Donnerstag, 9. Dezember 2010
Bagatelle LXXXIII - Schieflage


Zugegeben, das worüber diese Bagatelle handelt, kann man in der Tat nicht bagatellarisch nennen. Aber só wichtig ist alles auch wieder nicht, obwohl in meinem Land der Mann und die Frau in der Straße - ihrer pessimistischen Linie treu bleibend - ausriefen: wir haben wieder an Boden eingebüßt. Worauf die Bildungsministerin sofort Maßnahmen ankündigte. Gemeint ist die Position auf der Pisa-Skala.

In einem internationalen Vergleich werden die Leistungen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften der 15jährigen Schüler aus vielen Ländern mit einander verglichen. Wer schneidet am besten ab? Welches Land kann sich berühmen über das beste Bildungs- und Unterrichtssystem verfügen zu können? Wo wohnen die besten Lehrer? Wo und was lernen die Schüler wo und was die Lehrer ihnen versuchen zu lehren? Wo auf dieser Welt wird überhaupt noch etwas gelernt in der Schule? Gibt es noch Länder, wo die Schule versucht ihren Schülern außer soziales lernen, Gemüse-Anbau-Projekte, eine Apfeltorte backen, Internet besuchen, auch noch Lesen, Schreiben und Mathematik beizubringen?



Ich zeige ihnen die Top-15 für den Lesebereich. Aus früheren Jahren weiß ich einiges über die Art und Weise wie man die Lesefähigkeit der Schüler messen kann. Und wie das in den Pisa-Projekten geschieht. Ich weiß deshalb auch, daß man in den Pisa-Studien nur diejenigen Leseaspekte berücksichtigt, die man (schriftlich) messen kann. Viele wichtige Teilbereiche des Lesens (im allgemeinen für die verbale Intelligenz) bleiben außen vor. Das gilt für alle Bereiche. Nur das meßbare zählt.
Ich weiß auch, daß die Umstände unter denen die Pisa-Tests stattfinden, manchmal sehr unterschiedlich sind. Die Lesedaten in meinem Lande sind ein wirklicher und getreuer Durchschnitt der Schüler. Die Daten aus China zum Beispiel – die Nummer Eins im Pisa Leseland! – scheinen aus einer selektiven Shanghai Stichprobe zu stammen.

Das wichtigste Argument gegen die unkritische Anbetung der Pisa-Daten ist das Fehlen einer Beziehung zwischen (unterschiedlichen) Bildungszielen und den hier vorliegenden Meßergebnissen. Nach meinem Verständnis ist die Schule weit mehr als eine Lehr- und Lernfabrik. (Bitte, verzeihen Sie mir die unzutreffende Übertreibung.) Wenn die Schule erreicht daß Kinder zum Beispiel lernen was es denn heißt sozial und respektvoll mit anderen umzugehen (wir nehmen an daß dies eins der wichtigen Ziele der Schule ist), dann sind Pisa-Daten völlig ungeeignet über den Erfolg oder Mißerfolg des Lehrens und Lernens etwas vernünftiges auszusagen. Wenn es aber ein überragendes Ziel der Schule ist, dafür zu sorgen daß die Schüler sich auf dem Gebiete des Lesens und Schreibens, der Mathematik und der Naturwissenschaften behaupten können im internationalen Vergleich, dann sind die Pisa-Daten hilfreich und interessant, aber auch nicht mehr als das.

Was können wir – mit allen Vorbehalten – dennoch aus den Pisa-Daten lernen?
(1) Seit eh und je ist Finnland das beste europäische land.
(2) Die Ost-asiatischen Länder spielen eine Hauptrolle. Aber Sie wollen ihr Kind bitte doch nicht dem japanischen Bildungssystem anvertrauen?
(3) Mein Land (Niederlande) schneidet relativ gut ab. Aber der Trend ist leicht zurückgehend. Machen Sie sich sorgen, Frau Ministerin? Ich nicht. Nicht über diese Daten; wohl über andere Entwicklungen in Bildung und Unterricht.
(4) Deutschland oder Holland auf einen Platz im Top5 bringen wollen? Das hieße: den Pisa-Dom gerade biegen wollen.

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Ist es nicht so,
daß diese Hitparaden ohnehin in erster Linie nach den Kriterien der Steigerung des Bruttosozialprodukts angelegt sind und deshalb weniger der Vertiefung der gelesenen Inhalte dienen?

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