Freitag, 18. September 2015
Bagatelle 271 - Geschichte in Kreide


Oberhalb der Haustür sagt uns ein anscheinend alter Giebelstein, dass Sie, wenn Sie dieses Haus betreten wollen, bedenken müssen, dass es schon im Jahre 1673 gebaut worden ist und 1766 seine heutigen Ausmaße bekommen hat. (Entschuldigung für diesen schwierigen Anfangssatz, aber wahr ist er wohl.) Tatsächlich ist es das älteste Haus in meinem Geburtsdorf. Bis zu meinem 20. Lebensjahr habe ich hundert Meter hinter diesem Haus gewohnt. Die zwei unverheiratete Damen, die Geschwister Dora und Stina te Beest, die hier damals ihr Zuhause hatten, waren also unsere engsten Nachbarn. Das Haus war alt, groß und schön, mit tausenden spannenden Ecken. Es hatte eine große Diele, ein wunderschönes Vorzimmer, Schlafzimmer unten und oben, eine Küche samt Waschküche und, was wir Kinder damals sehr vornehm fanden, ein spezielles Blumenzimmer mit allerhand Kakteen und dergleichen geheimnisvollen Blumen und Pflanzen. Draußen waren zwei Gärten: ein riesiger Blumengarten mit Felspartien und ein Gemüsegarten mit Spargelbeeten. Und natürlich fehlte der Hühnerstall nicht. Unten war ein tiefer Keller, wo mein Vater in den letzten Kriegstagen März 1945 zusammen mit anderen Nachbarn Schutz fand. (Ehefrau und Kinder waren schon außerhalb des Dorfes in einen Bauernhof gezogen.) Es war auch der Ort wo im Krieg einige Eingeweihte, worunter mein Vater, abends heimlich die Londoner Nachrichten von Radio Oranje hörten.



Anno 2015 steht das Haus leer. Wenn Sie mögen, können Sie es kaufen. Bitte zwei große Geldstapel mitbringen: einer zum Kauf und einer zur Restauration. Die zwei Damen die hier in meiner Jugendzeit wohnten, sind längst verstorben wie auch die darauffolgende Bewohner.
Es mögen vierzig Jahre vergangen sein wo ich das Haus zum letzten Mal von innen gesehen habe. Der Grund ist einfach: seit meinem zwanzigsten wohne ich nicht mehr ich seiner Nachbarschaft. Wir sind umgezogen. Aber neulich, an einem Sonntag wo bei uns Monumententag war wo alle interessante Gebäude geöffnet waren und wo in dem Haus obendrein noch eine Kunstausstellung stattfand, hatte ich die Gelegenheit alte Stätten wieder zu besuchen. So auch dieses Haus.

Vieles war anders, aber vieles war noch immer dasselbe. Nur waren die Zimmer leer und kalt. Das alte Blumenzimmer war für diese Gelegenheit in ein Stück Museum umgewandelt. Der tiefe Keller war feucht wie eh und je und durch die Fenster der Waschküche hatte man noch immer Aussicht auf den jetzt öden Gemüsegarten.
Was auch noch da war, war die Zeichnung. Auf der Diele. Eine Zeichnung in Kreide, gezeichnet auf der Tür die zum Blumenzimmer führt.



Als kleiner Junge hab ich diese Kreidezeichnung - Künstler/Verfasser unbekannt, immerhin mehr als hundert Jahre alt - zahllose Male gesehen. Sie war sowohl geheimnisvoll schön als auch beängstigend. Zwei Personen, Soldaten so zu sehen, oben ein Datum: 2 September 1914 und darunter Wörter in Schriftzeichen die ich weder lesen noch begreifen konnte. Nachher hörte man dass es rechts ein preußischer Offizier war der zu einem französischen Waffenbruder sagt: ꞌWeißt Du noch von 70?ꞌ Geschrieben in der üblichen Sütterlinschrift die wir nicht verstanden. Heute, so sah ich, hat jemand die Schrift modernisiert, so dass jeder es lesen kann. Aber originell ist es natürlich nicht.
Neu ist auch die Plastik Hülle mit der ein freundliches Mitglied des hiesigen Heimatvereins und Liebhaber alter Zeichnungen das Kreidedenkmal zu schützen versucht.

Damals, als ich als kleiner Nachbarsjunge die Diele betrat, habe ich oft gesehen wie die beiden Damen te Beest an Samstagen das Haus säuberten und dann auch die Diele fegten. Als letzte war die Kreidezeichnung an der Reihe. Äußerst vorsichtig wurde einiger Staub entfernt und wo nötig wurde sorgfältig mit Kreide eine zu verschwinden drohende Linie nachgezogen und ausgebessert.

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Montag, 19. Mai 2014
Bagatelle 227 - Landfrauenholzbank
Es gibt, hier bei uns auf dem Plattenlande, dutzende von Gruppen und Vereinen, aus mehr oder weniger Plattelandsleuten bestehend, die alle die gleichen Ziele nachstreben, seien die auch noch so unterschiedlich. Zwei solcher Gruppierungen möchte ich Ihnen hierbei vorstellen.

Zuerst die Landfrauen. Offiziell ist es die örtliche Abteilung des Niederländischen Landfrauenbundes. Gegründet im Jahre 1939 und daher in diesem Jahre nicht weniger als 75 Jahre alt, ein Ereignis worauf wir später noch zurückkommen werden. Während meine Mutter, ein freier und sehr individueller Geist, niemals Mitglied war (sie ist in ihrem Leben keinem Verein je beigetreten) war meine Ehefrau, die Madame Terra also, von jung an dabei. Die Landfrauen hatten übrigens bei uns einen ziemlich altmodischen Ruf. Seit einigen Jahren besinnt man sich mehr auf Gegenwart und Zukunft; die Frauen nennen sich jetzt daher Frauen Von Heute (FvH).
Innerhalb dieser heutigen Frauenversammlung haben sich Subgruppen gebildet. So kennen wir den Leseclub, den Gartenclub (es gibt deren sogar zwei), den Volkstanzclub und den Frauenchor. Außerdem kommen monatlich an Donnerstagabenden alle Frauen zusammen um sich über ernste und wichtige gesellschaftlichen Themen informieren zu lassen oder zu fröhlicheren Zwecken. Dass mir keiner sagt dass die FvH in unserer geistlichen Landschaft keine wichtige Rolle spielen!

Ein total anderer Verein ist die Stiftung für Renovierung und Neuerrichtung lokaler Rad- und Wanderwege. Der Stiftungsvorstand berät, schmiedet Pläne, besorgt die (subventionierten) Finanzen dazu. Etliche Freiwillige nehmen Schaufel und Rasenmäher zur Hand und legen diese Hände an. Die örtliche Stiftung besteht noch keine zehn Jahre und schon sind vier Wander- und Radwege zu ihrer alten Glorie und Schönheit zurückgekehrt. Letzten Freitag wurde der vierte Pfad (achthundertfünfzig Meter neuer Wanderweg) feierlich geöffnet. Sofort kamen von allen Seiten die Wanderer und Radfahrer um das Resultat am Leibe zu erfahren.

An dieser Stelle in der Bagatelle dienen jetzt pünktlich und vollständig zwei Fragen beantwortet zu werden. Die erste lautet: was verbindet die Frauen-von-Heute mit den Arbeiten der Pfad- und Wegbereiter? Anders gesagt: was bringt diese zwei so unterschiedliche Vereine zusammen? Und weiter: welche Rolle spielt ihr untertäniger Bagatellenschreiber in diesem Vereinsbund?

Wie gesagt feiert unsere Abteilung der Frauen-von-Heute in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. Anlass genug, so sagte der Vorstand (ins besondere die Frau Präsident und die geehrte Schatzmeisterin,) um der Rad- und Wanderwegstiftung eine Jubiläumsgabe zu stiften. Es stellte sich heraus, dass die Vereinskasse noch so viel Übriges hatte, das die Frauen eine schöne, kräftige Holzbank stiften konnten, welche an einer strategischen Stelle unter eine Eichenreihe einen Platz fand. Müde Wanderer und Radler können sich hier hinsetzen und zugleich die Aussicht genießen. Jeder, und auch die sonst so kritische örtliche Presse, war davon überzeugt dass dieses Kassengeld eine sehr gute Verwendung gefunden hatte.

Was, lautet die letzte Frage, hat Terra mit dieser Geschichte zu tun? Nun, sagt dieser in aller Bescheidenheit, der Terra ist freiwilliges Mitglied der Wander- und Radwegstiftung. Doch, ungelogen, manchmal kann man ihn beim Renovierung alter Wege schuften sehen. Weil er eher theoretisch als praktisch zu Werke geht, lassen die übrigen Freiwilligen ihn meistens die meist simple Arbeit tun.

Und an dem Abend wo die Frauen-von Heute an ihrem Geburtstagsfeier das selbstangefertigte Jubiläumslied sangen – 121 Landfrauen im fröhlich/feierlich geschmücktem Festsaal – kam der Terra um sie dabei musikalisch zu begleiten.
Jeder der und jede die da war wird es bejahen: der Abend war unvergesslich.


Unten sehen Sie die Landfrauenbank und den neuen Rad- und Wanderweg. Sowie die Vertretung der FvH beim Anbieten der gestifteten Bank. Um Gründen von privacy sehen Sie nur ihre Gesichter. Ihre Namen nennen wir nicht.











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Donnerstag, 14. November 2013
Bagatelle 207 - Die letzte Rote
Gerade weil mir oft deutsche Sprach- und Schreibfehler unterlaufen, würden Sie vermuten daß ich meinte: die letzte Rose, wobei man an das bekannte Lied denken kann das in der Vergangenheit so wunderbar von einem der meist unterschätzten deutschen Sänger vertont wurde, nämlich von Rudolf Schock. Unterschätzt weil er es wagte auch mal was leichteres zu singen statt immer Mozart-Arien oder Schubert-Lieder, was er übrigens sehr gut konnte. Aber kehren wir zurück zum eigentlichen Thema dieser Bagatelle: das Rote.

Heute schreiben wir den 14. November. Noch einige Seufzer und das Jahr ist dahin. Der Sankt Martin ist inzwischen wieder heimgekehrt und sein Vetter, der Sankt Nikolaus, steht gerade vor der Tür. Die Tage sind nach allen Heiligen und Seelen kurz und trübe und die menschliche Stimmung hat sich daran angepaßt. Man beklagt sich über den dauernd fallenden Nieselregen und wenn es denn mal trocken ist leiden wir unter den ersten Nachtfrost.

Dennoch gibt es auch in diesen düsteren Tagen um unser Haus herum Blumen die nicht aufhören uns zu beglücken mit ihren roten Blüten. Zum Beispiel unsere Hintermauergladiole. Im Sommer noch ausgegraben und irgendwo anders im Garten verbuddelt wegen Hintermauerbauarbeiten. Als diese zur Zufriedenheit aller abgeschlossen waren, kam die Gladiole auf ihren alten Platz. Und siehe da: sie hört nicht auf uns ihr Rot zu schenken. Bis auf den heutigen Tag. Wenn wir sie lassen - und das tun wir - blüht sie noch bis in die Weihnachtszeit.
Und da ist auch noch die vielgeschmähte, ordinäre Geranie oder Geranium wie wir sie nennen. Sie möge vielleicht nicht aussehen wie eine Orchidee, ihr Bemühen aber uns sogar Mitte November ihr herrliches Rot zu zeigen kann man nicht genug loben.








Der Garten rundum unseren Hof ist allmählig auf den kommenden Winter vorbereitet. Bei uns kann alles Dürre und Vertrocknete ruhig liegen bleiben. Es sorgt für eine wohlwollende Decke sagte ein Igel zu mir der eine Winterschlafstätte suchte. Nur das Eichenblatt auf dem Rasen wird entfernt und an einem sonnig kalten Wintertag zusammen mit anderen brennbaren Überbleibseln verbrannt. Und einige Singvögel, die sich erkundigen ob der Winterfutterplatz schon installiert ist, melden daß sie der Zukunft vertrauensvoll entgegen sehen können.

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Sonntag, 24. Juni 2012
Bagatelle 165 - Einzeln oder doppelt
Natürlich wissen Sie noch aus der Schule daß das komische Zeichen > nichts wichtigeres bedeutet als: größer als. Wir schreiben 6.7 > 2.4, weil es klar ist daß die erste Zahl etwas größer ist als die zweite. (Man merkt es wenn man auf Staatsanleihen statt 2.4% nun 6.7% Zinsen zahlt, wie die Spanier es uns heute vormachen.)

Wie auch immer, einzeln oder doppelt, Unterschiede müssen sein. Es gibt double-blind research und früher das doppelte Lottchen wenn ich mich gut entsinne. Es gibt Einzelhaft und doppelten Whiskey. Es gibt einzelne Sünden und Sünder und Doppelfehler. Übrigens, Doppelfehler: die sollte man, jetzt wo Wimbledon vor der Tür steht, schnellstens und für immer ausrotten und verbieten. Im Tennis meine ich. In welcher Sportart sonst bekommt man zwei Gelegenheiten aufzuschlagen? Nicht beim Rugby und auch nicht im Wasserball.

Ein Fall für sich ist die einzeln/doppelt-Diskussion bei Blumen. Ich bin zwar und überhaupt kein Kenner, aber ein großer Liebhaber. Oft sind mir die Doppelblumigen (oder wie sie heißen) zu viel vom guten: diese unnötige und übertriebene Üppigkeit! Und sagt nicht das Sprichwort: nicht das Viele ist gut, sondern das Gute ist viel?

Nehmen wir die Klatschrose (oder den Klatschmohn) die jetzt in diesen Tagen überall rundum erscheint und uns sehr erfreut. Sehen Sie selber wie unendlich viel schöner die Einzelklatschrose ist als der doppelte Klatschmohn! Hier gilt: einzeln > doppelt. Da sind wir uns einig.







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Montag, 6. Februar 2012
Bagatelle 146a - Nachruf
Diese Nachrufkurzbagatelle läßt sich am besten lesen - das Wort 'genießen' wollen wir doch bitte nicht in den Mund nehmen - wenn Sie auch die vorige Bagatelle 146 (hier weiter unten zu lesen) zu sich genommen haben.

Draußen gibt es viel mehr zu hören als Vogellaute. So mögen die Redakteure der bereits erwähnten Umwelt- und Naturrundfunksendung Vroege Vogels (Frühe Vögel) gedacht haben. Mit 'frühe Vögel' werden übrigens die Hörer dieser Sendung gemeint. Die Sendung läuft Sonntagmorgens ab 8.00 Uhr (wenn Sie und ich noch schlafen).

Aus 67 Naturgeräuschen konnte man sich sein Lieblingsnaturgeräusch wählen Die Skala reichte von 'eine Schafsherde' über 'eine Truppe galoppierender Pferde' und 'Schlittschuhlaufen' bis 'ein Schwarm Mücken' und "Donner und Blitz'. Hier die Top 10.
Meine Geliebte ist auch des Hörers Favorit: die Amsel.

1. Die Amsel
2. Die Brandung
3. Die Nachtigall
4. Weidevögel
5. Eine schnurrende Katze
6. Gartenvögel
7. Waldvögel
8. Der grüne Frosch
9. Zwitschernde Spatzen
10. Blitz und Donner



Mich interessieren diese Zahlen schon. Aber noch eher möchte ich wissen ob die spinnende Katze in Deutschland auch so viele Freunde und Freundinnen hat. Und ob die Amsel auch bei Ihnen Favorit ist?

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Sonntag, 27. November 2011
Bagatelle 134 - Selbstbild
Innerhalb der Skala an genres in der klassischen Malerei nimmt das Selbstporträt eine besondere Stelle ein. Wir sehen - nur ein Beispiel aus hunderten - den jungen Rembrandt van Rijn aus Leiden, der sich auf den Weg macht nach Amsterdam um dort die Welt zu erobern. Bevor er das tut, schaut er in den Spiegel und malt virtuos seine wilden Haarlocken. Jahre später sieht er was von ihm geworden ist: berühmt, anerkannt, aber auch einsam, müde und umgeben von materiellen Sorgen. Seine späteren Selbstbilder sind dunkel und düster. Seine Augen dennoch vergessen Sie nie wenn Sie die einmal gesehen haben.

Man kann natürlich auch ein Bild von sich selbst anfertigen, indem man sich fotografiert. Am besten mit einer Kamera, einem Stativ und dem Selbstauslöser. Man schätzt die Zeit die notwendig ist um sich richtig und vornehm vor die Kamera zu postieren, drückt auf dem Aufnahmeknopf, eilt zur vorab abgemachten Stelle, nimmt seine Sonntagspose ein, und in wenigen Sekunden ist die Sache gelaufen, manchmal begleitet von wenig Donner und viel Blitz.

Nein, selber mag ich das nicht, diese Selbstbildfotografie, diese - auch wenn Sie das nicht wahr haben wollen - innere Selbstverherrlichung. Überhaupt habe ich es nicht gerne, wenn man mich fotografiert. Wenn schon, dann irgendwo am Rande oder inmitten einer tausendfachen Menge wo niemand mich findet.

Bitte, betrachten Sie das Bild hier unten und sagen Sie mir was Sie sehen. (Schaut hin, sagte der Philosoph, man sieht nicht was man sieht!)
Die menschliche Figur, in einem dezenten schwarz, bin ich. An der rechten Seite ist die Silhouette eines Baumes zu entdecken. Das hier ist ein Selbstbildnis. Wieso ein Selbstbild?



Die Sache ist die. Ich wandere, wie so oft, durch die Auen und Wälder in der Umgebung. Die Kamera ist immer dabei. Ich gehe einen ziemlich breiten Graben entlang. An dieser Seite befindet sich ein Waldgebiet, andersrum sieht man Weiden und Äcker. Im Wald an dieser meiner Seite steht eine Eiche samt Hochsitz. Zu dieser Sitzfläche führt eine eiserne Leiter, gegen die Eiche angelehnt. Auf dem Bild sehen Sie die Hochsitzgelegenheit so etwa rechts neben meinem schwarzen Kopf.

Jetzt kommt sie. Die Lösung des Rätsels. Ich steige auf der eisernen Leiter empor in Richtung Hochsitz. Auf der fünften Stufe bleib ich stehen. Mein linkes Bein schwingt fröhlich nach links, mein rechtes findet festen Fuß auf der Stufe. Aus dem komischen Stand meiner Arme kann man vermuten (und für wahr annehmen), daß ich die Kamera vor meinen Augen halte. Die niedrig stehende Novembersonne scheint mir gerade im Rücken, wodurch der Schatten meiner Person sichtbar wird auf dem Boden an der anderen Seite des Grabens. Ich fotografiere nicht mich selber, ich fotografiere meinen Schatten! In der Tat, das hier ist ein schattiges Selbstbild.

Sehen Sie, so einfach und doch so überzeugend ausdrucksvoll kann ein Selbstporträt sein. Man muß es nur sehen.





Nachschrift: das Nennen und Verwenden einer Leiter eines Hochsitzes bedeutet nun nicht daß ich mit der Jagd etwas am Hut habe. Die Jagd wird für mich nur dann, sportlich gesehen, interessant wenn man dem Hasen auch ein Gewehr gibt.

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Samstag, 5. November 2011
Bagatelle 131 - Trockne Schafe


Seit einigen Tagen verweilen sie in den Wiesen rundums Haus: zwei Koppel junger Schafe. Die eine Truppe umfaßt fünfzehn, die zweite neunzehn weibliche, fast einjährige Tiere. (Geboren also im Wintersaison 2010/2011) Mein Freund und Nachbar, dem diese Schafe allesamt gehören - hat obendrein ein älterer Schafsbock erlaubt sich der zweiten Truppe anzuschließen.

Sie können sich nicht vorstellen wie uns das alles freut! Nichts macht mehr melancholisch - gerade in diesen ersten Novembertagen mit allen Heiligen und sonstigen Seelen - als eine grüne Wiese ohne sichtbare dann und wann grasende Lebewesen. Gerade in Zeiten wo die Bauersleute ihre Kühe manchmal vierundzwanzig Stunden pro Tag zuhause lassen und ihnen den Zutritt in die freie Weide verweigern, freut es einem eine kleine Schafsherde von seinem Arbeitszimmer aus erblicken zu können.

Trotz des dringenden Verbotes Haus- und Weidetiere wie Menschen zu behandeln, verkehren wir ziemlich menschlich mit den Schafen. Das heißt: wenn ich morgens die erste Runde um den Hof mache, begrüße ich sie mit einem freundlichen, gutgemeinten Guten Morgen, ihr Lieben! Worauf mich die Schafe ansehen mit einem Blick voller Verzweiflung darüber daß ein Mensch so tief sinken kann!



Unsere Schafe verhalten sich auch herdentierisch. Wie es sich gehört also, und wie es ihnen die Menschen vorleben. Es kommt oft vor, daß, wenn die Herde schläft, ein prominentes Schaf plötzlich aufsteht und anfängt zu grasen. Worauf alle andere seinem Beispiel folgen. Sie überqueren als Gruppe, als Einheit, die Wiese, von einem zum anderen Ende. Vorteil dabei ist, daß die Schafe sich von Geburt an kennen. Sie waren immer als Gruppe beisammen. Mann merkt es sofort: jedes Schaf fühlt sich in der Gemeinschaft aufgehoben und geborgen.

Ab und zu werden Fragen über die Intelligenz der Schafe laut. Schafe seien dumm, unfähig einiges zu lernen, wenig entschlußbereit. Das alles sind schwer übertriebene Vorurteile. Die Wirklichkeit sieht anders aus, vor allem wenn die tägliche Nahrung in Frage kommt. Es verkehren bei uns jeden Tag etliche Trecker auf der Landstraße. Das aber läßt die Schafe unberührt; sie schlafen, grasen oder kauen ihre Nahrung für's zweite Mal. Aber wenn der Bauer c.q. Landherr und Schafezüchter auf seinem Trecker angefahren kommt, erhebt sich die ganze Schar um ihn zu begrüßen. Die Schafe erkennen offenbar sehr genau ob es der eigene Trecker ist oder ein anderer, auch wenn sie ihren Herrn und Meister noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Vorsicht also bei der Intelligenzbewertung dieser und anderer tierischen Kreaturen.

In aller Bescheidenheit möchte ich Ihnen noch an zwei Sachen erinnern dürfen. Erstens: wenn Sie an einer Schafswiese vorbeikommen und sehen daß ein Schaf auf dem Rücken liegt, handeln Sie bitte sofort und stellen das Schaf wieder auf seine vier Beine. Sonst ist es dem Tode überlassen: das Schaf kann nicht aus eigener Kraft aufstehen.
Zweitens möchte ich Sie bitten dafür zu sorgen daß die Schafe auf ihrem Lebensweg keine nassen Füße bekommen. Sorgen Sie bitte vor. Ich habe alle meine Schafe im Trocknen.

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Montag, 25. Juli 2011
Bagatelle 116 - Wetterstein
Seit eh und je helfen alte Bauernregeln uns bei der Wettervorhersage. Abendrot verspricht am nächsten Tag schönes Wetter und Morgenrot sagt im Laufe des Tages Regen voraus. Und wer kennt nicht den trostreichen Spruch: "… wenn's morgens friert in Mai, ist der Monat April vorbei." Also.

Manche schwören beim Wolfenbütteler Anzeiger, diesem kleinen Büchlein, worin man nicht nur die Kölner Markttage, sondern auch das Wetter im kommenden Monat erfahren kann. Und wenn bei uns zuhause die alte Scheunediele schwitzend naß ausschlägt, sagen wir: glaub uns, es kommt Regen. Und wir singen zusammen mit Schuberts Schönen Müllerin weiter: Ich glaub' es kommt ein Regen, Ade, ich geh' nach Haus.



Das Bild hier oben kann man bei uns in der Gegend beim wandern oder radfahren sehen. Es zeigt uns eine Landstraße, einen freundlichen Bauernhof, eine Bank, einen Stein, ein Schild, einen Abfallkorb. Wißt ihr was? Wir halten an, stellen das Rad hinterm Baum und bevor wir uns auf die Bank setzen, betrachten wir uns den Stein und lesen was auf dem Schild geschrieben steht. Die Gegend heißt Binnen-Heurne, hätte sich aber auch Unter-Hasselberg nennen können. Der Name tut eigentlich nicht zur Sache. Es gibt hier offenbar ein örtlicher Heimatverein (oder so was). Die Bank ist von den Vereinsmitgliedern gestiftet worden anläßlich ihres 15-Jährigen Bestehens.



Sehen wir uns jetzt den Stein an. Die Form erinnert uns einigermaßen an einem Körperteil das einem schmunzeln läßt. Wir lassen die Hand auf der Steinoberfläche ruhen und fühlen abwechselnd Glätte, Risse und Rillen.
Es ist ein Wetterstein. Die Nachbarschaft weiß bescheid: ihr braucht man nichts weiteres zu sagen. Dem fremden Reisenden aber, der überhaupt nichts vom Bestehen von Wettersteinen weiß, wird auf einem Schild klar und deutlich gemacht auf welche Weise uns der Stein hilft beim Betrachten der hiesigen Wetterlage.
In einer Tabelle sieht das so aus. (Die Kosten der Übersetzung vom Niederländischen ins Deutsche übernimmt hoffentlich der Gemeindekulturkreis.)

der Stein zeigt sich -> das Wetter zeigt sich:

trocken -> schön
naß -> regnerisch
warm -> sonnig
unsichtbar -> neblich trübe
beweglich -> windig
kalt -> frostig
weiß -> schneewetter
blau -> steinkalt




Oben steht geschrieben: Der Binnenheurnse Wetterstein - Das Wetter von Minute zu Minute. Unten liest man: Gestiftet am 7. Juni 2009 anläßlich des 15-jährigen Bestehens des Nachbarschaftsverein.

Da möchte man doch wohnen! In solch einer ungemein gemeinnützlichen, nachbarschaftlichen Gegend. Wo man noch etwas für den anderen übrig hat. Oder?

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Donnerstag, 7. Juli 2011
Bagatelle 113 - Ein Stuhl zum vorsitzen
In unserer kleinen Ortschaft (Kirche, Schule, Wirtshaus mit zugehörigem Festsaal, etwa 46 Einfamilienwohnungen, und weit ringsum einige Dutzend freiliegende Bauernhöfe) gibt es wie überall ein Volksfest (bei uns Oranjefeest genannt) und ein dazu gehöriges Festkomitee. Dieser Oranjefeest-Ausschuß organisiert das ganze Jahr hindurch für alt und jung allerhand Festivitäten. Er tut das gut und nach Zufriedenheit aller.
Nun aber hat der 1. Vorsitzende des Oranjevereins seinen Rücktritt erklärt. Die Gründe kennen wir nicht. Wir wollen sie auch nicht wissen: jedem seiner Privatsphäre, sicher auch unser 1. Vorsitzende, der so vorzüglich viele Jahre lang seine vorsitzende Arbeit getan hat. Es muß aber wohl ein neuer Vorsitzender her.

Heute ist Oranjefeest, ohne Zweifel der jährliche Höhepunkt. Ein wichtiger Programmteil ist der traditioneller Umzug. Jung und alt, individuell oder in Gruppen, fest- und fröhlich gekleidet, nimmt teil. Es ist quasi ein Karnevalszug, sei es daß hier nie mit Kamellen oder anderen eßbaren Sachen in die Menge geschmissen wird. Ein Fanfarenchor am Anfang, dahinten die Fahnenschwinger, und ein zweiter Musikverein als Schlußlicht; dazwischen fröhliche Kindergesichter auf orange-verzierten Fahrrädern und verkleidete Erwachsene welche die Zuschauer zum lachen bringen.

Dieses Jahr hat sich der Vereinsvorstand ein besonderen Wagen ausgedacht. Wir sehen den Stuhl des Ersten Vorsitzenden, mit recht einen heiligen Stuhl. Nur, der Stuhl ist leer. Ein Fragezeichen vermittelt die Unsicherheit. Ein Schild fordert auf uns zu besinnen auf die Frage wer der neue 1. Vorsitzende sein wird. "Wollen Sie nicht den leeren Stuhl besteigen? Wer möchte sich bewerben?"
Ein folgender Bildband zeigt uns den weiteren Ablauf.

Bild 1. Der Wagen in seiner vorbereitende Phase. Das Schild läßt verlauten: Der Allgemeine Heurnse Oranje Verein sucht sich einen neuen Vorsitzenden. Wer besteigt den Thron?



Bild 2. Letzte Aufmunterung: Namensschilder möglicher Kandidaten (Dominique Strauss-Kahn, Sepp Blatter, Geert Wilders) werden befestigt. Einige Vorstandsmitglieder in schwarz prüfen das ganze.



Bild 3. Intermezzo. Auch dieser kleine Teilnehmer mit seinem enthaupteten Vater (Terra's Schuld) freut sich.



Bild 4. Die vorderste Gruppe des Umzugs hat die Kirche erreicht. Mit Pauken und Trompeten, mit Flaggen und Fahnen werden die Zuschauer erfreut.



Bild 5. Mit viel Lärm und Qualm werden die Zuschauer auf die Dringlichkeit der Angelegenheit aufmerksam gemacht. Leibwächter schützen den Stuhl.



Bild 6. Der Vorstandswagen zieht vorbei. Die Zuschauer in Verwirrung zurücklassend.



Bild 7. Das Bild des neuen 1. Vorsitzenden kann Ihnen leider noch nicht präsentiert werden. Vielleicht in einer folgenden Bagatelle?

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Freitag, 29. April 2011
Bagatelle 102 - Links herum, rechts herum
Jedes Jahr, am 30. April, können Sie mich in unserem Gemüsegarten arbeiten sehen. An diesem Tage – das Feld ist vorher gründlich vorbereitet – werde ich meine Bohnen der Erde anvertrauen. Dazu setze ich etwa 60 Zentimeter von einander entfernt Paaren van Bohnenstangen, zwei gegenüber einander. Die sind, zumindest für dieses Jahr, zu einander verdammt. Ich biege sie einigermaßen nach einander und mit einer anderen Bohnenstange quer über die restlichen Paare wird ein festes Gebilde errichtet. Nichts besonderes also. Das heißt bis sóweit.



Das écht Besondere geschieht nach einigen Wochen. Sobald die Bohnen in der Erde, sich aufwärts bewegend, die Sonne über der Erde entdeckt haben, fangen sie an in einem kolossalen Tempo zu wachsen. Sie bilden lange Ausläufer und suchen dabei Unterstützung und Festigkeit an den von mir gesetzten Bohnenstangen. Das Ende jedes Ausläufers wickelt sich um die Bohnenstange. Und meine Bohnen machen das rechtsdrehend. Immer rechtsdrehend! Nur rechtsdrehend.

Menschen haben eine Vorliebe für links, pardon für links-herum. Das gilt ebenso dem Formel-I-Fahrer der die Strecke auf dem Nürburgring immer links herum fährt, als sein sportlicher Geselle der im Stadion die 10.000-Meter läuft. Achten Sie mal darauf. Immer links herum. Beim Eisschnellauf, oder beim 6-Tage-Rennen: immer links herum!
Leute, wie ich, die von sich selbst fälschlich behaupten etwas von der Materie zu wissen, machen die Tatsache, daß das Gehirn aus zwei Hälften besteht, dafür verantwortlich. Ob jemand linkshändig oder rechtshändig ist, ist eine Frage derselben Art. Sei es darum.

Vor Jahren, als ich die Gewohnheiten meiner Bohnen noch nicht so gut kannte, habe ich mal versucht sie entlang der Bohnenstange zu führen. Ich wies ihnen sozusagen den Weg, schrieb ihnen quasi vor welchen Weg sie zu gehen hatten, und band sie vorsichtig an den Stangen. Dabei ging ich meinen gewohnten Weg links-herum. Nach einigen Tagen sah ich, daß die von mir so angebundenen Bohnen zu sterben drohten. Die Ursache war die unnatürliche Linksdrehung.

Was lehrt uns diese Geschichte? Daß jedes Leben, auch die einfachste Stangenbohne, eine immanente Intelligenz besitzt an der wir nicht und niemals rütteln sollen. Wenn eine Bohne rechts-herum gehen will, müssen wir dies in allen Fällen akzeptieren und respektieren. Dafür gibt es eine, für Menschen nicht zu verstehende, Bohnenbegründung. Zweitens sollte uns diese Bohnenweisheit zu noch mehr Bescheidenheit aufrufen. Und Achtung und Ehrfurcht vor alles lebende.

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