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Mittwoch, 21. Dezember 2011
138 - Bagatelle ohne (viel) Worte
terra40, 13:08h
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Samstag, 17. Dezember 2011
Bagatelle 137 - Stückwerk
terra40, 17:38h
Wie es bei Ihnen zugeht, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber hier bei uns ist es Gewohnheit, daß eine Person, die um Eintritt in die Reihen der Promovierten bittet, das tut mittels des Schreibens einer Dissertation. Es hat mit der Qualität der Doktorarbeit nichts zu tun, aber es wird allgemein begrüßt, wenn der Dissertation ein Blatt beigefügt wird mit einigen Thesen. Prägnante, aussagekräftige und, wenn's denn so paßt, spitze und humorvolle Behauptungen welche zum Teil schon, aber nicht unbedingt álle, auf das wirkliche Thema Bezug haben. Ein Arzt, der am nächsten Tag Herr Doktor Franz Weißnicht heißt, kann uns ruhig auch eine These über die unseligen Folgen des Zölibats präsentieren. (Die Prüfungskommission achtet sehr darauf, daß keine These abgeschrieben oder kopiert wird, denn dás ist wirklich eine Todsünde.)
Unlängst promovierte an der Technischen Universität in Raunen an der Luhre der von mir sehr geschätzte Herr Paul Tangram. Das Thema tut hier nicht zur Sache; der Inhalt des 224 Seiten umfassenden Werkes war jedenfalls für Nicht-Eingeweihte völlig unverständlich. (Und das ist, wie Sie wissen, für nicht wenige ein Qualitätsmerkmal.) Sehr begrüßt, und mit einem summa cum laude bedacht, wurde die Idee die beigefügten Thesen von Illustrationen zu versehen, die dem Namen des Promovendus große Ehre machten. Ein guter Grund sie Ihnen hier vorzustellen.
These 1. Die Bank, der es nicht gelingt alle sieben Teile eines Tangrams in ihrem Logo zu verwenden, sollte man sofort meiden.
These 2. Es ist überhaupt nicht von Interesse, ob ein Beitrag in blogger.de inhaltlich etwas vorstellt. Viel wichtiger ist, daß er virtuos und originell zusammengestellt worden ist.
These 3. So lange ein Kopftuch auch als Brillenputzmittel verwendet werden kann, gibt es keinen Grund sich aufzuregen.
These 4. Heutzutage bleiben viele Verbrechen ungelöst. Das hat man davon, wenn Kriminalinspektoren zuviel Tatort sehen und in ihrer Jugend nicht gelernt haben wie man ein Puzzle legt.
These 5. Auch ein Minister-Präsident sollte das Recht haben hin und wieder einen Minister passend zu bestrafen.
These 6. Mein Name ist Hase, sagte Terra, und schrieb eine neue Bagatelle.
These 7. Nur geborgen in seinem Versteck ist das Ganze mehr als die Summe der absonderlichen Teile.
Unlängst promovierte an der Technischen Universität in Raunen an der Luhre der von mir sehr geschätzte Herr Paul Tangram. Das Thema tut hier nicht zur Sache; der Inhalt des 224 Seiten umfassenden Werkes war jedenfalls für Nicht-Eingeweihte völlig unverständlich. (Und das ist, wie Sie wissen, für nicht wenige ein Qualitätsmerkmal.) Sehr begrüßt, und mit einem summa cum laude bedacht, wurde die Idee die beigefügten Thesen von Illustrationen zu versehen, die dem Namen des Promovendus große Ehre machten. Ein guter Grund sie Ihnen hier vorzustellen.
These 1. Die Bank, der es nicht gelingt alle sieben Teile eines Tangrams in ihrem Logo zu verwenden, sollte man sofort meiden.
These 2. Es ist überhaupt nicht von Interesse, ob ein Beitrag in blogger.de inhaltlich etwas vorstellt. Viel wichtiger ist, daß er virtuos und originell zusammengestellt worden ist.
These 3. So lange ein Kopftuch auch als Brillenputzmittel verwendet werden kann, gibt es keinen Grund sich aufzuregen.
These 4. Heutzutage bleiben viele Verbrechen ungelöst. Das hat man davon, wenn Kriminalinspektoren zuviel Tatort sehen und in ihrer Jugend nicht gelernt haben wie man ein Puzzle legt.
These 5. Auch ein Minister-Präsident sollte das Recht haben hin und wieder einen Minister passend zu bestrafen.
These 6. Mein Name ist Hase, sagte Terra, und schrieb eine neue Bagatelle.
These 7. Nur geborgen in seinem Versteck ist das Ganze mehr als die Summe der absonderlichen Teile.
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Freitag, 9. Dezember 2011
Bagatelle 136 - Katastrophal
terra40, 21:08h
Manchmal gibt es das. Man liegt im Bett, schläft den Schlaf des Gerechten, träumt, denkt unabsichtlich an etwas sehr schlimmes, und sofort ist eine leichte Panik da. Heute Nacht war's wieder so weit. Meine Gattin, badend im Angstschweiß, stößt mich und fragt: "Falls nun plötzlich ein Feuer ausbricht, weißt du was du unbedingt zuerst, danach und zuletzt tun mußt?" Leicht irritiert, weil ich selber nicht schlafen konnte, erwidere ich mit: "Na bitte schön, dieses Problem lösen wir morgen früh am ersten, so gut?"
Was Sie hierunter sehen, ist ein Foto aus meiner Heutemorgenzeitung. Wir sehen einen zweigeteilten Zug an einem halbgeschossenen Bahnschranke mit davor eine Hauptstraße. Hinten Häuser, eine Fabrik und, wenn Sie genau hinschauen, hinter den Bäumen, ein Fluß. Auf der Hauptstraße kreuz und quer stehende pkw's und ein Feuerlöschwagen. An dem Bahnübergang ein rotes Auto das offenbar, lavierend zwischen den Schlagbäumen, mit einem der zwei Züge kollidiert ist. Einige Meter vor dem Löschzug stehen die Feuerwehrsleute und sonstigen Helfer und beraten wie sie fortfahren.
Sie haben recht: irgendwas an diesem Foto stimmt nicht. Das Bild ist unwirklich friedlich. Das Bild gibt uns nicht den Hauch oder die Idee eines schlimmen Unfalls. Es ist auch kein tatsächliches Unglück was passiert: es ist ein Katastrophenübungsplatz was wir hier sehen. Das Blut ist Tinte, die Wunde wird angedeutet, getäuscht und aus Fensterkitt hergestellt, der Unfallverletzte ist ein gemieteter Schauspieler, Zug und pkw sind geordnet ungeordnet dahingestellt. So ähnlich sieht ein schrecklicher Unfall aus. Die Katastrophenbekämpfer proben den Ernstfall. Sie tun das mit einem Katastrophenbekämpfungsplan oder etwas ähnlichem.
"Vorsorgen" ist ein schönes Verb; noch schöner als das offizielle "Vorsorge treffen". Du willst eine schreckliche Situation Herr bleiben und wenn möglich vorbeugen, und darum ist es klug und weise darüber nachzudenken, welche Situationen bedrohend sein können und wie man sich darauf adäquat vorbereitet. In meiner Jugend hockten Vater, Mutter und wir, die Kinder, zusammen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern, wenn es denn donnerte und blitzte. Es könnte ja einschlagen. Darum hatte meine Mutter immer einen kleinen Koffer dabei, worin sich unter anderem etwas Geld, die Feuerversicherungspolice, die Pässe, plus einige ihrer Kronjuwelen befanden.
Fast immer wirst du unerwartet und unvorbereitet von einer Katastrophe getroffen. Es gibt zwar die Fernsehwarnung, aber du denkst: so schlimm wird's wohl nicht kommen. Oder: vielleicht passiert es in Ost-Brandenburg oder in Raunen an der Luhre, aber nicht bei uns. So betrügt man gewissermaßen sich selber.
Zwei Gedanken streiten um Vorfahrt. Der erste Gedanke ist, daß es weise und klug ist Vorsorge zu treffen gegen Unglücksfälle die jeden treffen können. Eine Unfallsversicherung ist keine schlechte Idee partout. Die redliche Stimme in mir sagt, daß es weise ist vorher nachzudenken über mögliche Kalamitäten. Jedes vernünftig denkendes Altersheim hat einen Katastrophenplan im Falle einer notwendigen Evakuation der Bewohner. Die andere Stimme in meiner Brust behauptet, daß es in meinem persönlichen Falle unmöglich ist ein kluges Katastrophenplan aufzustellen. Ich kenne mich: wenn tatsächlich Not an Mann kommt, vergesse ich den Plan und tue das, was mir mein Herz zu tun rät.
Noch etwas kommt dazu. Manchmal denke ich, daß das Aufstellen eines Katastrophenplanes das Unglück gerade herbei lockt. Götterversuchung, so etwas. Ob der Teufel im Spiel ist. Hast du gerade ein Szenario fertig für den Fall, das dir beim Fleischbraten die Flamme in die Pfanne schlägt, geschieht dies am nächsten Tag. Ohne Pfannenbrandszenario inklusive Katastrophenplan wäre überhaupt nichts passiert, glaub' ich zu wissen. Und wenn die städtische Straßenbahn nach viel palavern und hin und her überlegen ein neues Katastrophenplan ausgedacht hat, geschieht ein Unfall, wobei man nachher feststellt, daß an einiges wichtiges nicht gedacht worden ist. Ungewollt natürlich, aber dennoch.
Den nächsten Morgen fragt mich meine Frau: "Nun, woran denkst du zuerst, wenn hier im Hause unverhofft ein Brand ausbricht?" Ich erwidere: "An nichts, denn seit keiner hier im Haus mehr raucht, ist die mathematische Chance daß ein Feuer ausbricht, gleich null." "Gut," sagt sie, "ich weiß es. Zuerst müssen die Fotoalben gerettet werden." "Oké," beschließen wir, "somit ist nun Punkt Eins der Tagesordnung erledigt. Wer von uns beiden die Alben rettet, sehen wir wenn 's dann so weit ist."
Was Sie hierunter sehen, ist ein Foto aus meiner Heutemorgenzeitung. Wir sehen einen zweigeteilten Zug an einem halbgeschossenen Bahnschranke mit davor eine Hauptstraße. Hinten Häuser, eine Fabrik und, wenn Sie genau hinschauen, hinter den Bäumen, ein Fluß. Auf der Hauptstraße kreuz und quer stehende pkw's und ein Feuerlöschwagen. An dem Bahnübergang ein rotes Auto das offenbar, lavierend zwischen den Schlagbäumen, mit einem der zwei Züge kollidiert ist. Einige Meter vor dem Löschzug stehen die Feuerwehrsleute und sonstigen Helfer und beraten wie sie fortfahren.
Sie haben recht: irgendwas an diesem Foto stimmt nicht. Das Bild ist unwirklich friedlich. Das Bild gibt uns nicht den Hauch oder die Idee eines schlimmen Unfalls. Es ist auch kein tatsächliches Unglück was passiert: es ist ein Katastrophenübungsplatz was wir hier sehen. Das Blut ist Tinte, die Wunde wird angedeutet, getäuscht und aus Fensterkitt hergestellt, der Unfallverletzte ist ein gemieteter Schauspieler, Zug und pkw sind geordnet ungeordnet dahingestellt. So ähnlich sieht ein schrecklicher Unfall aus. Die Katastrophenbekämpfer proben den Ernstfall. Sie tun das mit einem Katastrophenbekämpfungsplan oder etwas ähnlichem.
"Vorsorgen" ist ein schönes Verb; noch schöner als das offizielle "Vorsorge treffen". Du willst eine schreckliche Situation Herr bleiben und wenn möglich vorbeugen, und darum ist es klug und weise darüber nachzudenken, welche Situationen bedrohend sein können und wie man sich darauf adäquat vorbereitet. In meiner Jugend hockten Vater, Mutter und wir, die Kinder, zusammen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern, wenn es denn donnerte und blitzte. Es könnte ja einschlagen. Darum hatte meine Mutter immer einen kleinen Koffer dabei, worin sich unter anderem etwas Geld, die Feuerversicherungspolice, die Pässe, plus einige ihrer Kronjuwelen befanden.
Fast immer wirst du unerwartet und unvorbereitet von einer Katastrophe getroffen. Es gibt zwar die Fernsehwarnung, aber du denkst: so schlimm wird's wohl nicht kommen. Oder: vielleicht passiert es in Ost-Brandenburg oder in Raunen an der Luhre, aber nicht bei uns. So betrügt man gewissermaßen sich selber.
Zwei Gedanken streiten um Vorfahrt. Der erste Gedanke ist, daß es weise und klug ist Vorsorge zu treffen gegen Unglücksfälle die jeden treffen können. Eine Unfallsversicherung ist keine schlechte Idee partout. Die redliche Stimme in mir sagt, daß es weise ist vorher nachzudenken über mögliche Kalamitäten. Jedes vernünftig denkendes Altersheim hat einen Katastrophenplan im Falle einer notwendigen Evakuation der Bewohner. Die andere Stimme in meiner Brust behauptet, daß es in meinem persönlichen Falle unmöglich ist ein kluges Katastrophenplan aufzustellen. Ich kenne mich: wenn tatsächlich Not an Mann kommt, vergesse ich den Plan und tue das, was mir mein Herz zu tun rät.
Noch etwas kommt dazu. Manchmal denke ich, daß das Aufstellen eines Katastrophenplanes das Unglück gerade herbei lockt. Götterversuchung, so etwas. Ob der Teufel im Spiel ist. Hast du gerade ein Szenario fertig für den Fall, das dir beim Fleischbraten die Flamme in die Pfanne schlägt, geschieht dies am nächsten Tag. Ohne Pfannenbrandszenario inklusive Katastrophenplan wäre überhaupt nichts passiert, glaub' ich zu wissen. Und wenn die städtische Straßenbahn nach viel palavern und hin und her überlegen ein neues Katastrophenplan ausgedacht hat, geschieht ein Unfall, wobei man nachher feststellt, daß an einiges wichtiges nicht gedacht worden ist. Ungewollt natürlich, aber dennoch.
Den nächsten Morgen fragt mich meine Frau: "Nun, woran denkst du zuerst, wenn hier im Hause unverhofft ein Brand ausbricht?" Ich erwidere: "An nichts, denn seit keiner hier im Haus mehr raucht, ist die mathematische Chance daß ein Feuer ausbricht, gleich null." "Gut," sagt sie, "ich weiß es. Zuerst müssen die Fotoalben gerettet werden." "Oké," beschließen wir, "somit ist nun Punkt Eins der Tagesordnung erledigt. Wer von uns beiden die Alben rettet, sehen wir wenn 's dann so weit ist."
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Samstag, 3. Dezember 2011
Bagatelle 135 - Heiliger Niklaas
terra40, 22:52h
Den heiligen Nicolaus kennen wir schon seit unserer frühesten Kindheit, eigentlich von Geburt an. Offiziell: Sankt Nicolaus, Bischof von Myra. Das scheint irgendwo in der Türkei zu liegen, aber uns, kleinen Kindern, wurde immer vorgehalten, daß er aus Spanien kam. Am 6. Dezember ist sein Heiligentag, aber viel wichtiger ist der Abend vorher: Sankt Nicolausabend. Bei uns: Sinterklaasavond. Oder 'pakjesavond', weil an diesem Abend die Geschenke (pakjes) ausgetauscht werden.
So weit so gut. Sie in Deutschland kennen den alten Herrn natürlich auch. Bei ihnen heißt er schlicht Nicolaus. Er wird von einem Knecht begleitet der sich Ruprecht nennen läßt. Bei uns liegt die Sache etwas komplizierter.
Um 1820 schrieb ein Amsterdamer Schulmeister ein moralistisches Kinderbüchlein, worin er erzählte von einem Bischof welcher ein Mal pro Jahr per Dampfschiff nach Holland reiste und einige Tage vor seinem Heiligentag dort ankam. Begleitet von einem, aber meist mehreren Helfern (Zwarte Pieten - Schwarzer Peter). Dort arriviert, ritt er abends auf seinem Schimmel über den Dächern und überall wo unter den Schornsteinen liebe und fleißige Kinder wohnten, warf sein Knecht Pieter Geschenke nach unten. (Daher blieb der Kamin an diesem Abend kalt und dunkel.) Meistens hatten die dort unten wohnhaften Kinder schon Tage vorher einen Schuh (ledernen oder hölzern) am Kamin gestellt worin für Nicolaus sein Pferd eine Karotte und ein bißchen Heu.
Auf den hohen, hohen Dächern
reitet Sankt Nikolaus mit seinem Knecht.
Wollt ihr wissen, liebe Kinder,
was er zu seinem Knechte sagt?
- Schau mal eben, bester Piet,
ob du unartige Kinder siehst!
So sangen und singen die Kinder.
Der heilige Nicolaus hatte eine Vorliebe für ziemlich reiche und wohlhabende Leute, denn dort ging er auch zur Türe hinein. Bei den ärmeren lief er ums Haus, schlug mit einer eisernen Kette gegen die Mauer und in die Luft umher, nur um zu zeigen daß er da war. In den Zimmern unterdessen herrschte leichte Angst und Furcht. Denn der Sankt Nicolaus hatte ein Buch bei sich, worin alle Kinder mit Name und Zuname aufgeführt waren, zusammen mit allen großen und kleinen im vergangenem Jahr begangenen Sünden. Kindern, welche sehr unartig gewesen sein sollen, wurden mit einer Rute gedroht. Die allerschlimmsten, so war allgemein bekannt, mußten in einem Sack zusammen mit den Gästen die Zurückreise nach Spanien antreten. (Und dort, sagten die gemeinsten Eltern, drohte ein Sklavendasein.) Wie groß dann die Erleichterung: nach einer kleinen Buße bekam man nebst Vergebung die so sehr gewünschten Geschenke.
In den Häusern wo der Nikolaus nicht kam (keine Zeit, Sie wissen), konnten die Kinder die Geschenke am Morgen des 6. Dezember in ihren Schuhen begrüßen. Wahrscheinlich in einem Tausch mit dem Heu und der Karotte für den Schimmel.
Heutzutage wird in meinem Lande das Sankt Nikolausfest überall wie vorher gefeiert. Zwar schwer kommerzialisiert wie alles im Leben, aber dennoch. Der heilige Mann aus Spanien landet immer noch mit seinem Dampfer in einen niederländischen Hafen. Die Helfer sind immer noch schwarz, was jedes mal Anlaß zu Leserbriefen gibt von Leuten die einem ein unschuldiges Kinderfest mißgönnen, worin auf angeblich vorhandenen diskriminierenden Zügen hingewiesen wird.
Noch immer wird mit Sack und Rute gedroht. Und noch immer braucht keiner Angst zu haben wirklich nach Spanien verschleppt zu werden. Denn es ist ja in den hunderten Jahren wo das Fest nun schon gefeiert wird, noch nie vorgekommen. Noch immer wird der Sankt Nicolaus und seinen schwarzen 'Pietermannen' am Hafen zugesungen und zugewunken.
Erwachsene geben einander im Namen von Sankt Nicolaus kleine, liebe Geschenke. (Ich schreibe meiner Gattin eine Bagatelle und schenke ihr einen Kalender mit selbstgemachten Fotos: wie originell!) Wenn möglich werden die Geschenke von einem Gedicht begleitet. Oft ein krummes Vers das immerhin Liebe und Zuneigung vermitteln soll.
Zum Schluß erzähl ich Ihnen von einer Panne. Jedes Jahr geschieht so etwas. Der Gutheiligmann landete dieses Jahr schon am 12. November in der alten Stadt Dordrecht. (So hatte der Mittelstand Gelegenheit sich werblich und gewerblich auf den Käufersturm vorzubereiten.) Am Kai bestieg er seinen Schimmel und ritt die fröhliche Kinderschar mit den ebenso begeisterten Eltern entlang. Schade war, daß er seinen Bischofshut verkehrt rum auf hatte. Ein guter Beobachter - ein alter Katholik sicherlich - am Fernseher meldete sich telefonisch um auf den Fehler aufmerksam zu machen. So sieht man, wie die kirchlichen Kenntnisse und Sitten allmählich verschwinden. Aber der Nicolaus bleibt für ewig.
So weit so gut. Sie in Deutschland kennen den alten Herrn natürlich auch. Bei ihnen heißt er schlicht Nicolaus. Er wird von einem Knecht begleitet der sich Ruprecht nennen läßt. Bei uns liegt die Sache etwas komplizierter.
Um 1820 schrieb ein Amsterdamer Schulmeister ein moralistisches Kinderbüchlein, worin er erzählte von einem Bischof welcher ein Mal pro Jahr per Dampfschiff nach Holland reiste und einige Tage vor seinem Heiligentag dort ankam. Begleitet von einem, aber meist mehreren Helfern (Zwarte Pieten - Schwarzer Peter). Dort arriviert, ritt er abends auf seinem Schimmel über den Dächern und überall wo unter den Schornsteinen liebe und fleißige Kinder wohnten, warf sein Knecht Pieter Geschenke nach unten. (Daher blieb der Kamin an diesem Abend kalt und dunkel.) Meistens hatten die dort unten wohnhaften Kinder schon Tage vorher einen Schuh (ledernen oder hölzern) am Kamin gestellt worin für Nicolaus sein Pferd eine Karotte und ein bißchen Heu.
Auf den hohen, hohen Dächern
reitet Sankt Nikolaus mit seinem Knecht.
Wollt ihr wissen, liebe Kinder,
was er zu seinem Knechte sagt?
- Schau mal eben, bester Piet,
ob du unartige Kinder siehst!
So sangen und singen die Kinder.
Der heilige Nicolaus hatte eine Vorliebe für ziemlich reiche und wohlhabende Leute, denn dort ging er auch zur Türe hinein. Bei den ärmeren lief er ums Haus, schlug mit einer eisernen Kette gegen die Mauer und in die Luft umher, nur um zu zeigen daß er da war. In den Zimmern unterdessen herrschte leichte Angst und Furcht. Denn der Sankt Nicolaus hatte ein Buch bei sich, worin alle Kinder mit Name und Zuname aufgeführt waren, zusammen mit allen großen und kleinen im vergangenem Jahr begangenen Sünden. Kindern, welche sehr unartig gewesen sein sollen, wurden mit einer Rute gedroht. Die allerschlimmsten, so war allgemein bekannt, mußten in einem Sack zusammen mit den Gästen die Zurückreise nach Spanien antreten. (Und dort, sagten die gemeinsten Eltern, drohte ein Sklavendasein.) Wie groß dann die Erleichterung: nach einer kleinen Buße bekam man nebst Vergebung die so sehr gewünschten Geschenke.
In den Häusern wo der Nikolaus nicht kam (keine Zeit, Sie wissen), konnten die Kinder die Geschenke am Morgen des 6. Dezember in ihren Schuhen begrüßen. Wahrscheinlich in einem Tausch mit dem Heu und der Karotte für den Schimmel.
Heutzutage wird in meinem Lande das Sankt Nikolausfest überall wie vorher gefeiert. Zwar schwer kommerzialisiert wie alles im Leben, aber dennoch. Der heilige Mann aus Spanien landet immer noch mit seinem Dampfer in einen niederländischen Hafen. Die Helfer sind immer noch schwarz, was jedes mal Anlaß zu Leserbriefen gibt von Leuten die einem ein unschuldiges Kinderfest mißgönnen, worin auf angeblich vorhandenen diskriminierenden Zügen hingewiesen wird.
Noch immer wird mit Sack und Rute gedroht. Und noch immer braucht keiner Angst zu haben wirklich nach Spanien verschleppt zu werden. Denn es ist ja in den hunderten Jahren wo das Fest nun schon gefeiert wird, noch nie vorgekommen. Noch immer wird der Sankt Nicolaus und seinen schwarzen 'Pietermannen' am Hafen zugesungen und zugewunken.
Erwachsene geben einander im Namen von Sankt Nicolaus kleine, liebe Geschenke. (Ich schreibe meiner Gattin eine Bagatelle und schenke ihr einen Kalender mit selbstgemachten Fotos: wie originell!) Wenn möglich werden die Geschenke von einem Gedicht begleitet. Oft ein krummes Vers das immerhin Liebe und Zuneigung vermitteln soll.
Zum Schluß erzähl ich Ihnen von einer Panne. Jedes Jahr geschieht so etwas. Der Gutheiligmann landete dieses Jahr schon am 12. November in der alten Stadt Dordrecht. (So hatte der Mittelstand Gelegenheit sich werblich und gewerblich auf den Käufersturm vorzubereiten.) Am Kai bestieg er seinen Schimmel und ritt die fröhliche Kinderschar mit den ebenso begeisterten Eltern entlang. Schade war, daß er seinen Bischofshut verkehrt rum auf hatte. Ein guter Beobachter - ein alter Katholik sicherlich - am Fernseher meldete sich telefonisch um auf den Fehler aufmerksam zu machen. So sieht man, wie die kirchlichen Kenntnisse und Sitten allmählich verschwinden. Aber der Nicolaus bleibt für ewig.
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Sonntag, 27. November 2011
Bagatelle 134 - Selbstbild
terra40, 14:11h
Innerhalb der Skala an genres in der klassischen Malerei nimmt das Selbstporträt eine besondere Stelle ein. Wir sehen - nur ein Beispiel aus hunderten - den jungen Rembrandt van Rijn aus Leiden, der sich auf den Weg macht nach Amsterdam um dort die Welt zu erobern. Bevor er das tut, schaut er in den Spiegel und malt virtuos seine wilden Haarlocken. Jahre später sieht er was von ihm geworden ist: berühmt, anerkannt, aber auch einsam, müde und umgeben von materiellen Sorgen. Seine späteren Selbstbilder sind dunkel und düster. Seine Augen dennoch vergessen Sie nie wenn Sie die einmal gesehen haben.
Man kann natürlich auch ein Bild von sich selbst anfertigen, indem man sich fotografiert. Am besten mit einer Kamera, einem Stativ und dem Selbstauslöser. Man schätzt die Zeit die notwendig ist um sich richtig und vornehm vor die Kamera zu postieren, drückt auf dem Aufnahmeknopf, eilt zur vorab abgemachten Stelle, nimmt seine Sonntagspose ein, und in wenigen Sekunden ist die Sache gelaufen, manchmal begleitet von wenig Donner und viel Blitz.
Nein, selber mag ich das nicht, diese Selbstbildfotografie, diese - auch wenn Sie das nicht wahr haben wollen - innere Selbstverherrlichung. Überhaupt habe ich es nicht gerne, wenn man mich fotografiert. Wenn schon, dann irgendwo am Rande oder inmitten einer tausendfachen Menge wo niemand mich findet.
Bitte, betrachten Sie das Bild hier unten und sagen Sie mir was Sie sehen. (Schaut hin, sagte der Philosoph, man sieht nicht was man sieht!)
Die menschliche Figur, in einem dezenten schwarz, bin ich. An der rechten Seite ist die Silhouette eines Baumes zu entdecken. Das hier ist ein Selbstbildnis. Wieso ein Selbstbild?
Die Sache ist die. Ich wandere, wie so oft, durch die Auen und Wälder in der Umgebung. Die Kamera ist immer dabei. Ich gehe einen ziemlich breiten Graben entlang. An dieser Seite befindet sich ein Waldgebiet, andersrum sieht man Weiden und Äcker. Im Wald an dieser meiner Seite steht eine Eiche samt Hochsitz. Zu dieser Sitzfläche führt eine eiserne Leiter, gegen die Eiche angelehnt. Auf dem Bild sehen Sie die Hochsitzgelegenheit so etwa rechts neben meinem schwarzen Kopf.
Jetzt kommt sie. Die Lösung des Rätsels. Ich steige auf der eisernen Leiter empor in Richtung Hochsitz. Auf der fünften Stufe bleib ich stehen. Mein linkes Bein schwingt fröhlich nach links, mein rechtes findet festen Fuß auf der Stufe. Aus dem komischen Stand meiner Arme kann man vermuten (und für wahr annehmen), daß ich die Kamera vor meinen Augen halte. Die niedrig stehende Novembersonne scheint mir gerade im Rücken, wodurch der Schatten meiner Person sichtbar wird auf dem Boden an der anderen Seite des Grabens. Ich fotografiere nicht mich selber, ich fotografiere meinen Schatten! In der Tat, das hier ist ein schattiges Selbstbild.
Sehen Sie, so einfach und doch so überzeugend ausdrucksvoll kann ein Selbstporträt sein. Man muß es nur sehen.
Nachschrift: das Nennen und Verwenden einer Leiter eines Hochsitzes bedeutet nun nicht daß ich mit der Jagd etwas am Hut habe. Die Jagd wird für mich nur dann, sportlich gesehen, interessant wenn man dem Hasen auch ein Gewehr gibt.
Man kann natürlich auch ein Bild von sich selbst anfertigen, indem man sich fotografiert. Am besten mit einer Kamera, einem Stativ und dem Selbstauslöser. Man schätzt die Zeit die notwendig ist um sich richtig und vornehm vor die Kamera zu postieren, drückt auf dem Aufnahmeknopf, eilt zur vorab abgemachten Stelle, nimmt seine Sonntagspose ein, und in wenigen Sekunden ist die Sache gelaufen, manchmal begleitet von wenig Donner und viel Blitz.
Nein, selber mag ich das nicht, diese Selbstbildfotografie, diese - auch wenn Sie das nicht wahr haben wollen - innere Selbstverherrlichung. Überhaupt habe ich es nicht gerne, wenn man mich fotografiert. Wenn schon, dann irgendwo am Rande oder inmitten einer tausendfachen Menge wo niemand mich findet.
Bitte, betrachten Sie das Bild hier unten und sagen Sie mir was Sie sehen. (Schaut hin, sagte der Philosoph, man sieht nicht was man sieht!)
Die menschliche Figur, in einem dezenten schwarz, bin ich. An der rechten Seite ist die Silhouette eines Baumes zu entdecken. Das hier ist ein Selbstbildnis. Wieso ein Selbstbild?
Die Sache ist die. Ich wandere, wie so oft, durch die Auen und Wälder in der Umgebung. Die Kamera ist immer dabei. Ich gehe einen ziemlich breiten Graben entlang. An dieser Seite befindet sich ein Waldgebiet, andersrum sieht man Weiden und Äcker. Im Wald an dieser meiner Seite steht eine Eiche samt Hochsitz. Zu dieser Sitzfläche führt eine eiserne Leiter, gegen die Eiche angelehnt. Auf dem Bild sehen Sie die Hochsitzgelegenheit so etwa rechts neben meinem schwarzen Kopf.
Jetzt kommt sie. Die Lösung des Rätsels. Ich steige auf der eisernen Leiter empor in Richtung Hochsitz. Auf der fünften Stufe bleib ich stehen. Mein linkes Bein schwingt fröhlich nach links, mein rechtes findet festen Fuß auf der Stufe. Aus dem komischen Stand meiner Arme kann man vermuten (und für wahr annehmen), daß ich die Kamera vor meinen Augen halte. Die niedrig stehende Novembersonne scheint mir gerade im Rücken, wodurch der Schatten meiner Person sichtbar wird auf dem Boden an der anderen Seite des Grabens. Ich fotografiere nicht mich selber, ich fotografiere meinen Schatten! In der Tat, das hier ist ein schattiges Selbstbild.
Sehen Sie, so einfach und doch so überzeugend ausdrucksvoll kann ein Selbstporträt sein. Man muß es nur sehen.
Nachschrift: das Nennen und Verwenden einer Leiter eines Hochsitzes bedeutet nun nicht daß ich mit der Jagd etwas am Hut habe. Die Jagd wird für mich nur dann, sportlich gesehen, interessant wenn man dem Hasen auch ein Gewehr gibt.
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Sonntag, 20. November 2011
Bagatelle 133 - Altes Geld
terra40, 14:40h
Ach, wie schlecht steht es um des Menschen Gedächtnis! Sagen Sie bitte nicht, daß Sie sich nicht daran erinnern können, denn dann beweisen Sie mir wie recht ich habe. Wenn Sie ein gutes Gedächtnis vorweisen könnten, wüßten Sie genauestens an welchem Tag und in welchem Jahr Sie dem Euro zum ersten Mal begegnet sind.
Es ist genau zehn Jahre her. Damals, November 2001, an einem grauen vorweihnachtlichen Adventstag wurde uns der Euro vorgestellt. Ab dem 1. Januar 2002 Zahlungsmittel. Auf Anfrage schickte eine vom Minister eingestellte Währungskommission uns ein vorweihnachtliches Geschenk: eine, elegant in Papier und Plastik aufgehobene Geldserie, aus nicht weniger als acht (8) Münzen bestehend. Variierend vom kargen 1 Cent bis zum grandiosen 2-Euro-stück. Der Gesamtwert betrug deftige € 3.88; in der altmodischen holländischen Währung von damals: f. 8,55. Und die bekamen wir umsonst!
Das Ministerium teilte obendrein noch mit, daß auch neue Geldscheine von Stapel liefen. Scheine im Wert von 5 bis zu nicht weniger als 200 Euro. Mit äußerster Sorgfalt entworfen, gepreßt und gedruckt, so daß die Fälscher dringend geraten wurde eine andere Beschäftigung zu versuchen.
Heute, zehn Jahre später, ist der Euro in Not. Weil einige Länder in der Eurozone meinten álles auf Pump kaufen zu können, und ihre entstandene Schulden mit nicht vorhandenen Anleihen und sonstige Luftblasen (wie losen Goldbarren) zurückerstatten wollten, befindet sich heute der Euro in Not. In Nöten vielleicht schon, in Banknöten. Und es gibt schon geringe Ahnung habende Fachleute und sonstige Wirtschafsignoranten die laut um den Rückkehr der alten Währung rufen. Ich seh's vor mir: Italiener die für ein Brot die Summe von 17.500 Lire bezahlen, Belgier die für ein Pommes mit Mayo 54 und ein halber Belgischer Franken ausgeben und Briten die zwei Pfund und vier Schillinge für ihr Fish and Chips auf den Tisch legen. (Wie gescheit, daß die Engländer noch immer an ihrer alten Währung festgehalten haben. So sieht man wieder daß Trägheit sich auf die Dauer lohnt.)
Wie gut daß mein zugegeben kleiner Wirtschaftsverstand mir einige meiner alten Zahlungsmittel hat aufbewahren lassen. Ja, ich besitze sie noch: die grauen, bakterievollen, alten Münzen und die schmutzigen Scheine aus der Vor-Eurozeit. Im Februar 2002, einen Monat nach dem offiziellen Eintritt des Euro, startete das Finanzministerium eine Großaktion, wobei die Holländer aufgefordert wurden alle ihre Gulden und sonstige alten Zahlungsmittel für Euros umzutauschen. Schätzungsweise 93 Prozent der Niederländer hielten einige alte Münzen und Scheine für sich zurück. Sie wurden in einem Strumpf oder im Schrank zwischen der Bettwäsche aufbewahrt. Für den Notfall, sagten sie. Oder für die Ewigkeit.
Jawohl, wir sind gerüstet wenn der Gulden seine Rückkehr ankündigt. Besser noch: tief in unserem Herzen haben wir uns niemals definitiv von ihm verabschiedet. Er ist uns ans Herz gewachsen, so wie bei Ihnen die Mark und der Groschen. Aber so sind wir, die Holländer. Je älter sie werden, je dümmer.
Anderswo wird es nicht anders sein. Ich wette mit Ihnen, daß demnächst mehrere ewig gestrige, richtig vergangenheitssüchtige Deutsche sich darüber freuen, daß ihre Gehälter in Kürze wieder in Reichsmark ausgezahlt werden.
Es ist genau zehn Jahre her. Damals, November 2001, an einem grauen vorweihnachtlichen Adventstag wurde uns der Euro vorgestellt. Ab dem 1. Januar 2002 Zahlungsmittel. Auf Anfrage schickte eine vom Minister eingestellte Währungskommission uns ein vorweihnachtliches Geschenk: eine, elegant in Papier und Plastik aufgehobene Geldserie, aus nicht weniger als acht (8) Münzen bestehend. Variierend vom kargen 1 Cent bis zum grandiosen 2-Euro-stück. Der Gesamtwert betrug deftige € 3.88; in der altmodischen holländischen Währung von damals: f. 8,55. Und die bekamen wir umsonst!
Das Ministerium teilte obendrein noch mit, daß auch neue Geldscheine von Stapel liefen. Scheine im Wert von 5 bis zu nicht weniger als 200 Euro. Mit äußerster Sorgfalt entworfen, gepreßt und gedruckt, so daß die Fälscher dringend geraten wurde eine andere Beschäftigung zu versuchen.
Heute, zehn Jahre später, ist der Euro in Not. Weil einige Länder in der Eurozone meinten álles auf Pump kaufen zu können, und ihre entstandene Schulden mit nicht vorhandenen Anleihen und sonstige Luftblasen (wie losen Goldbarren) zurückerstatten wollten, befindet sich heute der Euro in Not. In Nöten vielleicht schon, in Banknöten. Und es gibt schon geringe Ahnung habende Fachleute und sonstige Wirtschafsignoranten die laut um den Rückkehr der alten Währung rufen. Ich seh's vor mir: Italiener die für ein Brot die Summe von 17.500 Lire bezahlen, Belgier die für ein Pommes mit Mayo 54 und ein halber Belgischer Franken ausgeben und Briten die zwei Pfund und vier Schillinge für ihr Fish and Chips auf den Tisch legen. (Wie gescheit, daß die Engländer noch immer an ihrer alten Währung festgehalten haben. So sieht man wieder daß Trägheit sich auf die Dauer lohnt.)
Wie gut daß mein zugegeben kleiner Wirtschaftsverstand mir einige meiner alten Zahlungsmittel hat aufbewahren lassen. Ja, ich besitze sie noch: die grauen, bakterievollen, alten Münzen und die schmutzigen Scheine aus der Vor-Eurozeit. Im Februar 2002, einen Monat nach dem offiziellen Eintritt des Euro, startete das Finanzministerium eine Großaktion, wobei die Holländer aufgefordert wurden alle ihre Gulden und sonstige alten Zahlungsmittel für Euros umzutauschen. Schätzungsweise 93 Prozent der Niederländer hielten einige alte Münzen und Scheine für sich zurück. Sie wurden in einem Strumpf oder im Schrank zwischen der Bettwäsche aufbewahrt. Für den Notfall, sagten sie. Oder für die Ewigkeit.
Jawohl, wir sind gerüstet wenn der Gulden seine Rückkehr ankündigt. Besser noch: tief in unserem Herzen haben wir uns niemals definitiv von ihm verabschiedet. Er ist uns ans Herz gewachsen, so wie bei Ihnen die Mark und der Groschen. Aber so sind wir, die Holländer. Je älter sie werden, je dümmer.
Anderswo wird es nicht anders sein. Ich wette mit Ihnen, daß demnächst mehrere ewig gestrige, richtig vergangenheitssüchtige Deutsche sich darüber freuen, daß ihre Gehälter in Kürze wieder in Reichsmark ausgezahlt werden.
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Sonntag, 13. November 2011
Bagatelle 132 - Faktisches Wissen
terra40, 22:37h
Wissen Sie was ein savant ist? Das ist jemand mit einem savant syndrom. Und das wiederum ist ein Mensch der eines (nicht einiges) unvorstellbar gut kann. Zum Beispiel ein Mitbürger, der nach nur einmal lesen die Kapittel 4 bis 7 von Marxens Kapital fehlerfrei aufsagen kann. Oder die Frau Elisabeth Höchstselten ( Kreis Wuppertal an der Lure) die nur maximal vier Sekunden braucht um uns eine korrekte Antwort zu geben auf die Frage: wieviel ist 34.786 mal 65.876?
Es gibt auch savants die wahnsinnig viele Fakten kennen. Die Kenntnisse haben über alles mögliche Subjekte und Sachgebiete: geschichtsträchtige Personen, Himmelskörper, Schmetterlinge und ihre Artverwandten, Fußballer aus den erste drei Jahren der Bundesliga, und sonstigen völlig nützlosen Wissensbereiche. In einigen der zahllosen für dumm verkaufenden Fernsehratespielen kann man sogar damit Millionär werden.
Nur wenig Menschen wissen alles zu wissende. Der erste war Gottfried W. Leibnitz. Der Mann wußte alles was damals (um 1700) Hand und Fuß, Rang und Namen hatte. Seine faktische Database, sozusagen, war mehr als voll. Zugegeben, es gab nicht so viel Kenntnisse, so viele Data, wie heute, aber dennoch. Der Herr Leibnitz hatte allen anderen Faktenwissern etwas sehr wichtiges voraus: er wußte nicht nur alles faktisches, er verstand auch die Relationen dazwischen.
Entschuldigung für diese etwas lange geratene Einleitung. Ich brauche die aber um Ihnen eine fantastische Geschichte erzählen zu können von meinem stoppelbärtigen, imaginären Freund Wassi. Offiziell Wassili Ibramovitch. Wohnhaft in Спасйбо, im Süden des Ural. Geologe von Haus aus. (Daß Sibirien große Gasvorkommen besitzt, wußte jeder. Wo aber präzise, hat Wassi für uns entdeckt.) In frühester Jugend lernte Wassi seine Fähigkeiten als savant kennen. Alle Fragen im Bereich der typischen Sachgebiete (Geographie, Physik, (Quantum)Mechanik, Biologie usw.) wußte er fehlerfrei zu beantworten. Auch die Sprachen hatten keine Geheimnisse. So konnte er die russische Nationalhymne, wenn gefragt, ausgezeichnet auf chinesisch singen. Sogar mit einem Kanton-Akzent.
Es hat mich auch nicht gewundert, daß Wassi vor fünf Jahren seinen Geologenhut an den Nagel hing und fortan durch die Lande zog mit seinem abendfüllenden Programm: Wassi: die Antwort auf alle Fragen! Nicht sehr originell, aber vielleicht darum Publikumsanziehend.
Wie sah solch ein Wassi-Abend aus? Was wurde dem hochverehrten Publikum geboten? Nun, die Veranstaltung fing meistens um 19.30 Uhr an. Ab 15.30 konnte man bei der Kasse auf Schrift gestellte Fragen einliefern. In einem geschlossenen und versiegelten Umschlag selbstverständlich. Faktische Fragen über alles denkbare. Aber nur Fragen die auf einer klaren, eindeutigen, faktischen Weise beantwortet werden konnten. Keine Meinungen, Mutmaßungen oder Vermutungen also. Auch wurden Fragen zur Wassis religiösen Überzeugungen und politischen Denkweisen zur Seite geschoben. Es galt ja: nur die Fakten zählen!
Wassis Frageabende wurden sehr gut besucht. Schon um 18 Uhr sah man die Leute anstehen um einen Platz vorne zu bekommen. Ab 19 Uhr wurde die Wartezeit gefüllt von dem speziell angeheuerten Balalaikaorchester "Schön Laut". Der Eintrittspreis betrug 7 Rubel und 65 Kopeken (inklusive Mehrwertsteuer). Man konnte auch den Portier um diesen Betrag bestechen, dann hatte man freien Zutritt.
Was, bitte, haben wir uns vorzustellen bei dem Inhalt und der Qualität der gestellten Fragen? Ich nenne Ihnen einige beispielhaften Beispiele.
- Wassili Ibramovitch, wie breit ist die Wolga am schmalsten? Die Antwort bitte in russischen Meilen und inches. Im voraus herzlichen Dank!
- Wie Sie wissen, lieber Wassili, haben alle Spinnen acht Füße. Es gibt aber eine mutierte und hinterbliebene russisch/burjattische Variante mit nur sieben Gliedmaßen. Was ist sein Gewicht (bitte zwei Ziffern hinter dem Komma) wenn es das Alter von sechs Monaten erreicht hat?
- Am 13. Oktober 1877 gab Pjotr Iljitsch Tsjaikowski hier in diesem Saal ein Konzert. Welche Flügelsaite brach als er beim Spielen des dritten Satzes der Beethovenschen Mondscheinsonate verwüstend zuschlug?
- Lieber Herr Ibramovitch, wieviel rote Pflastersteine liegen vor meinem Haus an der Biskayaprospekt Nr. 27 in einem Feld von sonst nur grauen Steinen?
Kommentar überfällig, natürlich. Augenscheinlich voller Selbstvertrauen und immer freundlich und höflich beantwortete Wassi diese Fragen. Ab und zu nahm er sich eine Bedenkzeit, aber niemals mehr als eine Minute. Übrigens waren die Fragen nach der Pause bedeutend schwieriger als am Anfang. In dieser Phase mußten auch einige Fragen wegen des Eindringens in die Intimsphäre zurückgestellt werden. Zum Beispiel eine Frage wie - … was ist der Name des Fräuleins mit dem mein Cousin, der Säufer Branko K., gestern Abend im Tivoli ein rendez-vous hatte?
Wassis Abende wurden so populär, daß schließlich sogar das Fernsehen ihn entdeckte. Seine Shows wurden live ausgestrahlt. Die Einschaltquoten bekamen unglaubliche Züge, auch wenn man weiß, daß sie wie alles in Rußland gefälscht waren. Der Gipfel war sein Eintritt in die Welt der Wetten. Anfangs nur bei den Londoner bookmakers, später auch in St. Petersburg konnte man Wetten abschließen. Die zentrale Frage war: wie und wann wird die Zeit kommen wo der Wassili Ibramovitch auf eine Frage keine Antwort hat?
Am Freitag vor drei Monaten war's dann so weit. Es geschah in Klein-Jekaterinenburg. Nichts besonderes geschah im Vorfeld. Dann aber kam die Frage aller Fragen, von einem freundlichen alten Herrn vorgetragen: - Lieber Wassili Ibramovitch, wie lautet der Familienname ihrer Schwiegermutter?
Später am Abend gab Wassi seinen Verlust zu. Er blieb die Antwort schuldig. Weil, so sagte er sich förmlich entschuldigend, mein ganzes Leben - ich brauchte viele Jahre dafür - habe ich alle Fakten über meine Schwiegermutter zu verdrängen versucht. Ich wußte: jetzt bin ich frei von ihr. Und gerade heute, an diesem Abend, ist das mein Schicksal.
Auch an diesem Abend wechselten Millionen von Rubeln ihre Besitzer. Manche Petersburger Neureiche sah man am nächsten Tag, wie sie den Bürgersteig bei der städtischen Oper mit Schaufel und Besen säuberten. Ja, so kann's gehen.
Mit Wassi ging es bergab. Seine Gesundheit verschlechterte zunehmend und in seinem Gedächtnis bildeten sich ungeahnte Lücken. Das Ende kam nicht ganz und gar unerwartet.
Nach seinem Ableben öffnete man sein Testament. Darin stand, daß er sein Hirn inklusive Gedächtnis dem Psychologiemuseum der Universität von Спасйбо vermacht habe. Dort können wir es jetzt bewundern. Wenn Sie gut hinschauen, können Sie die Fakten noch sehen. Auch die allerkleinsten. Sie befinden sich zwischen den Falten.
Es gibt auch savants die wahnsinnig viele Fakten kennen. Die Kenntnisse haben über alles mögliche Subjekte und Sachgebiete: geschichtsträchtige Personen, Himmelskörper, Schmetterlinge und ihre Artverwandten, Fußballer aus den erste drei Jahren der Bundesliga, und sonstigen völlig nützlosen Wissensbereiche. In einigen der zahllosen für dumm verkaufenden Fernsehratespielen kann man sogar damit Millionär werden.
Nur wenig Menschen wissen alles zu wissende. Der erste war Gottfried W. Leibnitz. Der Mann wußte alles was damals (um 1700) Hand und Fuß, Rang und Namen hatte. Seine faktische Database, sozusagen, war mehr als voll. Zugegeben, es gab nicht so viel Kenntnisse, so viele Data, wie heute, aber dennoch. Der Herr Leibnitz hatte allen anderen Faktenwissern etwas sehr wichtiges voraus: er wußte nicht nur alles faktisches, er verstand auch die Relationen dazwischen.
Entschuldigung für diese etwas lange geratene Einleitung. Ich brauche die aber um Ihnen eine fantastische Geschichte erzählen zu können von meinem stoppelbärtigen, imaginären Freund Wassi. Offiziell Wassili Ibramovitch. Wohnhaft in Спасйбо, im Süden des Ural. Geologe von Haus aus. (Daß Sibirien große Gasvorkommen besitzt, wußte jeder. Wo aber präzise, hat Wassi für uns entdeckt.) In frühester Jugend lernte Wassi seine Fähigkeiten als savant kennen. Alle Fragen im Bereich der typischen Sachgebiete (Geographie, Physik, (Quantum)Mechanik, Biologie usw.) wußte er fehlerfrei zu beantworten. Auch die Sprachen hatten keine Geheimnisse. So konnte er die russische Nationalhymne, wenn gefragt, ausgezeichnet auf chinesisch singen. Sogar mit einem Kanton-Akzent.
Es hat mich auch nicht gewundert, daß Wassi vor fünf Jahren seinen Geologenhut an den Nagel hing und fortan durch die Lande zog mit seinem abendfüllenden Programm: Wassi: die Antwort auf alle Fragen! Nicht sehr originell, aber vielleicht darum Publikumsanziehend.
Wie sah solch ein Wassi-Abend aus? Was wurde dem hochverehrten Publikum geboten? Nun, die Veranstaltung fing meistens um 19.30 Uhr an. Ab 15.30 konnte man bei der Kasse auf Schrift gestellte Fragen einliefern. In einem geschlossenen und versiegelten Umschlag selbstverständlich. Faktische Fragen über alles denkbare. Aber nur Fragen die auf einer klaren, eindeutigen, faktischen Weise beantwortet werden konnten. Keine Meinungen, Mutmaßungen oder Vermutungen also. Auch wurden Fragen zur Wassis religiösen Überzeugungen und politischen Denkweisen zur Seite geschoben. Es galt ja: nur die Fakten zählen!
Wassis Frageabende wurden sehr gut besucht. Schon um 18 Uhr sah man die Leute anstehen um einen Platz vorne zu bekommen. Ab 19 Uhr wurde die Wartezeit gefüllt von dem speziell angeheuerten Balalaikaorchester "Schön Laut". Der Eintrittspreis betrug 7 Rubel und 65 Kopeken (inklusive Mehrwertsteuer). Man konnte auch den Portier um diesen Betrag bestechen, dann hatte man freien Zutritt.
Was, bitte, haben wir uns vorzustellen bei dem Inhalt und der Qualität der gestellten Fragen? Ich nenne Ihnen einige beispielhaften Beispiele.
- Wassili Ibramovitch, wie breit ist die Wolga am schmalsten? Die Antwort bitte in russischen Meilen und inches. Im voraus herzlichen Dank!
- Wie Sie wissen, lieber Wassili, haben alle Spinnen acht Füße. Es gibt aber eine mutierte und hinterbliebene russisch/burjattische Variante mit nur sieben Gliedmaßen. Was ist sein Gewicht (bitte zwei Ziffern hinter dem Komma) wenn es das Alter von sechs Monaten erreicht hat?
- Am 13. Oktober 1877 gab Pjotr Iljitsch Tsjaikowski hier in diesem Saal ein Konzert. Welche Flügelsaite brach als er beim Spielen des dritten Satzes der Beethovenschen Mondscheinsonate verwüstend zuschlug?
- Lieber Herr Ibramovitch, wieviel rote Pflastersteine liegen vor meinem Haus an der Biskayaprospekt Nr. 27 in einem Feld von sonst nur grauen Steinen?
Kommentar überfällig, natürlich. Augenscheinlich voller Selbstvertrauen und immer freundlich und höflich beantwortete Wassi diese Fragen. Ab und zu nahm er sich eine Bedenkzeit, aber niemals mehr als eine Minute. Übrigens waren die Fragen nach der Pause bedeutend schwieriger als am Anfang. In dieser Phase mußten auch einige Fragen wegen des Eindringens in die Intimsphäre zurückgestellt werden. Zum Beispiel eine Frage wie - … was ist der Name des Fräuleins mit dem mein Cousin, der Säufer Branko K., gestern Abend im Tivoli ein rendez-vous hatte?
Wassis Abende wurden so populär, daß schließlich sogar das Fernsehen ihn entdeckte. Seine Shows wurden live ausgestrahlt. Die Einschaltquoten bekamen unglaubliche Züge, auch wenn man weiß, daß sie wie alles in Rußland gefälscht waren. Der Gipfel war sein Eintritt in die Welt der Wetten. Anfangs nur bei den Londoner bookmakers, später auch in St. Petersburg konnte man Wetten abschließen. Die zentrale Frage war: wie und wann wird die Zeit kommen wo der Wassili Ibramovitch auf eine Frage keine Antwort hat?
Am Freitag vor drei Monaten war's dann so weit. Es geschah in Klein-Jekaterinenburg. Nichts besonderes geschah im Vorfeld. Dann aber kam die Frage aller Fragen, von einem freundlichen alten Herrn vorgetragen: - Lieber Wassili Ibramovitch, wie lautet der Familienname ihrer Schwiegermutter?
Später am Abend gab Wassi seinen Verlust zu. Er blieb die Antwort schuldig. Weil, so sagte er sich förmlich entschuldigend, mein ganzes Leben - ich brauchte viele Jahre dafür - habe ich alle Fakten über meine Schwiegermutter zu verdrängen versucht. Ich wußte: jetzt bin ich frei von ihr. Und gerade heute, an diesem Abend, ist das mein Schicksal.
Auch an diesem Abend wechselten Millionen von Rubeln ihre Besitzer. Manche Petersburger Neureiche sah man am nächsten Tag, wie sie den Bürgersteig bei der städtischen Oper mit Schaufel und Besen säuberten. Ja, so kann's gehen.
Mit Wassi ging es bergab. Seine Gesundheit verschlechterte zunehmend und in seinem Gedächtnis bildeten sich ungeahnte Lücken. Das Ende kam nicht ganz und gar unerwartet.
Nach seinem Ableben öffnete man sein Testament. Darin stand, daß er sein Hirn inklusive Gedächtnis dem Psychologiemuseum der Universität von Спасйбо vermacht habe. Dort können wir es jetzt bewundern. Wenn Sie gut hinschauen, können Sie die Fakten noch sehen. Auch die allerkleinsten. Sie befinden sich zwischen den Falten.
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Samstag, 5. November 2011
Bagatelle 131 - Trockne Schafe
terra40, 13:02h
Seit einigen Tagen verweilen sie in den Wiesen rundums Haus: zwei Koppel junger Schafe. Die eine Truppe umfaßt fünfzehn, die zweite neunzehn weibliche, fast einjährige Tiere. (Geboren also im Wintersaison 2010/2011) Mein Freund und Nachbar, dem diese Schafe allesamt gehören - hat obendrein ein älterer Schafsbock erlaubt sich der zweiten Truppe anzuschließen.
Sie können sich nicht vorstellen wie uns das alles freut! Nichts macht mehr melancholisch - gerade in diesen ersten Novembertagen mit allen Heiligen und sonstigen Seelen - als eine grüne Wiese ohne sichtbare dann und wann grasende Lebewesen. Gerade in Zeiten wo die Bauersleute ihre Kühe manchmal vierundzwanzig Stunden pro Tag zuhause lassen und ihnen den Zutritt in die freie Weide verweigern, freut es einem eine kleine Schafsherde von seinem Arbeitszimmer aus erblicken zu können.
Trotz des dringenden Verbotes Haus- und Weidetiere wie Menschen zu behandeln, verkehren wir ziemlich menschlich mit den Schafen. Das heißt: wenn ich morgens die erste Runde um den Hof mache, begrüße ich sie mit einem freundlichen, gutgemeinten Guten Morgen, ihr Lieben! Worauf mich die Schafe ansehen mit einem Blick voller Verzweiflung darüber daß ein Mensch so tief sinken kann!
Unsere Schafe verhalten sich auch herdentierisch. Wie es sich gehört also, und wie es ihnen die Menschen vorleben. Es kommt oft vor, daß, wenn die Herde schläft, ein prominentes Schaf plötzlich aufsteht und anfängt zu grasen. Worauf alle andere seinem Beispiel folgen. Sie überqueren als Gruppe, als Einheit, die Wiese, von einem zum anderen Ende. Vorteil dabei ist, daß die Schafe sich von Geburt an kennen. Sie waren immer als Gruppe beisammen. Mann merkt es sofort: jedes Schaf fühlt sich in der Gemeinschaft aufgehoben und geborgen.
Ab und zu werden Fragen über die Intelligenz der Schafe laut. Schafe seien dumm, unfähig einiges zu lernen, wenig entschlußbereit. Das alles sind schwer übertriebene Vorurteile. Die Wirklichkeit sieht anders aus, vor allem wenn die tägliche Nahrung in Frage kommt. Es verkehren bei uns jeden Tag etliche Trecker auf der Landstraße. Das aber läßt die Schafe unberührt; sie schlafen, grasen oder kauen ihre Nahrung für's zweite Mal. Aber wenn der Bauer c.q. Landherr und Schafezüchter auf seinem Trecker angefahren kommt, erhebt sich die ganze Schar um ihn zu begrüßen. Die Schafe erkennen offenbar sehr genau ob es der eigene Trecker ist oder ein anderer, auch wenn sie ihren Herrn und Meister noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Vorsicht also bei der Intelligenzbewertung dieser und anderer tierischen Kreaturen.
In aller Bescheidenheit möchte ich Ihnen noch an zwei Sachen erinnern dürfen. Erstens: wenn Sie an einer Schafswiese vorbeikommen und sehen daß ein Schaf auf dem Rücken liegt, handeln Sie bitte sofort und stellen das Schaf wieder auf seine vier Beine. Sonst ist es dem Tode überlassen: das Schaf kann nicht aus eigener Kraft aufstehen.
Zweitens möchte ich Sie bitten dafür zu sorgen daß die Schafe auf ihrem Lebensweg keine nassen Füße bekommen. Sorgen Sie bitte vor. Ich habe alle meine Schafe im Trocknen.
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Samstag, 29. Oktober 2011
Bagatelle 130 - Leserecht
terra40, 12:28h
Vor einigen Wochen, beim stöbern durch neulich geborene blogger-de-Beiträge, stand plötzlich unterstehende Mitteilung auf meinem Bildschirm:
Man sagte mir, daß ich kein Recht hätte diese Adresse zu besuchen. Das Problem läge nicht bei mir. Auch nicht beim Blog das ich geplant hatte mit meinem Besuch zu verehren. Das Problem läge, wie kann es anders, beim System.
Wenn Sie erwarten, daß ich nun in Wutanfällen ausbrechen oder laut schreiend die Gegend unsicher machen würde, irren Sie sich. Gefühle von Unwissendheit, Mitleid und Sorge mischten sich mit Gedanken wie: das kann jedem (System) passieren. Also: keine Wut, keine Schadenfreude, keine Schimpfkanonade.
Was bleibt, ist eine Frage. Nämlich: was stand eigentlich in dem Blog das mir vom System aus verweigert wurde einzusehen? Eine schöne Erzählung? Eine Kurznovelle vielleicht? Eine Fotoreportage wie so oft in dieser digitalen Umgebung? Oder sogar eine wichtige Mitteilung der Frau X. die zu wissen gibt, daß es um die Erkältung von gestern gar nicht gut steht?
Niemals, vermute ich, werde ich es wissen. Sei es drum. Es bleibt genügend anderes Lesenswertes übrig, hier in dieser angenehmen Blog-Gegend.
Man sagte mir, daß ich kein Recht hätte diese Adresse zu besuchen. Das Problem läge nicht bei mir. Auch nicht beim Blog das ich geplant hatte mit meinem Besuch zu verehren. Das Problem läge, wie kann es anders, beim System.
Wenn Sie erwarten, daß ich nun in Wutanfällen ausbrechen oder laut schreiend die Gegend unsicher machen würde, irren Sie sich. Gefühle von Unwissendheit, Mitleid und Sorge mischten sich mit Gedanken wie: das kann jedem (System) passieren. Also: keine Wut, keine Schadenfreude, keine Schimpfkanonade.
Was bleibt, ist eine Frage. Nämlich: was stand eigentlich in dem Blog das mir vom System aus verweigert wurde einzusehen? Eine schöne Erzählung? Eine Kurznovelle vielleicht? Eine Fotoreportage wie so oft in dieser digitalen Umgebung? Oder sogar eine wichtige Mitteilung der Frau X. die zu wissen gibt, daß es um die Erkältung von gestern gar nicht gut steht?
Niemals, vermute ich, werde ich es wissen. Sei es drum. Es bleibt genügend anderes Lesenswertes übrig, hier in dieser angenehmen Blog-Gegend.
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Freitag, 21. Oktober 2011
Bagatelle 129 - Pluralitäten
terra40, 20:42h
Heute, sagte der freundliche Lehrer in einer meiner ersten Deutschstunden, heute lernen wir etwas über Einzahl und Mehrzahl. Heute lernen wir auch etwas über deutsche persönliche Fürwörter. Seht euch bitte die folgende Reihe an:
ich fliege
du fliegst
er fliegt
sie fliegt
es fliegt
---------
wir fliegen
ihr fliegt
sie fliegen
Was haben wir heute gelernt? fragte uns der noch immer freundliche Lehrer nach einer dreiviertel Stunde. Nun: es gibt Einzahl (über den Strich) und Mehrzahl (unter dem Strich) und sowohl über als unter dem Strich gibt es jeweils drei Personen: eine erste Person, eine zweite Person und eine dritte Person.
Und dann fingen wir an fröhlich und feste zu üben:
Verb: laufen - erste Person Einzahl: ich laufe
Verb: trinken - zweite Person Mehrzahl: ihr trinkt
Nachher hab' ich viel nachgedacht über die fremden ersten und letzten Sätze des Lehrers: heute lernen wir / heute haben wir gelernt. Wieso 'haben wir'? Der Lehrer hätte doch sagen sollen: heute lernt ihr, und: heute habt ihr etwas gelernt. Wieso denn 'wir'? Der Lehrer selber hat nichts gelernt. Er wußte alles ja schon.
Tatsache ist, daß es viele verschiedene Pluralformen gibt, viele Möglichkeiten um sprachlich zu betonen daß es nicht um Einzelfälle geht, sondern mehrere Personen betrifft, mindestens zwei. Obwohl ich kein Latein kann, kenne ich einige lateinischen Fachausdrücke. (Und wenn sie nicht existieren, erfinde ich sie eben.) Ob sie stimmen, ist eine andere Frage. Man möge mich korrigieren, falls nötig.
Der pluralis realis ist die meist einfache und verständliche Mehrzahlform. Wenn meine geehrte Nachbarin mit ihrer Tochter in die Aldi geht um Einkäufe zu machen, sagt sie: wir fahren heute morgen etwas früher als sonst. Wir verstehen vollkommen was sie meint. Es ist wahr obendrein. Sie geht und ihre Tochter geht auch. Grund genug für den wir-Gebrauch.
Nehmen wir an, daß meine Nachbarin, beruflich gesehen, eine geschätzte Arzthelferin ist. Oder eine Schwester im hiesigen Ortskrankenhaus. Manchmal sagt sie zu einem Patienten: Jetzt wollen wir uns mal auf die andere Seite legen. Und das, wo sie keinen Augenblick daran denkt sich an der Seite des Patienten auf das Krankenhausbett nieder zu lassen. Diese Form, in Krankenhauskreisen oft zu hören, nennen wir den pluralis charitatis. Wenn die Schwester von 'wir' redet, meint sie immer núr die anderen und schließt sich selber total aus.
Unsere Königin Beatrix verwendet in ihren Reden oft den pluralis majestatis. Heute, sagt sie, haben wir ein Gesetz unterzeichnet, daß es dem Landesfürsten verbietet mehr als zwei Mal im einem Gesetzestext das Wort 'wir' zu verwenden. Nur sie, und sie alleine, hat das gesetzliche Vorhaben unterzeichnet. Deshalb ist etwas unwahrhaftiges daran zu sagen daß 'wir' ein Gesetz von einer Signatur versehen haben. Sie hätte sagen können: ich habe soeben ein Gesetzt unterzeichnet. Und damit basta. Ehrlich, aufrichtig, deutlich und frei von etwaigen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten.
Eine Modifizierung des pluralis majestatis ist der pluralis papam. Ausschließlich dem Heiligen Vater vorbehalten. Er darf sagen ohne mißverstanden zu werden: wir haben von der Missetaten erfahren, von denen die Bewohner dieser Gebirgsgegend so tief getroffen sind. Zwar liegt vieles dann noch im Unklaren, aber der Satz ist nicht unbedingt falsch.
Weltverbesserer und andere Freiluftfanatiker verwenden möglichst oft den pluralis pastoralis. Das ist eine Redensart wobei man wie ein Priester, ein Pfarrer oder ein sonstiger Geistlicher mit Nachdruck sich selbst samt allen Zuhörern einschließt. "Wir sind alle Sünder" und "Indem wir zu viel konsumieren vernichten wir die Umwelt." Jawohl, es geht uns alle an und jeder von uns (ich selber nicht ausgenommen; vielleicht ich noch am meisten, sagt der Pastor) sollte sich deswegen schämen. Diese Pluralform hat beides: etwas tröstendes und etwas belehrendes-vorwerfendes.
Manche benutzen mit Vorliebe und Absicht den pluralis modesticus, den Bescheidenheitsplural. Viele, ihr ergebener Bagatellenschreiber sicher nicht ausgeschlossen, hassen es immer wieder das Wort 'ich' in den Mund zu nehmen. Es riecht nach Eigendünk und Egoismus, immer dieses 'ich'. Darum ersetzen wir das 'ich' durch das sanftere 'wir'. Der am Ende schließlich geschriebene Satz lautete: 'Seit langem hatten wir uns vorgenommen die liebe Tante Agatha in Wolfenbüttel zu besuchen.' (Während jeder weiß, daß es besser und richtiger gewesen wäre zu schreiben: Es wurde allmählich wirklich Zeit daß ich die Tante Agatha in W. wieder mal aufsuchte.) Zu Recht oder Unrecht ziehen wir das 'wir' dem 'ich' vor.
Sie haben recht: das 'wir' ist sanfter. Es verbreitet einen angenehmen Hauch von Zusammengehörigkeit.
Schließlich gibt es auch noch den pluralis terracidus. Das ist eine Pluralform welche ohne Erklärung oder Beweisführung auskommen muß. Die Form ist von einem gewissen Terra entwickelt worden. Der versucht hiermit seine groben Unkenntnisse der deutschen und lateinischen Sprache zu verniedlichen. Das müßte eigentlich strengstens verboten werden. Aber wir möchten hier Gnade vor Recht gelten lassen.
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Freitag, 14. Oktober 2011
Bagatelle 128 - Vom Winde verweht
terra40, 23:13h
Vor einiger Zeit gingen wir (Eltern die von ihrem jüngsten Sohn einen Kinogutschein geschenkt bekommen hatten, sonst wären dieselbigen Eltern (aus Faulheit) nicht gegangen) wieder mal ins Kino. Wir sahen und hörten wie ein Englischer Monarch mit seinen Sprachschwierigkeiten rang. (Unter uns: ein sehr sehenswerter Film. Hoffentlich wird die Originalfassung niemals ins deutsche nachsynchronisiert, sonst würde zwar nicht das Herz, aber sicherlich eine Niere aus dem Film geschnitten.) Wie auch immer, dieser Kinobesuch, zusammen mit einigen Blogger-de-Beiträgen über Film und Kino, waren ein guter Anlaß nachzudenken über die ersten Begegnungen mit der filmischen Welt.
Es war nur ein kleiner Schritt: von hier nach dort. 'Hier' ist der Bürgersteig vor meinem Elternhaus; 'dort' ist der Seiteneingang des einzigen Hotels annex Gastwirtschaft (mit Namen: 'Das Wappen von Oldenburg') in unserem Dorf und zugleich Haupteingang des einzig und alleine herrschenden Dorfskinos. In zwei Minuten rannte ich von hier nach dort. Mein Vater, der meistens die öffentliche Straße benutzte, brauchte, ziemlich feierlich gehend, die dreidoppelte Zeit.
Am Samstag und Sonntag konnte man ins Kino. Jeweils um 20 Uhr. Die Kosten betrugen für mich fünfzig Cents. Mein Vater war so gut sie zu übernehmen. Das konnte er sich auch leisten, denn er selber hatte immer freien Zutritt. Er war vom Gemeinderat beauftragt worden darauf zu achten daß Jungens wie ich keine Filme sahen die nicht oder weniger jugendfrei waren. Das tat er auch gewissensvoll, drückte aber oft ein Auge zu.
Die dörfliche Filmvorführung war die einzige semi-offizielle Gelegenheit die pünktlich um acht begann. Sonst (beim jährlichen Konzert des Männer Gesang Vereins zum Beispiel) fing man immer ein Viertelstündchen oder sogar eine halbe Stunde später an. Nicht so beim Kino.
Fünf vor acht hatten alle (meistens so um die fünfzig Personen) sich im Kinosaal versammelt. Die erste Reihe wurde besetzt von einer Gruppe Jungen die laut davon Kund taten daß sie auch wieder anwesend waren. Hinter ihnen klaffte eine publikumsfreie Zone. Dann kamen die Reihen mit interessierten Dörflern, alte und junge, Frauen und Männer. Alle waren sichtlich vergnügt und genossen der Vorfreude. Pünktlich um acht ertönte der Gong. Das Licht erblaßte, der Vorhang verschwand nach links und rechts und die Gespräche verstummten.
Zuerst sahen wir die in Film festgelegten Nachrichten. Die aus eigenem Lande und danach weltweit. Die meisten Bilder bezogen sich auf Ereignisse die schon Monate zurück lagen, aber das störte keinen. Anschließend offerierte uns die Projektionslaterne als Vorgeschmack einen einladenden Teil des Filmes der kommende Woche. Worauf wir uns alle besannen auf die Frage warum wir gerade héute gekommen waren und besser bis nächste Woche hätten warten sollen.
Manchmal, wenn die Zeit reichte und der Hauptfilm nicht allzu viel Zeit forderte, gab es einen unerwarteten Kurzfilm. Meistens einen richtigen Charly Chaplin-Komödienstadel oder ein amüsantes Stan Laurel und Oliver Hardy-Abenteuer wobei die beiden umsonst versuchten ein Klavier eine steinerne Treppe hinauf zu schleppen. Sehr und laut mußte ich immer darum lachen, auch wenn es schon das dreizehnte Mal war daß diese Folge gesendet wurde.
Dann kam der Hauptfilm. Aber vorher war eine Pause angesagt. Jeder der mußte ging auf die Toilette, auch diejenigen die nicht mußten. Der Rest ließ sich von der Ehefrau des Kinobesitzers ein Eis oder eine Tüte Erdnüsse verkaufen.
Einige Filme die ich damals gesehen habe, sind mir bis auf den heutigen Tag nicht aus dem Gedächtnis gegangen. Der erste Film, von dem ich mich erinnere ihn gesehen zu haben, war eine Geschichte mit dem englischen Komiker Georg Formby. Er ist mir beigeblieben weil der Formby ungemein virtuos das Banjo bespielte. Weiter natürlich die Stan und Ollie-filme, aber darüber hatten wir schon geredet. Von Charly Chaplins City Lights ist die Szene mit dem Kaninchenpfötchen (wodurch Boxer untouchable werden) unvergessen. Dann natürlich die Klassiker: Casablanca, The Third Man, Citizan Cane, und Gone with the wind. Nicht zu vergessen sind auch noch die Streiche des Don Camillos und sein Kompan Peppone. Auch nicht der Individualist Monsieur Hulot der während seiner Ferien, in den Jours de Fête und als fliegender Postbote alle Probleme zu lösen versuchte.
Vielleicht merken Sie, genau wie ich jetzt beim auflisten, daß keine deutsche Filme dabei sind. Und das wo das Kino in unserem Grenzdorf kein Kilometer von Deutschland entfernt war. Ursache ist der Zeitgeist: der Krieg lag nur einige Jahre hinter uns und deutsche Filme waren damals nicht sehr populär. Die große Zeit der Sissi-Filme war noch nicht angebrochen.
Viertel nach Zehn kam ich nach Hause. Wie bei der Hinreise legte ich die Strecke im Rekordtempo zurück. Die Haustür ließ ich offen für den Vater, der über den Normalweg und in abgemessenem Gange nach Hause schritt. Manchmal lächelte er leise. Überrascht von einer brillanten Tati-Szene oder noch immer beeindruckt von der blendenden Schönheit der Sophia Loren. Denn - wieder unter uns - mein Vater mochte gerne eine schöne Frau sehen. In natura, aber auch auf der Leinwand. Übrigens, sein Sohn war kein Haar besser.
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Freitag, 7. Oktober 2011
Bagatelle 127 - Himmelsrichtungenfotografie
terra40, 13:32h
Nein, ich mag sie nicht: diese Panoramabilder die heutzutage fast jede Digitalkamera auf Wunsch produziert. Abscheulich, diese grausame Versuche alles 360 Grad sehbare auf einmal in einem Bild festhalten zu wollen. Verwerflich, diese krummgezogene Fassaden in einem fast unzulässigen Versuch Übersichtlichkeit und Räumlichkeit zu vermitteln. Wenn schon die Digitalfotografie imstande ist natürliche Eigenschaften alles Abgebildete zu vertuschen, wir sollten sie nicht noch weiter ermutigen die Welt rundum so ekelhaft darzustellen. (Über das völlig unsinnige, ja unselige 3D-Phänomen schreib ich lieber nicht, sonst rege ich mich zu viel auf und das, sagt meine Kardiologin, sei schlecht fürs Herz.)
Kritik alleine hilft einem nicht weiter, also biete ich Ihnen eine Alternative. Gerne möchte ich an Hand eines Beispiels Werbung machen für die bisher noch ziemlich unbekannt gebliebene Himmelsrichtungenfotografie. Sie stellen sich hin auf einem selbstgewählten Fleckchen Erde, ungeachtet wo und wann, und machen sage und schreibe vier (4) Bilder, nicht mehr oder weniger, eins in jede Himmelsrichtung. Einfacher und besser geht's nicht.
Das folgende Beispiel stammt aus März 2010; die vier Bilder sind höchstpersönlich von mir gemacht worden, etwa vierhundert Meter von meinem Wohnsitz entfernt. Immer vom selben Standpunkt aus. Nur bewegte der Fotograf sich nach jedem Bild 90 Grad nach rechts.
Bild 1. Richtung Osten
sehen wir den schön restaurierten Bauernhof einer fast-Nachbarin. So hinter den Erlen und anderem Gewächs eine Augenweide.
Bild 2. Richtung Süden
ein außerordentliches Naturphänomen. Zwei junge Eichen haben sich zu einander bekannt und standesamtlich erklärt bis ihnen der Tod scheidet zusammen durchs Leben gehen zu wollen. Seht bitte wie sie die Arme um einander schlagen!
Bild 3. Richtung Westen
läßt sich die halb-unterirdische Wohnung unseres berühmten Nachbars und zugleich Gartenarchitekten Harry E. bewundern. Wunderbar, mit einem gerade angelegten Teich der alles Regenwasser auffängt. Im Hintergrund, kaum sichtbar aber tatsächlich anwesend, eine alte Windmühle. Und im Sommer überall Kornblumen blau. Dann und wann mäht ein Roboter die Wiese auf dem Dach.
Bild 4. Richtung Norden
ein Bauwerk aus metallenen, mit einander verbundenen Röhren und darüber ein Assortiment Wahlplakate in Kunststoff. Man wirbt für die niederländische Arbeiterpartei. (Ob es der Partei geholfen hat, weiß man nicht, denn nach zwei Tagen hat ein Westersturm den Turm weggefegt. Ein schlechtes Omen also.)
Zusammenfassend kann man die Vorteile der Himmelsrichtungenfotografie nicht länger leugnen. Es braucht nur vier Aufnahmen, erfordert keine unnötigen Wanderungen um den besten Standplatz auszumachen, und das wichtigste von allem: man lernt wieder (ein) zu sehen wie ungemein schön die Gegend ist!
Auch der Beweis der Authentizität der Bilder kann ich Ihnen liefern. Innerhalb fünf Minuten wurden diese Aufnahmen gemacht an einem Dienstag, den 2. März 2010, morgens zehn nach zehn. Sie mögen es überall nachfragen. Weil Sie darauf beharren, liefere ich Ihnen sogar die Koordinaten: 51º 54' 03'' Nord; 6º 30' 39'' Ost.
Kritik alleine hilft einem nicht weiter, also biete ich Ihnen eine Alternative. Gerne möchte ich an Hand eines Beispiels Werbung machen für die bisher noch ziemlich unbekannt gebliebene Himmelsrichtungenfotografie. Sie stellen sich hin auf einem selbstgewählten Fleckchen Erde, ungeachtet wo und wann, und machen sage und schreibe vier (4) Bilder, nicht mehr oder weniger, eins in jede Himmelsrichtung. Einfacher und besser geht's nicht.
Das folgende Beispiel stammt aus März 2010; die vier Bilder sind höchstpersönlich von mir gemacht worden, etwa vierhundert Meter von meinem Wohnsitz entfernt. Immer vom selben Standpunkt aus. Nur bewegte der Fotograf sich nach jedem Bild 90 Grad nach rechts.
Bild 1. Richtung Osten
sehen wir den schön restaurierten Bauernhof einer fast-Nachbarin. So hinter den Erlen und anderem Gewächs eine Augenweide.
Bild 2. Richtung Süden
ein außerordentliches Naturphänomen. Zwei junge Eichen haben sich zu einander bekannt und standesamtlich erklärt bis ihnen der Tod scheidet zusammen durchs Leben gehen zu wollen. Seht bitte wie sie die Arme um einander schlagen!
Bild 3. Richtung Westen
läßt sich die halb-unterirdische Wohnung unseres berühmten Nachbars und zugleich Gartenarchitekten Harry E. bewundern. Wunderbar, mit einem gerade angelegten Teich der alles Regenwasser auffängt. Im Hintergrund, kaum sichtbar aber tatsächlich anwesend, eine alte Windmühle. Und im Sommer überall Kornblumen blau. Dann und wann mäht ein Roboter die Wiese auf dem Dach.
Bild 4. Richtung Norden
ein Bauwerk aus metallenen, mit einander verbundenen Röhren und darüber ein Assortiment Wahlplakate in Kunststoff. Man wirbt für die niederländische Arbeiterpartei. (Ob es der Partei geholfen hat, weiß man nicht, denn nach zwei Tagen hat ein Westersturm den Turm weggefegt. Ein schlechtes Omen also.)
Zusammenfassend kann man die Vorteile der Himmelsrichtungenfotografie nicht länger leugnen. Es braucht nur vier Aufnahmen, erfordert keine unnötigen Wanderungen um den besten Standplatz auszumachen, und das wichtigste von allem: man lernt wieder (ein) zu sehen wie ungemein schön die Gegend ist!
Auch der Beweis der Authentizität der Bilder kann ich Ihnen liefern. Innerhalb fünf Minuten wurden diese Aufnahmen gemacht an einem Dienstag, den 2. März 2010, morgens zehn nach zehn. Sie mögen es überall nachfragen. Weil Sie darauf beharren, liefere ich Ihnen sogar die Koordinaten: 51º 54' 03'' Nord; 6º 30' 39'' Ost.
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Sonntag, 2. Oktober 2011
Bagatelle 126 - Musikalischer Grenzübergang
terra40, 02:25h
In einer früheren Bagatelle habe ich Ihnen wohl mal erzählt, daß ich mehr oder weniger in zwei Welten aufgewachsen bin. Geographisch meine ich. Bis auf den heutigen Tag verläuft die Staatsgrenze zwischen Deutschland und den Niederlanden quer durch das Dorf das mich hat aufwachsen sehen. Man kann ohne Mühe Untertan der Königin Beatrix sein und mit einem Bein (sagen wir das linke) auf ihrem Territorium stehen, während sich das andere rechte Bein freut im Lande Angela Merkels festen Boden unter den Fuß bekommen zu haben. Der Hellweg heißt die Straße welche offiziell die Grenze bildet. Der Weg selber ist niederländisches Staatsgebiet, der Bürgersteig nebenan ist Deutsch. Bei uns heißt die Straße Heelweg, aber er ist derselbe.
Jetzt sind die Grenzen offen. Und manchmal hat der Besucher Mühe herauszufinden ob er sich in Holland oder in Deutschland befindet. Man sieht es an den Bauweisen der Häuser, an den komischen Verkehrsschildern, und man hört es an den leicht verschiedenen Dialekten die dies und jenseits der Grenze gesprochen werden. Aber im großen und ganzen versteht man sich. Sehr gut sogar: deutsche Kinder gehen in den holländischen Kindergarten, der deutsche Notarztwagen bringt das niederländische Verkehrsopfer zügig in ein deutsches Krankenhaus, Deutsche kaufen ihre Pillen beim niederländischen Apotheker und der öffentliche Verkehr benimmt sich zweistaatlich: Busse fahren vom Zentrum der einen deutschen Stadt (Bocholt) ins niederländische Dorfszentrum. Und kein Passagier wird stehen gelassen, ungeachtet welcher Staatsangehörigkeit.
Nicht immer verlief alles so freundschaftlich und nachbarschaftlich. Es gab Zeiten wo ein Streifen Niemandsland und hohe Stacheldrahtzäune jeden grenzüberschreitenden Kontakt zu unterbinden versuchten. Zöllner wurden beauftragt zu verhindern daß deutsche und holländische Nachbarsfrauen sich trafen und Familiengeschichten austauschten. In Kriegsjahren, aber auch in den Jahren danach. Ein kleines Grenzlandmuseum in unserem Dorf erinnert daran. Mit Bildern, Gegenständen und Geschichten. Jeder der in einer Grenzgemeinde gewohnt hat, weiß es: wo es Stacheldraht und Zöllner gibt, gibt es auch Schmuggler und Schmuggelgeschichten. Auch davon kann das Grenzlandmuseum ein Lied singen.
Über Lieder und Musik gesprochen, eines der schönsten Schmuggelgeschichten ist die nachfolgende.
Sie wissen, daß die besten und schönsten Drehorgel aus den Niederlanden und Belgien stammen. Das sind überhaupt keine kleinen Leierkasten, aber vollwertige Musikinstrumente. Mit prächtig bewegenden Figuren die auf Trommeln und Glöcklein schlagen. Mit einer geheimnisvollen Mechanik, wobei die Musik aus gestanzten und gelöcherten Büchern irgendwo im Inneren des Wagens produziert wird. Wie? Das weiß kein Mensch. Wie oft habe ich als kleiner Junge nicht staunend zugesehen, wie der Drehorgelmann durchs Rad drehen (links und rechts abwechselnd, und im passendem Tempo) die schönsten Melodien hervorzauberte! Operetten, Schlager, den Radetzkymarsch, aber auch klassische Töne! Niemals wurde Nabuccos Sklavenchor besser vertont als von einer großen Drehorgel vor unserer Haustür! Verdi hätte sich mächtig gefreut! Und wie neidisch war ich auf die Drehorgelkinder die, von Haus zu Haus gehend, um eine kleine geldliche Gabe baten, damit sie auch heute Abend wieder etwas zum Essen kaufen konnten. Sie, die Kinder, konnten sich den ganzen Tag die schönsten Melodien anhören!
Herbst 1919, nach dem ersten Weltkrieg, kam mal wieder eine Amsterdammer Drehorgel in unser Dorf. Das passierte oft. So eine große Drehorgel kam per Zug, blieb eine Woche oder so, und reiste hier bei uns von Dorf zu Dorf in der Gegend umher.
Groß war die Aufregung als die Douaniers, die Kommiesen wie wir sagten, die Zöllner also, bemerkten daß das Innere der Drehorgel zu einer geheimen Verschlußsache umgebaut worden war. Wo nur möglich hatte man in der Orgel Kilos der besten Bohnenkaffee versteckt. Man fuhr mit der Orgel über den Hellweg, überquerte die Staatsgrenze und verkaufte den Kaffee für einen guten Preis drüben in Preußen. Das war der gewinnbringende Plan, der aber scheiterte.
Zu tiefer Trauer, nicht nur der Drehorgelfamilie, sondern auch der ganzen Hellwegbelegschaft, wurde sowohl Drehorgel als Kaffeeinhalt konfisziert und beschlagnahmt. Der oberste anwesende Zöllner aber hatte ein Einsehen. Er zeigte sein gutes Herz, indem er den Drehorgelmeister noch einmal ein prächtiges Musikwerk spielen ließ, wobei seine Ehefrau noch einmal mit der Mütze in der Hand den Umstehenden um eine kleine Gabe bat. Den Erlaß durften sie behalten. So hatten sie wenigstens diesen Abend einiges zum verzehren. Ich wette, daß sie sich auch noch einen Schnaps gegönnt haben. Guter holländischer Jenever.
Auf dem Bild sehen Sie Hellweganwohner die sich zusammen mit deutschen und holländischen Zöllnern - mehrere haben ihre Uniformmützen einigen Nachbarsfrauen ausgeliehen - vor der Orgel postiert haben.
Jetzt sind die Grenzen offen. Und manchmal hat der Besucher Mühe herauszufinden ob er sich in Holland oder in Deutschland befindet. Man sieht es an den Bauweisen der Häuser, an den komischen Verkehrsschildern, und man hört es an den leicht verschiedenen Dialekten die dies und jenseits der Grenze gesprochen werden. Aber im großen und ganzen versteht man sich. Sehr gut sogar: deutsche Kinder gehen in den holländischen Kindergarten, der deutsche Notarztwagen bringt das niederländische Verkehrsopfer zügig in ein deutsches Krankenhaus, Deutsche kaufen ihre Pillen beim niederländischen Apotheker und der öffentliche Verkehr benimmt sich zweistaatlich: Busse fahren vom Zentrum der einen deutschen Stadt (Bocholt) ins niederländische Dorfszentrum. Und kein Passagier wird stehen gelassen, ungeachtet welcher Staatsangehörigkeit.
Nicht immer verlief alles so freundschaftlich und nachbarschaftlich. Es gab Zeiten wo ein Streifen Niemandsland und hohe Stacheldrahtzäune jeden grenzüberschreitenden Kontakt zu unterbinden versuchten. Zöllner wurden beauftragt zu verhindern daß deutsche und holländische Nachbarsfrauen sich trafen und Familiengeschichten austauschten. In Kriegsjahren, aber auch in den Jahren danach. Ein kleines Grenzlandmuseum in unserem Dorf erinnert daran. Mit Bildern, Gegenständen und Geschichten. Jeder der in einer Grenzgemeinde gewohnt hat, weiß es: wo es Stacheldraht und Zöllner gibt, gibt es auch Schmuggler und Schmuggelgeschichten. Auch davon kann das Grenzlandmuseum ein Lied singen.
Über Lieder und Musik gesprochen, eines der schönsten Schmuggelgeschichten ist die nachfolgende.
Sie wissen, daß die besten und schönsten Drehorgel aus den Niederlanden und Belgien stammen. Das sind überhaupt keine kleinen Leierkasten, aber vollwertige Musikinstrumente. Mit prächtig bewegenden Figuren die auf Trommeln und Glöcklein schlagen. Mit einer geheimnisvollen Mechanik, wobei die Musik aus gestanzten und gelöcherten Büchern irgendwo im Inneren des Wagens produziert wird. Wie? Das weiß kein Mensch. Wie oft habe ich als kleiner Junge nicht staunend zugesehen, wie der Drehorgelmann durchs Rad drehen (links und rechts abwechselnd, und im passendem Tempo) die schönsten Melodien hervorzauberte! Operetten, Schlager, den Radetzkymarsch, aber auch klassische Töne! Niemals wurde Nabuccos Sklavenchor besser vertont als von einer großen Drehorgel vor unserer Haustür! Verdi hätte sich mächtig gefreut! Und wie neidisch war ich auf die Drehorgelkinder die, von Haus zu Haus gehend, um eine kleine geldliche Gabe baten, damit sie auch heute Abend wieder etwas zum Essen kaufen konnten. Sie, die Kinder, konnten sich den ganzen Tag die schönsten Melodien anhören!
Herbst 1919, nach dem ersten Weltkrieg, kam mal wieder eine Amsterdammer Drehorgel in unser Dorf. Das passierte oft. So eine große Drehorgel kam per Zug, blieb eine Woche oder so, und reiste hier bei uns von Dorf zu Dorf in der Gegend umher.
Groß war die Aufregung als die Douaniers, die Kommiesen wie wir sagten, die Zöllner also, bemerkten daß das Innere der Drehorgel zu einer geheimen Verschlußsache umgebaut worden war. Wo nur möglich hatte man in der Orgel Kilos der besten Bohnenkaffee versteckt. Man fuhr mit der Orgel über den Hellweg, überquerte die Staatsgrenze und verkaufte den Kaffee für einen guten Preis drüben in Preußen. Das war der gewinnbringende Plan, der aber scheiterte.
Zu tiefer Trauer, nicht nur der Drehorgelfamilie, sondern auch der ganzen Hellwegbelegschaft, wurde sowohl Drehorgel als Kaffeeinhalt konfisziert und beschlagnahmt. Der oberste anwesende Zöllner aber hatte ein Einsehen. Er zeigte sein gutes Herz, indem er den Drehorgelmeister noch einmal ein prächtiges Musikwerk spielen ließ, wobei seine Ehefrau noch einmal mit der Mütze in der Hand den Umstehenden um eine kleine Gabe bat. Den Erlaß durften sie behalten. So hatten sie wenigstens diesen Abend einiges zum verzehren. Ich wette, daß sie sich auch noch einen Schnaps gegönnt haben. Guter holländischer Jenever.
Auf dem Bild sehen Sie Hellweganwohner die sich zusammen mit deutschen und holländischen Zöllnern - mehrere haben ihre Uniformmützen einigen Nachbarsfrauen ausgeliehen - vor der Orgel postiert haben.
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Samstag, 17. September 2011
Bagatelle 124 - Tag und Nacht
terra40, 14:30h
Die eine sagt: Ich sehe schwarze Schwäne die linksgerichtet gen Westen fliegen. Die andere erwidert: Völlig und in allen Belangen daneben. Es sind im Gegenteil weiße Gänse die nacht rechts fliegend die Geborgenheit der Nacht suchen.
Es ist tatsächlich - buchstäblich - ein Detail einer berühmten Zeichnung von Maurits Escher die er Tag und Nacht genannt hat. Dabei geht es, unserer Meinung nach und daher nicht unbedingt der Wahrheit entsprechend, nicht um den Gegensatz schwarz-weiß, hell-dunkel oder Tag versus Nacht. Das wirkliche Wichtige sind die fließenden Übergänge. Wie eine Gestalt: das Ganze ist mehr, besser, größer und wichtiger als die Summe der einzelnen Teile.
Eigentlich mag ich die Werke Eschers nicht sosehr. Unbestritten (sagt der Laie) seine großartigen künstlerischen Fähigkeiten. Aber, so sagt der Laie wiederum, beim Betrachten dieser zu sehr bedachten Landschaften muß ich zú viel nachdenken. Und jedesmal überfällt einem der Gedanke: ich werde aufgefordert zu sehen wie subtil und schön Tag und Nacht in einander übergehen. Gibt es sonst noch etwas was ich sehen sollte, was ich aber (ohne Hilfe des Schöpfers oder anderer Sachverständige) aus mir selbst nicht sehe? Das Bild als Aufgabe, als puzzel also. Und das mag ich nicht.
Zwei Anmerkungen am Rande noch, wenn Sie gestatten. Die erste betrifft die Relation zwischen Original und Reproduktion. Eschers Zeichnungen und Stiche sind tausendfach reproduziert. (Vielmals als Blätter in einem "Kunst"kalender.) In sehr verschiedenen Maßen auch noch. Wie gut ist es dann, wenn man in der Lage ist, so wie ich vorige Woche in einer Exposition im Nord-Holländischen Haarlem, das Original bewundern zu können. Man wird wieder daran erinnert wie groß die Unterschiede zwischen echtes und nachgemachtes sein können. Obwohl die Qualität der Reproduktionen heutzutage sich sicher sehen lassen kann. Schade nur daß Eschers Zeichnungen sich oft spiegelnd verbergen lassen müssen hinter Glas. Reflektionen und Spiegelungen kommen einem beim Betrachten in die Quere.
Die zweite Bemerkung betrifft die Ähnlichkeit zwischen zwei Aktivitäten: das Lesen eines Buches und das Betrachten eines Kunstwerkes. Beide sind so wohl rezeptiv als produktiv zu sehen. Wenn wir Eschers Zeichnung sehen, konstruieren wir sozusagen unser eigenes Bild. Das gilt auch für's Lesen. Wir empfangen nicht nur was uns ein Autor (oder ein Graphiker usw.) anbietet. Wir entwerfen beim lesen und sehen unsere eigene Wirklichkeit. Wir sind selber (kleine) Schöpfer.
Hier unten noch zwei (von mir fotografierten) Details vom Original. Wir sehen den Hafen im Tageslicht und den anderen Hafen bei Nacht. Um zu zeigen wie großartig fachmännisch alles gezeichnet ist. Und auch um zu beweisen wie auf manchen Reproduktionen vieles nicht sichtbar ist.
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