Freitag, 11. März 2011
Bagatelle LXLV - Türstopper
In manchen Fällen ist es die Kombination die mich interessiert und sogar intrigiert. Das - entweder bewußt offensichtlich oder lauter zufällig - Zusammenkommen einiges hohen Erhabenes und das platte Triviale. Sachen mit einem hochspirituellen Charakter versus niederträchtige Banalitäten. Etwas feines königliches neben grobem bürgerliches, das meine ich. Und wenn Sie noch nicht verstehen was ich sagen will – was mich nicht wundern sollte – geb’ ich Ihnen gerne ein Beispiel. In meinen frühesten Kinderjahren war mir nicht beizubringen, daß es sogar im königlichen Palast zu Soestdijk, wo unsere Königin Juliana residierte, Orte gab die man Aborte nannte. Die Idee daß die Majestät auch wohl mal auf die Toilette mußte, war abstrus und völlig undenkbar.

Etwas derartiges ist auch der Fall beim Betrachten des beigefügten Bildes. Die amerikanische Zeitschrift Life publiziert dieser Tage 31 Fotos aus der privat Sammlung von Eva Braun. (Die Sammlung ist – wie das Wort vermuten läßt – von einem Sammler zur Verfügung gestellt worden.) Wir sehen auf diesem Bild aus 1937 einen Teil des Braunschen Wohnzimmers.



Es ist nicht das Führerbild das meine größte Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auch nicht die säuberlich geputzte kupferne Türklinke oder die zierliche Kommode mit den fünf Schubladen. Nicht der fischgrätig verlegte Parkettboden. Es ist der Türstopper.

Ich weiß nicht ob das Wort überhaupt existiert: Türstopper. Ein kleiner runder Gegenstand aus Hartgummi oder Kautschuk, den man mit einem Nagel in den Boden schlägt. Keine gute Idee und kein Gesicht, aber er tut was es tun muß: er behütet die Tür rechts, wenn man sie nach innen öffnet, für einen Aufprall - mit schlimmsten Folgen - mit der Kommode.

Das verwundert und tröstet: sogar die feinsten Häuser kennen den unschönen, abscheulichen Türstopper. Kaiser und König, Diktator und Kardinal, Bürger und Bauer: alle kennen ihn. Also liefert der Türstopper einen Beitrag zu einer mehr egalitären Welt. Das hatten Sie nicht gedacht, oder?

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Donnerstag, 3. März 2011
Bagatelle LXLIV - Eineichiger Zwilling


Jedesmal, wenn mein Blick vom Frühstückstisch hinaus zum Fenster gen Osten schweift, trifft er sie. Singular und Plural in einem. Ich sehe unsere Zwei-Einheit: ein Duo junge Eichen, das vor einigen Jahren plötzlich und unerwartet aus dem nichts entsprang und jetzt frisch und fröhlich die Landschaft ziert.

Wer es war der die Samen, die Eichel also, dort hat liegen lassen, weiß ich nicht. Ich vermute ein Eichhörnchen. Wegen seines Namens natürlich und wegen seines angeborenen Triebes mehrere geheime Vorräte zu bauen, womit er behauptet den strengen Winter überstehen zu können.

Dort wo der Acker unseres Nachbars anfängt und dort wo unser Eigentum aufhört, gibt es einen zwei Meter breiten Streifen. Hier wächst was wachsen will. Allerhand Pflanzen, Kräuter, Unkraut, Gebüsch und anderes Grün findet dort seinen Platz. Wir lassen es wachsen und gedeihen. Nur wenn eine einzige botanische Familie droht die Oberhand zu bekommen – und zwangsweise ihre Nachbarn das Licht in den Augen mißgönnt – greifen wir ein. Denn Vielfalt ist ein kostbarer Besitz.



In dem genannten Streifen steht nun schon seit einigen Jahren unser Zwilling. Zwei Eichen die zusammen und verbindlich aufwachsen. Sie sind gleich groß und haben in etwa dieselbe Zahl Äste und Zweigen. In diesen Wintertagen, wo das Blätterdach fehlt, kann man gut erkennen wie sehr sich die beide Eichen gleichen. Im Sommer scheinen die beiden eine Einheit. Ein Zwilling. Ein eineichiger.

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Sonntag, 27. Februar 2011
Bagatelle LXLIII - Behördendeutsch
Gestern, Samstag, war ein Tag voller Gnade. Ich bekam etwas geschenkt worauf ich mich in Gedanken schon lange im voraus gefreut hatte. Der Postbote (der es gerade noch schaffte unseren Hof zu finden) brachte uns ein Schreiben eines der berühmtesten Vertreter der deutschen Justizbehörde: die Oberjustizkasse Hamm. Mit vor Erregung zitternden Händen öffnete ich den amtlichen Umschlag.



Vorweg muß ich noch erwähnen, daß ich in früheren Jahren wohl mal einen Brief von einer deutschen Behörde in Empfang nehmen konnte. Einen Brief mit Lichtbild meistens. Das waren noch Zeiten! In meiner Studentenzeit bekam ich, reisend im Raume Kleve (Niederrhein), fast jedes Jahr wohl eine Quittung wegen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. In meiner Ente habe ich 72¼ km/h bei 70 km/h erlaubt, also zu schnell gefahren, sagte mir die Behörde dann.

Daß es gestern wieder eine Art Quittung war, schmälerte meine Freude über den Empfang keineswegs. Es war ja nur eine Bitte an mich, um die Kosten welches das Amtsgericht zu Bocholt habe machen müssen um mir einen Erbschein und ein Testamentsvollstreckerzeugnis überreichen zu können, zurück zu erstatten. (Mein Bruder, damals wohnhaft in Deutschland, ist vor zwei Jahren gestorben. Er hatte mich in seinem Testament, niedergelegt bei einem niederländischen Notar und völlig rechtsgültig, gebeten die Erbschaftsregelung einigermaßen ordentlich vonstatten gehen zu lassen.) Der totale Rechnungsbetrag betrug (zufälligerweise) runde 300 Euro.



Drei Nebensächlichkeiten verdienen das Erwähnen. Erstens sehen Sie und ich im Text auf dem Umschlag, daß diese deutsche Behörde um Verständnis bittet falls ich am selbigen Tag nóch einen oder mehreren Briefe solcher Art zugeschickt bekommen sollte. Eine Behörde die sich entschuldigt! Im voraus! Das ist doch was, würde ich meinen.
Zweitens muß ich feststellen, daß das Behördendeutsch ganz und gar nicht schwieriger zu verstehen ist als die Behördensprache in meinem Lande. Die Sätze in deutscher Sprache sind zwar lang und unnötig kompliziert, aber das ist bei uns nicht weniger der Fall. Und wir können nicht, wie Sie, in Zweifelsfällen unseren Arzt oder Apotheker fragen.
Drittens möchte ich hinweisen auf die Schnelle womit diese deutsche Behörde arbeitet. Wir haben sicher sechs Monate mit der Amtsgerichtsbehörde gehadert ob und warum ein Erbschein und ein Testamentsvollstreckerzeugnis (für das zweite Wort übrigens meinen besten Dank ..) überhaupt nötig war. Als der Entschluß dann endlich gefaßt wurde, bekamen wir schon sieben Tage danach die Quittung. Das nenne ich zügige Facharbeit! Daran kann sich jede in- und ausländische Behörde ein Beispiel nehmen!

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Mittwoch, 23. Februar 2011
Bagatelle LXLII - Der Tod mit Sense und Rechen
Wenn Sie mögen, erzähle ich ihnen gerne eine zwar bizarre, aber wahrgeschehene Familiengeschichte. Dazu hohl’ ich mir zuerst den alten hölzernen Heurechen aus der Scheune und stelle ihn schräg gegen die Scheunetüre, Stiehl nach unten und Zähne nach oben, damit alle sich an ihr Bild erfreuen können.



Mein Großonkel Wilhelm (schlicht Onkel Willem genannt), Bruder meines Großvaters Heinrich (Hendrik) väterlicherseits, war in seinen jungen Jahren ziemlich schroff, brutal, laut und vorlaut. Viele Jahre später, nach zwei Weltkriegen, zwei Ehen (beide 25-jährig!) und zwei im Kriege gestorbenen Söhnen, als ihn das wirkliche Leben also eingeholt hatte, wurde er milder und stiller. Die folgende Geschichte spielt in seinen jungen Flegeljahren.

Die Heuerntezeit ist gekommen. Jeder auf dem Bauernhof – auch die Nachbarn sind gefragt - der eine Sense oder einen Rechen tragen kann, ist aufgefordert beim Heu machen zu helfen. In der Mittagspause, nachdem die Frauensleute das Essen gebracht haben und sich mit den wenigen Überbleibseln auf den Heimweg machen, legt sich mancher im Schatten der Bäume zum schlafen. Wißt ihr, sagt der junge Willem, daß man im stehen schlafen kann? Auch hier im freien Felde? Ich werde es euch zeigen.

Willem benutzt seinen Heurechen. Er drückt den Stiel fest in den Boden, sodaß die Zinken gen Himmel zeigen. Etwas schräg steht der Rechen als Willem seinen Kopf dorthin steckt, wo sich der Stiel in zweien verzweigt. Er bildet, zusammen mit dem Rechen und dem Boden worauf beide stehen, quasi ein Dreieck. Willem schließt die Augen und hält sich schlafend. Alle die ihm zusehen, lachen laut. Bis nach einer Weile die Nachbarsfrau sagt: Jetzt ist’s genug Willem. Hör damit auf. Aber Willem reagiert nicht.



Nein, Willem gibt keinen Ton mehr. Die Blutgefäße links und rechts in Hals und Nacken sind vom verzweigten Rechenstiel völlig abgeklemmt. Um ein Haar ist Willem bewußtlos. Glücklicherweise fällt er samt Rechen seitlich auf den Boden, (eine Windböe, eine kluge Nachbarsfrau die ihn umstößt?) wobei sein Kopf von der Umklemmung befreit wird. Das Lachen und Prahlen ist ihm ergangen.

’Man kann schmerzhaft und schmerzlos sterben,’ sagte Onkel Willem später. ’Das zweite ist mir fast passiert: damals in der Heuernte, mit dem Heurechen.’ Der Tod kommt manchmal still und leise. Der Totenmann kommt manchmal mit Sense únd Rechen.

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Samstag, 12. Februar 2011
Bagatelle LXLI - Uhrzeit


Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir
Wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr.


So komponierte einst Carl Loewe und so sang einst der Bariton Hermann Prey, weltweit mit Abstand der beste deutsche klassische Sänger unter den Sängern die dauernd an einer Erkältung leiden. Jeder kennt das Lied, ins besondere die Mitglieder der deutschen Liedertafel und die der westeuropäischen Männergesangsvereine. Und bei dem zweiten Satz denken alle daran wie intelligent der Dichter das Sehen (genau seh ich ..) und das Hören (es geschlagen habe ..) vereint hat.

Wie hilflos ist der Mensch, wenn er nicht irgendwo die genaue Uhrzeit ablesen oder abhören kann! Darum findet sich in jedem Hauszimmer, an und in jedem Gebäude, an allen Haushaltsgeräten, kurzum: in jedem Lebensbereich eine Uhr. Analog oder digital, mit einem römischen Zifferblatt verziert oder schlicht Ziffern andeutend, der Sonne folgend oder hinunter fallend wie Sandkörner in einem Glas. Man läßt uns keine Ruh’. Die Zeit drängt sich unaufhaltsam auf. Wir kommen nicht drum herum.

Vor Jahren habe ich der Zeit einen Streich gespielt. In meinem Arbeitszimmer, wohlgemerkt Zimmer 2.28 zweiter Stock, wo immer frische Blumen die Atmosphäre aufhellten und frohe Gedanken freikommen ließen, befand sich eine kleine Wanduhr. Eines Tages habe ich, so zwischen den Arbeiten hindurch, gezählt wie oft ich auf die Uhr schaue. Nur aus Angewohnheit, denn es drängte mich niemand. Und als wäre das nicht schon genug, wie oft drehte sich mein Kopf in Richtung meiner linken Hand. Dort wo sich die Armbanduhr aufhielt! So genau hab’ ich nicht gezählt, aber es würde mich nicht wundern, daß es sechzig Mal in einer Stunde war.

Der Beschluß war schnell gefaßt. Ich verbannte die Wanduhr in eine stille unauffällige Ecke, wo sie von niemandem gesehen werden konnte. Und ich entfernte meine Armbanduhr. Für ewig und immer. Bis auf den heutigen Tag ist sie nicht wieder auf ihren Platz zurückgekehrt. Ich vermute daß es etwas mit dem Zeitgeist zu tun hat.

Nein, ohne Scherz, Sie werden mich niemals sehen mit einer Armbanduhr. Weder links noch rechts, weder digital oder analog. Weder an Sonn- und Feiertagen, noch an sonstigen Ruhetagen. Und das schönste von der Geschichte ist: ich vermisse sie nicht. Den Streich habe ich der Zeit gespielt.

Aber, werden Sie fragen, was macht er wenn er unbedingt die genaue Uhrzeit wissen muß? Nun, werde ich antworten, wenn ich mich außerhalb der menschlichen Gesellschaft befinde, mitten auf der Lüneburger Heide zum Beispiel, gibt es keinen Grund genau zu wissen wie spät es ist. Und wenn: schau auf die Sonne oder vermute wo sie sich hinter den Wolken verbirgt.
In dem anderen Fall, wenn ich in der Nähe menschlicher Kreaturen bin, frage ich den ersten besten nach der genauen Zeit. Und weil alle anderen stets eine Uhr bei sich tragen, kann jeder dem ich begegne mir sagen wie die Glocke geschlagen hat.

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Donnerstag, 3. Februar 2011
Bagatelle LXL - Krakelüre
Als ich früher, in meinen jungen Jahren, nach etlichen Stunden zu Hause in der Badewanne oder draußen im Schwimmbad verbracht zu haben, an Land ging und meine Finger betrachtete, beobachtete ich, daß diese voller Falten waren. Länglich, und parallel an den Fingerformen. Nach einigen Minuten hatten sich die Falten entfernt und die Haut bekam ihre gewohnte Spannung und Glätte.

Wenn ich jetzt, nun da ich etwas älter geworden bin, meine Finger der linken Hand betrachte, sehe ich überall kleine Risse und Kratzer. Die Fingeroberhaut bekommt craquelarische Züge. Was meint er wohl mit "craquelé" und dürfen wir bitte erfahren was er mit "craquelarisch" sagen will? (In meinen frühesten Deutschstunden habe ich gelernt, daß die angesprochene Zweite Person Du (vor allem im Norden) oftmals mit der Dritten Person Er verwechselt wird, was wiederum ein großartiges Spracheffekt darstellt.)

Schließen Sie bitte die Augen und tun Sie als sähen Sie ein köstliches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Es ist ein Stilleben. Daher der Name: "Stilleben mit Zitrone und Apfelmuß". Je älter das immerhin schon so alte Gemälde, je mehr kleine und sehr feine Risse, Kratzer und Narben die Varnish/Firnisschicht, welche die Farbenpracht bedeckt, aufweist. Temperatur- und Klimaschwankungen, so behauptet man, seien die Ursachen. Eine Frage also von ausdehnen und schrumpfen. Der kunsthistorische Fachausdruck hierfür ist meines Wissens: craquelé. Laut wikipädischen Experten ist es ein Netzwerk von Rissen auf der Oberfläche eines zB. Ölgemäldes. Das Wort ’craquelé’ ist zwar französischer Herkunft, aber warum sollte ein Kunstbegriff nicht aus dem Französischen kommen dürfen? Verbleibt die Mona Lisa auch nicht im Louvre?



In dieser Jahreszeit, vor allem sichtbar bei Temperaturen unter null und minus, sind meine Finger voller solcher Feinrisse. Das ist weder peinlich, noch hinderlich. Diese Fingerkrakelüre ist meines Erachtens nur da um uns auf die Vergänglichkeit des Lebens hinzuweisen. Jüngeren Lesern würde ich denn auch zufügen wollen: lacht bitte nicht zu schnell und zu laut. Auch euch wird die Krakelüre einst treffen.

Nicht nur die linke Hand ist craqueliert. Die Rechte hat es auch in sich. Aus aufnahmetechnischen Gründen aber stell’ ich die Linke unpolitisch in den Vordergrund. Mit der rechten Hand bediene ich meine Digitalkamera und die linke – nicht wissend was die andere tut - läßt sich fotografisch zeigen. Außerdem sollte man keine zwei Sachen zugleich machen wollen. Weder links, noch rechts.

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Donnerstag, 27. Januar 2011
Bagatelle LXXXIX - Harmonie
Was zu tun wenn man, aus musikalischem Verlangen, sich ein Klavier kaufen will, aber feststellen muß, daß das Geld nicht reicht? Verzichten ist wohl das letzte. Besser: wir kaufen uns beim Klavierhändler um die Ecke ein Harmonium. Sehr viel billiger und trotzdem einigermaßen musikalisch.
So dachten meine Eltern vor vielen, vielen Jahren. Als junges Mädchen hatte meine Mutter bei ihr zu Hause – ungewöhnlich auf einem Bauernhof – das Harmonium spielen gelernt. Wie mein Vater auch. Noch etwas seltener, weil ziemlich unüblich für Bauernsöhne. Und als das Paar zwei Jahre verheiratet war, besorgten sie sich ein eigenes, mattbraunes, Harmonium. Nachträglich hätte ich uns ein richtiges Klavier gewünscht, aber wie gesagt: das Geld fehlte .



Harmonium und Klavier sind zwar völlig verschieden - ich komme nicht dazu Ihnen alle Unterschiede darzulegen, bitte fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker - aber das Notenbild und die dazu gehörende Noten gleichen sich sehr. Auch die Lehrbücher kann man guten Gewissens neben einander legen und verwenden. Wenn Sie also lernen wollen wie man - wie der Mann am Klavier dem wir gerne ein Bier schenken – auf einem Steinway “Alle meine Entchen“ spielt, schauen Sie bitte nach in der Harmonium-Schule. Das ist das ultimative Unterrichtsbuch für anfangende Klavier- und Harmoniumspieler.

Vor einiger Zeit fand ich sie wieder: diese theoretisch-praktische Harmonium-Schule. (Von den ersten Anfängen bis zur entwickelten Technik [auch zum Selbstunterricht], sagt Heinrich Bungart, der Verfasser dieses äußerst nützliche Werkchens.) Es lag, in einem Karton, von unmusikalischen Mäusen etwas angeprangert, auf dem Dachboden unserer Scheune. Und sofort drangen die Jugendbilder in den Vordergrund. Ich las die Titel. Zum Beispiel “Vorübungen für die rechte Hand“ (Seite 33) oder “Das Waldhorn“ (Wie lieblich schallt, Nummer 121, Seite 60.) Nicht zu vergessen: “O du fröhliche", Nummer 187 auf Seite 83.



Sehr interessant, unterhaltsam und lehrreich ist die Tatsache, daß alles geschriebene zweisprachig ist. Deutsch únd Englisch. Das betrifft die Musiktitel, aber auch die Anmerkungen zur Verbesserung der Spielweise. Beim Weihnachtslied “Stille Nacht" steht geschrieben Silent Night! Hallowed Night! Und der Autor rät: Mit sanften Stimmen. Übersetzt meint er: With soft stops. Die Noten und Notenlinien selber entziehen sich dem Sprachzwang. Sie sind universal. Wenn mein Neffe aus Pakistan (den es nicht gibt) bei uns zu Besuch käme, (was er nie tun würde,) könnte er ohne Fehl und Tadel Mozarts Ave Verum spielen. Richtig, mit zwei Händen. Die beiden Füße würden für genügend (weil notwendigen) Wind sorgen.

Genug der Worte. Ich nehme das Harmonium-Buch, gehe in die Scheune hinterm Hof, dort wie immer noch unser altes Harmonium seine Zeit in Ruhe verbringt, schlage Seite 79 auf und spiele “Brüder reicht die Hand zum Bunde" von Wolfgang Amadeus. Auf Englisch: Song of society. Der Lehrer rät: spielen Sie es feierlich. Solenne in der Musiksprache.

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Sonntag, 23. Januar 2011
Bagatelle LXXXVIII - Schneebuddha
Unsere Buddha kennen Sie vielleicht. Und wenn nicht: stöbern Sie bitte hier in meinem Archiv nach bis Sie Bagatelle L gefunden haben, wobei es ratsam ist zu wissen, daß der Buchstabe L fünfzig (sage und schreibe 50) bedeutet.

Seit Mitte 2007 ist unsere Buddha bei uns. Zum allerseitigen Vergnügen und zu gegenseitiger Freude. Denn die Buddha ist zugleich Wahrheit, Freude und Besinnlichkeit in Person. Sie sitzt da in ihrer Meditationshocke, denkt sanft über den Sinn des Lebens nach und freut sich daß sie bei uns so gut aufgehoben ist. Nie fließt ein unbedachtsames oder anprangerndes Wort über ihre Lippen. Niemals beklagt sie sich über die Ungefälligkeiten die in jedem Leben mal vorkommen. Zum Beispiel übers Wetter. Wir, uns selbst sicherlich nicht ausgeschlossen, schimpfen dauernd über das Wetter. Entweder ist es draußen zu kalt, zu naß und zu trübe, oder es weht der Wind zu stark, oder der anfrierende Nieselregen sorgt für glatte Straßen. Selten machen wir uns die Mühe zu sagen wie herrlich das Wetter heute ist.



Nein, dann aber unsere Buddha. Nie und nimmer wird sie ihre Stimme erheben um negatives über die hiesige und gestrige Wetterlage zu verbreiten. Sie verneint sogar den Begriff des „schlechten“ Wetters. Denn laut Buddha kann das Wetter niemals schlecht, höchstens unangenehm sein. War das auch so, so fragen Sie sich vielleicht, damals, vor einiger Zeit, so um Weihnachten, bei dieser winterlichen Kälte und Schnee von gestern?



Zu jener Zeit hatte ich Mitleid mit unserer Buddha. Vor allem wenn ihr wohlgeformtes Unterleib, mit den an Meditation gewöhnten gekreuzten Beinen, allmählig unter einer Schneedecke verschwanden. Und es bitter kalt war. Die Notlage erreichte seinen Höhepunkt als ich am Morgen des zweiten Weihnachttages feststellte, daß eine weiße Schneewatte ihr linkes Auge am sehen hinderte und daß ihr Haupt zwar zierlich, aber kaltstimmend, ein Schneetüpfelchen trug. Da habe ich sie gefragt: willst du nicht rein kommen? Nein. Schlicht, klar und einfach war ihre Antwort. (Sie mag vor heißeren Feuern gestanden haben, vermute ich mal.)



Dieser Tage, da das Tauwetter zugeschlagen hat, ist die Buddha wieder zu den alten Zeiten und Gewohnheiten zurückgekehrt. Jeden Morgen, auf meinem Lauf zum Hühnerstall, begegnen wir uns, sagen uns die Zeit des Tages (guten Tag, also) und freuen uns darüber daß es dem anderen so gut geht.


* Bagatelle L - Terra meets Buddha (5-4-2010)

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Donnerstag, 6. Januar 2011
Bagatelle LXXXVII - Magische Dreizahl
Heute ist der 6. Januar, Tag der drei Könige wie die ersten, Tag der drei Magier wie die zweiten, und Tag der drei Weisen wie die sonstigen diesen Tag nennen. Wie gerne hätte ich just heute Ihnen ein gutes und wahres Bild gezeigt von dem magischen Ereignis, welches vor einigen Tagen, am Montagmorgen rund 9.00 Uhr, über uns kam. Ich meine die teilweise Sonnenfinsternis. Um diese Zeit wandere ich jeden Morgen zum Hühnerstall um die drei Verbliebenen (Hahn plus zwei Hennen) einen Gutenmorgen zu wünschen und mit Futter zu versehen.

Also, diesen Montag in aller früh hatte ich meine Kamera dabei um das Naturereignis für die Ewigkeit festhalten zu können. Als ein wunderbarer, rot-gelb-orangefarbiger Sonnenaufgang sichtbar wurde und die Sonne anscheinend Mühe tat die Erde zu erreichen kam die eine Wolke die mir den Spaß verdarb. Die Sonne samt fehlendes Teilstück wurde von ihr zugedeckt, als wollte sie nicht daß ihr Mangel: das Fehlen eines Scheibchens im Unterleib, uns zu Gesichte kam. Ich zeige Ihnen hier unten das Bild: urteilen Sie selber. Etwas Magisches kann dem Bilde nicht entsagt werden. Es ist die Magie des Rätselhaften, des Wunders, des unerwarteten, des gesehenes aber nicht-verstandenes Naturphänomens.



Kehren wir zurück zu den drei Reisenden Magier (Gaukler ohne festen Wohnsitz), Könige (die für eine Weile ihren Thron aufgegeben haben um die Stimme ihres Herzens zu folgen), oder Weisen (Leute die Vernunft, Einsicht, Intelligenz und Weisheit aneinander verknüpfen) wie auch immer. Sie kamen laut Peter Cornelius angereist aus dem Morgenland, aus dem Osten also, sich fortbewegend auf Kamelen oder Dromedaren, wer weiß es, geleitet von einem Stern und taub für die Ratschläge des König Herodus. Sie zogen nach Bethlehem um in einem Stall - weil im Wirtshaus nebenan anscheinend kein Platz mehr frei war - Mutter und Kind Ihre Geschenke anzubieten. Denn dort stand der Stern stille.

Sogar die Geschenke haben einiges magisches Unbekanntes in sich. Weihrauch, Gold und Myrrhe sollen es gewesen sein. Balthasar, ein 20-jähriger aus Asien, bringt den Weihrauch. Der ältere Melchior trägt das Gold. Caspar aus dem afrikanischem Äthiopien bringt die kostbare Myrrhe. Magisch und fremd schon. Denn sagen Sie mir bitte nicht, daß Sie genau wissen was Myrrhe ist und wie herrlich es riecht.

Nein, es bleibt viel unbekanntes Magisches übrig, worüber wir uns heute am Dreikönigstreffen den Kopf zerbrechen können. Auch die Frage warum – ganz links im unteren Bild - der Ochs ehrfurchtsvoll in die Krippe schaut und der Esel laut iahend seinen Kopf empor hebt, könnte etwas mit Magie zu tun haben. Wer weiß.

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Dienstag, 28. Dezember 2010
Bagatelle LXXXVI - Vorhersage
Früher, ja früher gab’s die echten Wahrsager. Sie schauten in die Ferne, in die Sterne, oder in das Eingeweide eines Junggeborenes. Oder sie schauten nirgendwo hin, aber waren dennoch im Stande uns die Zukunft zu schildern. Heutzutage liefert uns jede Zeitschrift eine astrologisch fundierte Weissage.

Astrologie hin oder her, vor Jahren, als ich noch meinte alles Geschehene durchdacht kognitiv betrachten zu müssen, hab’ ich mal eine Formel entworfen mit der die persönliche Zukunft jedes einzelnen errechnet werden kann. Mann braucht nur einige saillanten Daten in die Formel einzugeben wodurch die Unbekannten durch die faktischen Daten ersetzt werden. Alsdann findet man - zwar nach einigen mathematischen Überlegungen - die Zukunft. Vor allem taugt die Formel in drei Fällen: (a) Kleingeldmangel, (b) Gesundheit während der ersten drei Wochentage, und (c) Liebeskummer. Das sind sozusagen die abhängigen Variablen die sich bis auf Punkt und Komma berechnen lassen. Hier die Formel:

Nehmen wir zum Beispiel das Bedürfnis zu wissen wie groß der Kleingeldmangel (L) am Tage X (sagen wir den 3.) im Monat N (zB. Februar) um 13.OO Uhr (T) sein wird.

Ersetzen Sie nun bitte die folgenden Buchstaben durch Substitution in wahrheitsgetreue Zahlen und lösen Sie bitte die Gleichung. Das Resultat ist ein Wert zwischen 0 (Null) und 10 (Zehn) in zwei Dezimalen. Je höher der Wert, je größer der Mangel.

r = Anzahl 1 Euro-Münzen in ihrem Portemonnaie
l = Ihr tatsächliches Alter in Monaten gerechnet
w = Ihre Schuhgröße
s = die genaue Uhrzeit in Minuten
Yj = Reine Temperatur in Grad Celsius am heutigen Datum j
Zj = Gefühlstemperatur in Grad Celsius am heutigen Tag j

Berechnet für den 3. Februar 2011 um 13.00 Uhr deutet ein Resultat größer als 8.00 auf einen erschrecken Mangel an Kleingeld hin. Vor allem 50-Centsmünzen werden ihnen fehlen. Ein Wert < 3.35 sollte Ihnen ziemlich zufrieden stimmen.
Ein gelungenes Beispiel dafür wie eine solch einfache Formel ihre Zukunftsunsicherheit mindern und lindern kann, finden Sie nicht auch? Und ist das nicht Ziel und Aufgabe jeder Vorhersage?

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Dienstag, 21. Dezember 2010
Bagatelle LXXXV - Scharfe Wünsche
Mein längst verstorbener Schwiegervater, ein kleiner Bauersmann, der es mit Mühe und Not schaffte seine Familie einigermaßen ordentlich über die Runden zu bekommen, besaß Pferd und Wagen, womit er jedem der etwas zu befördern hatte seine Dienste anbot. So fuhr er jahrelang, Sommer und Winter, bei jedem Wetter, die vollen Milchkannen aus der Nachbarschaft zur Molkerei, der Milch- und Käsefabrik im Dorf nebenan.
Wenn es denn so glatt und glitzig war auf des Herren Wegen, wie es heute der Fall ist in diesem Adventswinter Anno 2010, schraubte er kleine spitzförmige Eisenteile (Stifte) in die Hufeisen seines Pferdes. Jetzt wissen Sie auch wozu die runden Öffnungen in den Hufeisen taugen. Sicher: damit das Pferd sich auf den befrorenen schneeverwehten Landwegen aufrecht halten konnte. Man sagte: er hat sein Pferd ‘op scherp’ gesetzt. Oder: das Pferd geht auf scharf. Die alte Mähre trug Hufeisen mit spikes, könnte man sagen. So sahen die aus, die griffig machende Spikes. In einer alten Schachtel speziell für Sie aufbewahrt.



Auf scharf gehen, kann man auch figürlich sehen. Mit offenen Augen, alert, kaum abgestumpft und aufmerksam beobachten was denn so spielt im Lande. Reagieren wenn’s sein muß. Seine Stimme hören lassen wenn angefeuert, gelobt, ermutigt oder protestiert werden muß. Nicht unbedingt mit áller Schärfe, aber schon so, daß man sich stehend hält auf glatten, schiefen Ebenen, die man uns manchmal vorstellt gehen zu müssen.

Ich wünsche uns allen für das nächste Jahr genügend Schärfe, aber auch Momente der Stille und Besinnlichkeit. Sogar Augenblicke voller Sentimentalität und Nostalgie die offenbar werden in solch einer Weihnachtskarte des eigenen Hofes wie Sie hier unten sehen. Womit ich ihnen allen ganz und gar ohne Ironie und aufrichtig eine frohe Weihnacht und ein glückliches neues Jahr wünsche.

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Donnerstag, 16. Dezember 2010
Bagatelle LXXXIV - Eine thymotische Kakophonie
In diesen turbolenzvollen Zeiten, wo nichts mehr ist wie es aussieht, bauen wir auf die vertrauten, temporären Strukturen. Diese, hoffen wir jedenfalls, sind unveränderlich und unantastbar. Weihnachten ist immer am 25. 12. Und genau eine Woche später nimmt das neue Jahr seinen (unbestimmten) Lauf. Vier Adventswochen gibt es und ebenso viele Kerzen. Und komme was wolle, der Sankt Nikolaus kommt immer: abends, am 5. Dezember. Auch immer in diéser Periode unterwerfen wir uns dem Diktat.

Doch, in dieser vorweihnachtlicher Zeit prüfen wir in unserem Lande alljährlich unsere Kenntnisse der hiesigen Orthographie. Das heißt: wir setzen uns feierlich vor den Fernsehkasten und beteiligen uns am Nationalen Orthographiekundewettbewerb. Wie früher in der Schule lassen wir uns treffen von einem äußerst schwierigen Diktat. Ein Herr Lehrer (aus den Niederlanden) und eine Frau Lehrerin (aus Flandern) sagen laut und deutlich die Übersetzung des Satzes: “Wir haben es schließlich vergessen”. Und wir, die das Gehorchen noch immer nicht verlernt haben, schreiben es in unsere Heften: wir haben es schlieslich vergessen. Später bekommen wir eine mündliche Ohrfeige, weil wir das Wort “schließlich” fälschlicherweise falsch geschrieben haben. Die Orthographieschreibreform ist an uns vorbeigezogen.

Das nationale Niederländischdiktat wird jedes Jahr von einem anderen, angesehenen Autor(in) geschrieben. Jeder versucht, beim benutzen der schwierigsten Wörter, eine sinnvolle Kurzgeschichte zu verfassen. Hundert Versuchspersonen (im Studio) und Hunderttausende (im Lande) - alle vertraut mit den Regeln der Orthographieschreiberei und allesamt Sprachliebhaber - tun ihr bestes. Im Durchschnitt machen die Teilnehmer im Studio etwa 32 Fehler. Das mag ihnen sehr viel erscheinen, aber auch nach 25 Jahren ist dieser Wert nicht außergewöhnlich. Das Diktat ist in der Tat sehr schwer. Jedes Jahr das gleiche Übel.

Das für mich schwierigste Wort diesmal war das Adjektiv thymotisch. Nicht nur schwierig zu schreiben, aber auch schwierig zu verstehen. Ich, jedenfalls, kannte es nicht. Nachher erfuhr ich, das es von dem auch bei uns berühmt werdende deutschen Philosoph Peter Sloterdijk höchstpersönlich erfunden ist. Es scheint, es hat etwas mit Multikulturalität und Wut zu tun. Aber genaueres weiß man nicht.

Ein anderes, schwierig zu schreibendes Wort war kakophonisch. Die Bedeutung dieses Wortes war mir zwar bekannt, aber das hat mich nicht bewegen können es fehlerfrei zu schreiben.
Auf dem ersten Platz im Wettbewerb der schwierigsten Wörter aller Zeiten befindet sich unangefochten das Wort Przewalskipferd. Im Holländischen noch viel schwieriger als in Deutsch.

Um 22.00 Uhr kam dann der Juryvorsitzende – ein Ex-Kultusminister – um uns die Ergebnisse mitzuteilen. Der Sieger 2010 hieß Herr So-und-So mit Wohnsitz Leiden (Niederlande). Das letztere ist nicht unwichtig, weil meistens die niederländisch-sprachlichen Flamingen gewinnen. Der Sieger hatte nicht weniger als 9 (in Worten neun) Fehler. Aber auch nicht mehr.

Hier unten der erste Diktatsatz:

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Donnerstag, 9. Dezember 2010
Bagatelle LXXXIII - Schieflage


Zugegeben, das worüber diese Bagatelle handelt, kann man in der Tat nicht bagatellarisch nennen. Aber só wichtig ist alles auch wieder nicht, obwohl in meinem Land der Mann und die Frau in der Straße - ihrer pessimistischen Linie treu bleibend - ausriefen: wir haben wieder an Boden eingebüßt. Worauf die Bildungsministerin sofort Maßnahmen ankündigte. Gemeint ist die Position auf der Pisa-Skala.

In einem internationalen Vergleich werden die Leistungen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften der 15jährigen Schüler aus vielen Ländern mit einander verglichen. Wer schneidet am besten ab? Welches Land kann sich berühmen über das beste Bildungs- und Unterrichtssystem verfügen zu können? Wo wohnen die besten Lehrer? Wo und was lernen die Schüler wo und was die Lehrer ihnen versuchen zu lehren? Wo auf dieser Welt wird überhaupt noch etwas gelernt in der Schule? Gibt es noch Länder, wo die Schule versucht ihren Schülern außer soziales lernen, Gemüse-Anbau-Projekte, eine Apfeltorte backen, Internet besuchen, auch noch Lesen, Schreiben und Mathematik beizubringen?



Ich zeige ihnen die Top-15 für den Lesebereich. Aus früheren Jahren weiß ich einiges über die Art und Weise wie man die Lesefähigkeit der Schüler messen kann. Und wie das in den Pisa-Projekten geschieht. Ich weiß deshalb auch, daß man in den Pisa-Studien nur diejenigen Leseaspekte berücksichtigt, die man (schriftlich) messen kann. Viele wichtige Teilbereiche des Lesens (im allgemeinen für die verbale Intelligenz) bleiben außen vor. Das gilt für alle Bereiche. Nur das meßbare zählt.
Ich weiß auch, daß die Umstände unter denen die Pisa-Tests stattfinden, manchmal sehr unterschiedlich sind. Die Lesedaten in meinem Lande sind ein wirklicher und getreuer Durchschnitt der Schüler. Die Daten aus China zum Beispiel – die Nummer Eins im Pisa Leseland! – scheinen aus einer selektiven Shanghai Stichprobe zu stammen.

Das wichtigste Argument gegen die unkritische Anbetung der Pisa-Daten ist das Fehlen einer Beziehung zwischen (unterschiedlichen) Bildungszielen und den hier vorliegenden Meßergebnissen. Nach meinem Verständnis ist die Schule weit mehr als eine Lehr- und Lernfabrik. (Bitte, verzeihen Sie mir die unzutreffende Übertreibung.) Wenn die Schule erreicht daß Kinder zum Beispiel lernen was es denn heißt sozial und respektvoll mit anderen umzugehen (wir nehmen an daß dies eins der wichtigen Ziele der Schule ist), dann sind Pisa-Daten völlig ungeeignet über den Erfolg oder Mißerfolg des Lehrens und Lernens etwas vernünftiges auszusagen. Wenn es aber ein überragendes Ziel der Schule ist, dafür zu sorgen daß die Schüler sich auf dem Gebiete des Lesens und Schreibens, der Mathematik und der Naturwissenschaften behaupten können im internationalen Vergleich, dann sind die Pisa-Daten hilfreich und interessant, aber auch nicht mehr als das.

Was können wir – mit allen Vorbehalten – dennoch aus den Pisa-Daten lernen?
(1) Seit eh und je ist Finnland das beste europäische land.
(2) Die Ost-asiatischen Länder spielen eine Hauptrolle. Aber Sie wollen ihr Kind bitte doch nicht dem japanischen Bildungssystem anvertrauen?
(3) Mein Land (Niederlande) schneidet relativ gut ab. Aber der Trend ist leicht zurückgehend. Machen Sie sich sorgen, Frau Ministerin? Ich nicht. Nicht über diese Daten; wohl über andere Entwicklungen in Bildung und Unterricht.
(4) Deutschland oder Holland auf einen Platz im Top5 bringen wollen? Das hieße: den Pisa-Dom gerade biegen wollen.

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Samstag, 4. Dezember 2010
Bagatelle LXXXII - Kirchturmkletterei
In meiner Jugend war ich auch so einer. Einer, der herausgefordert, bereit war großen Gefahren und Bedrohungen zu trotzen. Nur um den anderen zu zeigen was man sich traute und um bewundernde Blicke, Lob und Anerkennung zu ernten.
Zum Beispiel: mein Verbleib im Klassenbücherschrank. Ein leerer Schrank im Sekundarstufenklassenzimmer lud quasi ein sich darin zu verstecken. Wer, so war die Frage unter den Schülern, wagt es sich zu verstecken und sich schlafen zu legen in dem Schrank, während ein sonst sehr gefürchteter Lehrer sein Bestes tut der Klasse etwas beizubringen?

Terra war so einer. Einer der’s wagte. Ich legte mich in den Schrank und hörte wie der Lehrer hereinkam und mit seiner Lektion anfing. Er geriet allmählig in Wut als er bemerkte, daß er nicht álle Aufmerksamkeit bekam wie er ’s gewohnt war. Einige Schüler schauten auf den Schrank mit Inhalt, als wollten sie dem Herrn Lehrer auf etwas anderes aufmerksam machen. Aber von niemand wurde ich verraten. Nach vierzig Minuten kroch ich steif und stramm aus dem Schrank. ‘Wenn es schief gegangen wäre’, sagten meine Klassenkameraden, ‘wenn der Lehrer dich im Schrank bemerkt hätte, wären die Folgen schrecklich gewesen.’

Der Maurermeister Herman war auch so einer. Seine Freunde, die ihm bei der Arbeit am Kirchturm in unserem Dorfe zuschauten, versprachen ihm eine Schachtel Zigaretten wenn er es wagen sollte den Kirchturm hinauf zu klettern um den Hahn auf der Spitze zu streicheln. ’Abgemacht’ sagte der Maurermeister Herman. ‘Für eine Schachtel richtige Virginia Zigaretten tue ich das. Keine Frage.’



Der Turm der Dorfkirche ist etwa 38 Meter hoch. Der Kirchturmhahn – der uns nicht nur die Windrichtung zeigt, aber uns auch lehrt was es denn heißt stolz auszusehen – erreicht man indem man innen im Turm über steinerne Drehtreppen und hölzerne Leiter nach oben klettert bis zur Turmluke. Das ist ein kleines Fenster. Es wird an Feiertagen geöffnet um der Nationalflagge in rot-weiß-blau die Gelegenheit zu bieten freiaus zu wehen. Wenn einer so kühn, übermutig sogar und sorglos ist, kann man sich durch die Luke nach draußen bewegen und weiter aufwärts klettern, wobei man sich mit den Händen der eisernen Haken bedient die bis zum Kirchturmhahn den Turm vor Blitzeinschlägen schützen.

Das tat der Maurermeister Herman. In Schweiß badend erreichte er – mit Mühe und Not, wie der Erlkönig den Hof – den Hahn, berührte denselbigen und stieg wieder herab. Gut und glücklich für ihn war, daß er sich keine Zeit gönnte sich von einer Höhenangst befangen zu lassen. Unversehrt erreichte er die Luke und trat wieder in den Turm hinein. Wie vertraut benahmen sich die die hölzern und steinernen Treppenstufen! Unten angekommen wischte er sich den Schweiß vom Gesicht und nahm die volle Zigarettenschachtel in Empfang.

Später gab er zu tausende Ängste gehabt zu haben und tausend Mal gestorben zu sein. Seine Sturheit und Starrköpfigkeit aber ließen ihm keine andere Wahl. Wie es später Terra geschah in dessen leeren Klassenzimmerbücherschrank.

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