Donnerstag, 4. April 2019
Bagatelle 331 - Zungenflöte
Der Hochschuldirektor, dessen hochschulischen Ausbildungsstätte ich vor nun schon sehr vielen Jahren besuchte, hieß mit Nachnamen Roosjen. Auf Deutsch: Röslein. (Doch, das auf der Heide.) Seinen Vornamen wusste man nicht, nur dass der mit F. anfing. Wahrscheinlich Frits, Frederik oder Franz-Ferdinand, wer weiß. Den Herrn Roosjen mochten wir alle sehr, besonders weil er während seines Französischunterricht oft anfing musikalische Geschichten zu erzählen. Wegen ihn kenne ich jetzt noch einige Chansons auswendig.
Direktor Roosjen war auch derjenige der an einem Dienstag Anfang Mai jedes Jahres uns mitteilte, dass der Unterricht ab zehn Uhr ausfiele, weil Maimarkt war. Wir alle freuten uns sehr und zogen dahin.

Etwas seitlich, also nicht in der Menge Kauflustigen, befand sich der stillere, angenehmere Teil des Maimarktes. Dort hatte ein Kaufmann – Künstlertyp mit Künstlerhut – seine Ware – noch eingepackt und versiegelt – ausgestellt. Inmitten stand ein alles Koffergrammophon. Als drei Zuschauer verwundert stehen blieben, nahm der Kaufmann vorsichtig eine 78-er Schellackplatte, legte die auf das Grammophon, drehte an dem Schlinger, leitete die Nadel in die erste Grube: und da klang wunderschöne Musik. Etwas wienerisches so zu hören: Wiener Blut oder ähnliches. Plötzlich nahm der Grammophonmann aus einer Kiste eine einfache Pan-Flöte – ein drei-eckiges Instrument aus Bambus – und spielte begleitet von seinem Grammophon alle Noten die er auf seiner Flöte finden konnte. Herrlich und sehr musikalisch. Dann wechselte er seine Pan-Flöte für einen metallenen Irischen whistle und spielte fröhlich weiter. Schließlich nahm er eine Zungenflöte, Sie wissen: ein einfaches Stückchen Plastik, legte die auf seine Zunge und plötzlich klang dort die herrlichste Vogelmusik die man sich nur denken kann. Passend zu dem Schwalben im Wienerwald.

Allmählich waren mindestens zwanzig Leute gekommen zuzuhören. Weil der Kaufmann nicht für umsonst gekommen war, begann er jetzt Musikinstrumente zu verkaufen. Kleine Flöten und anderes mehr. Auch Zungenflöten. Für fünfzig Cents das Stück und drei Stücks für einen Gulden. Kein Geld.

Doch, es gibt sie noch. Vor einigen Jahren sah ich auf einer sommerlichen Braderie (= Markt mit viel Bratwurst) einen Kaufmann der nebst Spielsachen auch Zungenflöten verkaufte. Jetzt für einen Euro das Stück; drei Stück kosteten zwei Euro. Wie üblich.
Ich kaufte zwei und kann jetzt Ihnen, wenn Sie mal vorbeikommen, wieder die schönste Vogeltöne hören lassen. Schwalbengezwitscher oder einen Finkenschlag. Wie es Euch gefällt.



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