Samstag, 12. Mai 2012
Bagatelle 159 - Fußballaußenseiter
Während dieser Tage in Deutschland die Fußballsaison mit dem Pokalendspiel beendet wird, fangen wir allmählig an uns auf die kommenden Europameisterschaften, welche in Polen und der Ukraine gespielt werden, zu freuen. Viele betrachten den Fußball ja als die schönste Nebensache der Welt, andere können sich nichts Ekelhaftigeres vorstellen, so hat jeder seinen Geschmack. Und welche Position vertritt der Bagatellenschreiber Terra? könnten Sie fragen. Nun, werde ich erwidernd zugeben, ab und zu werde ich mich fürs Fernsehen setzen und mir ein Spiel ansehen, denn ich bin zwar kein guter Kenner und Sachverständiger, aber schon ein Liebhaber. Und wenn unsere Mannschaft gewinnt, freue ich mich ebenso wie Sie, auch wenn es nicht dieselbe Mannschaft ist.



Zwei ehrenwerte Männer, die sich beruflich dem edlen Fußballspiel widmen, Spieler also, möchte ich Ihnen wieder mal vorstellen dürfen. Es sind beide Niederländer: der eine weiß, der andere dunkel. Aber das, wissen Sie, tut bei uns nicht zur Sache. Die beiden Spieler haben noch zwei Gemeinsamkeiten. Erstens spielen sie beide im Angriff, und zweitens spielen sie beide in der deutschen Bundesliga. Der eine, mit Nachnamen Huntelaar, spielt bei Schalke 04 und heißt schlicht und einfach Klaas-Jan. Den anderen, mit Nachnamen Babel (seine Ururahnen kommen höchstwahrscheinlich aus der Region zwischen Euphrat und Tigris) nennen wir meistens Ryan. Unser Ryan Babel spielt linksaußen bei Hoffenheim. Und wo der Klaas-Jan spielt, habe ich Ihnen schon erzählt. Klaas-Jan ist weltweit bekannt wegen seiner Torgefährlichkeit.

In ihren letzten Spielen in dieser Saison traten die beiden noch einmal in den Vordergrund. Ryan Babel wurde mit zwei mal rot des Feldes verwiesen, worauf er (vielleicht nicht ganz und gar zu Unrecht) behauptete, der Schiedsrichter hätte unter Drogeneinfluß gepfiffen, denn die zweite gelbe Karte war ganz sicher keine. Klaas-Jan Huntelaar zeigte mal wieder, daß er aus der Gegend kommt wo ich, ihr untertänigster Terra, wohne. Er wurde mit sage und schreibe 29 Toren Torschützenkönig. Na also!

Warum sind die beiden, Ryan Babel sowohl als auch Klaas-Jan Huntelaar, im gewissen Sinne Außenseiter? Weil es nicht unmöglich ist daß sie beide, wie bei der vorigen EM in 2008, jetzt in 2012 wohl zu dem erweiterten Aufgebot gehören, aber vielleicht nicht einmal zum Einsatz kommen. In der Tat, da staunt man. Es kommt daher, erklärt mir der Fußballkenner beim Fernsehen, daß die Konkurrenz zu groß ist. Anscheinend gibt es noch bessere Spieler.
Ob das stimmt, kann ich Ihnen nicht sagen. Die ganze Nation, außer mir, weiß besser Bescheid. Jeder weiß es besser. Wissen die auch daß es wichtigeres gibt als ein Fußballspiel?

Über die Bilder: so ein Bild machten sich die unvermeidlichen Werbefachleute vor vier Jahren. Klaas-Jan Huntelaar und Ryan Babel vor der EM 2008. Und wie in 2008 lautet auch jetzt die Parole: unsere Zeit kommt noch!

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Sonntag, 29. April 2012
Bagatelle 157 - Glückssache Teil II
Ein jeder, der sich unvorbereitet in dieser Bagatellenreihe verirrt hat und sich fragt: wieso Teil II? können wir nur raten hier unten auch die vorherige Bagatelle 156 zu lesen. Da war die Rede von einem uralten Glücksspiel, welches von einem gewissen Terra mehr oder weniger geschickt nachgebaut worden war. Die Frage war nach den wichtigsten Spielregeln.
Jetzt ist die Zeit gekommen für unpolitische, aufrichtige, ehrliche Antworten. Vorher aber einige kurze Bemerkungen.




(1) Wenn Sie ein Bällchen durch das Loch in der Oberseite seine Freiheit geben, fällt es auf den mittleren Nagel der zweiten Reihe. Entweder linksum oder rechtsum verfolgt es seinen Weg nach unten. Jetzt kann man beweisen daß die Chance daß der Ball sich schließlich unten in der Mitte wiederfindet größer ist als links oder rechts an der Seite. (Mit 100 Bällchen entsteht unten eine echte Gauß-Kurve.)
(2) Dies ist und bleibt ein Glücksspiel. Glauben Sie mir: weder Kraft, Intelligenz, Beredsamkeit noch Durchsetzungskraft hilft. Nur Glück, dás braucht man.
(3) Was die festen Spielregeln angeht: die gibt es nicht. Besser gesagt: jede Gruppe Spielender bestimmt vorher selber die Regel. Ist das keine Demokratie, oder irre ich mich?
Variationen und verschiedene Spielweisen gibt es deshalb viele. Ich gebe Ihnen drei Beispiele.

Variation I. (Wahrscheinlich die älteste und originellste.) Ein Spiel mit einem Ball pro Runde und mit einem Becher ohne Zahl.

Anzahl der Spieler: zwischen 2 und ± 8
Einsatz: nach Belieben individueller Spieler (geht in den Einsatztopf)
Jeder Spieler der an der Reihe ist, wählt zuerst wo er den einen Becher unten hinstellt. Er läßt einen Ball fallen. Der Spieler dessen Ball in den Becher fällt gewinnt den Einsatz. Bei einem Gleichstand (ex aequo) spielen die Gewinner noch einmal gegen einander (ohne neuen Einsatz).

Variation 2: Das Spiel mit sieben Bechern und einem / oder mehr Bälle.
Sieben numerierte Becher in der Reihenfolge 1-2-5-10-5-2-1
Anzahl der Spieler: zwischen 2 und ± 8
Anzahl der Runden: laut vorheriger Abmachung
Zahl der Bälle pro Runde: laut Absprache
Einsatz: nach individueller Wahl (kommt in den Topf)
Resultat: Totalzahl der Becherpunkte
Das Resultat aller Spieler in allen Runden wird fleißig notiert. Derjenige der nach den abgemachten Runden die höchste Punktzahl erreicht hat, gewinnt den Pott.
Variation 2a: Spielen um das niedrigste Resultat
Variation 2b: jeder Spieler bestimmt selber die Reihenfolge der Becher
Variation 2c: Spielen mit einem Ball-mit-Tupfern bringt eine doppelte Punktzahl.




Variation 3 (und mein Favorit): Neunzehnern (oder neunzehn werfen). Spiel mit sieben Bechern in der Reihenfolge 1-2-5-10-5-2-1 und mit mehreren Bällen.
Anzahl der Spieler: zwischen 2 und ± 8
Zahl der Bälle: nach Belieben individueller Spieler
Einsatz: keiner
Endpunktzahl: Summe der einzelnen Becherpunkte
Ziel: Jeder Spieler versucht eine Totalpunktzahl von 19 zu werfen (oder so nahe an 19 dran) Wer mehr als 19 erreicht, hat sowieso verloren.

Zum Beispiel: vier Spieler
Spieler A - mit zwei Bällen einmal 10 und einmal 5 bringt die Punktzahl: 15 (ein wohl sehr vorsichtiger Spieler)
Spieler B - mit drei Bällen 5 - 10 - 1 bringt die Punktzahl 16 (weniger vorsichtig)
Spieler C - mit vier Bällen 5 - 2 - 10 - 5 bringt die Punktzahl 22 (hat verloren weil mehr als 19)
Spieler D - mit vier Bällen 2 + 10 + 2 + 5 bringt die Punktzahl 19 (gewonnen und richtig gepokert)

Wer als erster dreimal verliert, gibt eine Runde aus.

Jetzt wissen Sie Bescheid. In der nächsten Bagatelle werde ich Ihnen erzählen wann und wieso ich dazu kam mir so ein altes Glücksspiel nachzubauen. Dann wird dieser Zweiteiler eine richtige Trilogie.

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Sonntag, 19. Februar 2012
Bagatelle 148 - Taiga
Zwölf Jahre alt war ich, als meine Eltern sich entschlossen ihre Büchersammlung noch mehr zu erweitern, indem sie sich auf eine Bücher-Serie abonnierten. Das funktionierte folgendermaßen. Ein Verlag (mittelmaß, Durchschnittsautoren und zweitrangige Bücher) hatte ein Vier-Bücher-Jahres-Kombi im Angebot, wobei eins der Bücher dreimonatlich pünktlich an unsere Hausadresse versandt wurde. Man war zu der Auswahl des Verlages verurteilt: im voraus wußte man nur den Titel und den Autor. Meistens waren es biedere Romane und unschuldige Familiensagas. Keine Literatur, aber unterhaltsame Lektüre; nicht unbedingt schlecht, aber auch nicht imponierend gut.

Der Wunsch diese Sorte von Büchern im Regal zu haben, stammte von meiner Mutter. Mein Vater hielt es aus verschiedenen Gründen mehr auf etwas Gehobeneres, was immer das auch sein mochte. Er wollte es aber der Mutter, die bei uns im Haus immerhin alles Finanzielle regelte, nicht verweigern.
Meine Mutter war eine Leserin die sich jeder Autor wünscht. Wenn am Montagmorgen die Nachbarsfrauen ihre Wäsche sammelten um diese in der Waschmaschine zu reinigen, nahm meine Mutter den neuesten Roman zur Hand, setzte sich in ihrem Lesestuhl und ward für einige Stunden von der Erdoberfläche verschwunden. Oft passierte es, daß sie, abends angefangen, bis tief in die Nacht weiter lies um zu erfahren wie die Hauptpersonen sich schließlich in die Arme schlossen.
Zwölf Jahre war ich als die Post uns eines Tages das zweite Buch aus der diesjährigen Vierteiler besorgte. Der Titel des Werkes war schlicht und einfach: Taiga. Der Untertitel lautete: Roman aus Sibiriën.



Den Namen Taiga kannten wir nur aus den spärlichen Geographiestunden in der Grundschule. Der diensthabende Schulmeister behauptete: es sei eine Art Steppe, mit Flüssen die gen Norden flossen, mit tausenden von wehenden Birken und mit endlosen Horizonten. Da wir auch nicht wußten was eine Steppe ist, blieb vieles uns fremd. Interessant und schön fand ich jedoch die Laute aus dem Wort: das A am Ende hatte etwas weiblich Schönes und der Diphthong /ai/ konnte man fast singend aussprechen. Später bemerkte ich, daß das auch bei anderen Steppen der Fall ist. So wie bei der Pußta in Ungarn und bei den Pampas im weiten Argentinien. Lange habe ich gedacht daß auch die Paloma eine steppenartige Landschaf sei, aber das war ein Mißverständnis.

Alles im Buche Taiga war unfaßbar groß, weit und vor allem entsetzlich kalt. Die Zahl der Birken, die zu tiefst sinkende Temperaturen im Winter, die Schneehöhe, die Entbehrungen der Gefangenen im Lager. Nach dem Lesen des Buches wurde ich von einer Kälte überfallen die mich bis heute nicht verlassen hat. Manchmal erinnert mich ein Bild an diese Kälte. Wie das Bild hier unten von einer sibirischen Panzerbrigade welche den uralten Spruch vom Morgenstunde mit Gold im Munde feiert. Das Morgenbad ist Anfang 1950 von einem Boris Fedorov (wie bekannt aus der jetzt aus der Mode geratenen sozialistisch-realistischen Schule) kaltblütig aufs Leinen abgebildet. Ein mehr zutreffendes Bild des kalten Krieges ist kaum vorstellbar.



Taiga, das Buch, hatte ich Jahre aus den Augen verloren. Viele der Bücher meiner Eltern befinden sich heutzutage in irgendeinem Bücherschrank bei uns zu Hause. Aber die Taiga war offenbar verloren gegangen. Es ging so weit, daß ich fast zweifelte an ihr Bestehen. Bis ich im Internet erfuhr, daß es in der Tat einen Autor namens Koster gibt, der seinen Roman Taiga genannt hat. Sofort hab' ich mir ein second-hand Exemplar besorgen lassen, dessen Umschlag Sie hier sehen.

Vor einigen Jahren meldetet uns unser jüngster Sohn, daß er zusammen mit einem Kollegen eine eigene Firma errichten würde. Etwas auf dem Gebiet der Informationstechnologie, Software-Entwicklung, so etwas. Wir haben ihm dazu viel Erfolg gewünscht. Eigentlich habe ich immer gedacht, daß das Unternehmen, wenn auch nicht ohne Risiko, gut gelingen würde. Er hatte die neugegründete Firma den Namen Taiga gegeben. Ohne die Geschichte des Buches zu kennen. Und ich dachte: mit solch einem Namen kann es höchstens etwas kalt werden, es wird aber niemals schief gehen.

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Freitag, 27. Januar 2012
Bagatelle 145 - Terras Kabel
Doch, Ehre wem Ehre gebührt: allerhände Hochachtung vor einem guten Handwerker. Jemand der seine Hände perfekt dás machen läßt, was sein Gehirn ausgedacht hat. Oder dás was ich, des Handwerkers gütiger Auftraggeber, ihn, dringend aber freundlichst, gebeten habe für mich zu errichten. Und alles ohne Fug und Tadel, schön um anzusehen, brauchbar und nützlich, und fast innerhalb der abgemachten Zeit die wir für das Verrichten der Arbeit vereinbart hatten.

Ich gebe ja zu, daß es Handwerker gibt die sich nicht an diese Gesetze halten. Oder es freiwillig freimütig interpretieren. Die 121 Euro für eine Stunde unbrauchbare und nutzlose Arbeit anschreiben und sich wundern wenn Sie sich beschweren.
Die aber meine ich nicht. Ich meine die Schreiner die liebebevoll ihrem alten Schrank voller Mehlwurm das Leben wieder geben. Und der Maurermeister der bei mir im Badezimmer einen Fliesenboden präzise, genau und auf den Millimeter passend legt. Nach getaner Arbeit stehen wir denn da: der eine der denkt: So, das hab' ich mal wieder geschafft! Und der andere, ich selber, staunend, der ausruft: Phantastisch! Mensch, so etwas müßte man selber können!

Nein, gute fachmännische Handarbeit kann auf meine Bewunderung und mein Lob rechnen. Aber dies gilt natürlich auch für fachfräuliche Arbeiten. Meine Frau zum Beispiel schneidert und näht fast all ihre Kleidung selber. Mit äußester Bewunderung stehe ich vor einem solcher Papierbögen, ein Schnittmuster mit tausenden von Linien, woraus sie ohne zu zögern diejenigen wählt die sie braucht für die neue Couture.



Auch im Stricken ist sie ein Genie. So trage ich jetzt, wo ich Ihnen dies schreibe, eine von ihr gestrickten rötlichen Weste. Mehr als dreißig Jahre alt, völlig aus der Mode, aber immer noch geschmeidig, lecker warm und angenehm im Tragen. Und das am allermeisten besondere ist der Kabel. Es scheint eine Strickform zu sein (oder eine Strickformel?) mit der man wunderbare Strickvariationen sichtbar machen kann. In diesem Fall sieht man auf meiner Weste erhöhte Wolldrahtlinien sich vom unteren Rand bis nach ganz oben bewegen. Ein köstliches Beispiel fachfräulicher Handarbeitskunst würde ich meinen.

Übrigens, die Weste sehen Sie hier unten. Zierlich über der Rückenlehne eines unserer Schlafzimmerstühle gehängt. Den Stuhl können Sie nicht kaufen. Nirgends. Der ist nämlich vor Jahren von mir selber in feinster Handarbeit hergestellt worden. Damals als die Handwerker und Schreinermeister genau so teuer waren als heute.



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Samstag, 21. Januar 2012
Bagatelle 144 - Walnußbrennholz
- Was machst du denn da? Sitzt gehockt mit einer Kamera in der Hand vor einem Stapel Hackholz. Baust einen Hausaltar?
- Nein. Ich sitze hier und betrachte die unglaubliche Holzoberflächen unter der grünen Rinde die ich gerade entfernt habe. Hast du je so etwas gesehen?
- Das sieht dir so ähnlich. Holzhäute beobachten. Nichts besseres zu tun?
- Nein, dies hat Vorfahrt. Ich könnte in feinster Lyrik ausbrechen beim Sehen dieser Strukturen und Linien! Aber du, Kulturbanause, verstehst das doch nicht.
- Spezielles Holz vielleicht? Was ist so extra besonders daran?
- Das hier ist Walnußholz. Es stammt von einem alten, meinem Schwager gehörenden 75-jährigen Baum, der voriges Jahr das Leben gelassen und vorige Woche gesägt, gehauen, geschlagen, gehackt und entfernt worden ist.
- Die sind aber froh daß der Baum weg ist!
- Nicht unbedingt. Dein ein Walnußbaum bietet - außer seiner Nüsse im Herbst - an einem warmen Sommertag nicht nur Schatten und Abkühlung. Er schützt auch vor Mücken und anderes Ungeziefer. Mein Schwager pflanzt sicherlich einen neuen.
- Was macht die Kamera?
- Ich fotografiere die Oberflächen. Siehst du nicht? Daß Cezanne und unser Vincent van Gogh von diesen Linien inspiriert worden sind, ist kein Wunder.
- Das Holz ist noch ganz feucht. Was geschieht mit ihnen? Mit den Walnußbrocken, meine ich.
- Wir lassen es zwei Jahre an der frischen Luft trocknen. Und danach erwärmen sie uns im Holzkaminofen. Wie Fruchtbaum liegt Nußbaumholz lange und erwärmt gut.
- Und dann ist's endgültig aus und vorbei. Asche zu Asche.
- Nein, dann schreib ich darüber eine Bagatelle.







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Montag, 9. Januar 2012
Bagatelle 142 - Glücksfall
Sagen doch alle die mich einigermaßen kennen. Und wer bin ich um so etwas zu verneinen? Doch, ich bin ein Sonntagskind. Zwar nicht an einem Sonn-, Mond- oder sonst einem Himmelskörpertag geboren, aber dennoch vom Glück verwöhnt. Beweisen lässt sich eine solche Behauptung schwer, aber es stimmt dass ich in meinem Leben öfters zu mir selber sagen konnte: 'Mensch, Junge, da hast du aber viel Glück gehabt!' Worauf ich gleich das aufkommende zugehörige Glücksgefühl dämpfte indem ich antwortete: 'Na, só schlimm war es nun wieder auch nicht!'

Hoffentlich kennen Sie Kleve. Eine Kleinstadt am Niederrhein. Prächtig gelegen, dort am Flussufer, mit vorne die weiten Auen und Wiesen der Tiefebene und hinten die bewaldeten Hügel des Reichswaldes. Berühmt ist die unübertroffene Schwanenburg, der Zoo und das Haus Koekoek, wo einst einer der großen Landschaftsmalers des 19. Jahrhunderts gastierte.
Kein böses Wort über die Stadt Kleve, weder über ihr An- und Aussehen, geschweige denn über ihre Bürger und gar nicht über ihre Taxifahrer. Denn diese Gilde hat mir in meiner Studentenzeit einiges Glück beschert, wovon ich jetzt berichten werde.

Wählen kann man. Theoretisch jedenfalls. Auf einer Kreuzung im westlichen Teil von Kleve kann man Richtung Emmerich zurückfahren, oder geradeaus den Weg durch den Reichswald benutzen. Man kann auch links in die Stadt abbiegen oder rechts die Hauptstraße entlang über Nütterden, Kranenburg und Wyler zu der Universitätsstadt Noviomagus (das, wie Sie längst vermuteten, Nimwegen bedeutet) in die Niederlande fahren. Das letztere war mein Plan. Denn diesen Nachmittag um 14.00 Uhr stand ein sehr wichtiges Psychologie-Examen an. Die Studenten, unter denen ich, Terra, wurden freundlichst gebeten ihre Kenntnisse betreffende die Grundlagen der Klinischen Psychologie schriftlich darzulegen, zu argumentieren und zu kommentieren. Die dafür zustehende Zeit betrug volle zwei Stunden plus eine Viertelstunde zum reflektieren. (Im Ernst: es war das weitaus wichtigste Examen in meinem zweiten Studienjahr 1978.)

Es war gerade 13.00 Uhr als ich in meiner treuen Ente (2CV) die Klever Kreuzung erreichte. Noch höchstens eine halbe Stunde fahren und dann ruhig, voller Zuversicht, entspannt und zugleich konzentriert, den Examensaal betreten um sich im Geiste vorzubereiten.
Plötzlich, ich war gerade nach rechts abgebogen, streikte das Auto. Das heißt: der Motor lief, aber die Kupplung war nicht imstande oder nicht bereit mir zu helfen einen Gang, welchen auch immer, einzulegen. Ich stieg aus, und schob die liebe Ente im Freilauf auf einen kleinen Parkplatz am Rande. Es war 13.10.

Es war 13.30, als ich nach zahllosen nutzlosen Versuchen per Anhalter meine Reise zu verfolgen, beschloss zurück in die Stadt zu gehen. Dort wollte ich ein Taxi oder ein anderes Beförderungsmittel suchen und bitten mich sofort, aber denn auch SOFORT und ZÜGIGST, nach Nimwegen zu bringen. Um 13.50 erreichte ich die Innenstadt, wo eine freundliche Dame mir sagte, dass der nächste Taxistand sich ein halber Kilometer weiter aufhielte. Auch wusste sie zu berichten, dass der Omnibus nach Kranenburg vor fünf Minuten abgefahren sei.
Etwa 14.00 Uhr hatte die Glocke geschlagen als ich Garage Annex Taxistand erreichte. Kein Taxi weit und breit. Gerade als ich den Gesellen fragen wollte ob es hier überhaupt Taxis gäbe, kam ein als Taxi verkleideter Mercedes um die Ecke gebogen. Der Chauffeur war bereit mich, unter Zahlung von 20 D-Mark, mein einziges Geld, nach Nimwegen zu fahren. Zuerst besuchten wir den kleinen Parkplatz wo meine Ente stand um meine Sachen zu holen. Es war inzwischen 14.30 Uhr.

Unterwegs hatte ich gerade noch Zeit um meine missliche Lage zu erklären, denn der Taxifahrer raste so schnell er konnte und viel schneller als gestattet durch die ländliche Landschaft. Es war 15.00 Uhr als ich den Examensaal betrat, wo einige andere Studenten mich schweigend begrüßten mit in ihren Augen die Frage: wo bleibst du so lange?
Ich las die Aufgaben und Texte, entschloss mich für eine Auswahl, und setzte mich an die Arbeit. Viertel nach vier war es als ich dem diensthabenden Professor meine in Eile geschriebenen Antworten, Bemerkungen und Meinungen überreichte.

Am nächsten Tag schleppten ein Kollege und ich meine Ente von der Klever Garage zurück in meine Hausgarage wo die defekte Kupplung repariert wurde. Vierzehn Tage später las ich in der Universitätsaula auf einem der vielen Informationsbrettern, dass der Student mit der Nummer 760010 das Examen Grundlagen der Klinischen Psychologie bestanden habe. Noch später erfuhr ich, dass der genannte Student zwar große Abstriche erhalten habe wegen des unbeantwortet lassens einiger Aufträge und Fragen, der Rest sei aber in (guter) Ordnung.

Sie sehen: wieder ein Glücksfall. Denn es war ausgesprochenes Glück, dass ich dort in der Klever Innenstadt, in einem Moment worin ich ihm am meisten brauchte, einem Taxifahrer begegnete, der bereit war mich, mit Gefahr für mein und sein Leben, für lausige zwanzig Mark zu einem Examen zu bringen das meine weitere Karriere sehr beeinflussen sollte.

Sehen Sie, darum bin ich ein Sonntagskind. Denn solche Sachen sind mir in meinem Bestehen laufend passiert. Unfälle welche glimpflich abliefen. Unverhofft schwierige Umstände die sich später als vorteilhaft erwiesen. Düstere Wolken wonach die Sonne strahlend hervor trat. Das nenne ich Glück. Denn es hätte ja alles viel schlimmer kommen können!

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Freitag, 30. Dezember 2011
Bagatelle 140 - Auslauf


Vor wenigen Stunden haben wir das alte Jahr feierlich abgeschlossen.

wir zählten unsere Jahrringe

und eröffneten
unter dem Genuß traditioneller Silvesterleckereien
(gibt es ein solches Wort überhaupt noch?)
das Jahr 2012.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern
dieser Bagatellen
alles Gute im neuen Jahr.

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Mittwoch, 21. Dezember 2011
138 - Bagatelle ohne (viel) Worte

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Samstag, 3. Dezember 2011
Bagatelle 135 - Heiliger Niklaas
Den heiligen Nicolaus kennen wir schon seit unserer frühesten Kindheit, eigentlich von Geburt an. Offiziell: Sankt Nicolaus, Bischof von Myra. Das scheint irgendwo in der Türkei zu liegen, aber uns, kleinen Kindern, wurde immer vorgehalten, daß er aus Spanien kam. Am 6. Dezember ist sein Heiligentag, aber viel wichtiger ist der Abend vorher: Sankt Nicolausabend. Bei uns: Sinterklaasavond. Oder 'pakjesavond', weil an diesem Abend die Geschenke (pakjes) ausgetauscht werden.
So weit so gut. Sie in Deutschland kennen den alten Herrn natürlich auch. Bei ihnen heißt er schlicht Nicolaus. Er wird von einem Knecht begleitet der sich Ruprecht nennen läßt. Bei uns liegt die Sache etwas komplizierter.



Um 1820 schrieb ein Amsterdamer Schulmeister ein moralistisches Kinderbüchlein, worin er erzählte von einem Bischof welcher ein Mal pro Jahr per Dampfschiff nach Holland reiste und einige Tage vor seinem Heiligentag dort ankam. Begleitet von einem, aber meist mehreren Helfern (Zwarte Pieten - Schwarzer Peter). Dort arriviert, ritt er abends auf seinem Schimmel über den Dächern und überall wo unter den Schornsteinen liebe und fleißige Kinder wohnten, warf sein Knecht Pieter Geschenke nach unten. (Daher blieb der Kamin an diesem Abend kalt und dunkel.) Meistens hatten die dort unten wohnhaften Kinder schon Tage vorher einen Schuh (ledernen oder hölzern) am Kamin gestellt worin für Nicolaus sein Pferd eine Karotte und ein bißchen Heu.

Auf den hohen, hohen Dächern
reitet Sankt Nikolaus mit seinem Knecht.
Wollt ihr wissen, liebe Kinder,
was er zu seinem Knechte sagt?
- Schau mal eben, bester Piet,
ob du unartige Kinder siehst!

So sangen und singen die Kinder.



Der heilige Nicolaus hatte eine Vorliebe für ziemlich reiche und wohlhabende Leute, denn dort ging er auch zur Türe hinein. Bei den ärmeren lief er ums Haus, schlug mit einer eisernen Kette gegen die Mauer und in die Luft umher, nur um zu zeigen daß er da war. In den Zimmern unterdessen herrschte leichte Angst und Furcht. Denn der Sankt Nicolaus hatte ein Buch bei sich, worin alle Kinder mit Name und Zuname aufgeführt waren, zusammen mit allen großen und kleinen im vergangenem Jahr begangenen Sünden. Kindern, welche sehr unartig gewesen sein sollen, wurden mit einer Rute gedroht. Die allerschlimmsten, so war allgemein bekannt, mußten in einem Sack zusammen mit den Gästen die Zurückreise nach Spanien antreten. (Und dort, sagten die gemeinsten Eltern, drohte ein Sklavendasein.) Wie groß dann die Erleichterung: nach einer kleinen Buße bekam man nebst Vergebung die so sehr gewünschten Geschenke.
In den Häusern wo der Nikolaus nicht kam (keine Zeit, Sie wissen), konnten die Kinder die Geschenke am Morgen des 6. Dezember in ihren Schuhen begrüßen. Wahrscheinlich in einem Tausch mit dem Heu und der Karotte für den Schimmel.

Heutzutage wird in meinem Lande das Sankt Nikolausfest überall wie vorher gefeiert. Zwar schwer kommerzialisiert wie alles im Leben, aber dennoch. Der heilige Mann aus Spanien landet immer noch mit seinem Dampfer in einen niederländischen Hafen. Die Helfer sind immer noch schwarz, was jedes mal Anlaß zu Leserbriefen gibt von Leuten die einem ein unschuldiges Kinderfest mißgönnen, worin auf angeblich vorhandenen diskriminierenden Zügen hingewiesen wird.
Noch immer wird mit Sack und Rute gedroht. Und noch immer braucht keiner Angst zu haben wirklich nach Spanien verschleppt zu werden. Denn es ist ja in den hunderten Jahren wo das Fest nun schon gefeiert wird, noch nie vorgekommen. Noch immer wird der Sankt Nicolaus und seinen schwarzen 'Pietermannen' am Hafen zugesungen und zugewunken.
Erwachsene geben einander im Namen von Sankt Nicolaus kleine, liebe Geschenke. (Ich schreibe meiner Gattin eine Bagatelle und schenke ihr einen Kalender mit selbstgemachten Fotos: wie originell!) Wenn möglich werden die Geschenke von einem Gedicht begleitet. Oft ein krummes Vers das immerhin Liebe und Zuneigung vermitteln soll.

Zum Schluß erzähl ich Ihnen von einer Panne. Jedes Jahr geschieht so etwas. Der Gutheiligmann landete dieses Jahr schon am 12. November in der alten Stadt Dordrecht. (So hatte der Mittelstand Gelegenheit sich werblich und gewerblich auf den Käufersturm vorzubereiten.) Am Kai bestieg er seinen Schimmel und ritt die fröhliche Kinderschar mit den ebenso begeisterten Eltern entlang. Schade war, daß er seinen Bischofshut verkehrt rum auf hatte. Ein guter Beobachter - ein alter Katholik sicherlich - am Fernseher meldete sich telefonisch um auf den Fehler aufmerksam zu machen. So sieht man, wie die kirchlichen Kenntnisse und Sitten allmählich verschwinden. Aber der Nicolaus bleibt für ewig.

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Sonntag, 20. November 2011
Bagatelle 133 - Altes Geld
Ach, wie schlecht steht es um des Menschen Gedächtnis! Sagen Sie bitte nicht, daß Sie sich nicht daran erinnern können, denn dann beweisen Sie mir wie recht ich habe. Wenn Sie ein gutes Gedächtnis vorweisen könnten, wüßten Sie genauestens an welchem Tag und in welchem Jahr Sie dem Euro zum ersten Mal begegnet sind.

Es ist genau zehn Jahre her. Damals, November 2001, an einem grauen vorweihnachtlichen Adventstag wurde uns der Euro vorgestellt. Ab dem 1. Januar 2002 Zahlungsmittel. Auf Anfrage schickte eine vom Minister eingestellte Währungskommission uns ein vorweihnachtliches Geschenk: eine, elegant in Papier und Plastik aufgehobene Geldserie, aus nicht weniger als acht (8) Münzen bestehend. Variierend vom kargen 1 Cent bis zum grandiosen 2-Euro-stück. Der Gesamtwert betrug deftige € 3.88; in der altmodischen holländischen Währung von damals: f. 8,55. Und die bekamen wir umsonst!
Das Ministerium teilte obendrein noch mit, daß auch neue Geldscheine von Stapel liefen. Scheine im Wert von 5 bis zu nicht weniger als 200 Euro. Mit äußerster Sorgfalt entworfen, gepreßt und gedruckt, so daß die Fälscher dringend geraten wurde eine andere Beschäftigung zu versuchen.



Heute, zehn Jahre später, ist der Euro in Not. Weil einige Länder in der Eurozone meinten álles auf Pump kaufen zu können, und ihre entstandene Schulden mit nicht vorhandenen Anleihen und sonstige Luftblasen (wie losen Goldbarren) zurückerstatten wollten, befindet sich heute der Euro in Not. In Nöten vielleicht schon, in Banknöten. Und es gibt schon geringe Ahnung habende Fachleute und sonstige Wirtschafsignoranten die laut um den Rückkehr der alten Währung rufen. Ich seh's vor mir: Italiener die für ein Brot die Summe von 17.500 Lire bezahlen, Belgier die für ein Pommes mit Mayo 54 und ein halber Belgischer Franken ausgeben und Briten die zwei Pfund und vier Schillinge für ihr Fish and Chips auf den Tisch legen. (Wie gescheit, daß die Engländer noch immer an ihrer alten Währung festgehalten haben. So sieht man wieder daß Trägheit sich auf die Dauer lohnt.)



Wie gut daß mein zugegeben kleiner Wirtschaftsverstand mir einige meiner alten Zahlungsmittel hat aufbewahren lassen. Ja, ich besitze sie noch: die grauen, bakterievollen, alten Münzen und die schmutzigen Scheine aus der Vor-Eurozeit. Im Februar 2002, einen Monat nach dem offiziellen Eintritt des Euro, startete das Finanzministerium eine Großaktion, wobei die Holländer aufgefordert wurden alle ihre Gulden und sonstige alten Zahlungsmittel für Euros umzutauschen. Schätzungsweise 93 Prozent der Niederländer hielten einige alte Münzen und Scheine für sich zurück. Sie wurden in einem Strumpf oder im Schrank zwischen der Bettwäsche aufbewahrt. Für den Notfall, sagten sie. Oder für die Ewigkeit.

Jawohl, wir sind gerüstet wenn der Gulden seine Rückkehr ankündigt. Besser noch: tief in unserem Herzen haben wir uns niemals definitiv von ihm verabschiedet. Er ist uns ans Herz gewachsen, so wie bei Ihnen die Mark und der Groschen. Aber so sind wir, die Holländer. Je älter sie werden, je dümmer.
Anderswo wird es nicht anders sein. Ich wette mit Ihnen, daß demnächst mehrere ewig gestrige, richtig vergangenheitssüchtige Deutsche sich darüber freuen, daß ihre Gehälter in Kürze wieder in Reichsmark ausgezahlt werden.

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