Donnerstag, 10. Mai 2018
Bagatelle 315 - Montagmorgen Vers
Jede Religion braucht ihre Rituale; ohne die kommt man offenbar nicht aus. Ich meine nicht nur die offiziellen kirchlichen Rituale und Sakramente wie die Eucharistie oder die Taufe, entweder Kindes- oder Erwachsene, ich meine auch die weniger oder mehr christlichen häuslichen Gewohn- und Gepflogenheiten. Wie zum Beispiel die Tradition bei uns früher im Elternhaus um bei jeder Mahlzeit, welcher von allen Mitgliedern der Familie beigewohnt wurde, vor und nach dem Essen ein Gebet zu sprechen.

Das nun machte bei uns meistens der Vater. Der sprach ein selbst angefertigtes passendes kurzes (etwa eine halbe Minute dauerndes) Gebet das er schnell, halblaut und ziemlich unverständlich aussprach. Das war überhaupt nicht schlimm, denn wir übrige, Mutter und Geschwister, kannten das Gebet schon. Auch jetzt, nach so vielen Jahren, könnte ich Ihnen Teile meines Vaters Gebet laut aufsagen. Die Worte sind feste in meinem Gedächtnis verankert.

Wenn alle das Essen beendet hatten, satt waren und sogar méin Teller beinahe leer war, wurde gelesen aus dem Buch der Bücher, aus der Bibel. Wir hatten zwei davon: der Vater benutzte ein dünneres Exemplar (nur das Neue Testament) und las eine spannende Kurzgeschichte von Jesus der auf dem Wasser lief. Wenn die Mutter las, nahm sie vorzugsweise den alten, dicken Bibel und las mit ihrer sanften Stimme einen Psalm von David, zum Beispiel den 23. Psalm. Von dem Herrn der mein Hirte ist. (Siehe unten.) Ich schließe die Augen und höre gleichsam ihre Worte. Auch jetzt noch kenne ich den Wortlaut.

Manchmal, an Sonntagabenden nach dem Essen, fragte die Mama mich ob ich denn wohl den Vers für Morgen kannte. Sie meinte den Gesang Vers aus dem kirchlichen Liederbuch. Jede Woche ließ uns der gnädige Herr Dorfschullehrer einen Vers aus dem Liederbuch auswendig lernen. "Etwas auswendig lernen," sagte er munter, "sei nichts verkehrtes. Es schärft das Gedächtnis und hilft auch bei anderen Schularbeiten." Sagte er.

So kam es, dass ich, ein zehnjähriger Knabe aus der vierten Grundschulklasse, dazu dringend aufgefordert vom Lehrer, mit lauter Stimme, und weit weg von jedem Verständnis, monoton aber laut, Ihnen den folgenden Montagmorgen Vers anbiete, das, in einer selbstgemachten Übersetzung, da lautet:


Ruhet meine Seele, dein Gott ist König,
die ganze Welt ist Sein Gebiet;
Alles ändert sich wenn Er’s befiehlt,
aber selber ändert Er sich nicht.

Gesang 179 (Altes Liederbuch)

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Donnerstag, 21. Dezember 2017
Bagatelle 307 - Sonntagschulweihnachtsbuch
Mit dem ersten Schnee, der übrigens dieses Jahr außerordentlich früh kam, kommen auch die Erinnerungen an früheren Weihnachtstagen. Besonders und voller Dankbarkeit denke ich dabei an die Weihnachtsfeier welche die örtliche Sonntagsschule hier im Dorf veranstaltete.

Doch, so war es. Wir gingen damals nicht nur von montags bis freitags in die dörfliche (Grund)schule, wir gingen auch sonntags. Wir saßen im selben Gebäude, in derselben Klasse, im selben Raum mit rings um uns her alle vertrauten Gesichter die wir sonst in der Woche auch sahen.
Der große aber wichtige Unterschied waren jedoch die Lehrerrinnen und Lehrer. Das Lehrpersonal sozusagen. In der Woche waren das Leute, manche liebevoll, einige weniger, die einen Beruf ausübten: das Lehramt. Am Sonntag dagegen waren es Laien welche uns Geschichten aus mehr oder weniger heiligen Büchern erzählten und fromme und fröhliche Lieder mit uns sangen. Es war die Bäckerstochter die uns von Josef erzählte der so schrecklich von seinen Brüdern behandelt wurde –während des Erzählens erschrak sie noch mehr als wir von den Missetaten der Brüder. Oder es war der Herr Lammers der sonst in einer Fabrik für eine pünktliche Handhabung der Buchhaltung sorgte, der uns von einem gewissen Daniel erzählte der unschuldig zwischen den Löwen landete. (Ich mochte die gruseligen Geschichten sehr, vor allem weil ich von vorne den guten Ablauf kannte: wir hatten in vorhergehenden Jahren alle Geschichten schon gehört.)

Ich schrieb: mit voller Dankbarkeit und dabei denke ich vor allem an die Buchbescherung an Weihnachten. Das ging so.
An einem normalen Tag in der Woche, etwa eine Woche bevor Heiligabend, versammelte sich die Sonntagsschulbelegschaft um 18.00 Uhr in der Dorfkirche. Der Küster hatte den ganzen Tag den Ofen geheizt, und weil die Kirche proppenvoll war (die Eltern waren auch eingeladen) war es meistens warm. Es wurde gesungen was das Zeug hielt: frohe Weihnachtslieder aus hellen Kinderstimmen füllten die kirchlichen Gewölbe und den Marktplatz rings herum der Kirche. Dann kam der oberste Sonntagsschullehrer aufs Podest der mit uns betete und das Weihnachtsevangelium aus der Kinderbibel vorlas. Viele Eltern merkten dann erst wie schön Geschichten geschrieben für Kinder sein können.
Nach einer Pause, worin aus von Hause mitgenommenen Bechern Chocoladenmilch getrunken wurde, kam der mehr heitere Teil des Abends. Die Gattin des obersten Sonntagschullehrers erzählte eine Weihnachtsgeschichte, eine Geschichte als wie im echten Leben. Es geschieht irgendwo ein schweres, fürchterliches Unglück aber am Ende kommt alles wieder gut.

Dann kam – für mich der absolute Höhepunkt, manchmal der Höhepunkt eines ganzen Sonntagschuljahres – der Augenblick wo der Sonntagsschullehrer, diesmal der Klassenlehrer, auf einen Stuhl stieg, die Namen der Kinder laut vorlas und jedem feierlich ein Geschenk überreichte. Ein echtes, richtiges Buch! Die jüngsten bekamen oft ein Bilderbuch; die älteren Kinder ein Buch zum Lesen, Überdenken und Genießen. Ein Buch nach meinem Herzen also.

In meiner Büchersammlung zuhause befindet sich eine Reihe solcher Sonntagschulweihnachtsbücher. Sehr gerne gehe ich an ihr vorbei, ab und zu ein Buch herausnehmend und lesend. Ich lese die Jahreszahl und den Namen des damaligen Sonntagsschullehrers der mir das Buch geschenkt hat. Ich wundere mich wie gut ich die Buchgeschichte noch kenne und wie schlecht ich weiß wie es der Klassenlehrerin vergangen ist. Von Frau Jo Dolfing weiß ich nicht ob sie noch lebt und ob sie sich noch an den früheren Weihnachtsfeiern erinnert. Sie schenkte mir im Jahre 1948, lang lang ist ꞌs her, das Buch: ꞌEin Weihnachtsurlaub in Zeelandꞌ. Ein Buch das von mir mit sehr gemischten Gefühlen empfangen wurde. Denn es war ziemlich dünn, hatte kaum sechzig Seiten, und war nie richtig spannend. Und was das allerschlimmste war: es war ein Mädchenbuch. Doch, das gab es damals noch: Mädchenbücher und Jungensbücher. Ins geheim habe ich das Buch trotzdem gelesen, aber bis heute keinem davon erzählt.



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Freitag, 15. Dezember 2017
Bagatelle 307 - Sontagschulweihnachtsbuch
Mit dem ersten Schnee, der übrigens dieses Jahr außerordentlich früh kam, kommen auch die Erinnerungen an früheren Weihnachtstagen. Besonders und voller Dankbarkeit denke ich dabei an die Weihnachtsfeier welche die örtliche Sonntagsschule hier im Dorf veranstaltete.

Doch, so war es. Wir gingen damals nicht nur von montags bis freitags in die dörfliche (Grund)schule, wir gingen auch sonntags. Wir saßen im selben Gebäude, in derselben Klasse, im selben Raum mit rings um uns her alle vertrauten Gesichter die wir sonst in der Woche auch sahen.

Der große aber wichtige Unterschied waren jedoch die Lehrerrinnen und Lehrer. Das Lehrpersonal sozusagen. In der Woche waren das Leute, manche liebevoll, einige weniger, die einen Beruf ausübten: das Lehramt. Am Sonntag dagegen waren es Laien welche uns Geschichten aus mehr oder weniger heiligen Büchern erzählten und fromme und fröhliche Lieder mit uns sangen. Es war die Bäckerstochter die uns von Josef erzählte der so schrecklich von seinen Brüdern behandelt wurde –während des Erzählens erschrak sie noch mehr als wir von den Missetaten der Brüder. Oder es war der Herr Lammers der sonst in einer Fabrik für eine pünktliche Handhabung der Buchhaltung sorgte, der uns von einem gewissen Daniel erzählte der unschuldig zwischen den Löwen landete. (Ich mochte die gruseligen Geschichten sehr, vor allem weil ich von vorne den guten Ablauf kannte: wir hatten in vorhergehenden Jahren alle Geschichten schon gehört.)

Ich schrieb: mit voller Dankbarkeit und dabei denke ich vor allem an die Buchbescherung an Weihnachten. Das ging so.
An einem normalen Tag in der Woche, etwa eine Woche bevor Heiligabend, versammelte sich die Sonntagsschulbelegschaft um 18.00 Uhr in der Dorfkirche. Der Küster hatte den ganzen Tag den Ofen geheizt, und weil die Kirche proppenvoll war (die Eltern waren auch eingeladen) war es meistens warm. Es wurde gesungen was das Zeug hielt: frohe Weihnachtslieder aus hellen Kinderstimmen füllten die kirchlichen Gewölbe und den Marktplatz rings herum der Kirche. Dann kam der oberste Sonntagsschullehrer aufs Podest der mit uns betete und das Weihnachtsevangelium aus der Kinderbibel vorlas. Viele Eltern merkten dann erst wie schön Geschichten geschrieben für Kinder sein können.
Nach einer Pause, worin aus von Hause mitgenommenen Bechern Chocoladenmilch getrunken wurde, kam der mehr heitere Teil des Abends. Die Gattin des obersten Sonntagschullehrers erzählte eine Weihnachtsgeschichte, eine Geschichte als wie im echten Leben. Es geschieht irgendwo ein schweres, fürchterliches Unglück aber am Ende kommt alles wieder gut.

Dann kam – für mich der absolute Höhepunkt, manchmal der Höhepunkt eines ganzen Sonntagschuljahres – der Augenblick wo der Sonntagsschullehrer, diesmal der Klassenlehrer, auf einen Stuhl stieg, die Namen der Kinder laut vorlas und jedem feierlich ein Geschenk überreichte. Ein echtes, richtiges Buch! Die jüngsten bekamen oft ein Bilderbuch; die älteren Kinder ein Buch zum Lesen, Überdenken und Genießen. Ein Buch nach meinem Herzen also.

In meiner Büchersammlung zuhause befindet sich eine Reihe solcher Sonntagschulweihnachtsbücher. Sehr gerne gehe ich an ihr vorbei, ab und zu ein Buch herausnehmend und lesend. Ich lese die Jahreszahl und den Namen des damaligen Sonntagsschullehrers der mir das Buch geschenkt hat. Ich wundere mich wie gut ich die Buchgeschichte noch kenne und wie schlecht ich weiß wie es der Klassenlehrerin vergangen ist. Von Frau Jo Dolfing weiß ich nicht ob sie noch lebt und ob sie sich noch an die früheren Weihnachtsfeier erinnert. Sie schenkte mir im Jahre 1948, lang lang ist ꞌs her, das Buch: ꞌEin Weihnachtsurlaub in Zeelandꞌ. Ein Buch das von mir mit sehr gemischten Gefühlen empfangen wurde. Denn es war ziemlich dünn, hatte kaum sechzig Seiten, und war nie richtig spannend. Und was das allerschlimmste war: es war ein Mädchenbuch. Doch, das gab es damals noch: Mädchenbücher und Jungensbücher. Ins geheim habe ich das Buch trotzdem gelesen, aber bis heute keinem davon erzählt.



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Freitag, 23. Dezember 2016
Bagatelle 289 - Stapelvers: Es war einmal ...
Beim Stöbern in meiner Büchersammlung fand ich ein altes Lesebuch für die dritte Klasse der niederländischen Grundschule anno 1920. Darin stand folgendes Stapelvers. (Warum es so heißt, werden Sie nach dem Lesen verstehen.) Zweifellos gibt es im Deutschen auch solche lustige Verse. Kennen Sie welche? Das niederländische hab ich für Sie so gut wie möglich übersetzt.
Nota bene: Beim Lesen merkte ich, dass ich dieses Vers kannte: Teile daraus konnte ich noch auswendig aufsagen! Ich muss es in meiner Grundschule - lang ist's her - gelesen haben!


ES WAR EINMAL








Es war einmal ein Männchen
Das fegte seinen Stall.
Was fand er dort?
Einen goldenen Groschen.
Was kaufte er damit?
Ein fettes, fettes Schwein.
Aber das Schwein wollte nicht gehen,
es wollte getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.

Dann ging er zum Hund:
Hund, willst du Schwein beißen?
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarre
Nein, sagte der Hund.

Dann ging er zum Stock:
Stock, willst du Hund schlagen?
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Nein, sagte der Stock.

Dann ging er zum Feuer:
Feuer, willst du Stock brennen?
Stock will nicht Hund schlagen,
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Nein, sagte das Feuer.

Dann ging er zum Wasser:
Wasser, willst du Feuer löschen?
Feuer will nicht Stock brennen,
Stock will nicht Hund schlagen,
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Nein, sagte das Wasser.

Dann ging er zum Ochsen:
Ochse, willst du Wasser trinken?
Wasser will nicht Feuer löschen,
Feuer will nicht Stock brennen,
Stock will nicht Hund schlagen,
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Nein, sagte der Ochse.

Dann ging er zu dem Mann:
Mann, willst du Ochse prügeln?
Ochse will nicht Wasser trinken,
Wasser will nicht Feuer löschen,
Feuer will nicht Stock brennen,
Stock will nicht Hund schlagen,
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Nein, sagte der Mann.

Dann ging er zum Galgen:
Galgen, willst du Mann hängen?
Mann will nicht Ochse prügeln,
Ochse will nicht Wasser trinken,
Wasser will nicht Feuer löschen,
Feuer will nicht Stock brennen,
Stock will nicht Hund schlagen,
Hund will nicht Schwein beißen,
Schwein will nicht gehen,
es will getragen werden
auf einer Bahre oder Schubkarren.
Ja, sagte der Galgen.

Und der Galgen hängte den Mann,
und der Mann prügelte den Ochsen,
und der Ochse trank das Wasser,
und das Wasser löschte das Feuer,
und das Feuer brannte den Stock,
und der Stock schlug den Hund,
und der Hund biss das Schwein,
und das Schwein ging sehr schnell …
Seht, seht nur!


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Dienstag, 24. Februar 2015
Bagatelle 253 - Schwarzer Fleck in Rot
Wenn ich mich nicht irre und mein Gedächtnis noch einigermaßen in Ordnung ist, bekommen die Kinder in der deutschen Grundschule wie auch in den Niederlanden dann und wann Zeugnisse. Lehrer(innen) beurteilen die Leistungen ihrer Schüler und berichten den Eltern darüber. Nicht immer, aber oft, werden die Bewertungen von Benotungen begleitet. Und da scheiden sich die Geister. Bei Ihnen gibt es anscheinend eine Skala von eins (sehr gut, ausgezeichnet) bis fünf (sehr ungenügend). Bei uns reicht die Skala umgekehrt von eins (sehr, sehr schlecht) bis zehn (ausgezeichnet). Eine 6 bedeutet eine gerade noch genügende Bewertung; eine 5 dagegen ist ungenügend.

Wie auch immer, Zeugnisse sind nicht nur objektive Daten. Das subjektive Lehrerinnensentiment bei der Beurteilung - sei es positiv oder negativ - spielt zweifellos auch eine Rolle. Und oft hilft es einem Kind nicht gerade. Denn schwache Schüler werden in ihrer Schwachheit bestätigt und das bringt sie nicht viel weiter.

Da wir gerade über Zeugnisse sprechen, fällt mir eine besondere Geschichte ein. Als ich die MULO ( etwa die Realschule in Deutschland) besuchte, holte ich mir die einzige Ungenügend (eine 5) die ich je in meiner Schullaufbahn bekam. Und das auch noch für einen meiner Lieblinge, nämlich für das Fach Zeichnen. Die Schule hatte außerdem die Gewohnheit ungenügende Noten in roter Tinte in das Zeugnisbuch hineinzuschreiben. Eine 5 in Rot!

Der Grund war ein tragisches Missverständnis. Der Zeichenlehrer, der Herr Heitmeyer seliger, hielt es für erwiesen, dass ich beim Zeichnen eines Kreises einen Zirkel verwendet hatte. Einen Kreis sollte man aber aus der freien Hand zeichnen können. Zirkelgebrauch war strengstens verboten. Und was ich auch zu meiner Verteidigung einbrachte (ich hatte den Zirkel nicht gebraucht; ich hatte nur einen Kreis gezeichnet mit Hilfe eines Fadens und zwei Stecknadel und keiner hatte mir gesagt dass das verboten sei …), der Lehrer ahnte das Verbrechen sehr und gab mir eine 5. Und zwar in Rot. Auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, ist das Rot ein schwarzer Fleck auf meiner sonst glänzenden Schulkarriere, wie Sie hier unten sehen können.


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Donnerstag, 18. Dezember 2014
Bagatelle 247 - Weihnachtsbuch
Als Neunjähriger besuchte ich die Sonntagsschule.Während die Eltern sich sonntags in der Dorfkirche die weisen Worte des geliebten Herrn Pfarrers anhörten, zogen die Kinder dorthin wo sie sich auch schon fast jeden Wochentag aufhielten: in die dörfliche Grundschule.
Nein, die Unterschiede waren nur gering. Das Gebäude war dasselbe, die Klasse war dieselbe, wir sangen sonntags dieselben Lieder als in der Woche und vor mir drückten, sonntags wie sonst auch, die liebe Metzgerstochter Magda S. und die nicht weniger liebe Gerda (die vom Brückenhaus) die Bank. Neben mir in der Bank saß mein Freund Willie A., sonntags als auch wochentags. Und weil die Schule uns eher Freude als Leid bescherte, war der verpflichtende Sontagsschulbesuch keine Last oder Qual.

Es gab allerdings éinen nicht zu unterschätzender Unterschied und zwar in Bezug auf die sonntägliche Lehrerschaft. Nein, nicht die gewöhnlichen Lehrer(innen) hatten das Sagen. (Die mussten sich sonntags erholen von den Strapazen in der vergangenen Woche und Mut und Kraft schöpfen für die kommende.) Sonntags standen Männer und Fräuleins vor der Klasse die sonst in der Woche ihre normale Arbeit nachkamen, zum Beispiel als gelernter Schreinermeister oder als Schaltergehilfe bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse. Sonntags wandelten sie um in eine Art von Laienpredigern und versuchten so schlecht und gut es ging der ihnen anvertrauten Kinderschar etwas nützliches beizubringen.

Höhepunkt in der Sonntagsschulsaison war zweifelsohne das alljährige Weihnachtsfest in der Dorfkirche. Es wurde mitten in der Woche, zum Beispiel an einem Mittwochabend, veranstaltet, fing an um sechs Uhr und wurde von allen Sonntagsschulkindern und ihren Eltern besucht. (Unter uns: auch für die alten Leutchen war die Weihnachtsfeier welche von der Sonntagsschule organisiert wurde ein absoluter Höhepunkt, wonach man schon Wochen vorher aussah.)

Alle Klischees gelten: die Kirche ist von innen und außen beleuchtet, der Weihnachtsbaum mit seinem hundert Lichtern verbreitet herrliche Schatten und Gerüche, drinnen ist es warm und voll, es wird vollmundig gesungen, die Orgel spielt die schönsten Weihnachtslieder, Alt und Jung sind frohen Mutes. Außer mein Freund Willie A. der laut zu schreien anfängt weil ich ihm auf die Füße trete. Sonst ist jedermann guten Willens, was auch von uns verlangt wird, so sagt uns Herr Bäckermeister Josef K., der Anführer der Sonntagsschullehrerschaft. Heute darf er sogar den Predigtstuhl besteigen um uns von dort aus seine Worte zu melden. An diesem Weihnachtstag aber gibt es keine Kontroversen: wir alle sind einer Meinung.

Es gibt in solch einem Weihnachtsfest zwei Geschichten. Die erste ist die aus dem Lukas Evangelium. Weil wir sie alle Jahre wieder hören, kennen wir sie fast auswendig. Die zweite Geschichte ist eine Weihnachtserzählung, uns vorgelesen oder erzählt von einer aus der Lehrerschaft, meistens macht das das Fräulein aus der Sparkasse, weil sie eine so schöne helle Stimme hat die von jedem gehört und verstanden wird.
Die zweite Erzählung erklingt erst nach der Pause, denn ohne Pause geht nichts, auch kein Weihnachtsfest nicht. In der Pause trinkt man warme Schokoladenmilch die von einigen sorgsamen Eltern eingeschenkt wird. Das ist zugleich eine gute Gelegenheit unsere Weihnachtskränzchen zu essen. Später, am Ende der Veranstaltung, beim Ausgang, bekommt jeder von uns auch noch eine Apfelsine, derzeit fast ein Gottesgeschenk.

Der absolute Höhepunkt ist angebrochen wenn nach dem letzten Weihnachtslied die Lehrer verschwinden und einige Minuten später zurückkommen mit einem Armvoll Bücher. Weihnachtsbücher. Denn jedes Kind das die Sonntagsschule besucht, bekommt zu Weihnachten ein Weihnachtsbuch. Das ist die Regel und so wird sie gehandhabt. Für einen wie mich, der sozusagen Bücher verschlingt, eine unglaubliche Freude. Die Wahl der geschenkten Bücher wird dem Fräulein oder dem Herrn Lehrer überlassen. Am liebsten ist mir ein Buch mit einem Band aus harter Pappe und eins mit (sehr) vielen Seiten. Wenn’s geht mit schönen Bildern. Schlimm wird’s wenn man als Junge ein Mädchenbuch empfängt. Oder umgekehrt.

Auf dem Weihnachtsfest 1949 gibt mir Herr Lammers, sonst erster Buchhalter bei einer örtlichen Fabrik und 1. Vorsitzender des Turnvereins, aber jetzt Sonntagsschullehrer, das Buch ꞌVan verdrukking naar de vrijheidꞌ, ein spannendes Buch, wie ich hoffe und vermute, von einem holländischen Jungen der unfreiwillig in Napoleons Armee in den Feldzug nach Russland 1812 gezogen wird und glücklicherweise gesund und heilfroh heimkommt. Das genaue Datum weiß ich, weil auf dem Buchetikett alles beschrieben steht. Weihnachten 1949; lang ist’s her.

Mit dieser (Vor)weihnachtserzählung wünsche ich allen Bagatellenleser(innen) frohe Weihnachten!





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Freitag, 18. April 2014
Bagatelle 223 - Ostereier
Ein-Ei ist kein Ei
Zwei-Ei ist ein halbes Ei
Drei-Ei ist ein Osterei!


So sangen, laut Überlieferung aus ferner Liefen, die Bauernjungen aus unserer Gegend. Wann? Wenn sie zu Ostern bei den Nachbarhäusern fröhlich singend vorbeigingen, wobei sie die Gelegenheit nutzten um einige noch genießbare Eier zu bitten.

Bei uns zu Hause, damals als ich als achtjähriger zwischen Vater und Mutter am Ostersonntagstisch saß, wurden wenig Eier gegessen. Die Eier welche auf den Tisch landeten, waren aber von höchster Qualität. Die Mutter hatte hinten im Garten einen kleinen Hühnerstall mit vier Wyandottes die von mir die respektive Namen Mie, Rie, Pie und Sophie bekommen hatten. Sie wurden selbstverständlich sehr verwöhnt mit häuslichen Essensüberbleibseln. Gegen Ostern wurden die Eier aufbewahrt, so dass jeder zu Ostersonntag zwei solcher Hühnerdelikatessen vorgesetzt bekam. Gekocht (um die fünf Minuten wenn es große Eier waren, sonst vier) oder gebraten (ein- oder zweiseitig, als Omelett oder ’crumbled’, je nachdem). Manchmal, aber niemals zu Ostern, nahm meine Mutter ein geklopftes Ei zu sich: ein rohes Ei in einem Glas, dann Zucker dazu und fix gerührt. Mit einem Schnäpchen (Jenever, versteht sich) ein probates Mittel gegen Erkältung, sagte die Mama. Ik fand und finde es bis auf den heutigen Tag ekelerregend und völlig ungeniessbar.

Die Ostereier wurden gegessen, niemals bemalt, versteckt oder gesucht. Es hatte, in diesen Nachkriegsjahren, vielleicht etwas mit der Auffassung zu tun, daß man mit Essen und Nahrung keine Spaße treiben soll. Dafür seien die zu kostbar. Später wurden die Sitten etwas lockerer: als unsere Kinder klein waren haben wir uns beim Malen und Ostereiersuchen sehr amüsiert.

Das Bemalen von Ostereier ist eine Kunst an sich. Deshalb lasse ich Ihnen zum Schluss einige Beispiele sehen. Mein sehr künstlerisch veranlagte jungerer Bruder hat sie uns geschenkt. Sie sind etwa dreißig Jahre alt: wenn mann sie vorsichtig schüttelt, hört man den ‘versteinerten’ Eidotter gegen die Innenseite der Schale schlagen. Sie sind auch geeignet Ihnen allen frohe Ostern zu wünschen, was ich hierbei gerne tue.














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Sonntag, 10. Juni 2012
Bagatelle 163 - Cello
Vieles sagen sie aus, die alten Schulzeugnisse die ich mir aufgehoben habe. Vieles, aber einiges sehr interessantes nicht. Das erzähl ich Ihnen hier. Die Geschichte spielt in meiner glücklichen Jugend. In der Zeit wo ich, sieben/acht Jahre alt, mit vollen Zügen die Kenntnisse aufsog die mir die Schule damals zu vermitteln versuchte.




Das Schulzeugnis der zweiten Klasse meiner Grundschule, das Sie hier sehen, bietet in der Tat vieles zum lesen und vieles um sich darüber im Nachhinein zu wundern. Dreimal im Jahr - im August, beim Anfang der Sommerferien; im Dezember, zu Weihnachten; und März/April, zu Ostern - bekamen wir von unseren Klassenlehrern und -Lehrerinnen ein Zeugnis mit nach Hause um den Eltern klar zu machen wie gut oder wie schlecht es um unseren Schulleistungen stehe. Links die Sachgebiete: Religionsunterricht, Lesen, Schreiben, Mathematik, Muttersprache (Niederländisch), Vaterlandsgeschichte, Geographie, Naturwissen, Musik (vor allem Singen), Zeichnen, Nützliche Handarbeiten (für die Mädchen) und Auswendig Lernen. Unter dem Strich die drei für meine Eltern wichtigsten Zeugnisdaten: das Benehmen (dem Lehrer gegenüber), der Fleiß, und schließlich die Sauberkeit. Für einige Fächer gab es nur in den höheren Klassen eine Benotung.
Übrigens lief/läuft diese Benotung bei uns von eins (1) = völlig ungenügend, über die fünf (5) = so zwischen ungenügend und genügend, zweifelhaft also, bis zu zehn (10) ausgezeichnet!
Ganz rechts von oben nach unten gab der Klassenlehrer am Ende der zweiten Klasse den Eltern das Fazit bekannt: Gaat over! und das heißt einfach aber schwerwiegend: der Schüler wird in die nächste Klasse versetzt!
Links unten sehen Sie die zierliche und dennoch kräftige Unterschriften meines Vaters, Terra Senior, der hiermit der Schule bekannt gab, daß er nicht weniger als drei Mal das Zeugnis gesehen und begutachtet hat (und sich vielleicht auf passende Maßnahmen besann, was bei meinem Vater niemals der Fall war. Warum auch.)
Rechts unter die Unterschrift des Klassenlehrers. In diesem Fall der Klassenlehrer. Es sind nämlich zwei.

Der erste Lehrer in der zweiten Klasse hieß Herr Bannink. Von ihm weiß ich nicht viel, aber einiges werde ich niemals vergessen. Wenn Sie mich abends bitte Ihnen am Sternenhimmel den Großen Bären zu zeigen, so kann ich das. Auch der Kleine Bär ist kein Problem. Das hat uns der Herr Lehrer Bannink beigebracht.
Im Laufe der zweiten Klasse kam plötzlich ein neuer Lehrer. Warum der Lehrer Bannink verschwunden ist, weiß ich bis heute nicht, aber eines Tages stand der Herr Lehrer Stockhuyzen vor uns. Mit vornamen J. F., vielleicht Johannes Franciscus, oder Jacob Fritz, wer weiß. Die Lehrer wurden damals nicht, wie heute wohl, bei ihren Vornamen angesprochen. Der Gedanke daran schon war äußerst gefährlich. Der Herr Lehrer J.F. Stockhuyzen (bitte nicht zu verwechseln mit Herr K. Stockhausen) übernahm also die Klasse. Und die achtunddreißig Zweitklässler staunten nicht wenig.

Sie staunten noch mehr als der Lehrer Stockhuyzen eines Tages mit einer ziemlich großen Geige vor die Klasse trat. Er sagte: es sei ein Cello. Dann schraubte er ein dünnes metallenes Stehbein in das Instrument, setzte sich auf einen Stuhl, nahm die Cello zwischen die Knie sodaß die nicht weglaufen konnte, nahm weiterhin einen Streichstock aus einem Koffer, legte die linke Hand auf die Saiten neben seinem Ohr und fing an mit dem Streichstock in der rechten Hand die Saiten zu berühren. Der Lehrer Stockhuyzen spielte. Er spielte Cello.

Ein vollkommen neues Gefühl kam über uns. Niemals hatten wir so etwas gehört, gewöhnt als wir waren an das was ein Posaunenchor oder etwas ähnliches unseren Ohren zu hören gab. Aber jetzt diese Töne! Manchmal ein wunderbares, hohes Singen; manchmal ein dunkles, dumpfes Brummen. Was auch der Herr Stockhuyzen gespielt haben mag, es war unbeschreiblich imponierend. Wir, die Kinder aus der zweiten Klasse, wußten schon, daß einige Lehrer aus höheren Klassen auf einer Geige herumfiedelten, aber wir hatten einen Lehrer der Cello spielte! Das war von keiner anderen Klasse zu überbieten.



Zu Ostern wurden wir alle versetzt. Nein nicht alle, ein paar Mitschüler mußten die Klasse wiederholen, sagten die Lehrer. Das konnte man auch den Zeugnissen entnehmen. Statt "Gaat over!" stand rechts geschrieben: "Bleibt sitzen!".
Wir dagegen gingen frisch und fröhlich in die nächste Klasse. Schade nur, daß unser Cellist Stockhuyzen in seiner zweiten Klasse blieb. Ich vermißte ihn sehr. Wegen seines Cellospiels.

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Freitag, 14. Oktober 2011
Bagatelle 128 - Vom Winde verweht



Vor einiger Zeit gingen wir (Eltern die von ihrem jüngsten Sohn einen Kinogutschein geschenkt bekommen hatten, sonst wären dieselbigen Eltern (aus Faulheit) nicht gegangen) wieder mal ins Kino. Wir sahen und hörten wie ein Englischer Monarch mit seinen Sprachschwierigkeiten rang. (Unter uns: ein sehr sehenswerter Film. Hoffentlich wird die Originalfassung niemals ins deutsche nachsynchronisiert, sonst würde zwar nicht das Herz, aber sicherlich eine Niere aus dem Film geschnitten.) Wie auch immer, dieser Kinobesuch, zusammen mit einigen Blogger-de-Beiträgen über Film und Kino, waren ein guter Anlaß nachzudenken über die ersten Begegnungen mit der filmischen Welt.

Es war nur ein kleiner Schritt: von hier nach dort. 'Hier' ist der Bürgersteig vor meinem Elternhaus; 'dort' ist der Seiteneingang des einzigen Hotels annex Gastwirtschaft (mit Namen: 'Das Wappen von Oldenburg') in unserem Dorf und zugleich Haupteingang des einzig und alleine herrschenden Dorfskinos. In zwei Minuten rannte ich von hier nach dort. Mein Vater, der meistens die öffentliche Straße benutzte, brauchte, ziemlich feierlich gehend, die dreidoppelte Zeit.

Am Samstag und Sonntag konnte man ins Kino. Jeweils um 20 Uhr. Die Kosten betrugen für mich fünfzig Cents. Mein Vater war so gut sie zu übernehmen. Das konnte er sich auch leisten, denn er selber hatte immer freien Zutritt. Er war vom Gemeinderat beauftragt worden darauf zu achten daß Jungens wie ich keine Filme sahen die nicht oder weniger jugendfrei waren. Das tat er auch gewissensvoll, drückte aber oft ein Auge zu.

Die dörfliche Filmvorführung war die einzige semi-offizielle Gelegenheit die pünktlich um acht begann. Sonst (beim jährlichen Konzert des Männer Gesang Vereins zum Beispiel) fing man immer ein Viertelstündchen oder sogar eine halbe Stunde später an. Nicht so beim Kino.
Fünf vor acht hatten alle (meistens so um die fünfzig Personen) sich im Kinosaal versammelt. Die erste Reihe wurde besetzt von einer Gruppe Jungen die laut davon Kund taten daß sie auch wieder anwesend waren. Hinter ihnen klaffte eine publikumsfreie Zone. Dann kamen die Reihen mit interessierten Dörflern, alte und junge, Frauen und Männer. Alle waren sichtlich vergnügt und genossen der Vorfreude. Pünktlich um acht ertönte der Gong. Das Licht erblaßte, der Vorhang verschwand nach links und rechts und die Gespräche verstummten.

Zuerst sahen wir die in Film festgelegten Nachrichten. Die aus eigenem Lande und danach weltweit. Die meisten Bilder bezogen sich auf Ereignisse die schon Monate zurück lagen, aber das störte keinen. Anschließend offerierte uns die Projektionslaterne als Vorgeschmack einen einladenden Teil des Filmes der kommende Woche. Worauf wir uns alle besannen auf die Frage warum wir gerade héute gekommen waren und besser bis nächste Woche hätten warten sollen.
Manchmal, wenn die Zeit reichte und der Hauptfilm nicht allzu viel Zeit forderte, gab es einen unerwarteten Kurzfilm. Meistens einen richtigen Charly Chaplin-Komödienstadel oder ein amüsantes Stan Laurel und Oliver Hardy-Abenteuer wobei die beiden umsonst versuchten ein Klavier eine steinerne Treppe hinauf zu schleppen. Sehr und laut mußte ich immer darum lachen, auch wenn es schon das dreizehnte Mal war daß diese Folge gesendet wurde.



Dann kam der Hauptfilm. Aber vorher war eine Pause angesagt. Jeder der mußte ging auf die Toilette, auch diejenigen die nicht mußten. Der Rest ließ sich von der Ehefrau des Kinobesitzers ein Eis oder eine Tüte Erdnüsse verkaufen.
Einige Filme die ich damals gesehen habe, sind mir bis auf den heutigen Tag nicht aus dem Gedächtnis gegangen. Der erste Film, von dem ich mich erinnere ihn gesehen zu haben, war eine Geschichte mit dem englischen Komiker Georg Formby. Er ist mir beigeblieben weil der Formby ungemein virtuos das Banjo bespielte. Weiter natürlich die Stan und Ollie-filme, aber darüber hatten wir schon geredet. Von Charly Chaplins City Lights ist die Szene mit dem Kaninchenpfötchen (wodurch Boxer untouchable werden) unvergessen. Dann natürlich die Klassiker: Casablanca, The Third Man, Citizan Cane, und Gone with the wind. Nicht zu vergessen sind auch noch die Streiche des Don Camillos und sein Kompan Peppone. Auch nicht der Individualist Monsieur Hulot der während seiner Ferien, in den Jours de Fête und als fliegender Postbote alle Probleme zu lösen versuchte.
Vielleicht merken Sie, genau wie ich jetzt beim auflisten, daß keine deutsche Filme dabei sind. Und das wo das Kino in unserem Grenzdorf kein Kilometer von Deutschland entfernt war. Ursache ist der Zeitgeist: der Krieg lag nur einige Jahre hinter uns und deutsche Filme waren damals nicht sehr populär. Die große Zeit der Sissi-Filme war noch nicht angebrochen.

Viertel nach Zehn kam ich nach Hause. Wie bei der Hinreise legte ich die Strecke im Rekordtempo zurück. Die Haustür ließ ich offen für den Vater, der über den Normalweg und in abgemessenem Gange nach Hause schritt. Manchmal lächelte er leise. Überrascht von einer brillanten Tati-Szene oder noch immer beeindruckt von der blendenden Schönheit der Sophia Loren. Denn - wieder unter uns - mein Vater mochte gerne eine schöne Frau sehen. In natura, aber auch auf der Leinwand. Übrigens, sein Sohn war kein Haar besser.

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Samstag, 4. Dezember 2010
Bagatelle LXXXII - Kirchturmkletterei
In meiner Jugend war ich auch so einer. Einer, der herausgefordert, bereit war großen Gefahren und Bedrohungen zu trotzen. Nur um den anderen zu zeigen was man sich traute und um bewundernde Blicke, Lob und Anerkennung zu ernten.
Zum Beispiel: mein Verbleib im Klassenbücherschrank. Ein leerer Schrank im Sekundarstufenklassenzimmer lud quasi ein sich darin zu verstecken. Wer, so war die Frage unter den Schülern, wagt es sich zu verstecken und sich schlafen zu legen in dem Schrank, während ein sonst sehr gefürchteter Lehrer sein Bestes tut der Klasse etwas beizubringen?

Terra war so einer. Einer der’s wagte. Ich legte mich in den Schrank und hörte wie der Lehrer hereinkam und mit seiner Lektion anfing. Er geriet allmählig in Wut als er bemerkte, daß er nicht álle Aufmerksamkeit bekam wie er ’s gewohnt war. Einige Schüler schauten auf den Schrank mit Inhalt, als wollten sie dem Herrn Lehrer auf etwas anderes aufmerksam machen. Aber von niemand wurde ich verraten. Nach vierzig Minuten kroch ich steif und stramm aus dem Schrank. ‘Wenn es schief gegangen wäre’, sagten meine Klassenkameraden, ‘wenn der Lehrer dich im Schrank bemerkt hätte, wären die Folgen schrecklich gewesen.’

Der Maurermeister Herman war auch so einer. Seine Freunde, die ihm bei der Arbeit am Kirchturm in unserem Dorfe zuschauten, versprachen ihm eine Schachtel Zigaretten wenn er es wagen sollte den Kirchturm hinauf zu klettern um den Hahn auf der Spitze zu streicheln. ’Abgemacht’ sagte der Maurermeister Herman. ‘Für eine Schachtel richtige Virginia Zigaretten tue ich das. Keine Frage.’



Der Turm der Dorfkirche ist etwa 38 Meter hoch. Der Kirchturmhahn – der uns nicht nur die Windrichtung zeigt, aber uns auch lehrt was es denn heißt stolz auszusehen – erreicht man indem man innen im Turm über steinerne Drehtreppen und hölzerne Leiter nach oben klettert bis zur Turmluke. Das ist ein kleines Fenster. Es wird an Feiertagen geöffnet um der Nationalflagge in rot-weiß-blau die Gelegenheit zu bieten freiaus zu wehen. Wenn einer so kühn, übermutig sogar und sorglos ist, kann man sich durch die Luke nach draußen bewegen und weiter aufwärts klettern, wobei man sich mit den Händen der eisernen Haken bedient die bis zum Kirchturmhahn den Turm vor Blitzeinschlägen schützen.

Das tat der Maurermeister Herman. In Schweiß badend erreichte er – mit Mühe und Not, wie der Erlkönig den Hof – den Hahn, berührte denselbigen und stieg wieder herab. Gut und glücklich für ihn war, daß er sich keine Zeit gönnte sich von einer Höhenangst befangen zu lassen. Unversehrt erreichte er die Luke und trat wieder in den Turm hinein. Wie vertraut benahmen sich die die hölzern und steinernen Treppenstufen! Unten angekommen wischte er sich den Schweiß vom Gesicht und nahm die volle Zigarettenschachtel in Empfang.

Später gab er zu tausende Ängste gehabt zu haben und tausend Mal gestorben zu sein. Seine Sturheit und Starrköpfigkeit aber ließen ihm keine andere Wahl. Wie es später Terra geschah in dessen leeren Klassenzimmerbücherschrank.

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