Donnerstag, 5. November 2009
Bagatelle XXVI - Bilderrätsel
Es kostet mir wenig Mühe zu gestehen dass Sie auf diesem Bild meine Vorfahren sehen. Meine Ahnen, meine Verwandtschaft. Selbst bin ich nicht anwesend und das braucht Sie nicht zu überraschen, denn als das Bild gemacht wurde, sollte es noch ungefähr vierzig Jahre dauern bis ich geboren wurde. Wenn Sie wüssten wie oft ich mir dieses Bild ansehe, die ernsten Gesichter der Frauen und Männer betrachte und versuche ihre Gedanken zu lesen!



Wir schreiben heute den so-und-sovielsten November im Jahre 2009. An welchem Tage und in welchem Jahr kam der Fotograf angefahren um meine Familie zu porträtieren? Das ist die erste Frage dieses Bilderrätsels. Natürlich erwartet keiner von Ihnen dass Sie das exakte Datum wissen. Aber zu welchem Anlass könnte das Bild gemacht worden sein? Und wie lange ist es her? Denken Sie darüber nach, erörtern Sie bitte die zwei Fragen mit sich selber, dann werde ich Ihnen innerhalb einiger Minuten die Antwort überreichen.

Ausgezeichnet! Sie haben es erraten! Das Bild ist eine teure Erinnerung an einem Geburtstag des alten Herrn der da so ruhig in der ersten Reihe in seinem Sessel sich die Geschehnisse ansieht. Es ist in der Tat August 1901. So lange ist es her und so alt ist die Fotografie. 108 Jahre. Kaum zu glauben, aber wahr. Der alte Herr ist mein Ur-ur-Großvater, geboren 1814. Er feiert heute also seinen 87. Geburtstag womit wir alle ihm nachträglich sehr herzlich gratulieren. Heute sind alle seine Kinder und Enkelkinder anwesend um sich mit dem alten Vater zu freuen. Sein Name ist Heinrich Johann. Er ist der älteste in der Runde. Das Mädchen auf Mutters Schoß rechts vorne ist die jüngste. Aber der Stammvater Heinrich Johann korrigiert mich sofort: es ist kein Mädchen das wir dort sitzen sehen, es ist ein Junge, es ist sein Urenkel. Er wird später mein Vater sein.

Mein Großvater, ebenfalls ein Heinrich Johann, hat seine von der Bauernarbeit verwitterte rechte Hand vorsichtig auf Dinas Schulter gelegt. Dina ist meine Großmutter. Links - von uns aus gesehen - neben Opa steht dessen Vater, mein Urgroßvater Jannes. Jannes hatte fünf Töchter und vier Söhne von denen mein Großvater der älteste ist. Ich gebe Ihnen zu raten ob Sie die neun Kinder nach ihrem Alter ordnen können. Sie sind alle auf dem Bild vertreten. Einige habe ich als kleiner Junge persönlich gut gekannt und sehr gemocht. Einige andere sind früh gestorben.

Beim Betrachten dieses Bildes dringen immer wieder zwei Gedanken in den Vordergrund. An erster Stelle denke ich daran wie unglaublich es ist das fast zwei Jahrhunderte zu sehen sind! Die Fotografie umfasst die Zeit von 1814 bis 2009. Fast von Napoleon bis Barack Obama und Angela Merkel. Wie gerne hätte ich meine Verwandten gezeigt wie das Leben verläuft in unserem 21. Jahrhundert. Und wie gerne hätte ich von meinen Ahnen erfahren wie das Leben im 19. und 20. Jahrhundert gelebt wurde. Das zweite woran ich denke ist mehr oder weniger eine Gefühlssache. So lange ist es her und irgendwo gibt es immer noch ein Gefühl des Zusammengehörens. Es ist meine Verwandtschaft, es ist meine Familie. Vieles ist unbekannt, aber vieles ist vertraut.

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