Donnerstag, 13. Mai 2010
Peitschenhieb und Schlagbaum
terra40, 00:17h
“Une coupe de fouet”, sagte der Arzt, zugleich die Gelegenheit nutzend seine Französischkenntnisse zu demonstrieren. “Anders gesagt: ein Peitschenhieb. Das bedeutet für Sie: Physiotherapie und ein paar ruhevolle, bewegungskarge Wochen. Ich rate dringend das Benutzen zweier Ellbogenkrücken.” Ich ergebe mich dieser medizinischen Diagnosen, denn wer bin ich um überhaupt eine contraire Meinung vertreten zu wollen, und schließlich: der Mann hat recht. Ich hatte mir den Peitschenhieb – eine ziemlich peinliche Muskelverletzung - während meiner wöchentlichen Partie Rekreantenvolleyball zugezogen.
In jenen Tagen, wir schreiben das Jahr 1978, studierte ich Psychologie an der Uni in Nimwegen. Ich wohnte wo ich jetzt auch noch wohne, in südöstlichen, niederländischen Gefilden, auf dem échten Plattelande. Der PKW, mit dem ich die tägliche Reise machte, war ein milchweißer Citroën Deux Chevaux, ein 2CV, eine Ente also. Noch immer schreibe ich den Namen vorzugweise in großen Buchstaben, denn das verdient meine Ente.
Meistens vermied ich die Autobahn und entschloß mich für die schmaleren, häuslicheren Wege. Eine kleine Wegstrecke bis zur Grenze, dann der Weg nach Emmerich, dort über die Rheinbrücke und weiter über Kleve und Kranenburg nach Nimwegen wo die ganze Belegschaft des Psychologischen Laboratoriums mich jeden Morgen mit Freuden begrüßte.
Zwei Wochen später, nach einer physiotherapeutischen Behandlung die mir sehr gut bekommen ist, schließe ich vorsichtig die Tür der Praxis hinter mir zu. Bewappnet mit meinen zwei Krücken überquere ich die Straße und wende mich meiner bereitstehenden Ente zu. Die Krücken leg’ ich auf die Hinterbank. Ich öffne das Portier – Entenportiers öffnen sich immer seitenverkehrt! – drehe den Kontaktschlüssel neunzig Grad rechts, drücke auf den separaten Startknopf, worauf der Motor ohne Zögern anspringt und die Ente sich ruhig und sanftwiegelnd auf den Weg macht.
Ich bin bei strahlender Laune: der Therapeut hat gute Arbeit geleistet und der Schmerz ist nahezu verschwunden. Obendrein, es ist es prächtiges Frühlingswetter. Mir fehlen Augen und Ohren um alles schöne genau wahrzunehmen. Fast unbemerkt nähere ich mich der Grenze zur Bundesrepublik.
Der A-Strang heißt das Flüßchen das hier die Grenze zu Deutschland bildet. An der niederländischen Seite des Flusses steht das Zollhaus. Die holländischen Douaniers – wir nennen sie: Kommiezen – wohnen links im Haus, ihre deutsche Zollkollegen wohnen rechts. Der Schlagbaum streckt sich quer über die Straße. Wenn ein Passant kommt, geht einer von den Zöllnern zum Schlagbaum, kontrolliert die Papiere und hebt den Schlagbaum so daß der Deutschlandbesucher Eintritt geboten wird. Viel Betrieb ist hier nicht. Die Zollarbeit ist gering und übersichtlich. Und der einsame Radfahrer weiß meistens sich selber zu helfen.
Der deutsche Douanier hat sich eine zweite Tasse Kaffe eingeschenkt und sein niederländischer Kumpel ist gerade dabei sich eine Zigarette zu drehen, als das bizarre und unvorstellbar Unvorhersehbare geschieht. Von links kommt ein milchweißer 2CV angefahren und knallt voll auf den niedergelassenen Schlagbaum. Der krümmt sich gegen die Vorderscheibe, über das Leinendach, und weiter nach hinten. Das Auto steht still, mitten auf der Brücke. Es herrscht todesstille. Sogar die Vögel, die gerade noch den Frühling im Kopf hatten, schweigen.
Die zwei Zollbeamte sind anfänglich völlig versteinert durch das was sie sehen. Wenn der eine seine Besinnung einigermaßen zurückgefunden hat und hinaus geht, sieht er daß die Vordertür des Wagens sich öffnet, ein junger Mann aussteigt, voller Glassplitter und Blutwunden. Er holt sich ein paar Hilfsmittel von der Hinterbank. Sehr langsam geht er auf dem Zöllner zu.
Was ist mit dem Fahrer? Wie ist’s ihm zu Mute? Wir fragen es ihm nachträglich. Hören wir was er sagt. “Ein fremdes und befremdendes Gefühl kam über mich. Keine Aufregung, keine Angst, kein Schrecken. Nur ein Gefühl der Leere. Ja, ich fühlte mich leer und müde, unbeschreiblich müde. Der Schrecken kam erst als ich zu Hause meiner Frau die ganze Geschichte erzähle.
Was ich an der ganze Geschichte denkend niemals vergessen werde, ist das Gesicht des holländischen Zollbeamten der mich aus dem Wagen kommen sah. Seine Augen sagten: Daß Sie am hellichten Tage, zerstreut vielleicht aber bei vollem Verstand, ohne weiteres mit voller Kraft gegen einen Schlagbaum fahren ist schon allerhand. Aber daß Sie schon im voraus Ellbogenkrücken auf die Hinterbank gelegt haben, übersteigt vollkommen meine Vorstellungskraft.
Nachschrift: Merkwürdig ist schon daß weder die Polizei noch die Strafrichter mit ihren Kumpanen je bei diesem Vorfall eine Rolle gespielt haben. Es gab keinen Bußgeldbescheid oder richterlichen Aufruf sich mal im Gerichtsgebäude über die Angelegenheit zu unterhalten. Wohl aber bekam ich eine Rechnung vom Amt des Öffentlichen Eigentums. Eine Forderung wegen Zerstörung (und die damit verbundene Ersetzung) öffentlichen Eigentums. Die zu bezahlende Summe betrug vierhundert Gulden. Wie wir sagen: eine Rippe aus meinem Leib.
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Das hier ist der betreffende Grenzübergang. Links das Zollhaus. Wenn Sie gut schauen, sehen Sie den Schlagbaum. Das Bild ist übrigens auch aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Heutzutage gibt es offene Grenzen ohne Schlagbäume.
In jenen Tagen, wir schreiben das Jahr 1978, studierte ich Psychologie an der Uni in Nimwegen. Ich wohnte wo ich jetzt auch noch wohne, in südöstlichen, niederländischen Gefilden, auf dem échten Plattelande. Der PKW, mit dem ich die tägliche Reise machte, war ein milchweißer Citroën Deux Chevaux, ein 2CV, eine Ente also. Noch immer schreibe ich den Namen vorzugweise in großen Buchstaben, denn das verdient meine Ente.
Meistens vermied ich die Autobahn und entschloß mich für die schmaleren, häuslicheren Wege. Eine kleine Wegstrecke bis zur Grenze, dann der Weg nach Emmerich, dort über die Rheinbrücke und weiter über Kleve und Kranenburg nach Nimwegen wo die ganze Belegschaft des Psychologischen Laboratoriums mich jeden Morgen mit Freuden begrüßte.
Zwei Wochen später, nach einer physiotherapeutischen Behandlung die mir sehr gut bekommen ist, schließe ich vorsichtig die Tür der Praxis hinter mir zu. Bewappnet mit meinen zwei Krücken überquere ich die Straße und wende mich meiner bereitstehenden Ente zu. Die Krücken leg’ ich auf die Hinterbank. Ich öffne das Portier – Entenportiers öffnen sich immer seitenverkehrt! – drehe den Kontaktschlüssel neunzig Grad rechts, drücke auf den separaten Startknopf, worauf der Motor ohne Zögern anspringt und die Ente sich ruhig und sanftwiegelnd auf den Weg macht.
Ich bin bei strahlender Laune: der Therapeut hat gute Arbeit geleistet und der Schmerz ist nahezu verschwunden. Obendrein, es ist es prächtiges Frühlingswetter. Mir fehlen Augen und Ohren um alles schöne genau wahrzunehmen. Fast unbemerkt nähere ich mich der Grenze zur Bundesrepublik.
Der A-Strang heißt das Flüßchen das hier die Grenze zu Deutschland bildet. An der niederländischen Seite des Flusses steht das Zollhaus. Die holländischen Douaniers – wir nennen sie: Kommiezen – wohnen links im Haus, ihre deutsche Zollkollegen wohnen rechts. Der Schlagbaum streckt sich quer über die Straße. Wenn ein Passant kommt, geht einer von den Zöllnern zum Schlagbaum, kontrolliert die Papiere und hebt den Schlagbaum so daß der Deutschlandbesucher Eintritt geboten wird. Viel Betrieb ist hier nicht. Die Zollarbeit ist gering und übersichtlich. Und der einsame Radfahrer weiß meistens sich selber zu helfen.
Der deutsche Douanier hat sich eine zweite Tasse Kaffe eingeschenkt und sein niederländischer Kumpel ist gerade dabei sich eine Zigarette zu drehen, als das bizarre und unvorstellbar Unvorhersehbare geschieht. Von links kommt ein milchweißer 2CV angefahren und knallt voll auf den niedergelassenen Schlagbaum. Der krümmt sich gegen die Vorderscheibe, über das Leinendach, und weiter nach hinten. Das Auto steht still, mitten auf der Brücke. Es herrscht todesstille. Sogar die Vögel, die gerade noch den Frühling im Kopf hatten, schweigen.
Die zwei Zollbeamte sind anfänglich völlig versteinert durch das was sie sehen. Wenn der eine seine Besinnung einigermaßen zurückgefunden hat und hinaus geht, sieht er daß die Vordertür des Wagens sich öffnet, ein junger Mann aussteigt, voller Glassplitter und Blutwunden. Er holt sich ein paar Hilfsmittel von der Hinterbank. Sehr langsam geht er auf dem Zöllner zu.
Was ist mit dem Fahrer? Wie ist’s ihm zu Mute? Wir fragen es ihm nachträglich. Hören wir was er sagt. “Ein fremdes und befremdendes Gefühl kam über mich. Keine Aufregung, keine Angst, kein Schrecken. Nur ein Gefühl der Leere. Ja, ich fühlte mich leer und müde, unbeschreiblich müde. Der Schrecken kam erst als ich zu Hause meiner Frau die ganze Geschichte erzähle.
Was ich an der ganze Geschichte denkend niemals vergessen werde, ist das Gesicht des holländischen Zollbeamten der mich aus dem Wagen kommen sah. Seine Augen sagten: Daß Sie am hellichten Tage, zerstreut vielleicht aber bei vollem Verstand, ohne weiteres mit voller Kraft gegen einen Schlagbaum fahren ist schon allerhand. Aber daß Sie schon im voraus Ellbogenkrücken auf die Hinterbank gelegt haben, übersteigt vollkommen meine Vorstellungskraft.
Nachschrift: Merkwürdig ist schon daß weder die Polizei noch die Strafrichter mit ihren Kumpanen je bei diesem Vorfall eine Rolle gespielt haben. Es gab keinen Bußgeldbescheid oder richterlichen Aufruf sich mal im Gerichtsgebäude über die Angelegenheit zu unterhalten. Wohl aber bekam ich eine Rechnung vom Amt des Öffentlichen Eigentums. Eine Forderung wegen Zerstörung (und die damit verbundene Ersetzung) öffentlichen Eigentums. Die zu bezahlende Summe betrug vierhundert Gulden. Wie wir sagen: eine Rippe aus meinem Leib.
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Das hier ist der betreffende Grenzübergang. Links das Zollhaus. Wenn Sie gut schauen, sehen Sie den Schlagbaum. Das Bild ist übrigens auch aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Heutzutage gibt es offene Grenzen ohne Schlagbäume.
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