Freitag, 30. November 2012
Bagatelle 172 - Vorher, nachher
Die Situation ist uns allen bekannt: rechts steht der bekannte Sachverständige Dr. Dr. Klaus Kannstmichmal, anerkannter Uhrenkenner; daneben Frau Dr. Hannelore Kärstener, die das Programm für uns moderiert und die durch manchen pointierten Fachausdruck zeigt, daß sie dem eingeladenen Sachverständigen fachfräulich im nichts nachsteht. Ganz links Frau Vonderhandgewiesen geborene Schubert, die stolz und erwartungsvoll vieles Wissenswertes über das Objekt in der Mitte über sich ergehen läßt. Das Objekt selbst ist eine bieder anmutende Rokoko-Uhr und die Sendung heißt Kunst und Krempel.

Freilich, ich sehe wenig fern, aber solche Sendungen lasse ich mir nicht nehmen. Wie herrlich, dieser Gesichtsausdruck bei der Frau V. geborene S., wenn sie aus dem Munde des sachverständigen Doppeldoktoren erfährt, daß ihre Uhr um 1832 in Lours-sur-Seine zusammengebaut worden ist. Und daß das Blattgold auf der Pendelscheibe tatsächlich echt ist. Sie aber hat eigentlich nur diesen éinen Wunsch: zu wissen wieviel Euro die Uhr wert ist. Nach fünf Minuten und virtuell 1200 Euro reicher verläßt sie - die Uhr feste in den Armen geschlossen - glücklich die Fernsehbühne. Ihr folgt der Herr Augenstern aus Lauen an der Luhre der eine herrliche Spitzweg-Kopie mitgebracht hat und deshalb einen anderen Sachverständigen braucht. (Nebenbei: in der Bagatelle LVIII konnten Sie übrigens schon etwas mehr von der Spannung erfahren welche diese Sendungen umgeben.)

Bei uns heißt die Sendung Kunst & Kitsch. Aber wie sich die Bilder gleichen! Beim ersten Betrachten eines Ölgemäldes rät unser Sachkenner Hubert van Scheveningen immer eines: zuerst wird gesäubert! Er nimmt sich ein Wattenstäbchen, feuchtet es ein wenig in Alkohol an - wenn kein Alkohol da ist nimmt er seine eigene Spucke - und putzt sehr behutsam und vorsichtig über Firnis und Farbe, und wenn das Reinemachen sein Ende gefunden hat, strahlt uns das Bild im neuen Glanz entgegen!

Der Fall will, daß mein junger Bruder sich vor Jahren auf einer Auktion ein altes Gemälde schenkte. Für viel zu viel Geld, denn fast alles Materielle was ein richtiges Bild braucht, fehlte förmlich. Es gab keinen Rahmen und hier und da hatte sich auch schon die Farbe von der Leinwand gelöst. Dennoch zeigten viele Details eine Meisterhand. Sehen Sie selbst wie schön die Laube mit der Kletterrose gemalt worden ist. Wie fein das Mädchen dasitzt in der Abendsonne um ihre Arbeit (das Abziehen der Bohnen für die Abendmahlzeit) nachzugehen. Und wie selten gut getroffen ist der Hahn und seine Gefolgschaft! Nein, wir können uns gut vorstellen wie gerne mein Bruder das Bild haben wollte. So geht uns das eben auch. Hier unten sehen Sie das Bild in der Originalfassung. Über Herkunft und Zeit wußte man nichts. Es ist unsigniert, so daß mein Bruder seine Vermutung: das Bild sei englischer Herkunft, nicht beweisen konnte. Für eines brauchte man keinen Beweis: das Bild war total verschmutzt.



Da nahm ich mir die Worte des K&K-Sachverständigen zu Herzen. Ich bot meinem Bruder an das Bild zuerst gründlich zu reinigen. Aber wie und womit?
Manche schwören in solch einem Fall bei einem ungekochten aber geschälten und halbwegs durchgeschnittenen Kartoffel; andere bevorzugen am liebsten geknetetes und selbstgekautes Roggenbrot. Wieder andere verwenden 96%-Industriealkohol und einige Unverbesserlichen tun es mit ihrer Spucke oder was auch immer die Speicheldrüse hergibt. Weil ich gerne ein Gläschen trinke und mich daher mit der Ware auskenne fiel meine Wahl auf den Alkohol. Mit einem in Alkohol getränkten Wattenstäbchen wurde Zentimeter für Zentimeter gereinigt. Als diese Sisyphusarbeit getan war, bedeckte ich das Bild mit einer neuen, dünnen Firnisschicht. Das Resultat folgt auf dem Fuße. Die Bilder sind so naturgetreu möglich dargestellt; nichts ist wie wir es nennen 'gephotoshopt', künstlich verschönert also.



Ist 'nachher' besser als 'vorher'? Hat sich die Mühe gelohnt? Urteilen Sie selbst. Mein Bruder beurteilte die Reinigung als 'ziemlich zufriedenstellend, sei es daß die Atmosphäre ein wenig gelitten habe'. Er bedankte sich indem er mir das Bild schenkte. Jetzt hängt das Mädchen in der Rosenlaube, von Huhn und Hahn umgeben, in meinem Arbeitszimmer. Mit Freuden seh' ich es mir an, jeden Tag wohl ein Mal.

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