Sonntag, 20. Mai 2012
Bagatelle 160 - Neue Freundschaften


Gestatten Sie, liebe Bagatellenleserinnen und -Leser, daß ich Ihnen den Pfaule vorstelle. Vor zehn Tagen erschien er bei uns auf den Hof, unangemeldet und aus heiterem Himmel. Zuerst etwas schüchtern und vorsichtig, inzwischen aber ist er ein vertrauter und lieber Gast der sich den Angewohnheiten des Hauses und dessen Bewohner angepaßt zu haben scheint. Er zieht seine Kreise rundum den Hof, frißt ab und zu von den guten Gaben welche ihm die Natur bietet und freut sich sichtlich wenn der Hausherr ihn mit einem Handvoll Saat verwöhnt.

Weil ich vermutete, daß unser Pfauengast nicht aus dem Lande mit dem Pfauenthron, sondern aus der Nachbarschaft stammte, fuhr ich zum Nachbar der fünfhundert Meter von hier seinen Wohnsitz hat. Der versicherte mir, daß der Pfaule ihm zwar bekannt vorkam, (er, der Pfau, hätte auch bei ihm, meinem Nachbar, seine Spuren hinterlassen,) daß er dennoch nicht sein Besitzer, geschweige denn sein Schutzpatron war. Mein Nachbar hätte den Pfaule gerne behalten wollen, aber der wiederum hätte es sich anders überlegt: er reiste - wie ich hier oben geschildert habe - weiter nach Terras Gefilden. Der Pfaule ist also ein Reisender; ein Mitglied der fahrenden und reisenden Zunft. Vorläufig wohnt er bei uns. Kann sein daß er eines Tages in irgendwo eine Richtung verschwindet.



Einige unter Ihnen wissen vielleicht daß wir, die Terras, schließlich nur noch fünf Hühner besaßen. Zwei Herren und drei Damen. (In der Bagatelle IV (römisch 4) war davon die Rede.) Inzwischen hat der natürliche Lauf der Dinge es so geregelt, daß nur noch ein (römisch 1) Hahn übrig ist. Sein Name ist kurz und klar HON. Eine Abkürzung von: Hahn Ohne Namen. Die anderen vier sind aus unserem Blickfeld verschwunden. Entweder sind sie von einem Raubtier (einem Bussard zum Beispiel) als Nachspeise auserwählt; oder sie sind auf natürliche Weise gestorben, wonach ich sie feierlich begraben habe. Der HON aber lebt immer noch und ist munter und frohen Mutes. Für ihn war das Erscheinen von Pfaule doppelt überraschend. Auf einen Pfau als Nebenbuhler hatte er nicht gerechnet.



Aber siehe da: das Wunder geschah. Man verträgt sich. Der Pfaule und der HON verkehren zusammen ohne ernsthafte Zwischenfälle. Frühmorgens und spätabends essen sie zusammen was ich ihnen vorsetze. Ab und zu erwidert der Paule das HONsche Krähen mit einem kräftigen unmusikalischen Pfauenschrei der, wie wir alle wissen, den kommenden Regen vorhersagt. Nachts zieht der eine sich in den Hühnerstall zurück, während der andere sich irgendwo im Gebüsch einen Platz zum schlafen sucht. Und beim Sonnenaufgang morgens ist die Luft voll von ihren Weckrufen.
Neuerdings kann man beobachten, daß sich der Pfaule bei uns tatsächlich zu Hause fühlt. Dann tritt er in den Vordergrund, sucht sich einen geeigneten Hintergrund, und fängt an seine Flügel zu heben und zu spreizen. Wie das denn ausseht! Diese Farbenpracht! Eine Augenweide: dieses unglaublich schöne Blau gegen den grünen Hintergrund. Kaum zu glauben. Das meint auch der HON, der zugeben muß, daß er noch nie so etwas schönes gesehen hat.

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