Montag, 18. Juli 2011
Bagatelle 115 - Quotum, eine baltische Erzählung (2)
(Die Leserinnen und Leser die sich fragen wie diese Geschichte überhaupt angefangen hat, werden herzlichst eingeladen die vorhergehende Bagatelle 114 zu lesen.)
In diesem zweiten Teil wird die schreckliche Geschichte um Wanja, Tanja und König Twan aus Leppland fortgesetzt und finalisiert. Es wird also, wie auch immer, zu einem Ende kommen. Ein dritter Teil ist nicht vorgesehen. Wie fast alle andere Einwohner Lepplands setzen wir uns vor den Fernsehbildschirm um uns die Ansprache des geliebtgefürchteten Diktatorfürsten anzusehen. Das ganze Land schaudert schon im voraus. Auf den Straßen herrscht todesstille.



Zwei Aspekte aus der Ansprache des Königs Twan, heute abend vor den Augen und Ohren von ganz fernsehend Leppland, bleiben im kollektiven Bewußtsein hängen. Erstens die drohende Worte, an die zwei streitenden Schreinermeister Tanja und Wanja gerichtet. Sie werden, zwar auf Bewährung, verurteilt zu (nach eigener Wahl): (a) 25 Jahre Verbannung in den semi-demokratischen Westen, (b) eine Geldbuße von 2½ Millionen läppischen Franken, oder (c) ein zweimaliges Kielholen im Baltischen Eismeer. Bei jeder auch noch so kleinen Wiederholung folgt unmißverständlich die ultimative Strafe, nämlich die Guillotine. "Und euch allen, die mir zuhören, rate ich dringend, sich diese Worte in den Ohren zu knöpfen." Also beschloß der Diktator seine Rede, die im Fernsehstudio und draußen vor der Tür mit tosendem Beifall begleitet wurde.
Das zweite in 's Königs Worten das wir nie vergessen werden, ist das Quotum. (Unter uns: manche Leser werden gefragt haben warum wohl diese zwei Bagatellen heißen wie sie heißen, nun wissen wir es.) Für sowohl Wanja als Tanja wird morgen eine verbindliche Liste erscheinen von Gegenständen welche sie jährlich erlaubt sind in ihren Werkstätten herzustellen. Es sind sage und schreibe nicht mehr als

60 Aussteuerkisten
100 Kabinettstückchen
36 sidetables (das Leppische Wort hierfür fehlt mir)
18 altmodische Büfetts
76 Nachttische (inklusive Nachttopfdeckel)
84 Bücherschränke (hoch Modell)
22 Kautsche oder ebensoviele Coutsche
122 Särge
23 Lehnstühle
44 Stück allesmögliches Trödelwerk

Diese herzustellende Gegenstände werden peinlich genau auf den zwei Schreinermeistern verteilt. Für jeden die Hälfte.
Über den Daumen ist jedermann zufrieden, sei es daß es allerdings einige Ungereimtheiten gibt. So werden dieses Jahr die 61. und folgende Bräute im Lande Leppland sich überlegen müssen, ob es nicht besser sei die Heirat um ein Jahr zu verschieben. Und alle oberhalb der 122 Leute die den Plan hatten sich dieses Jahr vom irdischen Leben zu verabschieden, müssen sich das noch einmal überlegen.
So ist immer was zu beklagen. Aber unter dem Strich kann man zufrieden sein, sagt der Schreinermeister Wanja, und der kann's ja wissen.


Nachtrag:
- Wiederholung der Fernsehsendung folgt in wenigen Tagen bei Phoenix.
- Die schauderhaft/schöne Zeichnung hierunter: König Twan bei seiner Lieblingsbeschäftigung, ist unverkennbar das Werk von Yrrah (1971: Querido/Amsterdam)

... link (0 Kommentare)   ... comment