Samstag, 6. August 2011
Bagatelle 118 - Nachtmährzettelchen
Jetzt, wo immer wieder die Namen ansehnlicher Leute auftauchen, Politiker vor allem, die ihren Doktortitel anscheinend zu Unrecht erworben haben, wurde es auch für mich Zeit noch einmal der Frage nachzugehen wie und ob ich selber meinen Doktor gemacht habe. Ging damals alles wohl mit rechten Dingen zu? Fangen wir an beim Anfang.

Heute noch werde ich ab und zu eingeholt von einem Ereignis das seine Wurzeln in meiner Studentenzeit hat, die schon viele Jahre hinter mir liegt. Es ist ein Traum. Allmählich mit Zügen einer Nachtmähre. A nightmare, een nachtmerrie, oder wenn Sie wollen: ein Albtraum.

Sechs Jahre dauerte mein Studium. In diesen Jahren hab' ich unzählige Tentamina, Tests und (Zwischen-)Prüfungen durchstehen müssen. Manchmal ist es gut, daß ich viel dummes Zeug aufbewahre: so habe ich mir alle Tentamenzettelchen aus sechs Studienjahren aufbewahrt. Sie können gerne vorbei kommen und zählen helfen: es sind fast achtzig. Ungelogen. Wenn also ein gewisser Herr Karl Griesgrämer Jr., Untersuchungsrichter bei der Aachener Uni, zu mir kommt und fragt: Wo, mein lieber sogenannter Doktor Terra, wo ist der feste und überzeugende Beweis, daß Sie das Tentamen "Grundlagen der Entwicklungspsychologie" (Zweites Studienjahr) mit Erfolg abgeschlossen haben?, zeige ich ihm ein kleines aber unantastbares Zettelchen mit der Unterschrift aller verantwortlichen Professoren.
Ich kann also beweisen daß ich alle Tentamina, Examen, Tests und Prüfungen mindestens mit 'genügend' (manchmal auch mit 'gut' oder sogar mit 'ausgezeichnet') abgeschlossen habe. So weit, so gut. Weshalb dann dieser Albtraum?



Es gibt zu studierende Fachgebiete, oder Teile daraus, die so schwer sind, daß sie für einen normalen, menschlichen Geist kaum zu fassen sind. Bei solch einem Examen sind schon die Fragen unverständlich, geschweige denn daß man die Antworten parat hat. Bei dem Psychologiestudium waren das zum Beispiel (für mich) Teile der mathematischen Psychologie. Sehen Sie dort die Flecken auf meinem Arbeitszimmerteppich? Das sind die Schweiß- und Blutspuren welche geblieben sind nachdem ich mich vorbereitete auf ein psychologisches Mathematiktentamen.



Nun, nach so langer Zeit, träume ich oft daß ich mein Psychologiestudium wiederhole. Das Tentamen Mathematische Psychologie verschiebe ich immer wieder bis zum letzten Tag. Nimmerleinstag. In meinem Traum glaube ich, daß verschoben in der Tat aufgehoben gleicht. Dieses eine fehlende Zettelchen, man wird es nicht bemerken, so hoffe ich. Die sonstigen Fachgebiete mit all ihren Prüfungen und Examen sind überaus kein Problem. Ich weiß, daß ich mich selber betrüge: es kommt der Tag daß man auf die Tatsache stößt, daß mir ein wichtiges Zettelchen fehlt. Aber vorerst schließe ich die Augen davor.

Dann kommt der Traumtag wo ich - zusammen mit anderen Studenten - mein Studium beenden werde. Die Universtitätsaula ist vorbereitet, Professoren und Lektoren haben sich versammelt, Gäste sind eingeladen und gekommen, alles in festlicher Vorfreude eines großen Ereignisses. Eine halbe Stunde vor der großen Stunde kommt ein Fakultätsmitarbeiter zu mir: lieber Terra, wir vermissen einen deiner Zettel, den der Mathematischen Psychologie.

Die Welt stürzt in sich zusammen. Das Geheimnis ist aufgedeckt worden. Mein Studium wird nie und niemals mit einem Psychologendiplom abgeschlossen werden können.
Badend im Angstschweiß erwache ich. Mein Blick geht zuerst ein an die Wand über meinen Arbeitstisch. Gottseidank, da hängt es noch: mein Doktor-diplom. Mir höchstpersönlich überreicht von dem rector-magnificus meiner Universität.

Merkwürdig, solch eine Nachtmähre. Noch merkwürdiger war es zu erfahren, daß ich nicht der einzige bin dem genau diése Mähre in die Quere kommt. Viele Ex-Studenten leiden darunter. Auch sie vermissen in ihren Träumen ein Zettelchen.

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Jetzt, wo ich Ihren Beitrag lese, fällt mir ein, dass ich auch schon einige Male geträumt habe, dass ich mein zweites Staatsexamen gar nicht gemacht habe, sondern es schlichtweg vetrödelt oder vergessen habe. Die Kurse, die ich noch absolvieren muss, sind inzwischen gar nicht mehr vorhanden und ich kenne mich auch nicht mehr in dem Fachhochschulbetrieb aus. In der Tat ein richtiger Nachtmahr! Und es ergeht mir genauso wie Ihnen, wenn ich dann bei Aufwachen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkomme und mich erinnere: „Ich hab’s ja gemacht, mein Staatsexamen“, dann bin ich unendlich erleichtert.

Zwei Fragen:

1. Was genau sind Tentamina, sind das die in Deutschland schlicht als „Scheine“ bezeichneten Nachweise für Hausarbeiten, Referate, oder Klausuren?

2. (schwieriger zu beantworten) Was meinen Sie, könnte hinter diesem Albtraum vom nicht gemachten Examen stecken?

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Tentamenfurcht
Liebe Frau Behrens,
ad 1: Bei uns ist ein Tentamen (Plural: Tentamina) eine Zwischen-Prüfung nach einem Teil-Studium, das zB ein Semester oder Trimester umfaßt.
ad 2: Während meines Studiums habe ich gelernt Träume psychologisch zu deuten. Aber wie das geht, hab' ich heutzutage vergessen ...
Gruß, T.

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Geht's nach Freud, so müsste ja der Traum (auch der Albtraum) eine Wunscherfüllung sein. Was daran (auch verschleiert) wünschenswert sein soll, einen Schein zu verlieren, werde ich allerdings wohl nie so recht begreifen. Spannend finde ich indes, dass Studenten von einst und heute übereinstimmend und fächerübegreifend dieselben Albträume träumen - mich eingeschlossen.

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