Samstag, 9. April 2011
Bagatelle LXLIX - De Heurne-upon-Sea
Wahrscheinlich kennen Sie Stratford-upon-Avon, die Geburtsstätte Shakespeares. Entweder Sie haben davon erfahren in der Schule, oder gehört von Freunden die voriges Ferienjahr dort herumreisten. Auch Évalon-sur-Seine mag ihnen nicht unbekannt in den Ohren klingen, obwohl es diese Stadt gar nicht gibt, denn sie entspringt aus meiner Fantasie. Wir bei uns kennen Noordwijk-aan-Zee, an der Nordsee, aber es besteht auch ein Noordwijk das nicht am Meer liegt.
Das berühmteste Beispiel ist natürlich Köln. Man sagt – meistens mit einer Mischung aus Wehmut, Verlangen und rheinischer Heiterkeit: Köln-am-Rhein. So ist es eben und dabei werden wir es bewenden lassen. Stadt am Fluß, Dorf-am-Meer: etwas informativeres und besser-klärendes können wir uns nicht vorstellen.



Das in der Tat idyllisch gelegene Haus auf dem Bild, ein Bauernhof, luftlinear etwa fünfhundert meter von unserem entfernt, liegt siebzehn (17) Meter über dem Meeresspiegel. Kein Grund vor Angst überflutet zu werden, würde man behaupten. Jedoch wird momentan das Haus jetzt bewohnt von Leuten die ernsthaft glauben, daß innerhalb einer gewissen Zeitspanne ein riesiger Tsunami ungekannter Kraft – kommend aus dem Raum Island und sich in südöstlicher Richtung bewegend - das ganze niedrig gelegene Land – wir wohnen in den Niederlanden – rund herum überfluten wird. Von diesen Niederlanden wird nur ein winziger Teil (Landstriche rundum Utrecht, die Veluwe, Teile des Nordostens und Ostens und die limburgschen Hügel) übrig bleiben. Wir, wohnhaft im Osten, nahe der deutschen Grenze, werden gespart. Unser Hof, siebzehn Meter über dem Meeresspiegel, bleibt wie und wo er ist. Die Küstenlinie, die heute noch von Groningen, die Watteninseln entlang, über Den Helder, Egmond-aan-Zee, Zandvoort, nach Cadzand führt, wird sich in östlicher Richtung zurückziehen. Bis knapp vor unserer Haustür. Fast das ganze Land, beinahe die ganze Nation, wird untergehen.

Dieses Horrorszenario stammt nicht aus meiner Feder. Das Haus, von dem hier die Rede ist, wird seit kurzem von einer tiefreligiös orientierten Wohngemeinschaft bewohnt. Eine Frau aus dieser Gruppe hat, wie sie verlauten läßt, die schrecklichen Meldungen aus erster, höchster Hand. Wie Bernadette in Lourdes, vermute ich. Wann das Unheil stattfinden werde, könne sie nicht sagen, sagt sie der Presse. Und wenn sie es wüßte, würde sie es auch nicht sagen, denn sie wolle um himmelswillen keine Panik verbreiten.



Das alles muß ich heute in meiner Zeitung lesen. Vom Bestehen und dem Wohnhaftigkeit dieser Gruppe in unserer Gegend war mir nichts bekannt, obwohl ich fast täglich an dem Hof vorbeikomme. Wohl war mir der Gemüsegarten-in-Anbau aufgefallen. Und jetzt wissen wir auch warum. Man rechnet darauf, wenn es denn so weit ist, daß die Kommune autarkisch selbstversorgend sein muß. An Gemüse und Obst wird es nicht fehlen.

Die Gemeinschaft hat sich hier bei uns zurückgezogen auf siebzehn Meter Höhe. Das Wasser wird demnächst bis hierher kommen. Uns selber aber unberührt lassen. Der Ort in dem wir leben wird sich innerhalb absehbarer Zeit an der neuen Küste wiederfinden. Jetzt wohnen wir noch im stillen De Heurne, einem winzig kleinen Fleck auf der Landkarte, inmitten der schönen, idyllischen, aber manchmal langweiligen Binnenlanden. Das langweilige wird sich aber ändern. Wenn die fast-Nachbarin recht hat, wohnen wir bald in De Heurne-upon-Sea.

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