Samstag, 12. Februar 2011
Bagatelle LXLI - Uhrzeit


Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir
Wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr.


So komponierte einst Carl Loewe und so sang einst der Bariton Hermann Prey, weltweit mit Abstand der beste deutsche klassische Sänger unter den Sängern die dauernd an einer Erkältung leiden. Jeder kennt das Lied, ins besondere die Mitglieder der deutschen Liedertafel und die der westeuropäischen Männergesangsvereine. Und bei dem zweiten Satz denken alle daran wie intelligent der Dichter das Sehen (genau seh ich ..) und das Hören (es geschlagen habe ..) vereint hat.

Wie hilflos ist der Mensch, wenn er nicht irgendwo die genaue Uhrzeit ablesen oder abhören kann! Darum findet sich in jedem Hauszimmer, an und in jedem Gebäude, an allen Haushaltsgeräten, kurzum: in jedem Lebensbereich eine Uhr. Analog oder digital, mit einem römischen Zifferblatt verziert oder schlicht Ziffern andeutend, der Sonne folgend oder hinunter fallend wie Sandkörner in einem Glas. Man läßt uns keine Ruh’. Die Zeit drängt sich unaufhaltsam auf. Wir kommen nicht drum herum.

Vor Jahren habe ich der Zeit einen Streich gespielt. In meinem Arbeitszimmer, wohlgemerkt Zimmer 2.28 zweiter Stock, wo immer frische Blumen die Atmosphäre aufhellten und frohe Gedanken freikommen ließen, befand sich eine kleine Wanduhr. Eines Tages habe ich, so zwischen den Arbeiten hindurch, gezählt wie oft ich auf die Uhr schaue. Nur aus Angewohnheit, denn es drängte mich niemand. Und als wäre das nicht schon genug, wie oft drehte sich mein Kopf in Richtung meiner linken Hand. Dort wo sich die Armbanduhr aufhielt! So genau hab’ ich nicht gezählt, aber es würde mich nicht wundern, daß es sechzig Mal in einer Stunde war.

Der Beschluß war schnell gefaßt. Ich verbannte die Wanduhr in eine stille unauffällige Ecke, wo sie von niemandem gesehen werden konnte. Und ich entfernte meine Armbanduhr. Für ewig und immer. Bis auf den heutigen Tag ist sie nicht wieder auf ihren Platz zurückgekehrt. Ich vermute daß es etwas mit dem Zeitgeist zu tun hat.

Nein, ohne Scherz, Sie werden mich niemals sehen mit einer Armbanduhr. Weder links noch rechts, weder digital oder analog. Weder an Sonn- und Feiertagen, noch an sonstigen Ruhetagen. Und das schönste von der Geschichte ist: ich vermisse sie nicht. Den Streich habe ich der Zeit gespielt.

Aber, werden Sie fragen, was macht er wenn er unbedingt die genaue Uhrzeit wissen muß? Nun, werde ich antworten, wenn ich mich außerhalb der menschlichen Gesellschaft befinde, mitten auf der Lüneburger Heide zum Beispiel, gibt es keinen Grund genau zu wissen wie spät es ist. Und wenn: schau auf die Sonne oder vermute wo sie sich hinter den Wolken verbirgt.
In dem anderen Fall, wenn ich in der Nähe menschlicher Kreaturen bin, frage ich den ersten besten nach der genauen Zeit. Und weil alle anderen stets eine Uhr bei sich tragen, kann jeder dem ich begegne mir sagen wie die Glocke geschlagen hat.

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Das ist die Altersweisheit.
Ich bin noch nicht soweit, da ich sie noch trage. Aber immerhin schaue ich seit längerem nicht mehr drauf. So gesehen habe ich mich zumindest geistig von Zeit ist Geld getrennt. Der jüngere Mensch aber kennt heutzutage ohnehin keinen Sonnenstand mehr, ihm reicht ein Navigationsgerät.

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Zeit und Alter
Es gibt diesbezüglich drei Kategorien, denke ich mal. (1) Ältere Menschen die nichts mit den Digitalneuheiten anfangen können und sich verbittert abwenden, (2) Ältere die sich von den neuesten digitalen Neuigkeiten umringen und verwöhnen lassen, und (3) Ältere die denken daß sie all diese digitale Änderungen ignorieren können. (Es wird meine Zeit wohl dauern.)
Ich gehöre zu keiner dieser Kategorien: ich bin noch nicht só alt.
Gruß, T.

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