Samstag, 4. September 2010
Bagatelle LXX - Eine 5 in rot
Normative Benotungen regieren den Unterricht in der Schule. Das war früher so und ist – jedenfalls bei uns – immer noch so. Wenn ein Kind in der dritten Klasse eine komplette Serie Rechenaufgaben gut gelöst hat, bekommt es die Note 1. In besonderen Fällen, so habe ich mir erzählen lassen, sogar eine 1A. Immer wird alles an Standarten gemessen. Gemessen und verglichen in wiefern eine Leistung eines Schülers den Erwartungen, Anforderungen und Hoffnungen eines Lehrers , des Schulbuchautors oder des von Bildungsexperten vorgeschriebenen Lehrplanes entspricht. Dann folgt die Benotung: eine Zahl, eine 2 oder eine 4. Wobei, man höre und staune, eine 2 höher eingestuft wird als eine 4.

Das ist aber typisch Deutsch. In jedem mehr oder weniger ordentlichen Bildungssystem werden bessere Leistungen mit höheren Noten und Ziffern bewertet. (Die angelsächsische Buchstabenbenotung schließen wir - zu dumm um darüber Worte zu verlieren - aus.)

Einsehbar und voller Logik ist die Feststellung daß eine 2 mehr vorstellt als eine 1. Nicht aber in Deutschland. Dort ist eine 3 für die Mathematikaufgabe weniger wert als eine 2. Ein kleines Beispiel lehrt aber daß es auch anders geht: beim Eiskunstlaufen bekommen die schlechteren Paare für ihre Kür eine 5,5; die Champions erhalten eine 5,9. Je besser die Leistung, je größer die Zahl. Und das ist nur richtig so.

Bei uns ist das Bildungssystem schlechter und das Benotungssystem besser als bei Ihnen. Eine außerordentlich gute, fast unübertreffbare Leistung wird hierzulande mit einer 9 benotet. Die 10 gibt es wenn fast nichts mehr zu beanstanden ist. Das Summum, der Gipfel also, ist eine 10 plus - wie man so sagt - ein Küsschen der Frau Lehrerin. Die überaus schlechtest denkbare Note ist die 1. Dazwischen gibt es eine Skala von Möglichkeiten. Für eine ungenügend gelöste Aufgabe bekommt man eine 4. Eine nicht sehr gelungene aber ‘genügend’ gemeisterte Aufgabe wird mit einer 6 belohnt. Wenn die Frau Lehrerin zweifelt zwischen ‘reichlich genügend’ und ‘gut’ (eine 7 oder eine 8) kann sie sich sogar für eine 7½ entscheiden.

Die 5 ist ein Zwitterfall. ‘Fast genügend’ steht in der offiziellen Beilage geschrieben. Nicht schlimm ungenügend, aber auch nicht etwas zum prahlen, weil noch immer ungenügend.

In meinen jungen Schuljahren (Grundschule, Realschule, Berufsschule) habe ich dutzende Prüfungen bestanden und zahllose Zeugnisse bekommen. Nur einmal bekam ich eine 5. Und zwar eine 5 in rot: mit roter Tinte ins Zeugnis geschrieben. Damit ich es in meinem ganzen weiteren Leben niemals vergessen werde. Zu tiefst betroffen war ich und den Lehrer, der mir die 5 verpaßt hat, kann ich bis heute nicht leiden, obschon er schon viele Jahre tot ist.
Das Fachgebiet war Kunst; das Fach: Zeichnen. Die Aufgabe war: zeichne eine Möwe in einem völlig runden Kreis. Aber du darfst auf keinen Fall einen Zirkel benutzen.

Später behauptete der Lehrer, daß ich sehr wohl einen Zirkel zur Hand genommen hätte. Ich verneinte vehement, weil es auch nicht so wahr: ich hatte lediglich zwei Stecknadeln und einen Faden benutzt. Der Lehrer blieb bei seiner Fehlentscheidung und gab mir eine 5. Nota bene eine 5!! Eine rote 5! Und das bei einem Fach das ich liebte und wobei ich sonst immer die höchsten Benotungen erhielt!

Ich zeige Ihnen mein Zeugnis aus damaliger Zeit. Als schlichter Beweis. Die rote 5 lacht mir bitter zu. Ob sie sagen will: noch immer gut für eine Bagatelle!



Gedrag en Vlijt = Benehmen und Fleiß, wobei III der höchst mögliche Wert is.
Bitte, beachten Sie auch die sehr schöne Unterschrift vom Vater Terra Sr. Damit hat er das schulische Urteil akzeptiert. Ich selber nie und niemals.

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