Montag, 6. Oktober 2014
Bagatelle 240 - Ratschläge für Liebhaber


Das hier ist ein altes, sepiafarbiges Bild, aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das meinen Schwiegervater Hendrik mit seiner Verlobten Johanna (genannt Hanna) zeigt. Hendrik (1905-1987) war zwar schon mein Schwiegervater, die Hanna aber war nicht meine Schwiegermutter.
Die Sache ist so: die Hanna, als deutsches Dienstmädchen vom benachbarten Preußen in die Niederlande gezogen, hatte sich in einen holländischen Bauern verliebt und ihn 1929 geheiratet. Die Heirat dauerte aber nicht lange. Nach einer schweren Krankheit starb die Hanna in 1936. Anfang 1940 heiratete mein Schwiegervater zum zweiten Male, wieder mit einer Hanna. Diese zweite Hanna wurde später meine Schwiegermutter.

Nun aber total etwas anderes. Wer schreibt heutzutage noch? Worte und Wörter und zwar mit Tinte und Feder auf einem weißen Blatt Papier? Und das meist unwahrscheinlichste von allem: gibt es überhaupt noch jemand der einen Liebesbrief schreibt? Meine Nicht-Schwiegermutter Hanna hat es vielleicht getan, denn ich fand in ihrem Nachlass, versteckt in einem der vielen alten Schränke im Hof, ein Büchlein mit dem Titel: “Neuester Briefsteller für Liebende”. (Nebst Anhang: Stammbuchverse und Gelegenheitsgedichte.) Schon der Titel lässt vermuten, dass es sich hierbei um ein literarisches Meisterwerk handelt.



Die erste Abteilung dieses interessanten Werkes enthält Beispiele für schriftliche Liebeserklärungen und Bewerbungen etc. mit zusagenden und ablehnenden Antworten, alle gedruckt in den komischen, schwer zu lesenden Schriftzeichen aus jener Zeit (um 1920). Dass nicht alle Beiträge äußerst ernst und seriös aufzufassen sind, zeigt die folgende hilfreiche Anleitung.

Beispiel eines scherzhaften Liebesbriefes an ein hübsches Mädchen.

Meine innig geliebte Erna,
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Versicherung zu geben, daß ich Ihnen notwendig die Augen ausreißen oder mir die meinigen ausstechen muß. Das ist unbedingte Wahrheit. Sie müssen entweder minder schön oder ich muß blind werden; das ist wieder eine Wahrheit. Obgleich mein Leidenschaft so heftig ist, wie die jedes andern Liebenden sein kann, hoffe ich doch, Sie werden nicht erwarten, daß ich mich ertränke oder aufhänge. Sie können es mir glauben, mein Fräulein, daß ich ganz gewiß gesonnen bin, weder das eine noch das andere zu tun. Es hieße beweisen, daß ich sehr wenig Verstand und noch viel weniger Erkenntnis Ihres Verdienstes hätte, wenn ich nur die geringste Neigung zeigte, diese Welt zu verlassen, so lange Sie auf derselben zurückbleiben. Offen gesprochen, mein Fräulein, ziehe ich das Glück, Sie zu sehen, bei weitem dem Ruhm vor, für Sie zu sterben. Ich habe überdies eine viel zu gute Meinung von Ihrer Urteilskraft, um mich nicht überzeugt zu halten, daß Ihnen ein lebendiger Liebhaber lieber ist als ein toter; daß Sie brennende Lippen, bereit tausende Küsse zu geben, kalten, für immer geschlossenen Lippen vorziehen. Muß ich indes sterben, so bitte ich Sie, mich durch Ihre Güte und nicht durch Ihre Strenge zu töten. Viel lieber werde ich in Ihren Armen, als zu Ihren Füßen, sterben. Wären Sie zärtlich geneigt, mir einen Tod dieser Art zu geben, so bin ich bereit, ihn augenblicklich von Ihnen zu empfangen, wann und wo es Ihnen gefällig sein wird. Deuten Sie mir nur Zeit und Ort an, und ich werde nicht ermangeln, meiner schönen Mörderin entgegen zu eilen.
Für immer Ihr Bertrand.


Die Antwort mag lauten:

Sie haben sich offenbar mit mir einen Scherz machen wollen, und ich verzeihe Ihnen dies, indem ich Ihnen die Erklärung gebe, daß ich keineswegs beabsichtige, Ihre Mörderin zu werden. Ich muß Ihnen daher raten, anderwärts unter meinen Schwestern eine so Grausame oder Blutdürstige zu suchen. Ich vermag nichts für Sie zu tun, und hoffe, daß durch diese Erklärung weder meine, noch Ihre Augen in Gefahr kommen.
Mit aller Achtung, Erna.


Brief und Antwort: Beispiele für die ungeahnt hohen literarischen Qualitäten der deutschen Liebesbriefe vor hundert Jahren. Und nicht ohne Humor. So etwas in 2014 schon einmal in einem tweet, sms oder e-mail gelesen oder in einem ipad hineingeschrieben gesehen? Passend zu Ihrem face-book?

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Ich schreib noch. Selten Briefe, ab und zu Karten - allerdings hat sich das seit der letzten (drastischen) Portoverteuerung auch dramatisch reduziert.

Einfach, weils keinen Spaß macht, 3 Euro für eine Karte zu zahlen, nur weil sie nicht einem System (C5) entspricht. (Ein A4-Kuvert (das C4 heißt, ich weiß) kostet, obwohl gleiches Gewicht, wie ein C5 oder kleiner nur deswegen mehr, weil die Seitenkanten insg. länger sind. Der Aufwand ist aber gleich. Find ich halt einfach Nepp, oder diese albernen finanz. Beschränkungen nach Dicke, wenn man weiß, der Empfängerkasten hat eh eine breite Klappe...)

Allerdings war ich vor mehreren Tagen auf der Post und hab mal wieder hübsche Briefmarken gekauft : )
Zwecks Motivation (muß dann leider sicher wieder Porto dazukleben lassen).

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Porto
Liebe Frau Sid, Beschränkungen nach Dicke des Briefumschlages: keine so schlechte Idee! Kommt der Postmeister zu mir und sagt: Einen sehr dicken Brief hab ich für Sie. Helfen Sie mir bitte und halten Sie für einen Moment die Klappe...
Übrigens ist hierzulande der Vorschlag Liebesbriefe mit weniger Porto zu belasten durchgefallen. -:)
Gruß, T.

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Oh - was für ein hübscher Vorschlag!

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Ob diese nun noch von Hand auf zartes Papier gebracht werden oder auf schnödem elektronischem Wege die Geliebten erreichen, weiss man nicht, jedoch ergibt der Suchbegriff in G**gle "Vorlagen Liebesbriefe" immerhin 11'900 Resultate. Es muss also nach wie vor ein Bedürfnis nach solchen Vorlagen und grundsätzlich nach Liebesbriefen existieren.
Ich selbst schreibe höchstens, wie meine Vorrednerin, einmal eine Postkarte, wenn ich in fernen Ländern unterwegs bin, erschrecke aber jedes Mal ob meiner krakeligen Handschrift, die vor Zeiten einmal "schön" gewesen sein soll. Immerhin trage ich die handgeschriebenen Liebesbriefchen von Frau Motzle nun bereits 21 Jahre in meiner Brieftasche mit mir herum.

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Handschriftlich
Lieber Herr pastiz,
1) Es wundert mich, dass Sie mit einer so krakeligen Handschrift solch schöne Texte schreiben können;
2) Stolz bin ich noch immer auf meine eigene Handschrift die sich - auch wenn ich es selbst sage - über die Jahre bewährt hat; und
3) Liebesbriefe sollte man in der Tat stets bei sich tragen.
Gruss, T.

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Herr Pastiz,
Es muss also nach wie vor ein Bedürfnis nach solchen Vorlagen [...] existieren. - anscheinend...

Ich war SEHR erstaunt, in meinem Handy - als es brandneu war - bei den Vorlagen für Textnachrichten auch eine "Ich liebe dich auch" zu finden.

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Eigentlich ist eine solche Vorlage auf dem Handy nicht so ganz erstaunlich, denn die Liebe und das Bedürfnis diese auszudrücken hat die elektronische Welt nicht nicht "ausrotten" könne, nur die Wege und Mittel haben sich geändert, was einigen - besonders älteren Semestern - oft gefühllos vorkommen mag. Aber ich war doch auch überrascht, ob der Vielzahl solcher Vorlagen, unter welchen sogar solche waren, die "Private Liebesbriefe" zum Thema haben. Was aber das sein soll, habe ich nicht so richtig begriffen, denn ich suchte wie selbstverständlich nach dem Pendant dazu, nämlich "Geschäftliche Liebesbriefe" oder so etwas in der Art.
Der Inhalt meiner Texte, lieber Herr Terra, hat natürlich nichts mit der Handschrift als solche zu tun. Ich schreibe einfach zu wenig von Hand, tagsüber im Büro Notizen (meist aber Zahlen) und sonst vielleicht noch Einkaufszettel. Für mich finden sich heutzutage eher wenig Gelegenheiten, Liebesbriefe zu verfassen, aber eigentlich sollte ich wieder einmal an Frau Motzle denken.

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Ich verstehe den Wunsch nach Vorlagen. Sich Anregungen zu holen, ist nie verkehrt - aber wenn man nicht einmal die Zeit sich nehmen will, um 4 Wörter (weniger als 20 Zeichen) selbst zu tipen, dann hinterfrage ich schon den Wert einer solchen Nachricht : )

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