Sonntag, 19. Februar 2012
Bagatelle 148 - Taiga
Zwölf Jahre alt war ich, als meine Eltern sich entschlossen ihre Büchersammlung noch mehr zu erweitern, indem sie sich auf eine Bücher-Serie abonnierten. Das funktionierte folgendermaßen. Ein Verlag (mittelmaß, Durchschnittsautoren und zweitrangige Bücher) hatte ein Vier-Bücher-Jahres-Kombi im Angebot, wobei eins der Bücher dreimonatlich pünktlich an unsere Hausadresse versandt wurde. Man war zu der Auswahl des Verlages verurteilt: im voraus wußte man nur den Titel und den Autor. Meistens waren es biedere Romane und unschuldige Familiensagas. Keine Literatur, aber unterhaltsame Lektüre; nicht unbedingt schlecht, aber auch nicht imponierend gut.

Der Wunsch diese Sorte von Büchern im Regal zu haben, stammte von meiner Mutter. Mein Vater hielt es aus verschiedenen Gründen mehr auf etwas Gehobeneres, was immer das auch sein mochte. Er wollte es aber der Mutter, die bei uns im Haus immerhin alles Finanzielle regelte, nicht verweigern.
Meine Mutter war eine Leserin die sich jeder Autor wünscht. Wenn am Montagmorgen die Nachbarsfrauen ihre Wäsche sammelten um diese in der Waschmaschine zu reinigen, nahm meine Mutter den neuesten Roman zur Hand, setzte sich in ihrem Lesestuhl und ward für einige Stunden von der Erdoberfläche verschwunden. Oft passierte es, daß sie, abends angefangen, bis tief in die Nacht weiter lies um zu erfahren wie die Hauptpersonen sich schließlich in die Arme schlossen.
Zwölf Jahre war ich als die Post uns eines Tages das zweite Buch aus der diesjährigen Vierteiler besorgte. Der Titel des Werkes war schlicht und einfach: Taiga. Der Untertitel lautete: Roman aus Sibiriën.



Den Namen Taiga kannten wir nur aus den spärlichen Geographiestunden in der Grundschule. Der diensthabende Schulmeister behauptete: es sei eine Art Steppe, mit Flüssen die gen Norden flossen, mit tausenden von wehenden Birken und mit endlosen Horizonten. Da wir auch nicht wußten was eine Steppe ist, blieb vieles uns fremd. Interessant und schön fand ich jedoch die Laute aus dem Wort: das A am Ende hatte etwas weiblich Schönes und der Diphthong /ai/ konnte man fast singend aussprechen. Später bemerkte ich, daß das auch bei anderen Steppen der Fall ist. So wie bei der Pußta in Ungarn und bei den Pampas im weiten Argentinien. Lange habe ich gedacht daß auch die Paloma eine steppenartige Landschaf sei, aber das war ein Mißverständnis.

Alles im Buche Taiga war unfaßbar groß, weit und vor allem entsetzlich kalt. Die Zahl der Birken, die zu tiefst sinkende Temperaturen im Winter, die Schneehöhe, die Entbehrungen der Gefangenen im Lager. Nach dem Lesen des Buches wurde ich von einer Kälte überfallen die mich bis heute nicht verlassen hat. Manchmal erinnert mich ein Bild an diese Kälte. Wie das Bild hier unten von einer sibirischen Panzerbrigade welche den uralten Spruch vom Morgenstunde mit Gold im Munde feiert. Das Morgenbad ist Anfang 1950 von einem Boris Fedorov (wie bekannt aus der jetzt aus der Mode geratenen sozialistisch-realistischen Schule) kaltblütig aufs Leinen abgebildet. Ein mehr zutreffendes Bild des kalten Krieges ist kaum vorstellbar.



Taiga, das Buch, hatte ich Jahre aus den Augen verloren. Viele der Bücher meiner Eltern befinden sich heutzutage in irgendeinem Bücherschrank bei uns zu Hause. Aber die Taiga war offenbar verloren gegangen. Es ging so weit, daß ich fast zweifelte an ihr Bestehen. Bis ich im Internet erfuhr, daß es in der Tat einen Autor namens Koster gibt, der seinen Roman Taiga genannt hat. Sofort hab' ich mir ein second-hand Exemplar besorgen lassen, dessen Umschlag Sie hier sehen.

Vor einigen Jahren meldetet uns unser jüngster Sohn, daß er zusammen mit einem Kollegen eine eigene Firma errichten würde. Etwas auf dem Gebiet der Informationstechnologie, Software-Entwicklung, so etwas. Wir haben ihm dazu viel Erfolg gewünscht. Eigentlich habe ich immer gedacht, daß das Unternehmen, wenn auch nicht ohne Risiko, gut gelingen würde. Er hatte die neugegründete Firma den Namen Taiga gegeben. Ohne die Geschichte des Buches zu kennen. Und ich dachte: mit solch einem Namen kann es höchstens etwas kalt werden, es wird aber niemals schief gehen.

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