Sonntag, 13. Juli 2014
Bagatelle 232 - Grenzverkehr
Zeitlich parallel am langsam alter werden habe ich mich allmählich abgewöhnt mich aufzuregen. Früher war das wohl anders: laut alten, überlieferten Familiengeschichten scheine ich als zehnjähriger ein ziemlich unangenehmes, störrisches, jähzorniges Kerlchen gewesen zu sein der alles besser wusste und der sich über vieles fürchterlich aufregte und dann nicht selten vor der Hand liegende Gegenstände durch die Gegend warf, vor allem wenn der weitere Verlauf der Geschichte nicht seinem Wunsch entsprach.

Doch, sie ist noch da: die eigene Meinung und der Wut über menschenverachtende, unannehmbare Ereignisse. Nur werde ich sie aber nicht der Welt offenbaren, sei es denn dass ich von jemandem öffentlich dazu aufgefordert werde. Sonst sehe ich mir kopfschüttelnd an welche dumme Streiche manche Leute (nicht selten Politiker) spielen und belasse es dabei.
Ein wichtiger Grund dafür ist die Einsicht dass man selber im Laufe der Jahre zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die eigene Meinung bei näherem Einsehen doch nicht völlig konform der ehrlichen und aufrichtigen Wahrheit war.

Jetzt aber ist etwas geschehen das Anlass gibt zu einer, sagen wir’s so, kritische Befragung und Auseinandersetzung. Früher hätte ich mich kolossal aufgeregt und meine Meinung mündlich und schriftlich geäußert. Jetzt frage ich Sie nur was Sie denken über folgendes Vorhaben. Es betrifft den Grenzverkehr.

Geboren und aufgewachsen bin ich in einem Grenzdorf. Die Staatsgrenze welche die Niederlande und Deutschland voneinander trennen, läuft quer durchs Dorf. Die deutsche Häuserversammlung heißt Süderwick und ist Teil der Stadt Bocholt (i.W.). Drüben, an unserer Seite sozusagen, befindet sich die niederländische Gemeinde Dinxperlo. Der Hellweg und die Häuser links sind holländischer Natur; der Bürgersteig und die Häuser rechts sind ausgesprochen deutsch.
Die Bewohner dieser Häuser verstehen sich bestens. Das war schon immer so, auch in Zeiten wo Stacheldraht die beiden Länder teilte. Es gibt viele Deutsche die in Holland wohnen und das umgekehrte kommt gleich viel vor. Es gibt als prahlendes Beispiel eine Luftbrücke zwischen einem deutschen Altersheim rechts und eine niederländische Wohngemeinschaft links. Die Bewohner beider Häuser trinken zusammen im Luftbrückencafé in der Mitte ihren Morgenkaffee.



Nun aber hat der CSU-Verkehrsminister einer großen Koalition, die deutsche Regierung also, in seiner ungetrübten und ungereimten Weisheit beschlossen allen Pkw-Benutzer aller Straßen in Deutschland eine Maut aufzulegen. Nicht nur die deutschen Gasgeber sind betroffen, nein, alle motorische Benutzer der deutschen Bahnen, Straßen und Landwege, auch die Ausländer. Die deutschen Kraftfahrer bekommen die Maut zurückerstattet weil diese von der Kraftfahrsteuer abgezogen wird. Die holländischen Grenzgänger, die täglich hin und her fahren, und nicht nur zu ihren Vergnügen, sind die Leidtragende. Kein niederländischer Finanzminister, den sie um Gnaden und finanzieller Einsicht bitten, wird ihnen die Kosten welche ihnen die Maut mitbringt, zurückerstatten. Zum Beispiel:

(1) Der Herr Jansen aus Dinxperlo fährt täglich zu seiner deutschen Arbeitsplatz, dreißig Kilometer weit weg. Hin und zurück.
(2) Die Frau Antonia van Bergen aus Dinxperlo möchte wie eh und je wöchentlich ihre Schwester im Bocholter Pflegeheim besuchen.
(3) Außer diesen beiden imaginären Beispielen gibt es dutzende und aber dutzende Fälle von niederländischen Grenzgängern die wirklich betroffen sind.



Die hier beschriebene Grenzsituation war und ist ein Beispiel wie gut Nachbarländer und ihre Bewohner auf lokalem Niveau in einem vereinten Europa mit einander auskommen. Kann mir jemand erklären wie es möglich ist das ein deutscher Minister dies alles mit einer dummen Gesetzesvorlage aufs Spiel setzen wird? Oder soll ich mich tatsächlich aufregen?

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