Mittwoch, 30. Juli 2014
Bagatelle 234 - Applaus ohne Beifall



Der Sturm der Entrüstung über die Flugkatastrophe mit der MH17 in der Ukraine ist noch längst nicht ausgewütet, schon dringt eine neue Diskussion in unsere Gesprächsrunden hinein. Die Rede ist vom Applaudieren oder Beifall klatschen.

Wie Sie wissen, sind die Überreste der fast zweihundert niederländischen Opfer per Flugzeug nach Eindhoven gebracht worden. Von dort aus wurden die Leichnamen in einer sehr feierlichen Prozession nach Hilversum gefahren um dort identifiziert zu werden. Die ganze Prozedur wurde an drei Tagen life im niederländischen Ersten Programm übertragen, von 16.00 bis 20.00 Uhr etwa. Entlang der Autobahnen und auf Viadukten und Brücken unterwegs standen tausende Mitbürger um ihr Mitgefühl zu zeigen. Blumen wurden auf die Autos geworfen und sowohl bei der Abreise in Eindhoven als auch bei der Ankunft in Hilversum konnte man klatschender Beifall hören.




Applaus: das gegenseitige Berühren der Handoberflächen, sei es vorsichtig vornehm, leise, höflich und politisch korrekt, oder kräftig tobend und von fröhlich einstimmenden Geräuschen begleitet, kannten wir eigentlich nur aus den Opernhäusern, Theatern, politischen Jahresversammlungen und Sportplätzen. Nach einer Callas-Aria in Turandot (2. Akte) oder nach einer wunderbaren FC-Bayern-Torwartrettung in letzter Minute vereinten wir uns in stürmischem Geklatsche. (Manchmal sogar begleitet von einzelnen bravo-Rufen.)
Mancherorts wurde niemals applaudiert. Im niederländischen Parlament zum Beispiel. Oder in der Kirche, auch nicht wenn der Pfarrer eine brillante, gefühlvolle Predigt gehalten hatte welche die Herzen der Kirchgänger traf. Bei Beerdigungen war jeder Beifall unpassend und tabu.

Beifall klatschen hat zu tun, behaupte ich mal, mit Begriffen wie Bewunderung, Zustimmung, Anerkennung, Preis und Lob für erbrachte Leitungen, aber auch mit Identifikation. Wie gerne wäre sie nicht die Sopranistin die so herrlich die Verdi-Aria in den Saal hinein schleuderte! Wie gerne wäre ich nicht der Mittelstürmer der das Tor des Jahres schoss!

Das Applaudieren beim Begräbniszügen ist vom Süden zu uns geflogen, von Ländern wie Italien oder Spanien, wo die Leute sowieso eher ihre Gefühle den freien Lauf lassen. Dem Tod wird nicht applaudiert, weder dem Anlass. Man fühlt sich gleichsam mit dem Verstorbenen verwandt; man möchte seine Verbundenheit mit den Angehörigen zeigen. Man möchte trösten: sich selber unter allen Mitklatschenden und die Hinterbliebenen.

Ist ein Begräbnisapplaus notwendig oder unvermeidlich? Nein, natürlich nicht. Die Frage alleine ist eine Beleidigung für alle welche ihr Mitleid Beifall klatschend zeigen. Aber manchmal bittet die Situation uns stillschweigend zu trauern.

Eigentlich erinnert mich die Situation auch an eine Geschichte aus den ersten Jahren nach dem Kriege. (Nicht selber so erfahren, sondern erzählt bekommen vom Vater.) Pfeifen, auf den Fingern blasen und also schrille Töne produzierend, war in vielen Situationen not done und verpönt. Zum Beispiel in feierlichen Angelegenheiten und in den heiligen (Musik)hallen. Gepfiffen wurde im Theater wenn die Artisten völlig versagten und eine Anti-Vorstellung zum Besten gaben. Bis amerikanische und kanadische Soldaten, unterwegs in Europa, im Konzert nach einer gelungenen Musiknummer laut pfiffen als Zeichen der Anerkennung. Seitdem darf ruhig gepfiffen werden. Und bei Begräbnissen darf man applaudieren.


Nachruf: nach wie vor hasse ich das rhythmische Klatschen am Ende einer Darbietung, das aus dem Osten zu uns kam, aufs schärfste. Es erinnert zu viel an Marschierenden.

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