Freitag, 1. Juli 2011
Bagatelle 112 - Digitalträume
Hören und Sehen ergeht uns, wenn wir die neuesten Nachrichten über die Firma H. Aschenbach und Söhne auf uns einwirken lassen. Wir schreiben nicht zufälligerweise 'hören' und 'sehen', denn das sind ja die zwei Sinne dessen Daten seit langem digitalisiert werden können. Ein Bild, ein Porträt, ein Film, ein Gemälde: alles sichtbar optische läßt sich in bytes und bits, in Eins (1) und Null (0), beschreiben und festlegen. Wir brauchen nur Daten und Algorithmen. Dasselbe gilt für den akustischen Bereich. Eine Rossini-Aria, ein Beatlesong wie Yesterday oder die Achte von Bruckner lassen sich digital aufzeichnen und genießen. Lichtdata oder Schallwellen: die digitale ICT-Welt ist vollends auf der Höhe.

Was fast niemand weiß, ist daß vieles vom diesem Digitalwissen zuerst aus dem Gehirn und später aus der Feder des Herrn Dr. h.c. H.K.L. Aschenbach stammt. Sohn des berühmten Firmengründers Arnulf Aschenbecher, der aus Angst vor seinem guten Ruf voraussehend seinen Nachnamen hat ändern lassen. 'Aus dem Hause Aschenbach' steht geschrieben auf den alten und neuen informationstechnologischen Geschriften. Das mag altmodisch klingen, Tatsache ist daß Herr Dr. Aschenbach, was die innovativen Fortschritte bei der globalen Digitalisierung betrifft, ein führender Kopf ist. Weltweit.

Der Herr Dr. H.K.L. Aschenbach, Jahrgang Mitte 1951, dessen Vorfahren aus den Vogesen stammen die sich durch ein Mißverständnis plötzlich in den Niederlanden wiederfanden, ist bereit mich für ein Gespräch zu empfangen. Eine große Ehre, denn Dr. Aschenbach (Henk für seine Gattin und Aschi für seine Freunde) hat auch nur 24 Stunden zur Verfügung. (Aschenbach: "Wir arbeiten derzeit an einer Verlängerung des Werktages um eine halbe Stunde, indem wir den täglichen Sonnenuntergang etwas verlangsamen. Wir halten sozusagen den Lauf der Sonne um eine halbe Stunde auf. Digital versteht sich." (Womit schon beim Anfang des Interviews eine meiner Fragen beantwortet worden ist.)

Frage: Herr Dr. Aschenbach, Bild und Ton, das Sehen und das Hören, die sind weitgehend digitalisiert. Aber wie steht es mit den anderen Sinnen? Der Geschmack zum Beispiel? Oder der Geruch? Werden wir je Zeuge davon, daß unser Pudel anfängt mit dem Schwanz zu wedeln wenn er mich, sein Herrchen, auf dem Bildschirm nicht nur sehen und hören, sondern auch riechen kann?
Antwort: Lieber Herr Terra, ich höre schon daß Sie ein digitaler Analphabet sind. Anders gesagt: ein Digibet. Nun, lassen wir das. In der Tat, wir sind dabei Geruch und Geschmack digital übertragbar zu machen. (Herr A. lädt mich ein zu seinem super-geheimen Laptop.) Sehen Sie genau zu. Und beschreiben Sie mir was Sie sehen und sonst empfinden.



Meine Antwort: Ich sehe eine wunderschöne Frau. Blond, um die 33 schätze ich, aber das kann man bei Frauen nie genau sagen. Sollte man auch nicht. Sie hat eine klassische griechische Nase und eine delikat ungebräunte Haut. Die Figur ist ganz und gar superb. Und ich höre ihre Stimme: verführerisch mit einem kleinen westfälischen Akzent.
(Hier zaudere ich etwas.) Ich bespüre einen köstlichen Geruch. Es ist ohne Zweifel Parfüm: Chanel 55 oder ein früherer Jahrgang. Jetzt verschwindet das Bild. Und damit auch der herrliche Duft.

Das nächste Bild ist zum auffressen. Ich sehe auf dem Bildschirm eine Brotmahlzeit, komplett mit einem guten Glas Wein, mit Schinken, Salami, alter Schweizer Löcherkäse, spanischem Senf und sonstigen mir unbekannten Auf- und Abstrichen. Ich irre mich nicht: ich rieche und koste die Brotbeläge. Natürlich ohne sie tatsächlich zu essen. Der Käse schmeckt mir großartig. Meine Geschmackspapillen sind fast überfordert. Das Wasser läuft mir im Mund herum. Ich kann dem Herrn Aschenbach nach wenigen Minuten mit geschlossenen Augen die Marke der Löcherkäse sagen. Und der Wein ist zweifelsfrei ein 33er Spätrießling.



Frage: Herr Dr. Aschenbach, Sie übertreffen meine tollsten Erwartungen. Verzeihung bitte, aber ich habe noch eine Zusatzfrage. Wie steht es um den taktilen Bereich, um den Tastsinn? Wird der Tag kommen da wir mit dem Bildschirm als Übertragungsfläche eigenhändig die Hand der Madame Bundeskanzlerin küssen können? Können wir demnächst am Monitor dem Politiker der nichts taugt eine Ohrfeige verpassen?
Antwort: Wie Sie hoffentlich wissen, sind die neuesten Bildflächen dazu da um sie mit Fingerspitzengefühl zu betasten. Berühren ist ganz und gar nicht verboten. Im Gegenteil: sehr zu empfehlen! Diese Berührungstechnologie steht noch am Anfang, aber Sie können sicher sein daß die Firma Aschenbach demnächst mit einer Superlösung kommt. Die HD-Technologie und 3D verschwinden dabei im nichts.

Völlig verwirrt verabschiede ich mich von diesem Genius und verlasse den Raum. Es würde mich nicht wundern wenn im kommenden November klar wird, daß ich heute gesprochen habe mit dem künftigen Nobel-Preisgewinner 2011 für kosmetische Digitaltechnologie. Es liegt in der Luft. Man kann es förmlich riechen.

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