Mittwoch, 23. Februar 2011
Bagatelle LXLII - Der Tod mit Sense und Rechen
Wenn Sie mögen, erzähle ich ihnen gerne eine zwar bizarre, aber wahrgeschehene Familiengeschichte. Dazu hohl’ ich mir zuerst den alten hölzernen Heurechen aus der Scheune und stelle ihn schräg gegen die Scheunetüre, Stiehl nach unten und Zähne nach oben, damit alle sich an ihr Bild erfreuen können.



Mein Großonkel Wilhelm (schlicht Onkel Willem genannt), Bruder meines Großvaters Heinrich (Hendrik) väterlicherseits, war in seinen jungen Jahren ziemlich schroff, brutal, laut und vorlaut. Viele Jahre später, nach zwei Weltkriegen, zwei Ehen (beide 25-jährig!) und zwei im Kriege gestorbenen Söhnen, als ihn das wirkliche Leben also eingeholt hatte, wurde er milder und stiller. Die folgende Geschichte spielt in seinen jungen Flegeljahren.

Die Heuerntezeit ist gekommen. Jeder auf dem Bauernhof – auch die Nachbarn sind gefragt - der eine Sense oder einen Rechen tragen kann, ist aufgefordert beim Heu machen zu helfen. In der Mittagspause, nachdem die Frauensleute das Essen gebracht haben und sich mit den wenigen Überbleibseln auf den Heimweg machen, legt sich mancher im Schatten der Bäume zum schlafen. Wißt ihr, sagt der junge Willem, daß man im stehen schlafen kann? Auch hier im freien Felde? Ich werde es euch zeigen.

Willem benutzt seinen Heurechen. Er drückt den Stiel fest in den Boden, sodaß die Zinken gen Himmel zeigen. Etwas schräg steht der Rechen als Willem seinen Kopf dorthin steckt, wo sich der Stiel in zweien verzweigt. Er bildet, zusammen mit dem Rechen und dem Boden worauf beide stehen, quasi ein Dreieck. Willem schließt die Augen und hält sich schlafend. Alle die ihm zusehen, lachen laut. Bis nach einer Weile die Nachbarsfrau sagt: Jetzt ist’s genug Willem. Hör damit auf. Aber Willem reagiert nicht.



Nein, Willem gibt keinen Ton mehr. Die Blutgefäße links und rechts in Hals und Nacken sind vom verzweigten Rechenstiel völlig abgeklemmt. Um ein Haar ist Willem bewußtlos. Glücklicherweise fällt er samt Rechen seitlich auf den Boden, (eine Windböe, eine kluge Nachbarsfrau die ihn umstößt?) wobei sein Kopf von der Umklemmung befreit wird. Das Lachen und Prahlen ist ihm ergangen.

’Man kann schmerzhaft und schmerzlos sterben,’ sagte Onkel Willem später. ’Das zweite ist mir fast passiert: damals in der Heuernte, mit dem Heurechen.’ Der Tod kommt manchmal still und leise. Der Totenmann kommt manchmal mit Sense únd Rechen.

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Ich mag Ihre Geschichte sehr und es beindruckt mich immer wieder, wie Sie mit wenig Worten Grosses erzählen können. Und der Onkel Willem würd's Ihnen danken, auf solch charmante Weise für die Ewigkeit "erhalten" zu bleiben.
Ich trage übrigens eine Uhr, die ich von meinem Vater geerbt habe, nicht so sehr, um an ihr die Zeit oder das Datum abzulesen, sondern einfach weil sie schön ist und mich mit ihrer goldenen Schlichtheit erfreut.

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Danke
sagt ihnen - mit Gruß - Terra

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