Donnerstag, 3. Februar 2011
Bagatelle LXL - Krakelüre
Als ich früher, in meinen jungen Jahren, nach etlichen Stunden zu Hause in der Badewanne oder draußen im Schwimmbad verbracht zu haben, an Land ging und meine Finger betrachtete, beobachtete ich, daß diese voller Falten waren. Länglich, und parallel an den Fingerformen. Nach einigen Minuten hatten sich die Falten entfernt und die Haut bekam ihre gewohnte Spannung und Glätte.

Wenn ich jetzt, nun da ich etwas älter geworden bin, meine Finger der linken Hand betrachte, sehe ich überall kleine Risse und Kratzer. Die Fingeroberhaut bekommt craquelarische Züge. Was meint er wohl mit "craquelé" und dürfen wir bitte erfahren was er mit "craquelarisch" sagen will? (In meinen frühesten Deutschstunden habe ich gelernt, daß die angesprochene Zweite Person Du (vor allem im Norden) oftmals mit der Dritten Person Er verwechselt wird, was wiederum ein großartiges Spracheffekt darstellt.)

Schließen Sie bitte die Augen und tun Sie als sähen Sie ein köstliches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Es ist ein Stilleben. Daher der Name: "Stilleben mit Zitrone und Apfelmuß". Je älter das immerhin schon so alte Gemälde, je mehr kleine und sehr feine Risse, Kratzer und Narben die Varnish/Firnisschicht, welche die Farbenpracht bedeckt, aufweist. Temperatur- und Klimaschwankungen, so behauptet man, seien die Ursachen. Eine Frage also von ausdehnen und schrumpfen. Der kunsthistorische Fachausdruck hierfür ist meines Wissens: craquelé. Laut wikipädischen Experten ist es ein Netzwerk von Rissen auf der Oberfläche eines zB. Ölgemäldes. Das Wort ’craquelé’ ist zwar französischer Herkunft, aber warum sollte ein Kunstbegriff nicht aus dem Französischen kommen dürfen? Verbleibt die Mona Lisa auch nicht im Louvre?



In dieser Jahreszeit, vor allem sichtbar bei Temperaturen unter null und minus, sind meine Finger voller solcher Feinrisse. Das ist weder peinlich, noch hinderlich. Diese Fingerkrakelüre ist meines Erachtens nur da um uns auf die Vergänglichkeit des Lebens hinzuweisen. Jüngeren Lesern würde ich denn auch zufügen wollen: lacht bitte nicht zu schnell und zu laut. Auch euch wird die Krakelüre einst treffen.

Nicht nur die linke Hand ist craqueliert. Die Rechte hat es auch in sich. Aus aufnahmetechnischen Gründen aber stell’ ich die Linke unpolitisch in den Vordergrund. Mit der rechten Hand bediene ich meine Digitalkamera und die linke – nicht wissend was die andere tut - läßt sich fotografisch zeigen. Außerdem sollte man keine zwei Sachen zugleich machen wollen. Weder links, noch rechts.

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Dienstag, 9. November 2010
Bagatelle LXXIX - Auf Entwicklung fixiert
Wir leben - wie Sie vielleicht schon wissen - in einem alten Bauernhof der sich dadurch auszeichnet daß er in Form von Kellern, Dachböden und sonstigen Anbauten genug Raum bietet um unbrauchbare, schlecht aussehende und völlig nutzlose Unutensilien aufzubewahren. Statt sie dem geachteten und geschätzten, umweltbesorgten Müllabführer anzuvertrauen, schleppen wir die alten Sachen auf den Dachboden der Scheune, wo sie von ihrer Rente genießen und nach und nach zu Staub zurückkehren.



Dort, in einer dunklen Ecke, seh’ ich ihn: meinen Meopta II, Marke Opemus, meinen uralten Vergrößerer. Baujahr unbekannt, wahrscheinlich um 1960, und (wenn ich mich nicht irre) stammend aus einem Bauern- und Arbeiterstaat östlich der Elbe. Und wie so oft in ähnlichen Situationen kommt sofort die äußerst angemessene Frage bei solchen Gelegenheiten: tut er ’s (noch) oder tut er ’s nicht (mehr)? Und wie so oft, auf dem Fuße gefolgt, die Tat beim Wort nehmend, folgt die Probe aufs Exempel.



Mit Hilfe von einem Kabel und einer Steckdose verschaffe ich mir 220 Volt, schalte, durch das hin- und her bewegen eines Hebels, den Apparat ein, und siehe da: es ward Licht! Ein von Staub umschlungener Strahl von oben nach unten gelingt es schließlich sich durch ein rotfarbiges Gläschen zu pressen und einen hölzernen Plateau zu erreichen. Auf diesem Tischlein lag früher das zu belichtende Fotopapier (damals noch mit Ph geschrieben). Ein paar Meter weiter standen die zwei Schalen: die erste mit Entwickler worin das belichtete Blatt Papier genau zwanzig Sekunden zu baden hatte, die zweite mit dem säurigen Fixiermittel das dem Bilde erlaubte das Tageslicht zu erblicken. Schließlich folgte das Trocknen der fabelhaften 18*24-Bilder – mit vorzugsweise vielen romantischen Waldwegaufnahmen - an der Wäscheleine. Damals nicht auf einem Scheunedachboden, sondern in einem Badezimmer, das mit viel Sorgfalt und Mühe völlig verdunkelt wurde. Wie in Freudenhäusern war nur eine rote Lampe gestattet. Das échte photographische Rotlichtmilieu also.

Alles was man braucht um ein Bild aufs Papier zu bekommen ist noch da. Wenn ich wollte könnte ich den Vergrößerer zu neuen Ruhm verhelfen. Aber natürlich will ich nicht. Ich mache mit meiner kleinen Digitalkamera ein Erinnerungsbild. Mit viel Staub. Danach befördere ich den Vergrößerer samt Hilfsmittel an seinen alten Platz: eine Kiste in einer Dachbodenecke. Nach zwei Minuten spricht niemand mehr über dieses Ereignis. Kein Staub wirbelt mehr auf. Das digitale Zeitalter regiert.

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Sonntag, 31. Oktober 2010
Bagatelle LXXVIII - Gras im Rücken
Kaum ist die Sommerzeit dahin, kaum hab’ ich die Uhr eine Stunde zurückversetzt, und schon sehne ich mich sehr nach diesen herrlichen Sommeraugenblicken im hohen Gras, wobei ich mir die Wolken am Himmel betrachte. Denn nichts schöneres auf dieser Welt als das Wolkenpanorama.



Ich liege auf dem Rücken im weichen, duftreichen Gras, sehe in die Lüfte und bemerke wie sehr diese eine Wolke die geographischen Formen Portugals ähnelt. Die darauffolgende ist – kein Zweifel möglich – eine monströse Gestalt wovor wir als Kinder große Angst haben. Und wie schnell sie den Himmel entlang fliegen, kommen und gehen! Der Wind bläst sie heute ostwärts. Dadurch sehen meine Nachbarn, welche im Atlas rechts von mir wohnen, sie später als ich. Aber wenn ich meinen orientalischen Freund frage ob er Portugal auch gesehen habe, ist die Antwort klar und bejahend deutlich.



Nicht jeder mag das, das auf dem Rücken im Gras liegen. Nach zehn Minuten spürt man den harten Untergrund. Steif und stramm verlassen wir das Gelände um nach Hause zu gehen. Unterwegs denke ich dabei an meine Zeit als Verteidiger des Vaterlandes. Wieso und weshalb?

Ich wohne in einem Land wo man vor vierzig Jahren noch die Wehrpflicht kannte. Deshalb mußte ich fast zwei Jahre - nicht sehr freiwillig - lernen wie man am besten einen imaginären Feind bekämpft. Mit Waffengewalt oder mit giftigen Worten und Parolen. Man lehrte mich auch wie man, unter freiem Himmel, auf dem Rücken schläft.



Nicht im Gras sollte man sich zur Ruhe begeben, aber im Sand. Man legt sich hin – auf dem Rücken wohlgemerkt - und schaufelt sich sieben Höhlen: eine für den Kopf, zwei für die Schultern, zwei für die Hinterbacken und zwei für die Hacken. Man fühlt jetzt daß jeder Körperteil vom Boden getragen wird. Leg’ dann eine Decke unter dir und eine über dich und wenn du müde genug bist, wirst du schlafen wie eine Rose. Und wenn du nicht schlafen kannst, siehst du auf die Sterne am Himmel. Sterne statt Wolken.

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Dienstag, 5. Oktober 2010
Bagatelle LXXIV - Spitzweg
Ich schäme mich dessen nicht: ich liebe das Schreiben und Zeichnen mit Hilfe eines ordinären Bleistiftes. Dieser zederhölzerne Schreibapparat mit seinem bleiernen, grauenhaftschwarzen Kern. Einfach in der Handhabe und großartig in der Leistung. Nur das fortwährende Abbrechen der Spitze läßt mich mit Seufzen aufhorchen, Ärgernis verbreiten und sogar leicht wütend in Verzweiflung trauern. Ja doch: die Spitze ist weg, futsch, verschwunden. Und wie oft muß man feststellen daß die Suche nach dem Anspitzer jetzt unbedingt anfangen soll, will man innerhalb einer halben Stunde etwas Vernünftiges aufs Papier gebracht haben. Denn Anspitzer liegen immer dort im Haus wo man sie, Ehrenwort, niemals hat hingelegt.

Wieso und weshalb spricht man von ‘Blei’ in ‘Bleistift’? Ich habe mich beraten lassen von einigen Sachverständigen. Diese behaupten, daß man früher das Graphit - als tragender Kern des Schreibstocks - für eine minderwertige Qualität Bleierz gehalten habe. Wie auch immer, der Name Bleistift ist mir geläufiger als der etwas unecht anmutender Begriff: Graphitstift. Dabei muß ich immer an die üppigen Wandmalereien in den U-Bahn-Gängen denken.



Ich weiß es noch genau. Der Vorgang steht klar und deutlich in meinem Gedächtnis. Da kommt, wie am jeden Montagmorgen, der Herr Grundschullehrer. In der einen Hand trägt er die Gimborn-Tintenflasche womit er den dickgläsernen Behälter in unserer hölzernen Schulbank füllt. In der anderen Hand eine Schachtel mit kupferfarbigen metallenen Federn die man in den Holzhandgriff schiebt. Der gütige Herr Lehrer schenkt uns jede neue Woche Tinte und Feder. Er sagt: So, nun schreibt mal mit Feder und Tinte schön in euren Schönschriftheften. Sonst schreibt ihr bitte nur mit Bleistift und – an der Tafel wenn ich’s erlaube - mit kalkiger Kreide.

Der kritische Punkt an dem Bleistift ist natürlich die Spitze. Spitz soll die Spitze sein: erst dann schreibt man schön dünn und fein. Mit einem leisen, luftigen Auf-bewegung – der Buchstabe F kleingeschrieben zum Beispiel - und einem kräftigen Abstrich nach unten. Schreiben mit einem Bleistift ist eine wunderbare Angelegenheit. Nicht nur durch die Möglichkeit des Ausradierens beim Nicht-Gelingen. Hört und seht wie sanft scheuernd und geschmeidig der Graphit meiner Handbewegung folgt.

Zeichnen mit Bleistift ist das non-plus-ultra. Schon mit einem einfachen handelsüblichen Faber (HB) Bleistift lassen sich die schönsten Porträts zeichnen. Geschweige die Farbenpracht wenn man eine 24-Teilige Caran d’Ach Kassette benutzen kann. Wie stolz war ich, wenn ich am Tage nach Sankt Nikolaus in die Schule kam mit sage und schreibe acht neuen Farbstiften in ebenso vielen verschiedenen Farben!



Das Schleifen der Bleistiftspitzen war und ist eine Kunst für sich. Die meisten Schullehrer und Fräuleins waren Meister(innen). Oft hatten sie an ihrem Schreibtisch einen Schleifapparat montiert, einen mechanischen Bleistiftanspitzer. Von vorne steckte der Herr Lehrer einen Bleistift hinein und von hinten drehte er so geschmeidig und fließend an einem Rädchen, daß die schönster Zederholzspiralen hervorkamen. Wenn fertig gingen wir strahlend mit unserem gespitzten Bleistift an unseren Platz zurück. Bis ein bißchen Druck zu viel meinerseits die Bleistiftspitze aufs neue brechen ließ.

Wer schreibt und zeichnet heute noch mit einem Bleistift? Ihr untertänigster Diener hier tut es. Ohne Scherz: auf meinem Arbeitstisch steht immer ein Glas mit Bleistiften. In vielen Farben und Härten. Am liebsten sind mir die schlichten, grauschwarzen HB-Stifte, womit man so herrlich eine Bagatelle aufs Papier schreibt.

Zugabe: eine Bleistiftzeichnung von Joseph Haydn, gemacht von Terra Sr. in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

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