dienstag, 27. Dezember 2011
Bagatelle 139 - Geheime Drucksache
terra40, 12:46h
Doch, es gibt sie noch: liebgewonnene Verwandten und Freunde die mir einen Brief schreiben. Einen richtigen Brief, mit echter Tinte auf herrlich duftendem Papier geschrieben. In einer charakteristischen Handschrift, wobei vieles geschriebene einiges zu raten läßt. Keine unpersönliche digitale emails, sondern liebe Schreibereien, wobei einem beim Lesen eine Wolke von Genuß entgegen strömt.
Um solch einen Brief handelt die folgende Bagatelle. Nur unter einer Bedingung dürfen Sie die lesen. Sie müssen mir versprechen, daß alles was Sie im weiteren lesen, unter uns bleibt. Stärker noch: Sie erklären hierbei feierlich, daß Sie keinem, auch nicht ihren nächsten Verwandten, auch nur eine Silbe erzählen werden von was Sie hier lesen werden. Ehrenwort und Hand aufs Herz! Die Sache ist nämlich heiß und geheim. Staatsgeheim möchte man fast annehmen.
Angefangen hat alles in der Zeit da man anfing Briefe zu schreiben. Das Befördern eines geschriebenen Briefes vom Schreiber zum Leser überließ man dem Landespostministerium, welches speziell dafür Postmeister und Postbeamte anheuerte welche die Post besorgten. Weil die Postleute freundlich gestimmt und gutherzig sind, langsam im Denken, aber nicht ganz und gar dumm, lassen die sich von den Briefeschreibern für ihre Dienste bezahlen mittels geklebte Briefmarken.
Briefmarken gibt es in Hülle und Fülle. Je unbedeutender das Land, je größer und schöner die Marken. Und wenn sich irgendwo irgendetwas wichtiges manifestiert, (in Dafinsternistan ist ein Siebenling geboren) kommt die Landespost mit einer neuen Serie Briefmarken.
Es gibt jetzt zwei Fragen die um unsere Aufmerksamkeit bitten. Erstens: wer kontrolliert überhaupt ob wir die richtigen Briefmarken auf unseren Briefen kleben? Und zweitens: sind wir verpflichtet ausschließlich die von der Landes- und Bundespost zum Verkauf angebotenen Marken zu kleben?
Die Antworten - alle strengstens geheim! - sind folgende. Erstens: Nein, kontrolliert wird nicht und wenn, denn selten und stichprobenweise. Zweitens: ja, verpflichtet schon, aber wir schaffen für uns selber eine kreative Ausnahme.
Hier unten sehen Sie einen Briefumschlag den ich vor einiger Zeit erhielt. (Der Inhalt tut nicht zur Sache, es geht um die Verpackung.) Namen und Adresse des Adressierten sind aus privatrechtlichen Gründen der privacy von mir abgeklebt worden. Sie können ruhig annehmen daß der Brief an mich gerichtet war. Ein Brief (Luftpost) aus Oman offenbar, das sehen wir der Briefmarke ab. Aber von einem Poststempel versehen in einer holländischen Kleinstadt! So geht’s also auch. Mann klebt eine fremd-orientalische Marke auf einem Brief, oder man entwirft selbst eine.
Ganz unter uns: der Verfasser und Absender dieses Briefes hat mit einigen Freunden schon Jahre eine Wette laufen, wer die schönsten falschen Briefmarken entwirft oder klebt ohne daß die Post es merkt!
Briefmarken können auch ruhig zwei mal verwendet werden. Vor Jahren erhielten Sie möglicherweise einen Brief aus der DDR. Jetzt, anno 2011, kleben Sie die alte Marke auf einem neuen Brief. Die Post wird es Ihnen danken und nichts davon merken.
Selbstverständlich ist das Kleben van falschen Marken strafbar und strengstens von der Hand zu weisen. Mein lieber Briefeschreiber hat mir versichert, daß er so etwas nur einige Male im Jahr tut, als Spaß an der Freud. Sonst frankiert er seine Briefe sorgfältig mit den davor vorgesehenen Marken mit dem verabredeten Wert. Denn wir wollen doch bitte nicht den Postleuten das Brot aus dem Munde stoßen.
Lasset uns nicht mehr davon reden. Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt auch das Briefmarkengeheimnis. Wir wollen es weiterhin hüten.
Um solch einen Brief handelt die folgende Bagatelle. Nur unter einer Bedingung dürfen Sie die lesen. Sie müssen mir versprechen, daß alles was Sie im weiteren lesen, unter uns bleibt. Stärker noch: Sie erklären hierbei feierlich, daß Sie keinem, auch nicht ihren nächsten Verwandten, auch nur eine Silbe erzählen werden von was Sie hier lesen werden. Ehrenwort und Hand aufs Herz! Die Sache ist nämlich heiß und geheim. Staatsgeheim möchte man fast annehmen.
Angefangen hat alles in der Zeit da man anfing Briefe zu schreiben. Das Befördern eines geschriebenen Briefes vom Schreiber zum Leser überließ man dem Landespostministerium, welches speziell dafür Postmeister und Postbeamte anheuerte welche die Post besorgten. Weil die Postleute freundlich gestimmt und gutherzig sind, langsam im Denken, aber nicht ganz und gar dumm, lassen die sich von den Briefeschreibern für ihre Dienste bezahlen mittels geklebte Briefmarken.
Briefmarken gibt es in Hülle und Fülle. Je unbedeutender das Land, je größer und schöner die Marken. Und wenn sich irgendwo irgendetwas wichtiges manifestiert, (in Dafinsternistan ist ein Siebenling geboren) kommt die Landespost mit einer neuen Serie Briefmarken.
Es gibt jetzt zwei Fragen die um unsere Aufmerksamkeit bitten. Erstens: wer kontrolliert überhaupt ob wir die richtigen Briefmarken auf unseren Briefen kleben? Und zweitens: sind wir verpflichtet ausschließlich die von der Landes- und Bundespost zum Verkauf angebotenen Marken zu kleben?
Die Antworten - alle strengstens geheim! - sind folgende. Erstens: Nein, kontrolliert wird nicht und wenn, denn selten und stichprobenweise. Zweitens: ja, verpflichtet schon, aber wir schaffen für uns selber eine kreative Ausnahme.
Hier unten sehen Sie einen Briefumschlag den ich vor einiger Zeit erhielt. (Der Inhalt tut nicht zur Sache, es geht um die Verpackung.) Namen und Adresse des Adressierten sind aus privatrechtlichen Gründen der privacy von mir abgeklebt worden. Sie können ruhig annehmen daß der Brief an mich gerichtet war. Ein Brief (Luftpost) aus Oman offenbar, das sehen wir der Briefmarke ab. Aber von einem Poststempel versehen in einer holländischen Kleinstadt! So geht’s also auch. Mann klebt eine fremd-orientalische Marke auf einem Brief, oder man entwirft selbst eine.
Ganz unter uns: der Verfasser und Absender dieses Briefes hat mit einigen Freunden schon Jahre eine Wette laufen, wer die schönsten falschen Briefmarken entwirft oder klebt ohne daß die Post es merkt!
Briefmarken können auch ruhig zwei mal verwendet werden. Vor Jahren erhielten Sie möglicherweise einen Brief aus der DDR. Jetzt, anno 2011, kleben Sie die alte Marke auf einem neuen Brief. Die Post wird es Ihnen danken und nichts davon merken.
Selbstverständlich ist das Kleben van falschen Marken strafbar und strengstens von der Hand zu weisen. Mein lieber Briefeschreiber hat mir versichert, daß er so etwas nur einige Male im Jahr tut, als Spaß an der Freud. Sonst frankiert er seine Briefe sorgfältig mit den davor vorgesehenen Marken mit dem verabredeten Wert. Denn wir wollen doch bitte nicht den Postleuten das Brot aus dem Munde stoßen.
Lasset uns nicht mehr davon reden. Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt auch das Briefmarkengeheimnis. Wir wollen es weiterhin hüten.
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Freitag, 9. Dezember 2011
Bagatelle 136 - Katastrophal
terra40, 21:08h
Manchmal gibt es das. Man liegt im Bett, schläft den Schlaf des Gerechten, träumt, denkt unabsichtlich an etwas sehr schlimmes, und sofort ist eine leichte Panik da. Heute Nacht war's wieder so weit. Meine Gattin, badend im Angstschweiß, stößt mich und fragt: "Falls nun plötzlich ein Feuer ausbricht, weißt du was du unbedingt zuerst, danach und zuletzt tun mußt?" Leicht irritiert, weil ich selber nicht schlafen konnte, erwidere ich mit: "Na bitte schön, dieses Problem lösen wir morgen früh am ersten, so gut?"
Was Sie hierunter sehen, ist ein Foto aus meiner Heutemorgenzeitung. Wir sehen einen zweigeteilten Zug an einem halbgeschossenen Bahnschranke mit davor eine Hauptstraße. Hinten Häuser, eine Fabrik und, wenn Sie genau hinschauen, hinter den Bäumen, ein Fluß. Auf der Hauptstraße kreuz und quer stehende pkw's und ein Feuerlöschwagen. An dem Bahnübergang ein rotes Auto das offenbar, lavierend zwischen den Schlagbäumen, mit einem der zwei Züge kollidiert ist. Einige Meter vor dem Löschzug stehen die Feuerwehrsleute und sonstigen Helfer und beraten wie sie fortfahren.
Sie haben recht: irgendwas an diesem Foto stimmt nicht. Das Bild ist unwirklich friedlich. Das Bild gibt uns nicht den Hauch oder die Idee eines schlimmen Unfalls. Es ist auch kein tatsächliches Unglück was passiert: es ist ein Katastrophenübungsplatz was wir hier sehen. Das Blut ist Tinte, die Wunde wird angedeutet, getäuscht und aus Fensterkitt hergestellt, der Unfallverletzte ist ein gemieteter Schauspieler, Zug und pkw sind geordnet ungeordnet dahingestellt. So ähnlich sieht ein schrecklicher Unfall aus. Die Katastrophenbekämpfer proben den Ernstfall. Sie tun das mit einem Katastrophenbekämpfungsplan oder etwas ähnlichem.
"Vorsorgen" ist ein schönes Verb; noch schöner als das offizielle "Vorsorge treffen". Du willst eine schreckliche Situation Herr bleiben und wenn möglich vorbeugen, und darum ist es klug und weise darüber nachzudenken, welche Situationen bedrohend sein können und wie man sich darauf adäquat vorbereitet. In meiner Jugend hockten Vater, Mutter und wir, die Kinder, zusammen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern, wenn es denn donnerte und blitzte. Es könnte ja einschlagen. Darum hatte meine Mutter immer einen kleinen Koffer dabei, worin sich unter anderem etwas Geld, die Feuerversicherungspolice, die Pässe, plus einige ihrer Kronjuwelen befanden.
Fast immer wirst du unerwartet und unvorbereitet von einer Katastrophe getroffen. Es gibt zwar die Fernsehwarnung, aber du denkst: so schlimm wird's wohl nicht kommen. Oder: vielleicht passiert es in Ost-Brandenburg oder in Raunen an der Luhre, aber nicht bei uns. So betrügt man gewissermaßen sich selber.
Zwei Gedanken streiten um Vorfahrt. Der erste Gedanke ist, daß es weise und klug ist Vorsorge zu treffen gegen Unglücksfälle die jeden treffen können. Eine Unfallsversicherung ist keine schlechte Idee partout. Die redliche Stimme in mir sagt, daß es weise ist vorher nachzudenken über mögliche Kalamitäten. Jedes vernünftig denkendes Altersheim hat einen Katastrophenplan im Falle einer notwendigen Evakuation der Bewohner. Die andere Stimme in meiner Brust behauptet, daß es in meinem persönlichen Falle unmöglich ist ein kluges Katastrophenplan aufzustellen. Ich kenne mich: wenn tatsächlich Not an Mann kommt, vergesse ich den Plan und tue das, was mir mein Herz zu tun rät.
Noch etwas kommt dazu. Manchmal denke ich, daß das Aufstellen eines Katastrophenplanes das Unglück gerade herbei lockt. Götterversuchung, so etwas. Ob der Teufel im Spiel ist. Hast du gerade ein Szenario fertig für den Fall, das dir beim Fleischbraten die Flamme in die Pfanne schlägt, geschieht dies am nächsten Tag. Ohne Pfannenbrandszenario inklusive Katastrophenplan wäre überhaupt nichts passiert, glaub' ich zu wissen. Und wenn die städtische Straßenbahn nach viel palavern und hin und her überlegen ein neues Katastrophenplan ausgedacht hat, geschieht ein Unfall, wobei man nachher feststellt, daß an einiges wichtiges nicht gedacht worden ist. Ungewollt natürlich, aber dennoch.
Den nächsten Morgen fragt mich meine Frau: "Nun, woran denkst du zuerst, wenn hier im Hause unverhofft ein Brand ausbricht?" Ich erwidere: "An nichts, denn seit keiner hier im Haus mehr raucht, ist die mathematische Chance daß ein Feuer ausbricht, gleich null." "Gut," sagt sie, "ich weiß es. Zuerst müssen die Fotoalben gerettet werden." "Oké," beschließen wir, "somit ist nun Punkt Eins der Tagesordnung erledigt. Wer von uns beiden die Alben rettet, sehen wir wenn 's dann so weit ist."
Was Sie hierunter sehen, ist ein Foto aus meiner Heutemorgenzeitung. Wir sehen einen zweigeteilten Zug an einem halbgeschossenen Bahnschranke mit davor eine Hauptstraße. Hinten Häuser, eine Fabrik und, wenn Sie genau hinschauen, hinter den Bäumen, ein Fluß. Auf der Hauptstraße kreuz und quer stehende pkw's und ein Feuerlöschwagen. An dem Bahnübergang ein rotes Auto das offenbar, lavierend zwischen den Schlagbäumen, mit einem der zwei Züge kollidiert ist. Einige Meter vor dem Löschzug stehen die Feuerwehrsleute und sonstigen Helfer und beraten wie sie fortfahren.
Sie haben recht: irgendwas an diesem Foto stimmt nicht. Das Bild ist unwirklich friedlich. Das Bild gibt uns nicht den Hauch oder die Idee eines schlimmen Unfalls. Es ist auch kein tatsächliches Unglück was passiert: es ist ein Katastrophenübungsplatz was wir hier sehen. Das Blut ist Tinte, die Wunde wird angedeutet, getäuscht und aus Fensterkitt hergestellt, der Unfallverletzte ist ein gemieteter Schauspieler, Zug und pkw sind geordnet ungeordnet dahingestellt. So ähnlich sieht ein schrecklicher Unfall aus. Die Katastrophenbekämpfer proben den Ernstfall. Sie tun das mit einem Katastrophenbekämpfungsplan oder etwas ähnlichem.
"Vorsorgen" ist ein schönes Verb; noch schöner als das offizielle "Vorsorge treffen". Du willst eine schreckliche Situation Herr bleiben und wenn möglich vorbeugen, und darum ist es klug und weise darüber nachzudenken, welche Situationen bedrohend sein können und wie man sich darauf adäquat vorbereitet. In meiner Jugend hockten Vater, Mutter und wir, die Kinder, zusammen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern, wenn es denn donnerte und blitzte. Es könnte ja einschlagen. Darum hatte meine Mutter immer einen kleinen Koffer dabei, worin sich unter anderem etwas Geld, die Feuerversicherungspolice, die Pässe, plus einige ihrer Kronjuwelen befanden.
Fast immer wirst du unerwartet und unvorbereitet von einer Katastrophe getroffen. Es gibt zwar die Fernsehwarnung, aber du denkst: so schlimm wird's wohl nicht kommen. Oder: vielleicht passiert es in Ost-Brandenburg oder in Raunen an der Luhre, aber nicht bei uns. So betrügt man gewissermaßen sich selber.
Zwei Gedanken streiten um Vorfahrt. Der erste Gedanke ist, daß es weise und klug ist Vorsorge zu treffen gegen Unglücksfälle die jeden treffen können. Eine Unfallsversicherung ist keine schlechte Idee partout. Die redliche Stimme in mir sagt, daß es weise ist vorher nachzudenken über mögliche Kalamitäten. Jedes vernünftig denkendes Altersheim hat einen Katastrophenplan im Falle einer notwendigen Evakuation der Bewohner. Die andere Stimme in meiner Brust behauptet, daß es in meinem persönlichen Falle unmöglich ist ein kluges Katastrophenplan aufzustellen. Ich kenne mich: wenn tatsächlich Not an Mann kommt, vergesse ich den Plan und tue das, was mir mein Herz zu tun rät.
Noch etwas kommt dazu. Manchmal denke ich, daß das Aufstellen eines Katastrophenplanes das Unglück gerade herbei lockt. Götterversuchung, so etwas. Ob der Teufel im Spiel ist. Hast du gerade ein Szenario fertig für den Fall, das dir beim Fleischbraten die Flamme in die Pfanne schlägt, geschieht dies am nächsten Tag. Ohne Pfannenbrandszenario inklusive Katastrophenplan wäre überhaupt nichts passiert, glaub' ich zu wissen. Und wenn die städtische Straßenbahn nach viel palavern und hin und her überlegen ein neues Katastrophenplan ausgedacht hat, geschieht ein Unfall, wobei man nachher feststellt, daß an einiges wichtiges nicht gedacht worden ist. Ungewollt natürlich, aber dennoch.
Den nächsten Morgen fragt mich meine Frau: "Nun, woran denkst du zuerst, wenn hier im Hause unverhofft ein Brand ausbricht?" Ich erwidere: "An nichts, denn seit keiner hier im Haus mehr raucht, ist die mathematische Chance daß ein Feuer ausbricht, gleich null." "Gut," sagt sie, "ich weiß es. Zuerst müssen die Fotoalben gerettet werden." "Oké," beschließen wir, "somit ist nun Punkt Eins der Tagesordnung erledigt. Wer von uns beiden die Alben rettet, sehen wir wenn 's dann so weit ist."
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Sonntag, 13. November 2011
Bagatelle 132 - Faktisches Wissen
terra40, 22:37h
Wissen Sie was ein savant ist? Das ist jemand mit einem savant syndrom. Und das wiederum ist ein Mensch der eines (nicht einiges) unvorstellbar gut kann. Zum Beispiel ein Mitbürger, der nach nur einmal lesen die Kapittel 4 bis 7 von Marxens Kapital fehlerfrei aufsagen kann. Oder die Frau Elisabeth Höchstselten ( Kreis Wuppertal an der Lure) die nur maximal vier Sekunden braucht um uns eine korrekte Antwort zu geben auf die Frage: wieviel ist 34.786 mal 65.876?
Es gibt auch savants die wahnsinnig viele Fakten kennen. Die Kenntnisse haben über alles mögliche Subjekte und Sachgebiete: geschichtsträchtige Personen, Himmelskörper, Schmetterlinge und ihre Artverwandten, Fußballer aus den erste drei Jahren der Bundesliga, und sonstigen völlig nützlosen Wissensbereiche. In einigen der zahllosen für dumm verkaufenden Fernsehratespielen kann man sogar damit Millionär werden.
Nur wenig Menschen wissen alles zu wissende. Der erste war Gottfried W. Leibnitz. Der Mann wußte alles was damals (um 1700) Hand und Fuß, Rang und Namen hatte. Seine faktische Database, sozusagen, war mehr als voll. Zugegeben, es gab nicht so viel Kenntnisse, so viele Data, wie heute, aber dennoch. Der Herr Leibnitz hatte allen anderen Faktenwissern etwas sehr wichtiges voraus: er wußte nicht nur alles faktisches, er verstand auch die Relationen dazwischen.
Entschuldigung für diese etwas lange geratene Einleitung. Ich brauche die aber um Ihnen eine fantastische Geschichte erzählen zu können von meinem stoppelbärtigen, imaginären Freund Wassi. Offiziell Wassili Ibramovitch. Wohnhaft in Спасйбо, im Süden des Ural. Geologe von Haus aus. (Daß Sibirien große Gasvorkommen besitzt, wußte jeder. Wo aber präzise, hat Wassi für uns entdeckt.) In frühester Jugend lernte Wassi seine Fähigkeiten als savant kennen. Alle Fragen im Bereich der typischen Sachgebiete (Geographie, Physik, (Quantum)Mechanik, Biologie usw.) wußte er fehlerfrei zu beantworten. Auch die Sprachen hatten keine Geheimnisse. So konnte er die russische Nationalhymne, wenn gefragt, ausgezeichnet auf chinesisch singen. Sogar mit einem Kanton-Akzent.
Es hat mich auch nicht gewundert, daß Wassi vor fünf Jahren seinen Geologenhut an den Nagel hing und fortan durch die Lande zog mit seinem abendfüllenden Programm: Wassi: die Antwort auf alle Fragen! Nicht sehr originell, aber vielleicht darum Publikumsanziehend.
Wie sah solch ein Wassi-Abend aus? Was wurde dem hochverehrten Publikum geboten? Nun, die Veranstaltung fing meistens um 19.30 Uhr an. Ab 15.30 konnte man bei der Kasse auf Schrift gestellte Fragen einliefern. In einem geschlossenen und versiegelten Umschlag selbstverständlich. Faktische Fragen über alles denkbare. Aber nur Fragen die auf einer klaren, eindeutigen, faktischen Weise beantwortet werden konnten. Keine Meinungen, Mutmaßungen oder Vermutungen also. Auch wurden Fragen zur Wassis religiösen Überzeugungen und politischen Denkweisen zur Seite geschoben. Es galt ja: nur die Fakten zählen!
Wassis Frageabende wurden sehr gut besucht. Schon um 18 Uhr sah man die Leute anstehen um einen Platz vorne zu bekommen. Ab 19 Uhr wurde die Wartezeit gefüllt von dem speziell angeheuerten Balalaikaorchester "Schön Laut". Der Eintrittspreis betrug 7 Rubel und 65 Kopeken (inklusive Mehrwertsteuer). Man konnte auch den Portier um diesen Betrag bestechen, dann hatte man freien Zutritt.
Was, bitte, haben wir uns vorzustellen bei dem Inhalt und der Qualität der gestellten Fragen? Ich nenne Ihnen einige beispielhaften Beispiele.
- Wassili Ibramovitch, wie breit ist die Wolga am schmalsten? Die Antwort bitte in russischen Meilen und inches. Im voraus herzlichen Dank!
- Wie Sie wissen, lieber Wassili, haben alle Spinnen acht Füße. Es gibt aber eine mutierte und hinterbliebene russisch/burjattische Variante mit nur sieben Gliedmaßen. Was ist sein Gewicht (bitte zwei Ziffern hinter dem Komma) wenn es das Alter von sechs Monaten erreicht hat?
- Am 13. Oktober 1877 gab Pjotr Iljitsch Tsjaikowski hier in diesem Saal ein Konzert. Welche Flügelsaite brach als er beim Spielen des dritten Satzes der Beethovenschen Mondscheinsonate verwüstend zuschlug?
- Lieber Herr Ibramovitch, wieviel rote Pflastersteine liegen vor meinem Haus an der Biskayaprospekt Nr. 27 in einem Feld von sonst nur grauen Steinen?
Kommentar überfällig, natürlich. Augenscheinlich voller Selbstvertrauen und immer freundlich und höflich beantwortete Wassi diese Fragen. Ab und zu nahm er sich eine Bedenkzeit, aber niemals mehr als eine Minute. Übrigens waren die Fragen nach der Pause bedeutend schwieriger als am Anfang. In dieser Phase mußten auch einige Fragen wegen des Eindringens in die Intimsphäre zurückgestellt werden. Zum Beispiel eine Frage wie - … was ist der Name des Fräuleins mit dem mein Cousin, der Säufer Branko K., gestern Abend im Tivoli ein rendez-vous hatte?
Wassis Abende wurden so populär, daß schließlich sogar das Fernsehen ihn entdeckte. Seine Shows wurden live ausgestrahlt. Die Einschaltquoten bekamen unglaubliche Züge, auch wenn man weiß, daß sie wie alles in Rußland gefälscht waren. Der Gipfel war sein Eintritt in die Welt der Wetten. Anfangs nur bei den Londoner bookmakers, später auch in St. Petersburg konnte man Wetten abschließen. Die zentrale Frage war: wie und wann wird die Zeit kommen wo der Wassili Ibramovitch auf eine Frage keine Antwort hat?
Am Freitag vor drei Monaten war's dann so weit. Es geschah in Klein-Jekaterinenburg. Nichts besonderes geschah im Vorfeld. Dann aber kam die Frage aller Fragen, von einem freundlichen alten Herrn vorgetragen: - Lieber Wassili Ibramovitch, wie lautet der Familienname ihrer Schwiegermutter?
Später am Abend gab Wassi seinen Verlust zu. Er blieb die Antwort schuldig. Weil, so sagte er sich förmlich entschuldigend, mein ganzes Leben - ich brauchte viele Jahre dafür - habe ich alle Fakten über meine Schwiegermutter zu verdrängen versucht. Ich wußte: jetzt bin ich frei von ihr. Und gerade heute, an diesem Abend, ist das mein Schicksal.
Auch an diesem Abend wechselten Millionen von Rubeln ihre Besitzer. Manche Petersburger Neureiche sah man am nächsten Tag, wie sie den Bürgersteig bei der städtischen Oper mit Schaufel und Besen säuberten. Ja, so kann's gehen.
Mit Wassi ging es bergab. Seine Gesundheit verschlechterte zunehmend und in seinem Gedächtnis bildeten sich ungeahnte Lücken. Das Ende kam nicht ganz und gar unerwartet.
Nach seinem Ableben öffnete man sein Testament. Darin stand, daß er sein Hirn inklusive Gedächtnis dem Psychologiemuseum der Universität von Спасйбо vermacht habe. Dort können wir es jetzt bewundern. Wenn Sie gut hinschauen, können Sie die Fakten noch sehen. Auch die allerkleinsten. Sie befinden sich zwischen den Falten.
Es gibt auch savants die wahnsinnig viele Fakten kennen. Die Kenntnisse haben über alles mögliche Subjekte und Sachgebiete: geschichtsträchtige Personen, Himmelskörper, Schmetterlinge und ihre Artverwandten, Fußballer aus den erste drei Jahren der Bundesliga, und sonstigen völlig nützlosen Wissensbereiche. In einigen der zahllosen für dumm verkaufenden Fernsehratespielen kann man sogar damit Millionär werden.
Nur wenig Menschen wissen alles zu wissende. Der erste war Gottfried W. Leibnitz. Der Mann wußte alles was damals (um 1700) Hand und Fuß, Rang und Namen hatte. Seine faktische Database, sozusagen, war mehr als voll. Zugegeben, es gab nicht so viel Kenntnisse, so viele Data, wie heute, aber dennoch. Der Herr Leibnitz hatte allen anderen Faktenwissern etwas sehr wichtiges voraus: er wußte nicht nur alles faktisches, er verstand auch die Relationen dazwischen.
Entschuldigung für diese etwas lange geratene Einleitung. Ich brauche die aber um Ihnen eine fantastische Geschichte erzählen zu können von meinem stoppelbärtigen, imaginären Freund Wassi. Offiziell Wassili Ibramovitch. Wohnhaft in Спасйбо, im Süden des Ural. Geologe von Haus aus. (Daß Sibirien große Gasvorkommen besitzt, wußte jeder. Wo aber präzise, hat Wassi für uns entdeckt.) In frühester Jugend lernte Wassi seine Fähigkeiten als savant kennen. Alle Fragen im Bereich der typischen Sachgebiete (Geographie, Physik, (Quantum)Mechanik, Biologie usw.) wußte er fehlerfrei zu beantworten. Auch die Sprachen hatten keine Geheimnisse. So konnte er die russische Nationalhymne, wenn gefragt, ausgezeichnet auf chinesisch singen. Sogar mit einem Kanton-Akzent.
Es hat mich auch nicht gewundert, daß Wassi vor fünf Jahren seinen Geologenhut an den Nagel hing und fortan durch die Lande zog mit seinem abendfüllenden Programm: Wassi: die Antwort auf alle Fragen! Nicht sehr originell, aber vielleicht darum Publikumsanziehend.
Wie sah solch ein Wassi-Abend aus? Was wurde dem hochverehrten Publikum geboten? Nun, die Veranstaltung fing meistens um 19.30 Uhr an. Ab 15.30 konnte man bei der Kasse auf Schrift gestellte Fragen einliefern. In einem geschlossenen und versiegelten Umschlag selbstverständlich. Faktische Fragen über alles denkbare. Aber nur Fragen die auf einer klaren, eindeutigen, faktischen Weise beantwortet werden konnten. Keine Meinungen, Mutmaßungen oder Vermutungen also. Auch wurden Fragen zur Wassis religiösen Überzeugungen und politischen Denkweisen zur Seite geschoben. Es galt ja: nur die Fakten zählen!
Wassis Frageabende wurden sehr gut besucht. Schon um 18 Uhr sah man die Leute anstehen um einen Platz vorne zu bekommen. Ab 19 Uhr wurde die Wartezeit gefüllt von dem speziell angeheuerten Balalaikaorchester "Schön Laut". Der Eintrittspreis betrug 7 Rubel und 65 Kopeken (inklusive Mehrwertsteuer). Man konnte auch den Portier um diesen Betrag bestechen, dann hatte man freien Zutritt.
Was, bitte, haben wir uns vorzustellen bei dem Inhalt und der Qualität der gestellten Fragen? Ich nenne Ihnen einige beispielhaften Beispiele.
- Wassili Ibramovitch, wie breit ist die Wolga am schmalsten? Die Antwort bitte in russischen Meilen und inches. Im voraus herzlichen Dank!
- Wie Sie wissen, lieber Wassili, haben alle Spinnen acht Füße. Es gibt aber eine mutierte und hinterbliebene russisch/burjattische Variante mit nur sieben Gliedmaßen. Was ist sein Gewicht (bitte zwei Ziffern hinter dem Komma) wenn es das Alter von sechs Monaten erreicht hat?
- Am 13. Oktober 1877 gab Pjotr Iljitsch Tsjaikowski hier in diesem Saal ein Konzert. Welche Flügelsaite brach als er beim Spielen des dritten Satzes der Beethovenschen Mondscheinsonate verwüstend zuschlug?
- Lieber Herr Ibramovitch, wieviel rote Pflastersteine liegen vor meinem Haus an der Biskayaprospekt Nr. 27 in einem Feld von sonst nur grauen Steinen?
Kommentar überfällig, natürlich. Augenscheinlich voller Selbstvertrauen und immer freundlich und höflich beantwortete Wassi diese Fragen. Ab und zu nahm er sich eine Bedenkzeit, aber niemals mehr als eine Minute. Übrigens waren die Fragen nach der Pause bedeutend schwieriger als am Anfang. In dieser Phase mußten auch einige Fragen wegen des Eindringens in die Intimsphäre zurückgestellt werden. Zum Beispiel eine Frage wie - … was ist der Name des Fräuleins mit dem mein Cousin, der Säufer Branko K., gestern Abend im Tivoli ein rendez-vous hatte?
Wassis Abende wurden so populär, daß schließlich sogar das Fernsehen ihn entdeckte. Seine Shows wurden live ausgestrahlt. Die Einschaltquoten bekamen unglaubliche Züge, auch wenn man weiß, daß sie wie alles in Rußland gefälscht waren. Der Gipfel war sein Eintritt in die Welt der Wetten. Anfangs nur bei den Londoner bookmakers, später auch in St. Petersburg konnte man Wetten abschließen. Die zentrale Frage war: wie und wann wird die Zeit kommen wo der Wassili Ibramovitch auf eine Frage keine Antwort hat?
Am Freitag vor drei Monaten war's dann so weit. Es geschah in Klein-Jekaterinenburg. Nichts besonderes geschah im Vorfeld. Dann aber kam die Frage aller Fragen, von einem freundlichen alten Herrn vorgetragen: - Lieber Wassili Ibramovitch, wie lautet der Familienname ihrer Schwiegermutter?
Später am Abend gab Wassi seinen Verlust zu. Er blieb die Antwort schuldig. Weil, so sagte er sich förmlich entschuldigend, mein ganzes Leben - ich brauchte viele Jahre dafür - habe ich alle Fakten über meine Schwiegermutter zu verdrängen versucht. Ich wußte: jetzt bin ich frei von ihr. Und gerade heute, an diesem Abend, ist das mein Schicksal.
Auch an diesem Abend wechselten Millionen von Rubeln ihre Besitzer. Manche Petersburger Neureiche sah man am nächsten Tag, wie sie den Bürgersteig bei der städtischen Oper mit Schaufel und Besen säuberten. Ja, so kann's gehen.
Mit Wassi ging es bergab. Seine Gesundheit verschlechterte zunehmend und in seinem Gedächtnis bildeten sich ungeahnte Lücken. Das Ende kam nicht ganz und gar unerwartet.
Nach seinem Ableben öffnete man sein Testament. Darin stand, daß er sein Hirn inklusive Gedächtnis dem Psychologiemuseum der Universität von Спасйбо vermacht habe. Dort können wir es jetzt bewundern. Wenn Sie gut hinschauen, können Sie die Fakten noch sehen. Auch die allerkleinsten. Sie befinden sich zwischen den Falten.
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