Dienstag, 5. Oktober 2010
Bagatelle LXXIV - Spitzweg
Ich schäme mich dessen nicht: ich liebe das Schreiben und Zeichnen mit Hilfe eines ordinären Bleistiftes. Dieser zederhölzerne Schreibapparat mit seinem bleiernen, grauenhaftschwarzen Kern. Einfach in der Handhabe und großartig in der Leistung. Nur das fortwährende Abbrechen der Spitze läßt mich mit Seufzen aufhorchen, Ärgernis verbreiten und sogar leicht wütend in Verzweiflung trauern. Ja doch: die Spitze ist weg, futsch, verschwunden. Und wie oft muß man feststellen daß die Suche nach dem Anspitzer jetzt unbedingt anfangen soll, will man innerhalb einer halben Stunde etwas Vernünftiges aufs Papier gebracht haben. Denn Anspitzer liegen immer dort im Haus wo man sie, Ehrenwort, niemals hat hingelegt.

Wieso und weshalb spricht man von ‘Blei’ in ‘Bleistift’? Ich habe mich beraten lassen von einigen Sachverständigen. Diese behaupten, daß man früher das Graphit - als tragender Kern des Schreibstocks - für eine minderwertige Qualität Bleierz gehalten habe. Wie auch immer, der Name Bleistift ist mir geläufiger als der etwas unecht anmutender Begriff: Graphitstift. Dabei muß ich immer an die üppigen Wandmalereien in den U-Bahn-Gängen denken.



Ich weiß es noch genau. Der Vorgang steht klar und deutlich in meinem Gedächtnis. Da kommt, wie am jeden Montagmorgen, der Herr Grundschullehrer. In der einen Hand trägt er die Gimborn-Tintenflasche womit er den dickgläsernen Behälter in unserer hölzernen Schulbank füllt. In der anderen Hand eine Schachtel mit kupferfarbigen metallenen Federn die man in den Holzhandgriff schiebt. Der gütige Herr Lehrer schenkt uns jede neue Woche Tinte und Feder. Er sagt: So, nun schreibt mal mit Feder und Tinte schön in euren Schönschriftheften. Sonst schreibt ihr bitte nur mit Bleistift und – an der Tafel wenn ich’s erlaube - mit kalkiger Kreide.

Der kritische Punkt an dem Bleistift ist natürlich die Spitze. Spitz soll die Spitze sein: erst dann schreibt man schön dünn und fein. Mit einem leisen, luftigen Auf-bewegung – der Buchstabe F kleingeschrieben zum Beispiel - und einem kräftigen Abstrich nach unten. Schreiben mit einem Bleistift ist eine wunderbare Angelegenheit. Nicht nur durch die Möglichkeit des Ausradierens beim Nicht-Gelingen. Hört und seht wie sanft scheuernd und geschmeidig der Graphit meiner Handbewegung folgt.

Zeichnen mit Bleistift ist das non-plus-ultra. Schon mit einem einfachen handelsüblichen Faber (HB) Bleistift lassen sich die schönsten Porträts zeichnen. Geschweige die Farbenpracht wenn man eine 24-Teilige Caran d’Ach Kassette benutzen kann. Wie stolz war ich, wenn ich am Tage nach Sankt Nikolaus in die Schule kam mit sage und schreibe acht neuen Farbstiften in ebenso vielen verschiedenen Farben!



Das Schleifen der Bleistiftspitzen war und ist eine Kunst für sich. Die meisten Schullehrer und Fräuleins waren Meister(innen). Oft hatten sie an ihrem Schreibtisch einen Schleifapparat montiert, einen mechanischen Bleistiftanspitzer. Von vorne steckte der Herr Lehrer einen Bleistift hinein und von hinten drehte er so geschmeidig und fließend an einem Rädchen, daß die schönster Zederholzspiralen hervorkamen. Wenn fertig gingen wir strahlend mit unserem gespitzten Bleistift an unseren Platz zurück. Bis ein bißchen Druck zu viel meinerseits die Bleistiftspitze aufs neue brechen ließ.

Wer schreibt und zeichnet heute noch mit einem Bleistift? Ihr untertänigster Diener hier tut es. Ohne Scherz: auf meinem Arbeitstisch steht immer ein Glas mit Bleistiften. In vielen Farben und Härten. Am liebsten sind mir die schlichten, grauschwarzen HB-Stifte, womit man so herrlich eine Bagatelle aufs Papier schreibt.

Zugabe: eine Bleistiftzeichnung von Joseph Haydn, gemacht von Terra Sr. in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

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Seit vielen Jahren
kann ich mit gar nichts anderem mehr schreiben als mit (allerdings weichem) Bleistift. Über die Gründe dafür habe ich mir jedoch noch keine Gedanken gemacht. Ich weiß lediglich – er gleitet so angenehm sanft, als ob er keinerlei Führung brauchte.

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